Unsere Friedhöfe, unsere Beerdigungen, unser Tod

Vermutlich ist dies eine dieser Fragen, an der sich die Geister scheiden: Wandelst Du gern über Friedhöfe – oder nicht?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Die einen stößt es ab, die ande­ren zieht es hin. Mich zieht es hin. Die einen fürch­ten den Gru­sel und das Mor­bi­de, die ande­ren schät­zen die Sphä­re des Zur-Ruhe-Kom­mens, der Ewigkeitsahnung.

Die Lite­ra­tur­ge­schich­te ist voll von Fried­hofs­pan­ora­men. Von Fon­ta­ne über Kel­ler, Dros­te-Hüls­hoff, Kaf­ka, Stif­ter, Ril­ke, Tra­kl und Möri­ke bis hin zu Ste­phen King: Grä­ber sind poe­ti­scher Stoff par exzel­lence. Nun ist heu­te jede Poe­to­lo­gie auch sozio­lo­gisch zu greifen.

Mei­ne Leu­te ste­hen Fried­hö­fen wohl „neu­tral“ gegen­über. Sie rol­len aber mit den Augen, wenn wir in einem ande­ren Land (oder nur einem ande­ren Land­strich) sind und mich vor den eigent­li­chen Sehens­wür­dig­kei­ten zuvör­derst der Fried­hof interessiert.

Deut­sche Fried­hö­fe sind beson­ders schön, eng­li­sche natür­lich auch. In bei­den Fäl­len: sofern es „alte“ angeht. Über neue, „indi­vi­dua­li­sier­te“ Grab­mä­ler müß­te man für bei­de Län­der ein Extra­ka­pi­tel schrei­ben. Motor­rad, Eif­fel­turm, Fuß­ball, Angel­schnur, ein „hei­te­res Zitat“ als stei­ner­nes Zeugnis…

Es ist schon okay. Heu­te soll­te man sich wohl dar­auf eini­gen, daß “jede/r auf seine/ihre Wei­se” trau­ert. Man muß gene­rell aller­lei Abstri­che in sol­chen Fra­gen machen, zumal wir heu­te “ganz ande­re Pro­ble­me” haben.

Jüdi­sche Fried­hö­fe stel­len eine Extra­klas­se dar; ihre Anzie­hung ruht auch daher, daß für Juden eine dau­er­haf­te Toten­ru­he vor­ge­schrie­ben ist – sprich, deren Grä­ber wer­den nicht nach einer bestimm­ten Frist beräumt, was viel vom „Zau­ber“ jüdi­scher Fried­hö­fe erklärt. Unter nicht­jü­di­schen Deut­schen hin­ge­gen berät man sich (und das ist frag­los unschön), ob ein Grab kost­spie­lig „ver­län­gert“ wer­den sol­le oder nicht.

Fried­hö­fe, die ich in Ser­bi­en (und ich mei­ne: ortho­do­xe) besuch­te, waren für mich ein Grau­en, der­glei­chen in der Tür­kei (logisch mus­li­misch), teil­wei­se auch in Polen (logisch katholisch.)

Der gemein­sa­me Nen­ner ist hier das Plas­tik­zeug. Wäh­rend es in Ser­bi­en und der Tür­kei um „abge­la­ger­ten“ Kunst­stoff geht (Zeug, das vor vie­len Jah­ren als Plas­te­blu­men und als ech­te Blu­men in Kunst­stoff­um­hül­lung nie­der­ge­legt und nie beräumt wur­de), han­delt es sich in Polen (auch in Rumä­ni­en) eher um stets erneu­er­ten Plastik-“Schmuck“ oder um eine Bat­te­rie an aus­ge­brann­ten LED-Kerzen.

Sprich: Bei den einen war es eine jähe, bei den ande­ren eine andau­ern­de Gefühls­auf­wal­lung. Aber bit­te: Wer darf schon “Kitsch” sagen, wo es um das Intims­te geht?

Spa­ni­sche Fried­hö­fe ver­bin­de ich lei­der mit Lei­chen­ge­ruch. Man mag es ja „authen­tisch“ und unver­brämt fin­den, aber es gibt doch bit­te Grenzen?

Die „spie­ßi­ge“ deut­sche Fried­hofs­ord­nung unter­bin­det der­glei­chen, den Geruch wie den Müll – darf man sagen, zum Glück? Die deut­sche Fried­hofs­ord­nung ähnelt der Schre­ber­gar­ten­ordung: Regeln müs­sen strikt befolgt wer­den! Klein­lich, ja – aber meist ist es doch zum Guten.

Noch vor kur­zem war die Bestat­tungs­kul­tur eth­no­lo­gisch und reli­gi­ös zu grei­fen: In pro­tes­tan­ti­schen Gebie­ten machen sie es so, in katho­li­schen eher anders.

Im euro­päi­schen Raum herrsch­te Sarg­ge­bot, im mor­gen­län­di­schen das Lei­chen­tuch. Heu­te unter­liegt ein Begräb­nis, zumal sei­ne äuße­ren Zuta­ten, nicht mehr dem Bereich der Kon­fes­si­on. Man sieht das locke­rer – auch „rea­lis­ti­scher“ und spar­sa­mer, vor allem aber „indi­vi­du­el­ler“.

Seit eini­gen Jah­ren geht eigent­lich alles. Man kann sich anonym unter Bäu­men bestat­ten las­sen, die eige­ne Asche zum „Dia­man­ten“ pres­sen las­sen und vie­les mehr.  Das meist­ge­spiel­te Lied auf Beer­di­gun­gen (haha, wie indi­vi­du­ell!) ist Frank Sina­tras „I did it my way.“

Falls mein Vater je ster­ben soll­te (ich bezweif­le es…), wird es, das steht jeden­falls fest, die Bohe­mi­an Rhap­so­dy geben. Er will es so, und es paßt sehr gut.

Mich macht es ein wenig schau­dern, daß ich in mei­nem Leben erst auf sehr weni­gen Beerdigungen/Trauerfeiern Gast war – aller­dings auf bereits vie­ren im Jahr 2023. Es ist, als kämen „die Ein­schüs­se näher“… !

Mei­ne eige­ne lie­be Mut­ter (79) und mei­ne gelieb­te Groß­tan­te (93) lie­ßen sich die­ses Jahr verbrennen.

Im Fall der Mut­ter (die als Ober­schle­sie­rin die ers­ten 25 Jah­re ihres Lebens so katho­lisch auf­ge­wach­sen war, wie es heu­te kaum vor­stell­bar ist; täg­li­che Mes­se plus täg­li­cher Rosen­kranz) war das seit lan­gem klar.

Sie, längst voll­endet in die BRD inte­griert, hat­te prag­ma­ti­sche Grün­de: Ein­äschern ist a) bil­li­ger und b) „hygie­ni­scher“, ins­ge­samt prak­ti­scher. Ich selbst durf­te im Janu­ar die Urne tra­gen und ins Grab ein­sen­ken. Es war ein absur­des Gefühl. Kein „Ecce homo“, son­dern fast, ja, transhumanistisch.

Bei mei­ner Groß­tan­te Resi stutz­te ich echt – sie läßt sich wirk­lich ein­äschern?! Ich kann­te wenig from­me­re Katho­li­ken als sie. Werk­tags­mes­se, Sonn­tags­mes­se, Rosen­kranz: nie ohne Tan­te Resi.

Die letz­ten bei­den Jah­re ihres Lebens war Resi an die Woh­nung gebun­den – ich hör­te doch (sie wohn­te in der Dop­pel­haus­hälf­te neben mei­nem Eltern­haus), daß sie täg­lich via Radio mehr­mals die Hl. Mes­se fei­er­te!  (Resi war nicht nur fromm, sie war hell­wach und fast eine intel­lek­tu­el­le Kapazität.)

Die Aschen­fei­er von ihr stieß mich wirk­lich vor den Kopf. Ich frag­te beim Pfar­rer nach – wie das denn heu­te gese­hen wer­de. Ist eine ech­te “Beer­di­gung” (statt einer Ein­äsche­rung) für den treu­en Katho­li­ken nicht non­pu­lus­ul­tra?

Sei­ne Antwort:

Vom Grund­satz her ist es so, dass die Erd­be­stat­tung von der Tra­di­ti­on der Chris­ten her, nicht nur der Katho­li­ken, die ange­mes­se­ne Form ist. Seit der Zeit der Kata­kom­ben wur­de der Leich­nam in die Erde gelegt und die Auf­er­ste­hung von Leib und See­le sind Glau­bens­in­hal­te. Seit der Auf­klä­rung waren die Glau­bens­in­hal­te immer stär­ker ange­fragt, und im Zuge der Indus­tria­li­sie­rung mit dem Auf­kom­men gro­ßer Städ­te hat sich auch die Bestat­tungs­kul­tur ver­än­dert. Als die Frei­mau­rer dann began­nen, die Feu­er­be­stat­tung für ihre Mit­glie­der zu emp­feh­len, weil dies bewusst gegen die Leh­re der leib­li­chen Auf­er­ste­hung ein Zei­chen set­zen soll­te, hat die katho­li­sche Kir­che reagiert und die Feu­er­be­stat­tung verboten.

Wenn die Feu­er­be­stat­tung als solch bewuss­tes Zei­chen gegen die kirch­lich-katho­li­sche Leh­re ver­stan­den wird, ist sie auch heu­te noch ver­bo­ten. Aller­dings ist mir ein sol­cher bis heu­te noch nicht begegnet.

Man muß das wohl so daste­hen lassen.

Mei­ne nächs­te Tote anno 2023 war eine gute Freun­din, Mut­ter von acht Kin­dern, weni­ge Jah­re älter als ich. Ich durf­te sie kurz vor ihrem Krebs­tod noch ein­mal besu­chen, es war sehr anrührend.

Sie ließ sich nach über­kom­me­nem katho­li­schen Ritus bestat­ten. Ihr Leich­nam lag wäh­rend der Toten­mes­se auf­ge­bahrt in der Nähe des Altars. Irgend­wann wäh­rend des latei­ni­schen Ritus wur­de der Sarg­de­ckel vom Pfar­rer und dem Ehe­mann der Toten, ja, zugeschlagen.

Mir gefiel das sehr, hof­fent­lich wer­de ich ein­mal ähn­lich beer­digt! „Dem Tod ins Gesicht schau­en“: Es ist heu­te ein Tabu. Aus­ge­rech­net heu­te, wo der vir­tu­el­le Tod (ob per Kri­mi oder per Skan­dal-Schnip­sel via You­tube, von Com­pu­ter­spie­len mal ganz zu schwei­gen) so omni­prä­sent ist!

Mei­nen ers­ten Toten sah ich im Grund­schul­al­ter, und ich erin­ne­re mich noch, daß es skan­da­li­siert wur­de, daß man den Onkel auf­bahr­te. Mei­ne Eltern fan­den immer, Kin­der hät­ten auf Beerdigungen/Trauerfeiern „nichts zu suchen“. Das war damals auch Com­mon sense.

Gera­de heu­te ist das eine ziem­lich kurio­se Hal­tung. Kin­der wer­den (teils gezielt) mit allen mög­li­chen Per­ver­si­tä­ten kon­fron­tiert, aber aus­ge­rech­net von der Tat­sa­che, daß gestor­ben wird, soll man sie freihalten?

Eine mei­ner Töch­ter ist seit vier Jah­ren Bene­dik­ti­ne­rin in einem wirk­lich blü­hen­den Klos­ter. Bei aller Blü­te wird den­noch gestor­ben. Die Riten sind bestechend. Sie sind, übri­gens wie jede Insti­tu­ti­on, ent­las­tend! Die Mit­schwes­tern ver­ab­schie­den sich vom Leich­nam sogar per Kuß. Die Über­win­dungs­last schwin­det, wo „jede es tut“ – das ist ganz menschlich!

Wie befrei­end ein aus­gie­bi­ges, ritu­ell vor­ge­ge­be­nes Trau­er­ri­tu­al sein kann, hat­te Jen­ny Erpen­beck (ja, das war mal eine groß­ar­ti­ge Schrift­stel­le­rin, bevor sie zur Zeit­geist­schrei­be­rin wur­de!) in ihrem for­mi­da­blen Roman Aller Tage Abend geschil­dert. Gesi­chert: Wir wären um etli­che Trau­ma­ta ärmer, wenn wir gescheit zu trau­en lernten!

Mein vier­ter Toter die­ses Jah­res ist mein Onkel Peter, einst Kern­kraft­in­ge­nieur in Greifs­wald. Sei­ne – athe­is­ti­sche – Asche wird nächs­te Woche in der Ost­see ver­streut. Amen, so soll es sein. Nie­mand wird ihn zum Abschied geküßt haben. Ver­mut­lich hat­te er auch kei­nen Wert dar­auf gelegt.

Mei­ne eige­nen Toten sind übri­gens in mei­nen Träu­men dau­er­prä­sent, was mich all­nächt­lich erfreut. Ich behaup­te, es sogar per „Traum­trai­ning“ ein wenig steu­ern zu kön­nen. Für mich: ein ech­ter Segen. Ich lie­be die­se nächt­li­chen Mee­tings mit Mama, Tan­te etc.

Schau­en wir dem Tod ruhig ins Gesicht. Er gehört zum Leben! Am Ende trifft er uns alle!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (57)

quer

30. Juli 2023 00:02

Tja, die Tatsache, daß wir alle mal sterben, können (oder wollen) immer weniger Zeitgenossen in Betracht ziehen und schon garnicht realisieren, letztendlich im Müll zu enden. Bei uns wird nix abgeräumt. Wir landen (als letzte) im eigenen Familiengrab. Mit Bestandsgarantie für die nächsten 200 Jahre. Sogar der Grabstein liegt schon. Es fehlen nur noch die Jahreszahlen des Todesjahres. Dies löst bei - zumal Atheisten - Entsetzen aus. Unsere "Vorsorge" ist aber dort kein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt offenbar mehr Menschen mit der Demut gegenüber dem Unausweichlichem ausgestattet, als man vermutet.

ede

30. Juli 2023 01:38

Sehr schöner und berührender Text. 
Meine Mutter und die Mutter meiner Frau haben wir auch in unserer Stadtrandgemeinde beigesetzt. In Gemeinschaft, also als Urne. Ja, Kostengründe spielen schon auch eine Rolle, bei uns hat der Gedanke der Vereinigung der Familie an einem Ort den Ausschlag gegeben. In einem Normalgrab können bei uns vier Urnen bestattet werden. 
Mir gefällt der Gedanke, daß sich die Kinder dort gelegentlich treffen - später. 
Die Beerdigungsfeiern waren sehr familiär, ein Sohn spielt etwas auf der elektrischen Friedhofsorgel ein anderer hält die Rede. Die Tochter macht das Essen. 
Friedhöfe sind eigentlich für die Lebenden da. 

Laurenz

30. Juli 2023 02:48

Man kann seine Meinung zeitlebens ändern, EK. So passierte das mir. In jüngeren Jahren fand ich als Liebhaber der Marine-Geschichte es anziehend, mich vor Helgoland bei den Untergangsdaten zB des Kleinen Kreuzers Mainz der See übergeben zu lassen. Später fand ich die Wald- oder Baumbeerdigungen reizvoll. Da ich seit gut 3 Jahren alle paar Wochen das Grab meines Vaters besuche, habe ich Friedhöfe schätzen gelernt, für die Hinterbliebenen. Geht man auf den Friedhof, ist man selten alleine. Man trifft häufig auf andere Trauernde, denen es haargenauso geht. Man entkommt der Einsamkeit. Das hilft. Es werden sich gegenseitig Geschichten erzählt, Schicksale ausgetauscht. Das Grab meines Vaters wird eingerahmt von 2 jungen Männern, 23 & 21 Jahre alt. Auf dem Grab des 23jährigen ruht ein Helm der Stormtroupers aus George Lukas' Krieg der Sterne, das Grab des 21jährigen, mutmaßlichen Selbstmörders mit serbisch-orthodoxen Wurzeln ist so bunt mit kleinem Ofen bestückt, wie Sie es beschrieben haben. Das Grab meines Vaters hingegen ist gärtnerisch besehen, das geschmackvollste Grab des gesamten Friedhofs, die Kreativität meiner Mutter. Auferstehungsmythen gab es schon immer, auch bei den Heiden. Daher auch als Synonym die Feuerbestattung. Castaneda beschreibt den Mythos sehr real in seinem Buch "The fire from within".

MarkusMagnus

30. Juli 2023 02:58

Die Frage ist was kommt danach?
Wo gehen wir hin? Ist unsere Seele unsterblich?
Solche Gedanken wurden lange von der Kirche unterdrückt. Ich persönlich glaube an die Reinkarnation, ein Leben nach dem Tod in einem neuen Körper.
Manche Kulturen feiern den Tod sogar regelrecht. 
@ Frau Kositza
"Jenny Erpenbeck (ja, das war mal eine großartige Schriftstellerin, bevor sie zur *** wurde!)"
Ich hatte  bis eben noch nie etwas von dieser Frau gehört. 
Zu was wurde sie denn ? 
 
Kositza: zu einer unangenehmen Zeitgeistreiterin.

pasquill

30. Juli 2023 07:55

Ein wunderbarer Artikel! Man kann gar nicht früh genug anfangen, sich mit dem Faktum des Sterbens und Todes zu befassen, auch um den Schrecken zu verdauen, den es beim jungen Menschen auslöst. Ich erinnere mich an die Beerdigung des Schwiegervaters als ich mit meiner fünfjährigen Tochter an den Kindergräbern vorbeikam und sie an diesem Tag anhand der bunten Beigaben auf den Grabstellen eindrücklich  erfuhr, dass auch schon Kinder sterben können. Das hat sie tief beunruhigt und lange beschäftigt und als Atheistin hatte ich mangels christlicher Trostperspektive viel zu tun, ihr das Sterben und Totsein tröstlich einzubetten.
Mir selbst fuhr der Schreck mit 17 in die Knochen als ich den ersten Motorradunfall-Toten aus der Jugendclique verkraften musste. Jugend schützt gegen das Sterben nicht - das war mir fortan in das Denken engebrannt. Danach war mein Leben ein anderes; ich litt jahrelang unter Angstzuständen, weil ich den Gedanken an die Sterblichkeit nicht mehr verdrängen konnte, an Autofahren zum Beispiel war nicht mehr zu denken. 
Heute im fortgeschrittenen Alter, dank anhaltender philosophischer und wissenschaftlicher Reflexion zu Sterben und Tod, fürchte ich ihn nicht mehr, denn auch die Philosophie hat viel Tröstliches zu bieten. Es bedurfte dazu jedoch vieler Lebensjahrzehnte. 
 

MarkusMagnus

30. Juli 2023 15:23

"Die Menschen unterteilen sich in 2 Gruppen. Wenn die Menschheit Glück hat, sieht die erste Gruppe mehr als nur Zufall, mehr als nur Glück drin. Sie sieht das als Zeichen. Als Beweis, dass es da oben jemand gibt, der auf sie aufpasst. Für die zweite Gruppe ist es nur Glück. Eine Fügung des Schicksals."  "Signs"
Ich gehör zu den Ersteren. Ich bin als Kind aus einer sehr gefährlichen Situation relativ unbeschadet raus gekommen. Am Anfang hielt ich es für Glück. 
Gibt es hier auch Leute die das Gefühl haben das jemand auf sie aufpasst? Die vielleicht auch schon einmal aus einer brenzlichen Situation herausgekommen sind die chancenlos war? 
Die an Schutzengel glauben oder auf sonst eine Weise spirituelle Erfahrungen gemacht haben? Nahtod, Zeichen von Angehörigen? Ein ungutes Gefühl was sich später bestätigt hat? Viele reden nicht gerne über solche Themen um nicht als Spinner oder religiöse Extremisten hingestellt zu werden.
Die Kirchen können keine Antworten mehr auf solche Fragen der Menschen geben.
Nur noch Klima, Schuldkult und LGBT Gedöns.
Aber die Leute haben Fragen und suchen spirituellen Halt. Und wollen sich auch darüber unterhalten. Das merke ich immer an der Arbeit wenn wir uns dort über solche Dinge unterhalten. Wenn einer erstmal anfängt fangen andere auch an zu reden.
Frauen scheinen da auch etwas offener zu sein als Männer.
Mit Leuten von der Kirche geht das nicht mehr. 

Kositza: Zum großen Glück sind die deutschen Kirchen in ihrer heutigen Verfassung ein Sonder- bzw. Irrweg. Die Weltkirche(kath.) hingegen geht von einer streitenden (der zeitgenössischen), einer leidenden und einer triumphierenden Kirche aus. Letztere beiden umfassen viel mehr als das elende Hier & Jetzt und können dadurch unfaßbar viel Halt geben.

Niekisch

30. Juli 2023 15:32

"Seine – atheistische – Asche wird nächste Woche in der Ostsee verstreut. Amen, so soll es sein. Niemand wird ihn zum Abschied geküßt haben."
@ EK: Er hat sich wohl unbewußt einem uralten Brauch aus nicht unreligiöser Zeit angeschlossen: Schon das Totenschiff Naflgar, das am Weltende die Riesen herbeiführt, war aus den Nägeln der Toten gebaut ( Weinhold, Karl, Altnordisches Leben, Kröner - Verlag Stuttgart, S. 328 ) "Den Stämme aber, welche an großen Wassern lebten, bot sich noch ein anderes Mittel, das an die uralte Vorstellung anknüpfte, die Toten müßten über ein Meer oder einen Strom in das Land des neuen Lebens übersetzen. Sie legten die Leiche in einen Nachen und überließen den Wogen, sie nach ihrer Bestimmung zu führen ( S. 330 ) "Noch jetzt erzählt die schwedische Volkssage von einem goldenen Schiffe, in dem Odin die von ihm gefällten Helden der sagenhaften Bravallaschlacht nach Walhalla geführt habe ( S. 330) 
Vielleicht auch war die Seebestattung ganz unbewußt eine Reminiszenz an das Herkommen der Menschen über die evolutive Kette aus dem Meer an Land und dann auf der Suche nach dem unbekannten Land neuen Lebens nach dem Tode vom Land her über die Wogen der See.

Kositza: Danke für den klugen Hinweis. Ist auch nicht so, daß mir Seebestattung unsympathisch wäre, kann diese "unbewußten Reminiszenzen" gut nachvollziehen. Für einen Christen verbietet sich´s halt.

Niekisch

30. Juli 2023 16:05

II.
"Am anziehendsten ist die Errichtung des Scheiterhaufens auf einem  S c h i f f e; denn hier ist die uralte Sitte der Bestattung im Nachen und die jüngere des Brandes vereinigt....Da ließ er seine Skeid mit den Toten und mit Waffen beladen und sich selbst auf einen Scheiterhaufen in der Mitte legen. Als er verschieden, warf man Feuer hinein, richtete das Steuer, zog die Segel auf und brennend trieb das Schiff mit der Leichenladung in das Meer hinaus - Das ist wohl die herrlichste Weise, seiner Staubhülle ledig zu werden." ( Weinhold, S. 333 ) 
Dem stimme ich zu.
@ Laurenz 2:48: Steht bei Castaneda auch, auf welche nordgermanischen "Heiden" sich Auferstehungsmythen bezogen. Auf alle Menschen oder auf bestimmte Teile? Ich besitze leider kein Werk von ihm...

Maiordomus

30. Juli 2023 16:36

@EK. Der Beitrag war heute stundenlang wieder herausgenommen, weswegen ich Ihnen ein persönliches Mail geschrieben habe. 2 Elemente darauf wohl von noch allgemeinem Interesse: Über den Niedergang des Totenkultes auf dem Lande, woran leider auch die Nachricht erinnert, dass Ihre gläubige Mutter mit Rücksicht auf die "Umstände" der Grabpflege usw. ihren Leib hat verbrennen lassen (was vor 100 Jahren bei den Katholen noch als Leugnung der Auferstehung gedeutet wurde, bei den Juden als Holocaust verpönt ist usw), über dieses hat Arnold Stadler in seinen autobiographischen Büchern wie kaum einer denkwürdig geschrieben und erzählt. Dann zum Gedanken der Hygiene: darüber gibt es eine hervorragende umweltwissenschaftliche Arbeit, welche diese Vorurteile ein für allemal beseitigt, von I. Willimann, welche z.B. noch Religionskritiker Karl Heinz Deschner und dessen Lebenspartnerin noch vom Erdgrab überzeugte. Unter den richtigen Bodenbedingungen und generell ist die Leiche nichts anderes als kompostierbare Natur, das nicht ausrottbare Vorurteil vom "Leichengift" stammt noch aus der Zeit der Hexenprozesse. Ansonsten ein sehr bedeutender persönlicher Beitrag von Ihnen, der eine abschätzige Bemerkung im Blog der Jungen Freiheit von ca. heute im Zusammenhang mit Krah mehr als kompensiert, man hat über sie offenbar auch dort ganz falsche Vorstellungen. 

Gimli

30. Juli 2023 17:44

Rituale sind wichtig, im Moment, wo die Erwartung an Vertrautes nicht mehr erfüllt werden kann -zB Tod- tut eine iwie geartete Verabschiedung not. Ein Grab ist aber für mich nur Blick zurück, den ich nicht "verorten" will. Mit dem Absterben des Nervensystems ist Schluss mit der Existenz. Dass die Hardware kompostierbar ist, wenn man Implantate abzieht, ist teils gruselige teils nüchtern- gute Konsequenz und danach ist ein Grab echt ein leerer Ort. Ich bin aber fest überzeugt, dass synthetische Biologie und Informatik uns neue Welten eröffnen. Diese Endlichkeit auf Basis endlicher Hardware ist einfach ein evolutionärer Schritt; weitere folgen. 

Kositza: Als Christ sehe ich das notwendig anders. Zum Thema synth. Biologie/Unsterblichkeit/Transokkultismus werden wir demnächst ein Kaplaken haben, das Sie dann hoffentlich mit Gewinn lesen.

Wuwwerboezer

30. Juli 2023 18:13

Möchte Ihnen, liebe Frau Kositza, meine herzliche Anteilnahme bekunden.
Der letzte Kuß, der ultimo bacio, ist von der Mafia bekannt. Geküßt wird der verstorbene padrino vom das Amt übernehmenden padrino, und zwar auf den Mund. Es handelt sich um ein Versiegelungsritual, der Mund soll damit versiegelt werden. Der Tote soll in der geistigen Welt nicht singen.
Hier in Züri gibt es eine exzellente Lebensmittelkette, die sich L`Ultimo Bacio nennt. Das nenne ich Esprit! 
- W.

Hesperiolus

30. Juli 2023 18:34

Ein berührender Text; zu schön für einen unmaßgeblichen Kommentar, zumal von mir. Dennoch ein Hinweis dazu auf Jüngers „Aladins Problem“; - wird EK zweifellos gelesen haben. - @ quer: auch mich erwartet als Letzten ein Erbbegräbnis, das mit einer abschließenden Zahlung dann auf „Dauer des Friedhofs“ zu verlängern wäre. Dennoch fürchte ich spätere Abräumung, da ich ja die „schrebergartenhaft“ eingeforderte Grabpflege nicht „usque in ...“ , für die nächsten 1 bis 3 Jahrhunderte bezahlen kann. Welche Ungerechtigkeit gegenüber der Grabruhe des inzwischen auch dort eingerichteten muslimischen Gräberfeldes. - Trefflich in Jüngers „Aladin“, c. 56, zu der besonders widrigen Grabsteinwackelei, als wäre „die Norddeutsche Tiefebene zu einem Erdbebengebiet geworden“!

MARCEL

30. Juli 2023 20:26

Wir sehen nur die Außenseite des Todes und von ihr lassen wir unsere Phantasie aufreizen und/oder knebeln.
Der Tod ist die letzte große Offenbarung, die jeder Mensch "erleben" wird. Am Ende wird es nicht so schlimm gewesen sein...
Betreff Friedhof weiß ich aus Erfahrung, dass die Erde auf vielen Friedhöfen die Leichname nicht mehr vollends zersetzen kann. Viele Medikamente, Chemikalien etc. haben die Böden ausgelaugt, so dass man beim Baggern schon mal auf Unverweste stoßen kann und Friedhofsverwaltungen Sargbestattungen in manchen Sektoren untersagt haben.

Dietrichs Bern

30. Juli 2023 21:01

Ewigkeitsahnung finde ich sehr schön. Ich finde Friedhöfe, die schön angelegt sind auch eher beruhigend als morbide und teile die Abneigung gegen Plastikmüll. Ansonsten halte ich die Überzeugung, man könnte sich auf das eigene Ende zeitlebens vorbereiten für einen Irrglauben. Manch Gläubiger schied jammernd und ängstlich dahin, mancher, dem man es nie zutrauen, ging ruhig und gefasst. Man kann sich auf den Tod nicht vorbereiten.

Laurenz

30. Juli 2023 22:02

@EK .... Mein Vater hatte als junger Mann mal Verbrennungen in einem Krematorium gesehen. Er war der Ansicht, noch nicht alle Zellen seien auf die Schnelle abgestorben, deswegen zog Er die Erdbestattung vor. 
@Niekisch .... Sie können von der Redaktion gerne meine E-Post-Adresse erfahren, dann schicke ich Ihnen das Buch. Wobei man Castaneda am besten von vorne liest. Er schreibt immer über dasselbe, nur aus einem immer älter werdenden Blickwinkel. Auf diese Art & Weise versteht man Ihn am besten. Es gibt in Castaneda-Büchern auch historische Bezüge, aber nicht jene, die Sie ansprachen. Carlos gibt in den Büchern eine Anleitung, wie man nach dem eigenen Tod das bewußte Ich in seinem Traumkörper behält. In The fire from within beschreibt Er, wie Zauberer von innen verbrennen & nichts zurückbleibt. 
@Dietrichs Bern ...Man kann sich auf den Tod nicht vorbereiten.... Das ist eine kulturelle Frage. Bei Castaneda ist der eigenen Tod immer gegenwärtig, etwas über die eigene Schulter & den Körper hinausragend. Carlos behauptet, der Tod sei der beste Ratgeber.

Taritara

30. Juli 2023 23:00

Werte Frau Kositza,
Danke für den persönlichen Artikel. Ich selbst schätze Friedhöfe ebenfalls insbesondere ob ihrer Ruhe und Schönheit. Das gilt ausschließlic für ältere, eingewachsene Friedhöfe mit altem, vielfältigen Baumbestand und Gräbervielfalt (normales Volk, Familiengräber namhafter Leute, Gefallenengräber).

Taritara

30. Juli 2023 23:14

Gern begleiten auch die Kinder, welche, trotz sich bietender Gelegenheit, wie unterbewusst, nicht, oder spätestens nach einfacher Erklärung, nicht toben.
Urnen sind mir ein Graus. Der Anblick einer von sechs Urnen gefüllten 2 qm-Wand hat nichts mit würdigem Gedenken zu tun. Das Erdgräber, insbesondere samt Gebein und Tafel, geräumt werden ist für mich unerträglich. Keine Erde mehr für die  Erinnerung, Rationalisierung allen Orts. Unerträglich, dass mit dem Tod groß verdient wird.

Utz

30. Juli 2023 23:30

Die großen Landeskirchen sind für mich gestorben, als sie ihre Seenotrettungsschiffe aufs Mittelmeer geschickt haben. Aber ich gehe immer noch gerne auf Friedhöfe. Leider verändert sich unser Friedhof gerade rapide. Wo früher Gräber waren, sind jetzt Rasenstücke. Es werden immer mehr. Dafür wächst die Urnenwand. Die Leute wollen es "praktisch". Die Kinder sind in alle Welt zerstreut und keiner hat mehr Zeit für eine Grabpflege. Da geht etwas verloren, nur merken die das nicht. Überhaupt versucht man den Tod zu verdrängen, so als gäbe es ihn dann weniger. Früher sind wir als Kinder/Jugendliche immer zur Aussegnungshalle gegangen und haben die aufgebahrten Toten angeschaut, auch wenn wir die alle nicht gekannt haben. Heute kommt immer gleich der Deckel drauf. Alle sinnvollen Riten mit dem Tod umzugehen wurden abgebaut. Ob die Lieder, die bezeugen sollen, daß der Tote ein besonderer Mensch war, und die teilweise befremdlichen Gegenstände auf den Gräbern besser sind als die alten Riten, z.B. das Rosenkranzbeten, wage ich zu bezweifeln.

Ausguck

31. Juli 2023 00:01

Im Zusammenhang mit dem Begriff Seele oder Bewusstsein erwaehne ich die fuer mich sehr interessante Theorie des australischen Mathematikers und Philosophen David Chalmers, wonach das Bewusstsein erstens universell und zweitens fundamental ist. Das heisst, es ist im gesamten Universum ubiquitaer und zwar in der gesamten Masse verteilt. Daraus folgt, dass nicht nur Tiere (und also Menschen), sondern auch Pflanzen und sogar "tote" Materie wie Gestein ueber Bewusstseinselemente verfuegen: Je nach evolutionaerem Entwicklungsgrad mehr oder weniger, so dass diese Elemente sozusagen Bewusstseinsquanten darstellen. Selbst Photonen verfuegten demnach ueber Bewusstseinsinformationen.
Ausserdem sind Bewusstseinselemente so fundamental wie Raum und Zeit, die beiden Kernkraefte, die Schwerkraft und der Elektromagnetismus. Chalmers sagt, dass mit dem Bewusstsein unsere Liste dieser Grundkraefte oder "fundamentals" genauso erweitert worden ist wie etwa bei der Entdeckung der Gravitation.
Bei unserer Geburt werden Bewusstseinselemente biologisch aktiviert, bei unserem Tod kehren sie in den grossen Bewusstseinspool zurueck, nach dem Prinzip: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Von daher macht eine Verbrennung und danach Verteilung der Asche in der See genauso viel Sinn wie die Bestattung in einem Grab.  Die Idee der Reinkarnation wird ebenfalls anschaulicher.

links ist wo der daumen rechts ist

31. Juli 2023 01:23

Sehr schöner Text (war etwas betrübt, als er für einige Zeit „verschwunden“ war).
Interessant auch die zeitliche Koinzidenz zum Ableben Martin Walsers.
Und ein bißchen sehe ich ihn auch als hausinternes Zurechtrücken zu dem, was sich vor kurzem hier abgespielt hat (Dank an @Gracchus für die Ehrenrettung):
https://sezession.de/67772/jude-ist-wer-auch-zu-den-opfern-gehoeren-will#sez-comments
Von Adorno, den man wieder einmal arg zerzaust hat (und Verzeihung, wenn ein „Handwerker“, der damit prahlt, nichts zu lesen, A. unumwunden als „Psychopathen“ bezeichnet, ist das ein Armutszeugnis sondergleichen), stammt der Hinweis darauf, daß die Perfidie an Friedhofschändungen darin läge, daß man den Toten nicht einmal die „ewige Ruhe“ gönne. Er wußte, was er meinte. In besonderem Maße gilt das für mich aber auch für die Zeugnisse vergangener deutscher Kultur, wie hier vergegenwärtigt (ab 25:15):
https://www.youtube.com/watch?v=uFF_bV8JYUA&t=6s
- und natürlich auch für Soldatenfriedhöfe; gerade die Gefallenen haben unseren Respekt verdient.
Am Umgang mit den Toten zeigt sich der Wert einer Kultur.
Und Friedhöfe sind paradoxerweise zunehmend – in kleinen Ortschaften wie meiner Heimatgemeinde, wo ein öffentliches Leben kaum mehr stattfindet - oft der einzig belebte Ort. Grabpflege verbindet.

MichaelMueller200560

31. Juli 2023 07:41

Der Artikel berührt mich doppelt. Als gläubigen Katholiken und Theologen und als Trauerbegleiter und "Grabredner", selbständig und nicht im Dienst der Kirche.  In unserer Familie wurde und wird niemand kremiert. Das ist so und bleibt so. Natürlich machten wir Ausnahmen, wenn es persönlicher Wunsch des oder der Verstorbenen wäre. Aber (noch) haben wir bei uns die klassische Beerdigung mit Pastor, mit Erdbestattung, mit selbst gesungenen Kirchenliedern. 
In meinem Beruf ist das anders. Ich biete katholische, evangelische und weltliche Feiern an. Wer zahlt, schafft an. In der Kirche ist, wer getauft ist, nicht wer KIrchensteuer bezahlt. Feuerbestattungen haben im chrsitlichen Abendland keine Tradition und sind eher als "Kontrastprogramm" der Nichtchristen und Atheisten entstanden. In meiner Kindheit ließen sich nur "Sozis und Kommunisten" verbrennen. Als "Unternehmer" sehe ich das recht pragmatisch, als Theologe inzwischen auch. 
Auch bei Bestattungen sollten die Bedürfnisse der Trauernden und nicht die Riten im Vordergrund stehen. Wobei ich für Mätzchen auf einer Bestattung nicht zu haben bin. Beerdigungen, die mehr an Kindergeburtstage erinnern, führe ich nicht durch. Das passt nicht zu mir, da wäre ich unglaubwürdig. Ein persönlicher Abschied sollte es aber auf jeden Fall sein.
Bei Friedhöfen aber kann mich wie Sie, liebe Frau Kositza, auf Reisen der Faszination dieser besonderen Orte auch nie entziehen. Auch weil der Tod zum Leben gehört. Und weil er das einzige ist, was zu jedem Leben gehört.

Franz Bettinger

31. Juli 2023 08:10

Könnte man sich eine Religion wählen, wäre ich Hindu. Der Gedanke, im nächsten Leben für das Gute oder Böse im Jetzigen belohnt oder bestraft zu werden, gefällt mir. Der Nebeneffekt: kein Mitleid für angeblich Zukurz-Gekommene. Es ist verdient und das Ergebnis ihres Karmas. Es gibt so etwas wie ein erfülltes Leben, und wer es hatte, ängstigt sich nicht vor dem Tod. Mein Wunschgrab wäre neben einem Baum. Hundertwasser bekam diesen Wunsch in NZ erfüllt. //
@MD: Danke, dass Sie auf die unsinnige Vorstellung, es gäbe Leichengift, hinwiesen. Übrigens sind auch Medikamente kein Sondermüll, sondern einfach Müll. Wer ein bisschen von Chemie / Biologie Ahnung hat, versteht das problemlos. //
@Marcel: Die gelegentlich stattfindende "natürliche" Leichen-Konservierung hat nichts mit Medikamenten oder künstlicher Chemie im Boden zu tun, sondern mit zu feuchter Erde (Winter-Bestattung). Erklärung zu Wasser-, Moor- und Seifen-Leichen —> https://de.wikipedia.org/wiki/Adipocire 

das kapital

31. Juli 2023 08:43

Friedhöfe sind die irdische Heimstatt des ewigen Lebens. Für Christen jedenfalls. Denn sie leben im Angesicht Gottes und freuen sich auf die Begegnung mit ihm. /// Danke, dass Sie hier dem Leben im Angesicht des Sterbens und der irdischen Heimstatt des ewigen Leben breiten Raum geben. Tatsächlich habe ich ein äußerst positives Erleben angesichts der Friedhofskultur. Meine Großmutter ist ein Jahr gestorben, bevor ich geboren wurde. Die konnte ich nur auf dem Waller Friedhof kennenlernen, wenn wir sie gelegentlich mal mit Onkeln und Tanten besucht und ihr Grab gepflegt haben. Mein Vater pflegte das Grab seiner ersten Ehefrau am Osterholzer Friedhof. Und bei uns um die Ecke war der Riensberger Friedhof, in dem ein guter Teil der bürgerlichen Elite der Stadt begraben liegt. Karl Carstens liegt da begraben. Dies ist ein Ort von Landschaftsarchitektur mit hoher Qualität. Dort bist Du der Natur und Gott und den Ahnen nahe. Ein Ort des Wohlgefühls für Kinder, für Erwachsene, für Sterbende und Lebende. Dort bist du nicht allein. /// Meine Mutter ist nun nicht dort beerdigt. Sie ruht 200 Meter vom Grab von E.T.A. Hoffmann. Den man lieber lesen sollte, als die (Un-) Geister dieser Zeit.

Maiordomus

31. Juli 2023 09:31

@Fontane und Friedhof-Motiv. Eines der schönsten Friedhofmotive der deutschern Literatur findet sich gegen Schluss von Fontanes populärstem und meistverfilmtem Roman "Effi Briest" nach dem Schicksal der in Lindau erst nach dem 2. Weltkrieg verstorbenen Elisabeth von Ardenne, um die es Generationen zuvor ein Duell zwischen Mann und Liebhaber gab. Effi Briest, verheiratet mit dem langweiligen Beamten Innstetten, wird im Roman zufällig Jahre nach einer kurzen Affäre durch einen Brieffund überführt, wobei nach 7 Jahren um der Ehre willen noch geschossen wurden musste, nach 11 wäre es verjährt gewesen. Sie wird de facto von ihrer Familie verstossen, mit Ausnahme des Hundes Rollo. Sie wird dann krank und stirbt bald; nur der treue Neufundländer Rollo sucht ihr Grab auf, was Vater Briest am Ende Eindruck macht. Er findet den Instinkt des Hundes im Prinzip werthaltiger als die Moral der Menschen, welches Thema er aber nach seiner Redeweise an Effis Mutter mit "Luise, das ist aber ein zu weites Feld" dann wegsteckt. Der Name des Hundes war 1968 ein diskutiertes umstrittenes Beispiel für das verlangte Detailwissen bei der Aufnahmeprüfung für die Seminarteilnahme im Fach Germanistik in Zürich beim legendären konservativen Professor Emil Staiger. Aber natürlich muss man Rollo kennen!

RMH

31. Juli 2023 10:39

1.
Wichtiger Text, da der Tod etwas ist, den man nicht canceln kann. Jede politische Bewegung muss ihn - in seiner mehr oder weniger normalen Ausprägung - daher mit auf der Rechnung haben. Seltsamerweise hat ihn von den aktuellen Parteien niemand so richtig auf dem Zettel, außer eben in Randbereichen, wie ggf. Sterbehilfe oder als Forderungen nach ihm im ganz großen Stil, aber nur für die, die noch nicht auf der Welt angekommen sind (Abtreibung - und ab, in den Sondermüll, Du Zellhaufen. Das ist die "aufgeklärte" Einstellung der Progressiven).

RMH

31. Juli 2023 10:44

2. Man sieht, das Thema ist weit und man ist geneigt, sich ihm kreisend über Randthemen zu näheren. Ich selber kann die Feuerbestattung, die übrigens keine Freimaurerpflicht ist (wieder Randthema: An einer Beerdigung eines FM teilzunehmen, ist hoch interessant) mittlerweile sehr gut nachvollziehen. Beschränkte "Liegezeit", dann kommt der nächste auf einen drauf. Wenn man Pech hat, sichert sich irgendeiner Überreste von einem für seine makabere Selbstdarstellung (seit ein Kommilitone einen echten Totenschädel offen im Wohnzimmer verwahrte, denke ich mir immer, so sollte kein menschlicher Rest enden). Auch Grabschändungen gibt es leider wieder. Insofern: In pulverisierter Form werden die eigenen Überreste nicht so schnell zum Objekt oder verwehen eben als Asche (zu dem ja nach der bekannten Formel jeder wird). Und Objekte Dritter zu sein, dazu sind die allermeisten schon zu Lebzeiten verflucht. Der Tod soll frei machen - dann kann man sich von seinen Angehörigen auch vom alten Madensack (barocker Ausdruck!) befreien lassen. Die Zeiten einer "schönen Leich" sind leider lange vorbei. Auch hier ist eine gewisse Anpassung nicht gleich Feigheit, sondern kann auch Ausdruck der Selbstbestimmung sein. Das Nachdenken darüber, was man selber will, sollte nicht aufgeschoben werden.

Niekisch

31. Juli 2023 12:03

@ Laurenz 30.7. 22:02: Besten Dank für das freundliche Angebot. Gerne komme ich darauf zurück, wenn ich hier: https://www.semanticscholar.org/paper/Fire-from-Within- nicht fündig werde. Bei unseren nordischen Vorfahren jedenfalls wurden Auferstehungsmythen nicht allen Menschen zuteil: "Eine Erleichterung brachte das Christentum; denn nun ward das Los derer, die auf Bett oder Bank den Siech- oder Strohtod ( stradauor ) sterben mußten, nicht mehr geschieden von dem der Schlachtentoten. Ein Himmel empfing sie, während jene einst in die nasse, dunkle Unterwelt zur Hel fuhren, diese aber sich zur goldenen Walhalla des Kriegs- und Heldengottes aufschwangen" ( Weinhold s.o. S. 325 )

Franz Bettinger

31. Juli 2023 12:04

@Laurenz: Die am längsten überlebenden Zellen sind die Spermien (max. 3 Tage). Am schnellsten sterben Nervenzellen (5-10 Minuten). Einen Finger, ein Ohr oder eine Nase kann man bis maximal 7 Std. nach Abtrennung versuchen, noch mal anzunähen. Tiefgekühlt kann man diese Überlebenszeiten ggf. vervierfachen. 

Laurenz

31. Juli 2023 12:07

@Das Kapital .... vor 2 Jahren war ich auf einem Friedhof in Budapest. Der war mehr eingewachsen, als jedem hier lieb ist. Das ist schlicht eine materielle Frage im Budget der Kommune. Der Friedhof war auch zu groß, um das privat zu organisieren. Kirchen- & Wallfahrtsbesucher sind in Ungarn fast nur noch Zigeuner.
@MichaelMueller200560 & Taritara .... Urnengräber im Schrank sagen vor allem etwas über die materiellen Möglichkeiten der Hinterbliebenen aus. Verbrannt werden, ist eine kulturelle Entscheidung. Bevor das orientalische Christentum hier mit gewaltsamer Mission verbreitet wurde, war Verbrennen durchaus üblich. Die Kirche verbrannte ja auch Hexen, während Heiden im Fall des Falles eher Moorleichen produzierten. Es lohnt übrigens auch, die Kosten bei den jeweiligen Gemeinden im Umland abzufragen. Da gibt es eklatante Unterschiede.
@Ausguck ... Ihr Beitrag paßt wunderbar zum Heidentum, explizit zB zum Schintoismus. Wir Kulturbringer haben einfach, abseits jeglicher Moral mehr zu bieten, als die primitiven Hirtenkulte aus dem Orient. Toller Beitrag, Danke.

Niekisch

31. Juli 2023 12:14

@ EK zum im jetzigen Artikel nicht mehr vorhandenen Passus bzgl. Schließen der Augen des Verstorbenen: "Es ist ein Nordländer gestorben; um ihn stehen die Seinen; der nächste Verwandte tritt zu der Leiche und vollzieht den Liebesdienst: er drückt Mund, Augen und Nase zu, streckt den Leib und bedeckt den Kopf mit einem Tuche. Man nannte dies die Leichenhilfe gewähren ( veita nabiargir ), wahrscheinlich mehr eine Hilfe für die Lebenden gegen den verderblichen Einfluß, den man offenen Augen und Lippen des Toten zuschrieb, als für den Verstorbenen; denn es geschah von rückwärts (!), und niemand wagte der Leiche von vorne zu nahen, ehe diese Teile geschlossen waren. Der Kopf ward zugedeckt und dann die ganze Leiche in Linnen gehüllt" ( Weinhold aaO, S. 327 ) 
Ich schildere hier nicht die noch intimeren Einzelheiten des Rituals. 

KlausD.

31. Juli 2023 12:32

E. Kositza  30. Juli 2023 19:22
"Einer unserer Besten"
Das beste, was je über ihn gesagt wurde, hat Thomas Mann gesagt (in seinem Essay von 1910). Sie werden es kennen. Ich führe es hier trotzdem nochmal auf, weil man es nicht besser (und nicht oft genug) sagen kann:
"Es ist etwas unbedingt Zauberhaftes um seinen Stil und namentlich um den seiner alten Tage, wie er uns in den Briefen der achziger und neuziger Jahre wieder entgegentritt. Mir persönlich wenigstens sei das Bekenntniß erlaubt, daß kein Schriftsteller der Vergangenheit oder der Gegenwart mir die Sympathie und Dankbarkeit, dies unmittelbare und instinktmäßige Entzücken, diese unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung erweckt, die ich bei jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzchen von ihm empfinde. Diese bei aller behaglichen Breite so leichte, so lichte Prosa hat mit ihrer heimlichen Neigung zum Balladesken, ihren zugleich mundgerechten und versmäßigen  Abbreviaturen etwas bequem Gehobenes, sie besitzt, bei scheinbarer Lässigkeit, eine Haltung und Behältlichkeit, eine innere Form, wie sie wohl nur nach langer poetischer Übung denkbar ist ..."

Maiordomus

31. Juli 2023 13:01

PS. Elisabeth von Ardenne, Mutter des Atomphysikers Manfred von Ardenne, starb ca. 1949 in Lindau am Bodensee im Alter von 100 Jahren, lebte zur Zeit Bismarcks im Brandenburgischen, wo sie, wie Effi,  früh geheiratet hatte. Fontane hatte sie noch persönlich gekannt, die Beschreibung Effis im Anfangsteil des Romans soll ein Porträt von Elisabeth von Ardenne sein.   

Gimli

31. Juli 2023 13:27

@ links ist "Am Umgang mit den Toten zeigt sich der Wert einer Kultur."
Das verstehe ich nicht. Finde es zu rückwärts gewandt. Im Umgang mit den Lebenden zeigt sich doch viel mehr? Und be-werten ist halt gar ein subjektiv Ding. Und zeitgeistig obendrein. 

Kurativ

31. Juli 2023 14:47

Wenn die muslimischen Gräber nicht aufgehoben werden dürfen, bleiben wohl letztendlich nur noch diese übrig. Ein attraktives Angebot (wieder mal)

Laurenz

31. Juli 2023 15:21

@Gimli @Links ist, wo der Daumen rechts ist .... neige auch nicht zu Formalismen. Kann Ihnen nur empfehlen, besuchen Sie mal mit Ihrer Gattin eine Familienaufstellung. Es existiert so etwas, wie eine Familienseele. Jeder in der Familie, auch Kuckuckseier oder sonstige familiär Verirrten & Verwirrten wollen gesehen werden, auch die Toten. Nicht umsonst beerdigen die Japaner mit ihren vielen Abtreibungen alle abgestriebenen Kinder, sie gehören dazu, mit Namen & Grabstein. Auf einer Familienaufstellung können Sie die familiären Bidungen auch ins Totenreich selbst erfahren.
@Niekisch @EK  ... Danke für Ihre nordischen Bereicherungen. Ich hab einfach vieles schon wieder vergessen.
@Franz Bettinger @L. .... Schon seit vielen Jahrzehnten werden alle Gestorbenen bei uns erstmal tiefgekühlt.

Klaus Kunde

31. Juli 2023 16:06

War während meiner Dienstzeit als Offizieller auf Dutzenden von Beisetzungen. Damals waren anonyme Grabstätten noch eher die Ausnahme. Unterschiede zwischen kirchlichen Beisetzungen und solchen von Atheisten sind mir noch gut erinnerlich. Selbst der engagierteste Grabredner kann nicht mit einem bräsigen Pastor mithalten. Es ist schon bemerkenswert, wie religiöse Rituale das Metaphysische, die Traszendenz des Menschen beeinflussen können. Bei der Beisetzung meines Vaters haben mir das „kirchliche Geleit mit Worten aus der Schrift“, so der offizielle Terminus, sehr geholfen, seinen Tod zu bewältigen. Ein Grund für mich, der leidigen EKD noch nicht entsagt zu haben. Zugespitzt formuliert, ich will nicht gottlos die Himmelfahrt antreten.

Maiordomus

31. Juli 2023 16:29

@Gimli. Das war nun mal, um es "rückwärtsgewandt" zu sagen, schon in prähistorischer Nachaffenzeit der Fall, vgl. die Resultate der Archäologie betr. Jungsteinzeit. Nebst dem Elefanten gehört der Mensch zur trauerfähigen Kaste der Lebewesen, Nicht zufällig stand im Sport die diesjährige Tour de France im Zeichen der Würdigung des im Vorfeld totgestürzten Fahrers Gino Mäder; auch der Auschwitz-Kult, als Spezialfall verständlich durch jüdischen Totenkult, bei dem Verbrennung Schändung bedeutete, ist Beispiel, so wie es in der Schweiz Schlachtgedenken gab, siehe  Kriegsgräber. Märtyrerkult, und bei Chinesen ehrt man Ahnen, kulturell nicht "auf den Bäumen geblieben", mag es Ihnen und anderen von heute ohne das wohl sein. Herkunft bestimmt, zwar nicht zwingend, Zukunft, als tieferer Sinn der platonischen Lehre von Wiedergeburt. Natürlich kann man es sich geistlos wohl sein lassen, aber z.B. Kepler, der bis in die Anfänge des Weltalls zurücksah und dank seiner Gesetze über unendliche Zeitspannen voraus, war andere Nummer als die nach Goethe dumpf in den Tag Hineinlebenden ohne Kenntnis v. nicht mal 3000 Jahren. Dabei mied Goethe Abdankungen, sogar diejenige seiner Frau, würdigte aber mit Gedicht Schillers Schädel, nur war es leider der falsche: Hauptsache war das Gedächtnis des geistig unverlierbaren Freundes., später Lebensimpuls.  

Ein gebuertiger Hesse

31. Juli 2023 16:33

Was für ein schöner, lebens- und letztlich auch den Tod bejahender Aufsatz. Ihre Worte mögen Gottes Ohr (und das Ihrer Verstorbenen) finden, liebe Frau Kositza.
Ganz am Ende wird alles gut werden. 

Andreas Stullkowski

31. Juli 2023 16:47

Der Totenkult ist die Grundlage der Kultur.Die Art der Bestattung sagt sehr viel über das Selbstbild der Menschen einer Kultur aus.
Die vielen Möglichkeiten die man heute bei der Beerdigung hat zeigt wie sehr wir ein einendes Weltbild verloren haben.
Jeder kann sich selbst irgendwas aussuchen. Und zumeist wird gar nicht ausgesucht, dann entscheiden die Hinterbliebenden anhand des Preises was die beste Beerdigungsform ist.
Wir gehen als Einzelne durch das Leben, und glaube nicht an den Tod, darum kümmert uns die Bestattung wenig.
Vielleicht hatte selbst Großtante Resi ihren Glauben verloren, und sah keinen Sinn mehr in dem Ritual nach ihrem Tod.

Kositza: Das ganz sicher nicht. Wir standen bis zum Ende in regem Austausch.

MarkusMagnus

31. Juli 2023 16:53

Und wieder was gelernt. Für Moslems und Juden gelten also andere Gesetze auf Friedhöfen wie für Christen. 
Wundert mich jetzt nicht, geht aber eigentlich gar nicht.
@ Klaus Kunde
Man kann auch aus der Kirche austretemn und gleichzeitig an Gott glauben. 
Vielleicht muss man es sogar als Gläubiger.
Ich bin raus aus dem Laden. 

MarkusMagnus

31. Juli 2023 17:15

@ links ist wo der daumen rechts ist
"Von Adorno, den man wieder einmal arg zerzaust hat (und Verzeihung, wenn ein „Handwerker“, der damit prahlt, nichts zu lesen, A. unumwunden als „Psychopathen“ bezeichnet, ist das ein Armutszeugnis sondergleichen"
Da Sie mich somit angesprochen haben:
Erstens habe ich tatsächlich eine Ausbildung im Handwerk, Zweitens habe ich nie damit geprahlt nichts zu lesen. 
Dieser Ardorno war mir halt vorher nicht bekannt. Genausowenig wie Jenny Erpenbeck. Man kann doch nicht alle Bücher auf der Welt lesen bzw. sich für alle Bücher interessieren.
Wenn man sich wünscht das deutsche Mädchen in Vergewaltigungs-Lager zu stecken sind...Das soll kein Psychopath sein? 
Ich gebe es zu:  Als die Flugzeuge in das WTC gekracht sind habe ich auch für ein paar Sekunden gedacht:
"Wurde auch Zeit". "Geschieht denen Recht".
Ich habe das aber schnell wieder aus dem Kopf verbannt. Auch im Pentagon hat es ja nur Fußvolk erwischt.
Heutzutage glaube ich die Araber-Story sowieso nicht mehr.
 
 
 

Laurenz

31. Juli 2023 17:30

@Klaus Kunde .... Überall gibt es Profis & Amateure. Ich habe schon Atheisten-Prediger erlebt, gegen die kein Kuttenträger eine Chance hatte. Bei den Heiden sind die Ritual- & Zeremonienmeister überdurchschnittlich häufig schlecht, weil diese oft meinen, auch immer etwas visuelles bieten zu müssen. Das wirkt dann immer wie schlechtes Theater. Das reale Tod ist nicht wieder aufhebbar, wie in einem MRPG (Video-Spiel). Entscheidend sind die trostspendenden Protagonsten selbst. Entweder hat jemand eine tröstende, versöhnliche Aura oder hat sie eben nicht. Laut Christopher Hitchens (+2011), der wesentlich bessere Atheisten-König als Richard Dawkins, ist der Unterschied zwischen Moslems, Christen & Juden auf der einen Seite & den Atheisten auf der anderen Seite nur sehr gering. Auf unserem Planeten sind in etwa 3.000 Gottheiten bekannt. Die Atheisten leugnen alle, Christen; Moslems & Juden hingegen nur 2.999, was rechnerisch keinen nennenswerten Unterschied mache. Ich, hingegen, bin kein Atheist & für Spiritualität, aber für eine gegenwärtige Spiritualität & nicht für eine von vor 2.000 Jahren, die sogar damals eine Mehrheit der Follower ablehnte. Was ich schon dem Teilnehmer @Gimli riet, besuchen Sie doch mal eine Famileinaufstellung & stellen Sie Ihren verstorbenen Vater auf. Sie werden einen spirituellen Unterschied feststellen, der sich nicht nur 1x gewaschen hat.

Gimli

31. Juli 2023 17:32

@Laurenz Ich tu mich schwer mit Welterklärungen ausserhalb der physikalischen Gesetze. Sofern Sie mit Familienaufstellung eine Arbeit meinen, die sich außerhalb der üblichen psychotherapeutischen Praxis bewegt, dann bin ich skeptisch. Sehr wohl plausibel sind genetische Bande und Familientraditionen, die den Verhaltensspielraum der Filialgenerationen bestimmen. Schlussschließlich hat die Trauer auch einen evolutionären Sinn, da man annehmen kann, dass Emotionen "zutiefst" unser Verhalten steuern und sehr ursprünglich sind und im Wirbeltierreich ähnlich verbreitet. Verstand kam später und obendrauf. Und daher tu ich mich schwer, in Friedhöfen mehr zu sehen als eine anthropologische Kultur, die einen Grund aber wenig Sinn hat. 

tearjerker

31. Juli 2023 19:53

@Kunde: Kann das mit der höheren Qualität der Pastoren so nicht mehr bestätigen. Hier im Norden scheinen auch nur noch Pastorinnen im Einsatz zu sein und gemessen an den Erlebnissen in den letzten drei Jahrzehnten nimmt die Qualität der Begleitung entsprechend dem Verfall der Autorität der Kirche insgesamt ab. Die Katholiken sind hierbei nach meinem Eindruck noch besser dran als die Protestanten.

Boreas

1. August 2023 12:55

Als Hinterbliebener halte ich einen familiären Erinnerungsort, möglichst fußläufig erreichbar, für ein großes Glück. Die Familiengrabstätte spiegelt in der Wahl und Form des verwendeten Gesteins, der Schrift und Symbolik, vieles von den Werten wieder, für die die Familie steht. Gleichzeitig rücken die (Über)-Lebenden bei der Grabpflege zusammen. Unser Dorf hat  einen Gottesacker, den die Gemeinde selbst verwaltet. Wenig Bürokratie, großer Gestaltungsspielraum, dabei aber auch die Verpflichtung, sich gemeinschaftlich für die Pflege und Erhaltung der eigenen und der anderen, auch Ehrengrabstellen zu kümmern. Die Kriegergräber werden zum Volkstrauertag geschmückt und auch übers Jahr frei von Wildwuchs gehalten. Keine Selbstverständlichkeit heutzutage. Da sich nach meinem rechtsreligiösem Verständnis die unsterbliche Seele wieder neu einkörpert, ist die Verbrennung kein Problem, unsere Grabstätte aber groß genug, um auch Särge aufzunehmen.

Sandstein

1. August 2023 16:44

@Gimli
"Und daher tu ich mich schwer, in Friedhöfen mehr zu sehen als eine anthropologische Kultur, die einen Grund aber wenig Sinn hat."
Das merkt man Ihnen auch an. Sie verkürzen diese Welt auf Formeln. Damit fehlt Ihnen der Blick für alles ursächliche und tiefstliegende. Sie sind gewissermaßen eine kalte Maschine - wer sonst kommt auf den abgeschmackten Gedanken seinen Körper als Hardware mit Implantaten beschreiben zu müssen? Ihnen fehlt zusätzlich zu Ihrem Maschinendenken auch noch ne ganze Fülle an Wissen. Haben Sie einmal von Elefantenfriedhöfen gehört? Oder gesehen wie ein Orcaweibchen ein totes Kalb tagelang nicht verlässt? Ihre Renitenz hat etwas säurehaltig-giftiges. Wie Sie lotusgleich alles abperlen lassen lässt mich vermuten, dass Sie sehr viel Angst haben, dass jenseits Ihres Maschinendenkens eine Wahrheit wartet, die Ihnen nicht bekommen will.
 "Ich tu mich schwer mit Welterklärungen ausserhalb der physikalischen Gesetze." ..und auch Physik haben Sie nicht verstanden, sagt Ihnen der Sohn eines Astrophysikers. Sie tun sich mit sehr vielem schwer, oder? 

Kositza: Danke, Sie nahmen mir die Worte aus dem Mund!

MarkusMagnus

1. August 2023 17:54

@ Maiordomus
"...als Spezialfall verständlich durch jüdischen Totenkult, bei dem Verbrennung Schändung bedeutete.."
Ist dem tatsächlich so? Haben sie dafür eine Quelle? Keine Lust die komplette Bibel lesen zu müssen.
Ich bin daran sehr interessiert.
Das würde ja passen, da Alexej und Maria Romanov(a) im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern der Zarenfamilie an einer anderen Stelle verbrannt wurden. Das Grab der beiden Kinder hatte man erst 2007 gefunden.
In Deutschland mag die Sache kein Thema sein, in Russland allerdings schon. 
 
 
 

Gracchus

1. August 2023 21:51

Schöner Beitrag. Die Resonanz ist ja sehr groß. Bin auch Friedhofsgeher. Früher aber häufiger. Spontan erinnere ich mich an den Dorffriedhof von Alt-Stralau, unmittelbar an der Spree, da bin ich oft entlang spaziert. 
@Markus Magnus: Ich kenne solche Erfahrungen und Leute mit solchen Erfahrungen. 

AnneSeiterle

1. August 2023 23:37

Danke für den schönen Text. Er scheint etwas tief drinnen direkt anzurühren. Ich habe ihn gestern Abend gelesen und in der Nacht zum ersten Mal von meiner Mutter geträumt, seit sie vor sieben Jahren gestorben ist.

Adler und Drache

2. August 2023 09:31

Danke für diesen Text! Habe ihn nun mehrmals gelesen, was ich selten mache. Ich habe selbst desöfteren überlegt, zu diesem Thema zu schreiben, bzw. habe geschrieben, es aber immer wieder verworfen. Nur so viel: Es wäre nicht so tolerant und menschenfreundlich geworden - aber gerade deshalb beeindrucken & berühren Ihre Worte. 

Gimli

2. August 2023 15:25

@ Sohn eines Astrophysikers
Was meinen Sie denn mit ursächlich und tiefstliegend? Wer nicht meta-physisch denkt, kann mit konzepten wie Seele wenig anfangen. Daher gibts dann für mich auch kein "davor" und kein "danach". Die Analogie, den biologischen Körper sls Hardware zu sehen, ist rational. Das tut Emotionen wie Trauer oder auch scheinbar unedleren wie Zorn keinen Abbruch. Im Gegenteil, die Intersubjektivität ist nicht bestritten - über Art und "Klassen"-Grenzen hinweg (zB Eleganten, aber bitte: Keine Friedhöfe, das ist Mumpitz); diese Emotionen sind sehr primitive Ergebnisse neuronaler Verrechnung. Die spüren wir mit den meisten Wirbeltieren (Säugern auf jeden Fall), wir müssen aber nicht alle das Gleiche daraus machen. 

t.gygax

2. August 2023 17:26

@Gimli
"Diese Emotionen sind sehr primitive Ergebnisse neuronaler Verrechnung"
Klingt so wissenschaftlich, zeigt aber nur den geradezu barbarisch eingeschränkten Gesichtskreis und ein völliges Fehlen von Wahrnehmungen jenseits wissenschaftlicher Erklärungen. Lesen Sie mal Max Thürkauf, ein Wissenschaftler von Format, über seinen Weg zur Erkenntnis anderer Wirklichkeiten.Ist aber eine steile Lektüre,  man braucht viel Zeit und Gedankentiefe dazu.

Gimli

2. August 2023 18:32

@ t.gygax
Was wollen Sie denn mit "barbarisch" ausdrücken? Fühlen Sie sich angegriffen?
ich bin von der Macht sachlicher Argumente überzeugt, daher nicht von allen Kommentaren hier, wenn sie mit Beleidigungen gespickt sind.
Von diesem Schweizer Prof nie gehört. Wikipedia liest sich sympathisch, ein früher Grüner?! Dass er dem Katholizismus nachgab, ist wurscht. Ist unter Wissenschaftlern keine Seltenheit und Übermenschen sind die wenigsten (k lorenz blieb Antisemit trotz guter Ideen, L Pauling wurde im Alter ein Vereinfacher), man muss die Mehrdeutigkeit der Dinge aushalten. 
 
 
 
 

Sandstein

2. August 2023 20:01

@Gimli 
"Unnütz jemandem einen Gedanken erklären zu wollen, dem eine Anspielung nicht genügt." (Davila) 
..Sie meinten sicher Elefanten, und ja die Interpretation von Friedhöfen ist eine menschliche Sicht. Aber wenn über mehrere Generationen sterbende Elefanten den selben Ort aufsuchen, und spätere Generationen regelmäßig diese Orte besuchen ist das wohl eine zulässige Beschreibung. Wiegesagt, Sie haben keine Ahnung und sich nichtmal annähernd Mühe gegeben, die Wissenslücken zu schließen. Lassen wir's, es ist mit Ihnen wirklich fruchtlos.

Ausguck

2. August 2023 23:35

@ Gimli
hat Probleme mit wissenschaftlichem Denken. Vielleicht helfen ihm und anderen folgende Zitate Max Plancks:
"Wenn Sie die Art und Weise aendern, wie Sie die Dinge betrachten, dann aendern sich die Dinge, die Sie betrachten."
Oder:
"Als Mann, der sein ganzes Leben der klarsten Wissenschaft gewidmet hat, dem Studium der Materie, kann ich Ihnen als Ergebnis meiner Forschung ueber die Atome so viel sagen: Es gibt keine Materie als solche! Alle Materie ensteht und existiert nur auf Grund einer Kraft, die die Teilchen eines Atoms zur Schwingung bringt und dieses kleinste Sonnensystem des Atoms zusammenhaelt. Wir muessen hinter dieser Kraft die Existenz eines bewussten und intelligenten Geistes annehmen. Dieser geist ist die Matrix aller Materie."

Blue Angel

2. August 2023 23:38

Danke für diesen berührenden Artikel, Frau Kositza.
Wüßten mehr Menschen, daß das Leben mit dem physischen Tod nicht zuende ist, oder ahnten es zumindest, gäbe es viel weniger Probleme auf diesem Planeten. So aber erleben wir zumindest im Westen einen Todeskult aufgrund von Todesverdrängung, mit dem wir umzugehen gezwungen sind.
Sternchen für t.gyrax, Sandstein u. a.  - Wofür wissen Sie. Selbst sitze ich unter Aufbietung größtmöglicher Disziplin (nicht nur) diesbezüglich auf meinen Fingern.

Gimli

3. August 2023 09:51

@Sandstein
Sie antworten eigentlich nicht, sondern argumentieren mit Zitaten Dritter. Nun gut.
Elefantefriedhöfe: Gibt es nicht. Ist doch aber auch nicht das Thema. Ich verneine ja nirgends die Emotion Trauer, sie ist wie alle primitiven (ursprünglichen) Emotionen evolutionär stabil bei vielen Wirbeltieren. Ich sage aber: Sie ist Ergebnis einer Verrechnung von Neuronen. Damit ist nichts über das Phänomen Emotion gesagt (Materie-Geist-Dualismus), weswegen einige Physiker mittlerweile sagen, dass "Geist" iwie eine Eigentschaft von Materie ist. Um das Thema mal anders zu packen. Das hat ein anderer Kommentator vorab aber auch schon ausführlicher (und gut) gesagt. Und nur so auf die Barrikaden zu gehen, weil ich Friedhöfe auch als Ruheorte sehe, aber Beerdigungen und Totengedenken also anthropologisches Phänomen, dem ich mich gut entziehen kann, verstehe ich nicht.  

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