Ein realistischer Blick auf die Machtoption ist jedoch ernüchternd. Die Politik des Seuchengürtels verschärft sich angesichts der AfD-Erfolge. Noch sind Koalitionen für die Altparteien „undenkbar“.
Manfred Kleine-Hartlage hat in seinem aktuellen Buch Querfront seine Schlüsse daraus gezogen.
Sein Fazit lautet: Ohne eine außersystemische linke Opposition kann das rechte Lager nicht die nötige Masse und Legitimation für einen Systemwechsel aufbauen.
Das maximale bundesweite Potential der AfD schätzt Kleine-Hartlage auf rund 30%. Landesregierungen sind zwar schon vorher möglich, doch auf dieser Ebene können die entscheidenden bevölkerungs‑, migrations‑, identitäts- und geopolitischen Weichen eben nicht umgestellt werden. Die realistische Machtoption wäre eine Koalition.
Hier verbietet sich nach Kleine-Hartlages Analyse aber jede Zusammenarbeit mit den Systemparteien. Erstens wollen diese nicht – und zweitens wäre der Preis dafür die Aufgabe eigener Prinzipien.
Seine Vision ist daher die Entstehung einer authentischen, oppositionellen linken Kraft, die mit der AfD zusammenarbeiten könnte. Selbstverständlich fällt hier mehr als einmal der Name Wagenknecht.
Auch wenn eine solche außersystemische Linkspartei nur den Seuchengürtel lockern würde, könnte das die „Verhandlungsposition jeder der beiden Parteien gegenüber eventuellen Koalitionspartnern aus dem Kartell“ entscheidend stärken (S.203)
Eine Wagenknecht-Partei könnte zwar auch die AfD Stimmen kosten. Doch das wäre es nach Kleine-Hartlage wert, ergäbe sich so doch erstmals ein mehrheitsfähiges, oppositionelles Potential.
Das Buch Querfront bleibt nicht bei diesem Planspiel stehen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Klärung weltanschaulicher Fronten. Kleine-Hartlage erspart uns die beliebten Stehsätze, nach denen „es heute keinen Unterschied mehr zwischen links und rechts gäbe“. Stattdessen liefert er eine hervorragende Definition beider Lager, wobei er nicht verhehlt, daß er selbst ein überzeugter Rechter ist.
Besonders interessant ist hier seine Einordnung des Faschismus, den er als konservative Entartung und „rechten Leninismus“ einordnet. Hier sei die Rechte in einer Überreaktion auf den Marxismus der totalitären Versuchung verfallen, und habe gegen ihre Natur gehandelt.
Dagegen sollen Neue Rechte „nicht den Utopismus, sondern die Herrschaftskritik der Linken in ihr Selbstverständnis“ integrieren. (S.113) Die ideologische Unterscheidung zwischen rechts und links ist also nicht veraltet. Ihre Frontstellung hingegen schon:
Der Anachronismus besteht nicht darin, daß es einen Unterschied zwischen links und rechts nicht gäbe, sondern daß er im Vergleich zu der Frontstellung zwischen Kartell und Opposition sekundär ist! (S. 166f)
Anders als Benedikt Kaiser in seinem gleichnamigen Kaplakenband geht Kleine-Hartlage in seiner Querfront weniger auf die historische Genese des Begriffs ein. Kaiser sieht eine Querfront als „derzeit nicht möglich, nicht nötig, nicht erstrebenswert“, plädiert jedoch für eine temporäre und zielgebundene Zusammenarbeit. Vor allem regt er an, sich als Rechte durch die Beschäftigung mit Querfrontkonzepten für die Bedeutung der sozialen Frage zu öffnen.
Kleine-Hartlage schlägt hier eine andere Richtung ein. Er plädiert für eine Rekonstruktion des demokratischen Pluralismus jenseits des „Kartells“ (das er in seinem Verkaufsschlager „Systemfrage“ analysiert).
Die AfD brauche eine weitere außersystemische Oppositionspartei nicht nur für Stimmenmehrheiten. Ein einzelnes politisches Lager könnte das Kartell niemals beerben, da es nicht den Pluralismus der Gesamtgesellschaft abbildet. Eine echte demokratische Wende ist also nach Kleine-Hartlage nur möglich, wenn bereits Ansätze eines neuen Parteiensystems bestehen.
Als letzte Chance der deutschen Demokratie schlägt er die Errichtung einer demokratischen Parallelstruktur vor. In ihr sollen weltanschauliche Differenzen weiter ausgetragen werden, während man sich aber auf einige Grundlagen einigt: den Erhalt der Souveränität des Nationalstaats gegen globale Machteliten, den Erhalt des Staatsvolks durch eine realistische Migrationspolitik und das Ende der ausufernden Meinungszensur. Dies führt zu einem „Burgfrieden“, dessen „Agree to disagree“ Basis für diese Variante einer „Querfront“ sein soll:
Dies bedeutet, daß die Rechte (und sei es zähneknirschend) bereit ist, um der Existenz der Burg willen notfalls auch eine linke Hausordnung in Kauf zu nehmen, die Linke bereit ist, die Burg zu verteidigen, um sich die Chance auf eine solche Hausordnung zu bewahren. (S.166f)
Was Kleine-Hartlage hier vorschwebt, ist nicht nur eine temporäre Zusammenarbeit, sondern die Neugründung und der Neuaufbau einer deutschen Demokratie außerhalb des Kartellsystems. In nuce sieht er dies bereits im Bereich der Gegenöffentlichkeit und Theoriebildung angelegt. Spätestens seit der Coronakrise herrscht hier eine rege Debatte zwischen Altkommunisten, Neurechten, klassisch Liberalen, traditionalistischen Christen, New Age-Esoterikern und vielen weiteren Strömungen, Nischen und Fraktionen.
Die AfD alleine kann dieser Vielfalt womöglich keine Heimat bieten. Es braucht weitere Parteien, zumindest aber eine außersystemische Linke als Kooperations- und Kommunikationspartner, um ausreichend Masse und Relevanz aufzubauen.
Die Querfront bedeutet hier gerade nicht, daß die AfD links, oder eine Wagenknechtpartei rechts würde. Sie besteht in der gemeinsamen Ablehnung der transatlantischen Geopolitik, der antideutschen Identitäts- und Bevölkerungspolitik sowie der antidemokratischen Zensurpolitik des Kartells.
Anders als linke, hochideologische Kräfte sind die Rechten dazu berufen, die Linken zu dieser distanzierten Kooperation gegen das Kartell einzuladen. Kleine-Hartlage sieht im pessimistischen Menschenbild der Rechten sowie ihrer Anerkenntnis der Unvollkommenheit jeder Gesellschaftsform die Basis für Demokratie und Pluralismus.
Aus dieser konservativen Demokratietheorie folgt: Während der Linke aufgrund seines ideologischen Universalismus prinzipiell meist nicht in der Lage ist, mit dem Rechten als existenzberechtigtem Mitspieler zu koexistieren, erkennt der Rechte die ewige Notwendigkeit einer „linken“ Kraft.
Der Rechte ist damit der authentische Pluralist. Weil er erkennt, daß „Linkssein“ oft auch eine Charakterfrage und daher nie letztgültig „ausrottbar“ ist. Er erkennt, daß es eine Ordnung brauche, in der auch Linke ihren Platz haben – freilich nur, solange sie diese Ordnung selbst nicht bedrohen.
Diese außergewöhnliche rechte Apologie der Demokratie und des Pluralismus allein macht das Buch zur lohnenden Lektüre. Ich wünsche der Querfront daher nicht nur rechte, sondern auch zahlreiche linke Leser. Sie sollen vor allem den flammenden Appell Kleine-Hartlages gegen Ende des Buches auf sich wirken lassen:
Findet ihr es wirklich so viel schlimmer, mit deutschen Patrioten in einen Topf geworfen zu werden, als mit Kriegsverbrechern und Handlangern des US-Imperialismus? (S.216)
Mittlerweile gibt es unbestreitbar ein lebendiges Milieu von Anselm Lenz über Daniele Ganser und Hannes Hofbauer bis hin zu Ulrike Guerot, welches solche Worte nicht kalt lassen dürfte. Ob dieses Milieu die Kraft zur Bildung einer Partei in sich trägt, und Kleine-Hartlages Querfrontvision Wirklichkeit werden kann, wird die Zukunft zeigen.
Ich sehe derzeit keinen Akteur, der bereit wäre, den Seuchengürtel parteipolitisch zu durchbrechen und damit eine Querfrontvision Wirklichkeit werden zu lassen. Gerade Wagenknechts Distanzierungsorgien und das Verhalten der Elite in der Causa Sesselmann zeigen: Die AfD ist das einzige Flaggschiff der Systemopposition. Sie muß daher verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen in einem „binnenrechten Pluralismus“ eine Heimat bieten. Nur sie kann derzeit als integrale Volkspartei das umsetzen, was Kleine-Hartlage vorschwebt: die Bewahrung und Neugründung der deutschen Demokratie jenseits des Kartells.
– – –
Manfred Kleine-Hartlage: Querfront – hier bestellen.
Waldgaenger aus Schwaben
Wagenknecht und die AfD? Schwer vorstellbar. Zunächst mal müsste es eine neue linke Partei erstmal die organisatorische Basis haben, um es in die Parlemente schaffen.
Die Machtoption für die AfD sehe ich eher in einer Minderheitsregierung. CDU(plus FDP und/oder Freie Wähler) regieren und werden von der AfD geduldet, die dafür Zugeständnisse verlangt. Oder andersrum: AfD regiert und wird geduldet und da könnte eventuell eine Wagenknechtpartei ins Spiel kommen, das ist aber sehr unwahrscheinlich. So sehe ich hier auch die FW, die verstärkt um eine konservative Abspaltung aus der CDU, bei 20% liegt, und eine AfD-Regierung duldet, wiederum gegen Zugeständnisse.