Der Islam und die Rechte

 pdf der Druckfassung aus Sezession 11 / Oktober 2005

sez_nr_11von Karlheinz Weißmann

Im vergangenen Jahr fand in Frankreich eine Rundfrage unter Prominenten statt, die sich auf das Problem der Verschleierung muslimischer Frauen in der Öffentlichkeit bezog. Auch Alain de Benoist, der Kopf der Nouvelle Droite, wurde um eine Stellungnahme gebeten. Seine Antwort lautete, daß er gegen eine solche Tracht nichts einzuwenden habe. Ein Verbot sei jedenfalls als Eingriff in die Religionsfreiheit zu betrachten und als Versuch, einen bestimmten Ausdruck kultureller Identität zu unterdrücken.

Wer die Auf­fas­sun­gen de Benoists kennt, wird von die­ser Ein­schät­zung kaum über­rascht sein. Sie ent­spricht Posi­tio­nen, die er in der Ver­gan­gen­heit nicht nur im Hin­blick auf den Islam – und den Isla­mis­mus –, son­dern auch in bezug auf den Hind­una­tio­na­lis­mus und ande­re miß­li­e­bi­ge, weil „anti­west­li­che“ Welt­an­schau­un­gen bezo­gen hat. In sei­ner Per­spek­ti­ve sind sie mehr oder weni­ger legi­ti­me Bemü­hun­gen, sich gegen einen Uni­ver­sa­lis­mus zu wapp­nen, der kei­ne gewach­se­nen Über­lie­fe­run­gen und Lebens­for­men aner­kennt; außer­dem ver­bür­gen sie jene „Ganz­heit“, die zu den wesent­li­chen Merk­ma­len von de Benoists Kul­tur­be­griff gehört.

Wäh­rend es auf der fran­zö­si­schen Lin­ken durch­aus ähn­li­che Auf­fas­sun­gen gibt – der berühm­tes­te Fall dürf­te der Mar­xist Roger Gar­au­dy sein, der sogar zum Islam kon­ver­tier­te, weil er hier die ersehn­te „Tota­li­tät“ ver­bürgt sah – steht de Benoist auf der fran­zö­si­schen Rech­ten allein. Deren Hal­tung ist, wie er nicht müde wird zu kri­ti­sie­ren, isla­mo­phob. Dabei spielt heu­te natür­lich die Ein­wan­de­rung aus dem Maghreb und Inner­afri­ka eine wich­ti­ge Rol­le, aber bestimm­te Koor­di­na­ten die­ser Auf­fas­sung sind sehr viel älter und wur­zeln in ideo­lo­gi­schen Vor­ga­ben des 19. Jahr­hun­derts. Man könn­te von einem Kreuz­zugs­pa­ra­dig­ma spre­chen, dem schon die katho­li­sche Rech­te folg­te, das aber auch für den „Inte­gra­len Natio­na­lis­mus“ eine ent­schei­den­de Rol­le spiel­te, der sich zur umfas­sen­den Ver­tei­di­gung der latei­ni­schen Zivi­li­sa­ti­on gegen ihre Fein­de beru­fen sah. Der „Kreuz­zug“, den Charles Maur­ras woll­te, hät­te sich nicht nur gegen die Mos­lems, son­dern auch gegen Asia­ten, Deut­sche und Juden gerichtet.
Ein Kon­zept, das sich sehr deut­lich unter­schei­det von dem der bür­ger­li­chen, vor allem der gaul­lis­ti­schen Rech­ten der Nach­kriegs­zeit, die eine pro­ara­bi­sche Außen­po­li­tik nicht nur der Fran­ko­pho­nie zulie­be trieb, son­dern im Zusam­men­ge­hen mit dem als wesens­ver­wandt emp­fun­de­nen ara­bi­schen Natio­na­lis­mus eine Mög­lich­keit sah, die Hand­lungs­fä­hig­keit und Unab­hän­gig­keit des eige­nen Lan­des zu stär­ken. Der Islam erschien in dem Zusam­men­hang als ver­nach­läs­si­gens­wer­te Grö­ße, ein Fak­tor mit des­sen Bedeu­tungs­ver­lust man eben­so sicher rech­ne­te wie mit dem um das Poli­ti­sche redu­zier­ten Fort­be­stand des Christentums.

Das fran­zö­si­sche Mus­ter läßt sich in vie­lem ähn­lich für den ita­lie­ni­schen oder bri­ti­schen Fall nach­wei­sen, wäh­rend in Deutsch­land die Kreuz­zugs­tra­di­ti­on kaum eine stär­ke­re Bedeu­tung besaß. Eher wird man eine grund­sätz­lich wohl­wol­len­de Hal­tung gegen­über dem Islam fest­stel­len kön­nen. Von Her­ders Völ­ker­phi­lo­so­phie über Goe­thes Divan bis zu Anne­ma­rie Schim­mels empa­thi­schen Deu­tun­gen zieht sich eine Linie der um Ver­ständ­nis bemüh­ten Stel­lung­nah­men. In die pas­sen die Äuße­run­gen Nietz­sches aller­dings nicht recht hin­ein. Ihn fas­zi­nier­te weder das Ori­en­ta­li­sche noch das Schick­sals­er­ge­be­ne noch das reli­gi­ös Tief­grün­di­ge am Islam, son­dern das Kämp­fe­ri­sche. Moham­med war für ihn einer der „Tha­ten­durs­tigs­ten aller Zei­ten“ neben Alex­an­der, Cäsar und Napo­le­on, und der christ­li­che Sieg bei Tours und Poi­tiers, der den ara­bi­schen Vor­marsch nach Wes­ten auf­ge­hal­ten hat­te, erschien ihm als gro­ßes Unglück: „Die Deut­schen ver­der­ben, als Nach­züg­ler, den gro­ßen Gang der euro­päi­schen Cul­tur … So haben Deut­sche (Carl Mar­tell) die sara­ceni­sche Cul­tur zum Ste­hen gebracht – immer sind es die Zurückgebliebenen“.

In die­ser Ten­denz und Radi­ka­li­tät fin­det sich eine pro­is­la­mi­sche Stel­lung­nah­me sonst nur bei Hit­ler, der in den Tisch­ge­sprä­chen 1942 sei­ner­seits äußer­te, es wäre bes­ser gewe­sen, wenn die Fran­ken eine Nie­der­la­ge erlit­ten, das heißt die Ger­ma­nen die Krie­ger­re­li­gi­on des Islam und auch die Poly­ga­mie über­nom­men hät­ten. Öffent­lich wären sol­che Stel­lung­nah­men kaum denk­bar gewe­sen, trotz der pro­ara­bi­schen – weil anti­jü­di­schen – Außen­po­li­tik im Nahen Osten und spä­ter der Rekru­tie­rung isla­mi­scher Trup­pen­ver­bän­de im Rah­men des Bal­kan- und Ruß­land­feld­zugs. Die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Posi­ti­on unter­schied sich in jedem Fall deut­lich von der tra­di­tio­nel­len preu­ßi­schen, die auf das Osma­ni­sche Reich als Ver­bün­de­ten und als kon­ser­va­ti­ve Macht gesetzt hat­te oder der roman­tisch-revo­lu­tio­nä­ren, die in der Zwi­schen­kriegs­zeit die ara­bi­schen Völ­ker als gege­be­ne Ver­bün­de­te im Kampf gegen die Entente ansah. Wahr­schein­lich hat­te ein Mann wie T. E. Law­rence in Deutsch­land mehr Bewun­de­rer als in sei­ner Heimat.

Nach 1945 haben sich die ver­schie­de­nen Posi­tio­nen – beschnit­ten um die Mög­lich­keit der Hand­lungs­re­le­vanz – wei­ter erhal­ten. Rela­tiv neu ist dage­gen die Nei­gung, im Islam den poli­ti­schen Haupt­feind zu sehen, und bezeich­nend das Zögern vor der Inter­pre­ta­ti­on der Kon­flik­te als clash of civi­li­sa­ti­ons auch im pro­ame­ri­ka­ni­schen Lager der Bür­ger­li­chen. Wenn über­haupt, dann betrach­tet man die inne­re Ein­fluß­nah­me des radi­ka­len Islam als Inte­gra­ti­ons­pro­blem. Eben­so sel­ten wie die schar­fe Ent­ge­gen­set­zung fin­det sich aller­dings auch die posi­ti­ve Par­tei­nah­me. Die kann wie in der Zwi­schen­kriegs­zeit einem natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Pro­gramm fol­gen – im Umfeld der NPD scheint die Vor­stel­lung eine gewis­se Fas­zi­na­ti­on aus­zu­üben –, aber es gibt auch noch eine zwei­te, wenn man so will dezi­diert anti­re­vo­lu­tio­nä­re Variante.

Es wur­de ein­gangs dar­auf ver­zich­tet, noch jene Frak­ti­on der Rech­ten zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die sich am ent­schlos­sens­ten dem Islam zuge­wen­det hat, dafür aller­dings kei­ne poli­ti­schen, son­dern spi­ri­tu­el­le Moti­ve gel­tend macht. Deren bekann­tes­ter Ver­tre­ter ist der Fran­zo­se René Gué­non, der „Stif­ter“ des Tra­di­tio­na­lis­mus. Gué­non hat­te sich im Lauf sei­ner geis­ti­gen Ent­wick­lung mit sehr vie­len ver­schie­de­nen eso­te­ri­schen Leh­ren befaßt, war aber schließ­lich zu der Ein­schät­zung gekom­men, daß es im Wes­ten gar kei­ne unbe­schä­dig­te Über­lie­fe­rung mehr gebe. Des­halb ver­ließ er 1930 Euro­pa, kon­ver­tier­te zum Islam und leb­te bis zu sei­nem Tod 1951 wie ein Ara­ber unter Ara­bern. Gué­nons Bei­spiel sind nur weni­ge gefolgt, unter ihnen etwa Clau­dio Mut­ti, der heu­te zu den wich­tigs­ten Ver­tre­tern der tra­di­tio­na­len Schu­le gehört. Aber die Vor­stel­lung vom Islam als der eigent­lich vita­len und die ursprüng­li­che Ein­heit von Reli­gi­on und Leben ver­kör­pern­den Ein­heit hat an Fas­zi­na­ti­ons­kraft nicht ein­ge­büßt. In Ruß­land sind ent­spre­chen­de Vor­stel­lun­gen schon län­ger in der „eura­si­schen“ Ideo­lo­gie wirk­sam, im deutsch­spra­chi­gen Raum – zu nen­nen ist vor allem der Kreis um den Wie­ner Mar­tin Schwarz und die Zeit­schrift Jun­ges Forum – scheint es eine wach­sen­de Zahl jün­ge­rer Akti­vis­ten zu geben, die glaubt, daß der Islam, wenn schon nicht der neue Glau­ben des Abend­lands sein soll­te, so doch als Modell geeig­net wäre für eine voll­stän­di­ge Auf­he­bung der Ent­frem­dung von Reli­gi­on und pro­fa­ner Exis­tenz. Jeden­falls sei des­sen spi­ri­tu­el­le Tie­fe der eige­nen Über­lie­fe­rung näher als die moder­ne west­li­che Gegenwart.

Das Pro­blem die­ser Anschau­ung wie des Tra­di­tio­na­lis­mus über­haupt liegt in der Fixie­rung auf das nor­ma­ti­ve Selbst­ver­ständ­nis bestimm­ter Reli­gio­nen und Kul­tu­ren. Die­se zum Bei­spiel von Evo­la aus­drück­lich bejah­te „anti­ge­schicht­li­che“ Ten­denz ist im Grun­de auch eine „anti­po­li­ti­sche“. Benoist, des­sen Ein­stel­lung sich auf den ers­ten Blick mit der­je­ni­gen der Tra­di­tio­na­lis­ten eng zu berüh­ren scheint, bleibt in die­ser Hin­sicht gegen jede Ver­su­chung durch eine Welt­sicht gefeit, die ein „Gefrie­ren“ alles Poli­ti­schen anstrebt.

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