Sonneberg: Der historische Vergleich kommt um die Ecke – und wieder hinkt er

Der Höhenflug der AfD hält an. Nicht nur in den Umfragen, sondern auch an der Wahlurne. Der Aufschrei war groß, als sich im Thüringer Kreis Sonneberg das ereignete, wovor sich die Altparteien und ihr Vorfeld am meisten fürchten: daß die AfD "an die Macht" komme.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Auch wenn es sich nur um den Pos­ten eines Land­rats han­del­te, waren die reflex­haf­ten Ver­glei­che der Gegen­wart mit der End­pha­se der Wei­ma­rer Repu­blik schnell bei der Hand: Wir sind schon wie­der soweit!

Die Moti­va­ti­on der Auf­schrei­en­den ist dabei eini­ger­ma­ßen durch­sich­tig. Pro­fes­sio­nel­le Anti­fa-Päd­ago­gen wol­len damit auf die För­der­wür­dig­keit ihrer Arbeit hin­wei­sen, Lob­by­grup­pen wie der Zen­tral­rat der Juden ihre Bedeu­tung her­aus­stel­len und die Alt­par­tei­en den Wäh­lern ihre Urteils­fä­hig­keit absprechen.

Denn all die­se Grup­pen haben in ihrer Selbst­be­schrei­bung das „Nie wie­der!“ zu ste­hen, und hof­fen instän­dig, der Sou­ve­rän möge bald wie­der in die Spur finden.

Ange­sichts die­ser Hys­te­rie ist es zunächst wohl­tu­end, wenn die His­to­ri­ke­rin Hed­wig Rich­ter in der FAZ (21. Juni 2023) vor die­sem „fal­schen Wei­mar-Reflex“ warnt:

Der Wei­mar-Ver­gleich ist in jeder Hin­sicht irre­füh­rend und dys­funk­tio­nal. Er blo­ckiert eine ange­mes­se­ne Zukunfts­po­li­tik, nicht zuletzt, weil er die Aus­gangs­la­ge falsch darstellt.

Sie nennt drei Unter­schie­de zwi­schen Wei­mar und Ber­lin: Ers­tens bestün­de heu­te eine Mehr­heit aus über­zeug­ten Demo­kra­ten. Zwei­tens sei Deutsch­land eines der sichers­ten Län­der der Welt. Und drit­tens gebe es in der Gegen­wart kei­ne ver­gleich­ba­re Verarmung.

Die­se Auf­zäh­lung lie­ße sich noch durch posi­ti­ve Merk­ma­le von Wei­mar ergän­zen, wie den natio­na­len Selbst­be­haup­tungs­wil­len, den damals fast alle Par­tei­en ver­tra­ten und der heu­te kaum noch zu fin­den ist.

Wer Rich­ter kennt, ahnt schon, daß sie es mit ihrer Beschwich­ti­gung nicht ernst meint. Denn die Kata­stro­phen der Ver­gan­gen­heit sei­en zwar vor­bei, jedoch dro­he uns eine noch viel grö­ße­re – die Klimakatastrophe:

Wenn es kei­ne Kli­ma­po­li­tik gibt und die Bevöl­ke­rung nicht auf die Trans­for­ma­tio­nen vor­be­rei­tet wird, dann bekom­men die Fein­de der Demo­kra­tie das ersehn­te Cha­os, Heer­scha­ren an Geflüch­te­ten, Hit­ze­to­te, Über­for­de­rung auf allen Ebe­nen. Und wie der IPCC-Bericht gezeigt hat, gera­ten durch das Nichts­tun die soma­ti­schen Grund­la­gen unse­rer Demo­kra­tie in Gefahr: aus­rei­chend Nah­rung und Was­ser und die Mög­lich­keit eines gesun­den Lebens – für alle. Demo­kra­ti­schen Wer­ten wäre der Boden entzogen.

Das ist inso­fern ein inter­es­san­ter Spin, weil Rich­ter hier gegen die Grund­norm deut­scher Geschichts­po­li­tik ver­stößt: Du sollst nicht rela­ti­vie­ren! Sie betont zwar eingangs:

Die Beschäf­ti­gung mit den Ver­bre­chen der Ver­gan­gen­heit ist unver­zicht­bar, Deutsch­land wird immer die Ver­ant­wor­tung dafür tra­gen und muss das Gedächt­nis dar­an wachhalten.

Aber das wirkt doch eher wie das Marx-Engels-Zitat am Anfang jeder Dis­ser­ta­ti­ons­schrift zu DDR-Zei­ten. Das Wort „Kli­ma­leug­ner“ bekommt hier, auch wenn Rich­ter es nicht ver­wen­det, den Rit­ter­schlag der Geschichtswissenschaft.

Kein Wun­der, daß sich kurz dar­auf ein Kol­le­ge von ihr in der FAZ (24. Juni 2023) mit einer Erwi­de­rung zu Wort mel­det. Der win­del­wei­che Bei­trag von Alex­an­der Gal­lus ( “Wei­mar war ges­tern und ist heu­te”) zeigt, auf welch nied­ri­gem Niveau intel­lek­tu­el­le Debat­ten mitt­ler­wei­le mög­lich sind. Denn anstatt eine struk­tu­rel­le Gemein­sam­keit zwi­schen dem reli­giö­sen Wahn der Kli­ma­ideo­lo­gie und dem poli­ti­schen Mes­sia­nis­mus der Natio­nal­so­zia­lis­ten auf­zu­zei­gen, und so dafür zu plä­die­ren, die Kir­che bezüg­lich der AfD im Dorf zu las­sen, win­det er sich wie ein Aal.

Sein Wider­spruch beschränkt sich auf Zwei­fel dar­an, ob der Wei­mar-Reflex wirk­lich so ver­brei­tet ist, wie Rich­ter behaup­tet, und ob das Bild von Wei­mar nicht mitt­ler­wei­le ein ganz ande­res sei:

Schon seit vie­len Jah­ren wird mitt­ler­wei­le Wei­mars Eigen­ent­wick­lung Auf­merk­sam­keit geschenkt und die­se Kri­sen­pha­se der klas­si­schen Moder­ne als eine höchst ambi­va­len­te Epo­che vol­ler Risi­ken, aber auch Chan­cen wie­der­ent­deckt, die demo­kra­tie­ge­schicht­li­ches Inno­va­ti­ons­po­ten­zi­al bereit­hielt und sich als lern­fä­hi­ger und resi­li­en­ter erwies als lan­ge geglaubt.

Das klingt der­art betu­lich und ver­schwie­melt, daß es schon fast als Erbau­ungs­li­te­ra­tur durch­ge­hen könn­te: Gehen Sie wei­ter, hier gibt es nichts zu sehen. Daß wir der­zeit mit­ten in einem Kul­tur­kampf ste­cken, kann Gal­lus natür­lich nicht auffallen.

Da ist die End­zeit­ideo­lo­gin Rich­ter wesent­lich wacher. Sie sieht den Kul­tur­kampf völ­lig zu Recht als Grund für den Erfolg der AfD. Aller­dings spricht sie von einem „Kul­tur­kampf gegen die Phä­no­me­ne“, weil für sie die Kli­ma­ka­ta­stro­phe kei­ne Hypo­the­se, son­dern Wirk­lich­keit ist.

Die AfD ist in ihren Augen so etwas wie das gro­ße Ver­spre­chen an die Bür­ger, daß alles wie­der so wer­den könn­te, wie es war. Da die Alt­par­tei­en die Kli­ma­ka­ta­stro­phe abwen­den woll­ten und dem Bür­ger dabei eini­ges zumu­ten müß­ten, habe die AfD leich­tes Spiel.

Hier kommt bei Rich­ter die gute alte Jako­bin­erlo­gik (Carl Schmitt) zum Tra­gen, nach der der Wil­le der Min­der­heit dem Volks­wil­len ent­spre­chen kann, viel­mehr ent­spre­chen sollte.

Die Macht der gegen­wär­tig herr­schen­den Min­der­heit stößt an ihre Gren­zen: nicht, weil sich die Mehr­heit in Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung ergeht und des­halb AfD wählt, son­dern weil die Min­der­heit in einer irra­tio­na­len Hybris der Rea­li­tät den Krieg erklärt hat.

Ob Mas­sen­ein­wan­de­rung, Coro­na, Gen­der oder Kli­ma, der Kampf gegen die Rea­li­tät wird auf dem Rücken der Mehr­heit aus­ge­tra­gen, die zuneh­mend die nega­ti­ven Fol­gen die­ses Kamp­fes zu spü­ren bekommt. Ob das genügt, um in Deutsch­land die Wei­chen für eine ande­re Poli­tik zu stel­len, ist offen.

Der Ver­gleich mit Wei­mar, wie der mit jeder kri­ti­schen Pha­se der Geschich­te, macht aber eines deut­lich: Geschich­te ist offen, die Herr­schaft der Jako­bi­ner ist kein Natur­ge­setz. Aus die­ser Ein­sicht kann man Mut schöp­fen, resi­gnie­ren oder zum Jako­bi­ner werden.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (17)

RMH

27. Juni 2023 10:02

... und schon will sich einer seine juristischen Planspiele zur rechtlichen Beurteilung einer vermeintlichen "Machtergreifung" der AfD durch "Crowdfunding" durchfinanzieren lassen. Als Spin-Off werden dabei dann vermutlich auch Argumente für ein Verbotsverfahren willfährig vorproduziert. Es finden sich heute immer so viele Freiwillige im Krampf gegen Rechts (aber ohne Moos ist dann doch nichts los).
https://verfassungsblog.de/
https://www.betterplace.org/de/projects/122637-das-thueringen-projekt?mtm_campaign=Banner
"Das Thüringen Projekt" - LOL - evtl. bohrt auch mal wieder jemand im Jonastal oder gräbt bei Crawinkel und Ohrdruf nach der New York Rakete, in der Hpffnung, einen AfD-Aufkleber daran zu finden ... (ganz sicher radioaktiv verstrahlt!)
Wenn es nicht ernst wäre, könnte man nur noch lachen.

Gotlandfahrer

27. Juni 2023 10:24

Der Vergleich mit Weimar ist angebracht, nur – wie immer – unter anderen Vorzeichen als von den Lautsprechern der Herrschaft, stets im eigenen Saft köchelnd, in immergleichen Variationen rezitiert. Aus 1000 Jahren ist längst „immer Verantwortung tragen“ geworden. Erneut treibt eine in der Spitze ruchlose Gruppe von Gesetzlosen die Hysterie an, um es nicht zu der Ruhe kommen zu lassen, in der ihre Überzogenheit erkannt werden könnte. Der Hysterie anheim fällt der brave Bürger, der in einem Moralschock zu allen Opfern bereit sein will. Womit alles, aber keine Mehrheit an überzeugten Demokraten, attestiert werden kann. Dass Deutschland eines der sichersten Länder der Welt sei, ist ebenfalls nicht nur falsch, sondern eh eine nur relative Aussage, die kein Maß für Weimar ja / nein bietet. Und an der Verarmung wird gearbeitet, es verhungert zwar wohl noch niemand, aber das war auch in den frühen Dreißigern in Deutschland schon nicht mehr der Fall. Stattdessen haben wir, wie in Weimar, eine deutsche Stresslage, die aus dem Außen erzeugt wird. Es ist also genug Vergleichbarkeit mit Weimar gegeben, nur eben, dass es die hysterischen Eliten und ihre Schlägertruppen in Redaktionen und auf der Straße sind, die ihre inneren Reichsparteitage durchleben, wenn fettes Fischfilet, oder wie die Idioten heißen, zum Gaga-Soli-Konzert lädt oder „Männer“ mit Hundemasken die Meute zum Einschlagen auf einen Trauerzug aufhetzen. Doch, doch, wir leben längst in Weimar, nur ist alles anders.

Maiordomus

27. Juni 2023 10:35

Man sollte nicht zu schnell von Mehrheit und Minderheit sprechen auch gerade im Zusammenhang mit der Ideologie der Klimakatastrophe. Zumal die Nettozahler eines Staates heute oder früher oder später ohnehin eine Minderheit darstellen, in der Schweiz ist dies längst der Fall. 
20 Jahre und mehr Gehirnwäsche bleiben nicht ohne Folgen, was die Volksabstimmung in der Schweiz vom vorletzten Sonntag zeigt, leider auch gesundheitspolitisch, hätte selber nie gedacht, dass die Vollmachten der Regierung betr. Massnahmen gegen Corona, zwar etwas weniger fanatisch als beim erkennbar dümmlichen  Lauterbach, von der grossen Mehrheit der Geimpften ohne Nebenfolgen ebenso gutgeheissen wurden wie das lächerliche Klimaziel Null bis 2050, dies bei 180 000 Einwanderern im Jahre 2022.  Ich glaube, dass auch in Deutschland die "Klimaleugner", die realistischen inbegriffen,  in der Minderheit sind, ein ehemaliger Bildredaktor, jetzt Spiegel, geht davon aus, dass "Nazi", Klimaleugnung und Ausländerfeindlichkeit, was immer man darunter versteht, die absoluten Nogos sind, auch über demokratische Mehrheiten erhaben. Dabei wird noch gern mit dem Slogan "Wir sind mehr" geworben, der übrigens rein massenpsychologisch gemäss Canetti nicht weit von einem Tötungsaufruf entfernt ist. Übrigens warne ich vor dem Satz "Erfolg ist geil", sobald eine Partei daran selber glaubt, beginnt ihr Abstieg. 

Langsax

27. Juni 2023 10:45

"Der Kampf gegen die Realität" beschreibt das politische Elendim jetzigen Deutschland umfänglich. Es gibt noch genügend Menschen, die genau diesen "Kampf gegen die Realiät" im Kommunismus selbst erleben und erleiden mußten. Man ist also "immunisiert" und deshalb hat die AfD im Osten den viel größeren Rückhalt in der Bevölkerung. 
Je häufiger die "Nazi-Keule" benutzt wird, desto mehr nutzt sie sich ab. Und wenn im Westen des Landes die Wohlstandsverluste immer spürbarer werden, dann sollte auch dort das Nachdenken über "unsere" politische Kaste einsetzen. Zu Wohlstandsverlusten muß man auch die immer gefährlichere Umwelt durch "Menschen fremder Kulturen" sehen. 
Man hätte wissen können (historisch und verhaltensbiologisch), dass die Einwanderung von Kulturfremden zum großen Morden führen wird! Humanethologen wie I. Eibl-Eibesfeldt haben immer davor gewarnt. Deshalb wurde er als "wegbereiter der neuen Recht" diffamiert. 
Für alle, die sich über Klima weiterbilden wollen, empfehle ich: "Klimagewalten - Treibende Kaft der Evolution".  Es ist bewiesen, dass es keinerlei Korreation zwischen CO²-Gehalt in der Luft und Temperatur auf der Erde gibt. 
Man darf den Herrschenden und ihre Propagandisten nicht mehr zuhören bzw. sollte sie verhöhnen. Sie haben nix Anderes verdient, als abgrundtiefe Verachtung!

Volksdeutscher

27. Juni 2023 11:12

"Professionelle Antifa-Pädagogen wollen damit auf die Förderwürdigkeit ihrer Arbeit hinweisen, Lobbygruppen wie der Zentralrat der Juden ihre Bedeutung herausstellen und die Altparteien den Wählern ihre Urteilsfähigkeit absprechen."
Das auch, aber nicht nur. Sie beklagen prinzipiell ihren Machtverlust, d.i. den Verlust ihrer hypnotischen Fähigkeiten propagandistischer Einschüchterung, mit deren Hilfe sie das deutsche Volk 1945 gelähmt und unter ihre Kontrolle gebracht haben, das sich aus dieser Hypnose jedoch gegenwärtig zu befreien scheint - aus ihrer Sicht zu befreien droht. Sie fühlen sich davon bedroht und weil die Hypnose nicht mehr wirkt, stoßen sie Mahnungen und Flüche aus, der Souverän möge sich gefälligst in seine von ihnen erdachten Rolle als Leibeigener fügen. Die Wirkung der magisch aufgeladenen Schimpfwörter zur Disziplinierung von Individuum und Kollektiv wurde gebrochen. Hoffentlich auf Dauer. 
 

MarkusMagnus

27. Juni 2023 12:09

"Denn all diese Gruppen haben in ihrer Selbstbeschreibung das „Nie wieder!“ zu stehen..."
Klar, "Nie wieder Deutschland " wenn es nach den Vorbezeichneten ginge.

Laurenz

27. Juni 2023 12:09

@EL .... Weimar, Nationalsozialisten, daß ich nicht lache ..... Ernst Thälmann & die gesamte historische KPD der Weimarer Republik würde heute dem "Kampf gegen Rechts" zum Opfer fallen, Seite an Seite mit Höcke & Wagenknecht in die Hölle der Klimaretter verbannt werden. Das ist, mit Verlaub, wie 1933.

Der_Juergen

27. Juni 2023 13:12

@Laurenz
Das Niveau Ihrer Kommentare ist in letzter Zeit gestiegen.
Völlig richtig ist z. B. Ihr Hinweis darauf, dass Ernst Thälmann heute zur Zielscheibe des "progressiven" Mobs würde. Immerhin hat er sich zum "harten deutschen Volk" bekannt. Wie hätte er wohl über Transvestiten- und Schwulenparaden geurteilt, was hätte er wohl gesagt, wenn er eines jener zahllosen Stadtviertel im heutigen Deutschland gesehen hätte, in denen die Deutschen zur drangsalierten Minderheit geworden sind?
Gäbe es heute in Deutschland Linke wie Thälmann, so könnte man ernsthaft über eine "Querfront" diskutieren. Aber es gibt sie längst nicht mehr.

Waldgaenger aus Schwaben

27. Juni 2023 13:38

Es gibt kaum etwas Verhängnisvolleres im politischen Denken, als eine vergangene Epoche herbeizuhalluzinieren, in der wir angeblich leben. Die Welt von 1933 ist nicht mehr die von heute. 
Zum AfD-Verbot: Die NPD-Verbotsverfahren dauerten 3-4 Jahre. Das BVerfG könnte, auch wenn es wollte, keinen kurzen Prozess machen, weil das Verbot auf Antrag der verbotenen Partet vom EGMR überprüft werden kann. (Frage an Juristen: Hätte eine Klage vor dem EGMR aufschiebende Wirkung, könnte der EGMR eine einstweilige Verfügung erlassen?)
Das Verfahren fiele also in den Wahlkampf in Thüringen, wahrscheinlich auch in den BT-Wahlkampf. Beste Wahlkampfhilfe für die AfD. Gerade in Thüringen könnte es die letzten Prozente zur absoluten Mehrheit der AfD bringen (bei dawum.de steht einen Umfrage, die die AfD dort bei 30% sieht). Mit echt lustigen Folgen:  Dann müsste ein AfD-Innenminister das AfD-Verbot in Thüringen durchsetzen (Polizei und Justiz sind Ländersache). Der Landtag könnte sich einen Tag vor der Entscheidung selbst auflösen und Neuwahlen anordnen, etc. 
Allein daran sieht man, wie undurchdacht die Forderungen nach einem AfD-Verbot sind.

Laurenz

27. Juni 2023 19:19

@Der_Jürgen @L. ... Sie haben natürlich Recht. Es gibt schon noch ein paar Altlinke. Oskar & Sahra, Ken Jebsen, Albrecht Müller, Thilo Sarrazin, Heise-Telepolis & so weiter & sofort. Aber für die gilt dasselbe, wie für die ganzen übriggebliebenen Appeasement-Konservativen. Die haben den Absprung verpaßt & die Geschichte wird sie überrollen. Aber ich will gar nichts dagegen sagen, daß die ihr Ding machen & publizieren. Im Grunde fordern sie ja alle mehr Opposition, mehr Vernunft. Da gibt es aber nur eine Option. Von daher.... hätte es sich vor 90 Jahren weder Linke, noch Zentrumsleute, noch die Konservativen träumen lassen, daß heute eine Neue Rechte einem Ernst Thälmann gedenkt. Was erleben wir jetzt für perverse Zeiten.

RMH

27. Juni 2023 19:38

@W. aus S.,
ich persönlich halte ein Verbotsverfahren auch für unwahrscheinlich aber in den letzten Jahren wurde so manche Einschätzung recht schnell widerlegt. Das BVerfGG, welches das Verbotsverfahren näher regelt, ist nur ein normales Bundesgesetz, zu dessen Änderung man lediglich eine einfache Mehrheit im Bundestag braucht und sonst nichts. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man auch ein Eilverfahren einführt und noch nicht einmal das ist zwingend notwendig, da § 45 BVerfGG festlegt, dass der Partei, die verboten werden soll, lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist gewährt wird, bevor das BVerfG entscheidet. Bei Richtern, die auch schon mal beim Abendessen im Kanzleramt gesehen worden sein sollen, kann man sich vorstellen, wie schnell das also gehen kann, wenn ein echter Wille da ist. Die Beschwerde beim EGMR hat keine aufschiebende Wirkung, der EGMR kann lediglich auf Antrag vorläufige Maßnahmen erlassen, also auch hier ist man dann erst einmal dem Ermessen von Richtern ausgeliefert. Mit einem gut organisiertem Verbotsantrag kann man also bei Bedarf echten Schaden bei einem politischen Gegner anrichten und es ist völlig offen, ob ein BVerfG sich bei einem Antrag, der sich gegen die AfD richtet, genauso viel Zeit lässt, wie bei der faktisch (und vom BVerfG auch festgestellten) unbedeutenden NPD.

Nemo Obligatur

27. Juni 2023 20:08

"Sie nennt drei Unterschiede zwischen Weimar und Berlin: Erstens bestünde heute eine Mehrheit aus überzeugten Demokraten. Zweitens sei Deutschland eines der sichersten Länder der Welt. Und drittens gebe es in der Gegenwart keine vergleichbare Verarmung."
 
Das stimmt, aber es stimmt auch nicht. Verarmung ist ja immer relativ. Im Weimar des Jahres 1923 oder 1929 mag die Armut groß gewesen sein, 100 oder 200 Jahre früher hatten die meisten Menschen auch nicht mehr und sind doch nicht radikal geworden. Was die Menschen auf die Straße oder jetzt eben an die Wahlurnen treibt, das sind die Lügen der Medien, die Schamlosigkeit der Regierenden und der Mangel an Zukunft. Gerade die am meisten überzeugten Demokraten dürften es dabei gewesen sein, die für die AfD gestimmt haben. Wie sicher es in Deutschland ist, mag jeder dem täglichen Polizeibericht oder seinem Lokalaugenschein entnehmen. Und da hilft es auch nichts, wenn Berlin, Erfurt oder Castrop-Rauxel gemessen an Chicago oder Johannesburg passabel abschneiden. Aber man unterschätze nicht den Beharrungswillen des polit-medialen Komplexes. Sobald sie sich vom ersten Schock erholt haben, rüsten sie zum Gegenschlag. Der Wettlauf um Deutschlands Zukunft hat eben erst begonnen, und es ist ein Marathon.

Waldgaenger aus Schwaben

27. Juni 2023 21:18

@RMH
Danke für die Antwort. Ich halte ein Verbotsverfahren auch für unwahrscheinlich. Die AfD-Wähler würden sicher keine der Alt-Parteien wählen und auch nicht ins Lager der Nichtwähler wechseln. 
In Sonneberg wird jetzt geprüft, ob Sesselmann als Landrat geeignet ist. hier 
In den Kommentarspalten tobt der Bär. 
Allein schon die Idee, sofort nach der Wahl zu prüfen, zeigt, wie planlos die Nomenklatura agiert. Der Wahlausschuss hätte vor der Wahl prüfen müssen, ob ein Kandidat wählbar ist. Jetzt müsste die Rechtsaufsicht abwarten, bis Sesselmanns Amtsführung einen Vorwand bietet, um der Absetzung einen halbwegs legalen Anstrich zu verpassen.
Ich frage mich, was geschieht, wenn er nun wirklich abgesetzt. Eigentlich sind nur Neuwahlen denkbar. Die AfD würde wieder gewinnen und dann würde wieder geprüft. 
BTW: 
"Es gebe eine Überprüfung von Amtswegen, sagte Thüringens Innenstaatssekretärin Katharina Schenk am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur."
"von Amtswegen" (sic) steht in allen MSM. Richtig wäre "von Amts wegen". Da hat einmal die Rechtschreibprüfung zugeschlagen, jeder schreibt von derselben Quelle ab und keiner merkt es.
 

brueckenbauer

28. Juni 2023 00:22

Ich frage mich doch, ob man nicht umgekehrt viele der heutigen Fehler schon in der Weimarer Zeit vorfinden/wiederentdecken kann. Die bis heute herausragende Leistung der Glorious Revolution war ja die, dass man sich zunächst entschloss, die besiegte Partei als Oppositionspartei (etwas völlig Neues) bestehen zu lassen und dass man dann im zweiten Schritt nach solchen "demokratischen" Spielregeln  suchte, die beide Seiten gleichermaßen akzeptieren konnten. Das Umgekehrte, erst die Regeln festlegen und dann so, dass jede ernsthafte Opposition als unakzeptabel erscheint, das kann natürlich jeder - das war aber der "Demokratie"-Begriff, den die SPD schon seit ihrer Gründung hatte und der dann auch von ihren Gegnern als selbstverständlich übernommen wurde. Eine andere Vorstellung von  "Demokratie" im Sinne der Angloamerikaner haben viele Deutsche erst in der Besatzungszeit kennengelernt, und das hat wenigstens bis "1968" nachgewirkt, aber wohl auch nicht viel länger.

heinrichbrueck

28. Juni 2023 15:27

Die AfD mit Dritte-Reich-Assoziationen aufzuladen, verschleiert die demokratische Wählerblödheit. Dem Wähler wird beigebracht, er könne sein eigenes Territorium behalten, wenn ihm die Erziehung ersetzt wird, eigene Kinder in die Welt setzen zu wollen. 
Machtwechsel: 1918 und 1945 (letzten Machtwechsel). Machtwechselvergleich: 1933 und XXXX (Abschaffung der BRD / Beseitigung des Antigermanismus). 
AfD als Bundesregierungswechsel, irgendwann zwischen 1945 und XXXX (Zwischenzeit ohne Machtwechsel: Demographie und Klima). Die schwachen Klimahilfswilligen sind programmiert, sich gegen die eigenen Interessen zu wenden (keine Weimarer Kommunistenangriffe, der BRD wurde mehr Zuwanderungszeit eingeräumt). 
Ein echter Machtwechsel setzt deutsche Kultur voraus. Es wäre auch ein globaler Machtwechsel, besonders im Hinblick auf eine Änderung des betrügerischen Geldsystems. Verbotsverfahren ist Schwachsinn. 

brueckenbauer

28. Juni 2023 16:05

Müsste man nicht deutlicher an die Erfahrungen in der SBZ und frühen DDR erinnern? Die Diktatur wurde ja nicht glatt und konfliktfrei von den russischen Besatzern an die SPD/KPD übergeben.  Es gab Ansätze zur Demokratie, es gab anfänglich tumultuarische  Konflikte. Da kamen auch CDU-, LDPD- und sogar einige ehemalige SPD-Mitglieder ins Gefängnis, bevor die übrigen in den Westen auswichen. Und das Ganze natürlich auch damals schon im Namen des Antifaschismus, teilweise mit denselben rhetorischen Floskeln wie heute. An diese Opposition in der frühen DDR sollte man viel stärker anknüpfen, oder?

RMH

28. Juni 2023 19:28

"An diese Opposition in der frühen DDR sollte man viel stärker anknüpfen, oder?"
@brueckenbauer,
das macht man bewusst nicht, da man ja gerade dabei ist, die Wähler der SED/Linke zu übernehmen und in deren Erinnerungen an die DDR gibt es etliche blinde Flecken und am Ende war es dann doch alles nicht so schlecht. Dass allein bis 1961 2,8 Mio Menschen aus der DDR und bis zu ihrem Ende dann insgesamt 3,8 Millonen in die ach so schlimme BRD geflohen sind, wird ebenso gerne unter den Tisch gekehrt wie die geschätzen 200 - 250 tsd politisch Inhaftierten und die bei der Flucht ums Leben Gekommenen (hier gibt es keine exakten Zahlen, es waren Tote im dreistelligen Bereich - es haben sich ob des Dienstes an der Grenze aber auch DDR Grenzsoldaten das Leben genommen). 
So wie eben auch die Menschen, die in der Bundesrepublik groß wurden und gelebt haben, im Blick zurück meistens mehr Milde walten lassen, wie Realitätssinn. Das ist ein Zug des Menschen - und wer deren Stimmen haben will, der schaut dann auch lieber nach vorne, als nach hinten oder belässt ihnen eben ihre Nostalgie.

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