Diese Überraschung bezieht sich nicht darauf, daß die Gegner diese Wahl nicht akzeptieren, den Sieg des AfD-Kandidaten nicht hinnehmen wollen. Das war abzusehen. Wer die Funktionsgesetze einer Demokratie kennt, wird diese mangelnde Fähigkeit, den Wahlkampf zu beenden und eine Niederlage zu akzeptieren, bereits als Alarmsignal wahrnehmen. Denn wer nicht akzeptieren kann, daß er überstimmt wurde, stellt den grundlegenden Ermächtigungsweg der Demokratie infrage: die Wahl, zu der man immer auch mit Aussicht auf Mißerfolg anzutreten hat.
Nach der Wahl im Landkreis Sonneberg brachen binnen Minuten verbal die Dämme. Das ist auf den unteren Ebenen nicht schlimm. Twitter und Facebook sind Wirtshaustheken, die einmal um die Welt reichen. Was dort in die Tastatur gekotzt wird, ist nicht besser oder schlechter als das, was früher auf dem Tresen landete. Es wurde damals halt nur von denen vernommen, die auch gerade im Raum waren.
Nun ist der Raum ein wenig größer, aber die Ausbrüche sind deshalb nicht reifer. Man sollte also an das, was an linkem, zivilgesellschaftlichem Hate-Speech seit Sonntag über die AfD, Robert Sesselmann, Björn Höcke und die Sonneberger Mehrheit hereinbricht, keine strengen Maßstäbe anlegen. So ist die “Zivilgesellschaft” eben, wenn sie bemerkt, daß es falsch war, überhaupt wählen zu lassen.
Bloß dort, wo ein höheres Amt bekleidet wird, sollten wir hellhörig sein. Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer weiß, was er anrichtet, wenn er mit Blick auf die bundesweit guten Umfragewerte der AfD sagt, man sei nun “bei 20 Prozent braunem Bodensatz” angelangt.
Man konnte wissen, daß aus dieser Richtung Differenzierteres und vor allem Gemäßigtes nicht zu erwarten sei. Aber dennoch sind solche Äußerungen der Grund für unsere Überraschung.
Überrascht sind wir, weil wir die Gegner ungeschickt und schlampig vorbereitet agieren sehen, emotionalisiert und wenig nüchtern und – im Falle Kramers – mit dem ganzen Besteck aus Unflätigkeit und Drama. (Dieser Mann will samt Familie auswandern, sobald die AfD Regierungsbeteiligung erhalte. Vor der Wahl Trumps wollten das hunderte Prominente. Eine ist dann wirklich umgezogen.)
Der Korken ist aus der Flasche, das war abzusehen, und die Sonneberger Wahl ist erst der Auftakt zu einer Welle an Entscheidungen auf kommunaler Ebene. Man hätte sich also etwas früher Gedanken darüber machen können, was zu tun wäre, wenn es selbst für das breiteste Bündnis gegen den Einen nicht mehr reiche.
Daß nun das Land Thüringen, also “der Staat”, darauf verfällt, den Wahlsieger Sesselmann einem Demokratie-Check zu unterziehen, ist so ungeschickt wie frech. Schon der Begriff ist eine Frechheit. Demokratie-Check – Vorsorgeuntersuchung an der politischen Prostata, Weltanschauungs-TÜV, der Kramer tritt für uns alle als erster aufs Eis und schaut, ob es trägt?
Es soll nun also geprüft werden, ob jemand, der einem als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverband einer an sich als verdächtig eingestuften Partei angehört, überhaupt in den Stand eines Berufsbeamten erhoben werden kann, der ihm nach seiner Wahl nun zusteht.
Zwei Fragen dazu: Warum ist man in Thüringen nicht vor der Wahl auf diesen neuen Trick verfallen? Hat das etwas damit zu tun, daß erst eine Vereidigung zum Beamten bevorstehen mußte, daß also erst dann die Frage nach der Verfassungstreue des Aspiranten im Raum steht? Oder ist es eben doch nur die zwar bauernschlaue, aber mit den Flugeigenschaften eines Bumerangs ausgestattete Verzweiflungstat?
Denn nun ist es so, daß die AfD auf jeden Fall gewinnen wird: Sollte die Wahl annuliert werden, könnte Seseelmann aus- und als parteiloser Kandidat erneut antreten. Der Solidarisierungseffekt würde, das ist nicht schwer vorauszusagen, enorm sein. Sollte Kandidat Sesselmann hingegen des Amtes und der damit verbundenen Verbeamtung für würdig erklärt werden, hätte das Land Thüringen seinen eigenen Verfassungsschutz vorgeführt: Die Einstufung wäre konterkariert.
Es wäre jedenfalls gut, den Wählern in Sonneberg beide Möglichkeiten vorzustellen. Außerdem sollte man ihnen nachvollziehbar erklären, was ein Begründungszirkel ist: Eine parteipolitisch besetzte Landesbehörde bezieht sich in einem Gutachten über einen parteipolitischen Konkurrenten auf die Vorarbeit einer wiederum parteipolitisch besetzten Behörde.
Genauso wichtig ist es, den Wählern mitzuteilen, was diejenigen, die auch für sie dieses Land zu verwalten haben und von ihnen bezahlt werden, von ihnen halten – Zitat für Zitat, mit Amtsbezeichnung und steuerfinanziertem Jahresgehalt. Man sollte hierbei über Papierform nachdenken, also über das gute alte Bestücken von Briefkästen, und Robert Sesselmann sollte unterzeichnet haben und an das Mäßigungsgebot erinnern, dem Beamte unterworfen sind.
Auf diesem Blatt sollten vor allem die Antworten aller Konkurrenten Sesselmanns auf folgende Frage stehen: Sind Sie der Meinung, daß man den Wählerwillen im Landkreis Sonneberg ignorieren sollte, oder akzeptieren Sie die Wahl Robert Sesselmanns?
Dies alles hat den Zweck, den Unterschied zu den anderen Parteien so deutlich wie möglich herauszuarbeiten. Unterscheidbarkeit ist das Kennzeichen jeder Alternative. Nie war es leichter, eine Alternative mit wenigen Sätzen zu beschreiben.
RMH
Wer in pseudo-juristischen Müllkippen wie LTO verfolgt, wie da regelmäßig Juristen sich darin zu überbieten versuchen, dem Staat quasi Gratisgutachten im Kampf gegen Rechts zu liefern (es sei an den Fall der beabsichten Rückkehr ins Richteramt des ehem. AfD-Abgeordneten Jens Maier erinnert), den überrascht nicht, dass man jetzt versucht, mit rechtlichen Winkelzügen eine nicht genehme Wählerentscheidung gerade zu biegen. Dabei scheint den Befürwortern der Nichtvereidigung von Sesselmann noch gar nicht aufgefallen sein, dass in dieser Causa gar nicht mehr nach der Frage "Verfassungstreue" entschieden wird sondern nach Opportunität. Im stillen Kämmerlein wird also nun abgewogen, ob man den "Joker" ziehen sollte oder ob man damit nur mehr "Schaden" anrichtet bzw. die AfD stärker macht. Ja wenn es dann nur an der Opportunität hängt, dann sollte man schnell von seinem hohen Roß herunter kommen. Entweder man kommt zu den Ergebnis, jemand ist nicht verfassungstreu, dann hat man es durchzuziehen und den Sturm danach hinzunehmen oder man macht sich lächerlich. Einfacher wäre es, man hätte in Bezug auf die AfD von Anfang an den Maßstab für die Verfassungswidrigkeit/-feindschaft nicht fachlich & rechtlich falsch und so einseitig niedrig angesetzt, dann wäre man nie in diese jetzige Zwickmühle gekommen. Aber das hat man ja auch nicht aus echten Sachgründen gemacht, sondern nur, weil es im "Kampf gegen Rechts" opportun erschien, den politischen Gegner als Verfassungsfeind zu diffamieren.