Kritik der Woche (52) – Guillaume Paoli: “Geist und Müll”

Jeder anständige Mensch sollte

verlangen, in die Radikalenkartei der Verfassungsschützer aufgenommen zu werden.

Der deutsch-französische Philosoph Guillaume Paoli (* 1959) dürfte Sezession-Lesern namentlich bekannt sein. Sein Buch Die lange Nacht der Metamorphose wider die „postmoderne“ Linie Foucault-Deleuze-Derrida-Butler (vgl. Sezession 82) und sein Essay über das französisch-populistische Phänomen der Gelbwesten (vgl. Sezession 95) wurden hier vorgestellt und diskutiert.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Und auch Pao­li kennt unse­re Zeit­schrift, zumin­dest ihren Publi­ka­ti­ons­ort: In sei­nem neu­en Buch Geist und Müll, das aus Noti­zen, Kurz­bei­trä­gen und losen Kom­men­ta­ren besteht, zitiert er jeden­falls ein Buch aus dem Sezes­si­on-Ideen­k­os­mos wie folgt:

Jean Ras­pail, Das Heer­la­ger der Hei­li­gen, erschie­nen, wen wundert’s, in Schnell­ro­da 2015.

Der Grund für die­se lau­ni­sche Bemer­kung ist Pao­lis Beschäf­ti­gung mit Ras­pails Klas­si­ker in einem der 123 eher anar­chisch struk­tu­rier­ten Kurz­ka­pi­tel des vor­lie­gen­den Bandes.

Er führt das Heer­la­ger als „Kult­buch der Neu­en Rech­ten“ ein und dia­gnos­ti­ziert eine „angst­be­la­de­ne Ver­ar­bei­tung der Aktua­li­tät“ wie auch eine „Per­fi­die der Erzäh­lung“, die, der Leser ahnt es, Ängs­te wecke und Feind­bil­der konstruiere.

Man kann die­se Anwür­fe ers­tens selbst über­prü­fen und zwei­tens mit den bekann­ten Details zu Mas­sen­mi­gra­ti­on und Gewalt­an­stieg kon­tern. Man kann aber, drit­tens, Pao­li auch eine Dosis Pao­li ver­ab­rei­chen. Pao­li führt in einem der lesens­wer­tes­ten Kapi­tel­chen näm­lich vor, wie ding­li­che Rea­li­täts­ver­drän­gung aus­se­hen kann – indem man Greif­ba­res schlicht ver­neint. Man leug­net Fak­ten und rea­le Bege­ben­hei­ten, beschä­digt das argu­men­ta­ti­ve Gegen­über und zieht sich so aus der Affäre:

Ver­nei­ner wol­len nur Zeit gewin­nen, Reak­tio­nen so lan­ge zu ver­schie­ben, bis es für ande­re Lösun­gen zu spät ist als die, die sie parat haben.

Pao­li schränkt ein, es wer­de aber schwieriger,

Tat­sa­chen ganz zu leug­nen, die immer offen­sicht­li­cher sind.

Nun, was macht also die offen­sicht­li­che Über­frem­dung west­eu­ro­päi­scher Groß- und Mit­tel­städ­te mit Pao­lis Modell? Es bestä­tigt es inso­fern voll­um­fäng­lich, als daß hier – wie bei kaum einem zwei­ten The­ma der Tages­po­li­tik – Fak­ten geleug­net wer­den, die wirk­lich für jeden, der ratio­nal an die Migra­ti­ons­the­ma­tik her­an­tritt, offen­sicht­lich sind.

Aber auch auf die­sem Feld wol­len die „Ver­nei­ner“ des Pro­blems an sich Zeit schin­den – bis man uns vor voll­ende­te Tat­sa­chen gestellt hat und man eben nichts mehr tun kön­ne. Wäre Pao­li so ideo­lo­gie­kri­tisch, wie er sich gibt, müß­te er die Axt an sein eige­nes Welt­bild, min­des­tens in der Zuwan­de­rungs­fra­ge, legen. Daß er das nicht tut, beweist sein ätzen­der Raspail-Exkurs.

Die­se not­wen­di­ge Kri­tik soll nicht sug­ge­rie­ren, man hät­te es bei Geist und Müll aus­nahms­los mit letz­te­rem zu tun.

Pao­li, der von sei­nem Ver­lag als ehe­ma­li­ger „Haus­phi­lo­soph am Schau­spiel Leip­zig“ vor­ge­stellt wird, kennt den bun­des­deut­schen Kul­tur­be­trieb aus dem Eff­eff. So weiß er, daß dort nur jener auf För­der­gel­der hof­fen dür­fe, der „obli­ga­te Rede­wen­dun­gen“ auf­grei­fe und im Rah­men des „wach­sen­den Kon­for­mis­mus“ in „kor­rekt gegen­der­ter Spra­che, bar­rie­re­frei, divers, anti­ras­sis­tisch“ auftrete.

Neben dem links­li­be­ra­len Kul­tur­main­stream wird auch der Ver­fas­sungs­schutz atta­ckiert: Sei­ne „repres­si­ve Lächer­lich­keit“ unter­mi­nie­re das Ver­trau­en in die FDGO mehr, als es „Extre­mis­ten“ leis­ten könn­ten. Jeder „anstän­di­ge Mensch“, spitzt Pao­li zu, soll­te „ver­lan­gen, in die Radi­ka­lenkar­tei der Ver­fas­sungs­schüt­zer auf­ge­nom­men zu wer­den“. Pao­li schließt also sei­nen Band mit einer stei­len The­se. Die­se ret­tet ihn aber nicht vor Punkt­ab­zü­gen ob sei­ner selek­ti­ven Realitätswahrnehmung.

– – –

Guil­laume Pao­li: Geist und Müll. Ber­lin: Matthes & Seitz, 268 S., 22€ – hier bestel­len.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (10)

Holger

28. August 2023 14:52

Der Aufruf, zu „verlangen, in die Radikalenkartei der Verfassungsschützer aufgenommen zu werden" ist wohlfeil, wenn es sich nicht um die eigenen Existenz bzw. die seiner Familie handelt. 
Der Verlag Matthes & Seitz dürfte indes mit der Veröffentlichung dieses Buches einen Schritt näher an die Beobachtung durch den "Verfassungsschutz" geraten sein ...

Kositza: Hahahahahahaha, der war gut!

Niekisch

28. August 2023 16:15

"Jeder anständige Mensch sollte
verlangen, in die Radikalenkartei der Verfassungsschützer aufgenommen zu werden."
Da ich seit jeher unanständig bin, befinde ich mich seit September 1965 in deren Akten sowie in denen des "Staatsschutzes", in letzteren mit Profilfoto und Fingerabdrücken. Sie kennen sogar die Farbe und Konsistenz meiner Unterwäsche, fanden meinen Schreibtisch als Jurist für etwas unaufgeräumt, fragten, wo mein Notiz- und Adressbuch ist. Ich müsse doch eins besitzen. Meine Antwort, alles im Kopf zu haben, überzeugte sie nicht. Sie suchten noch 2 Stunden lang, selbst im Keller. Meine geistesgegenwärtige Frau hatte es schnell im Kamin versteckt und eine Langspielplatte davorgestellt.
 
 

Franz Bettinger

29. August 2023 13:16

@Niekisch: Sie sind köstlich. Danke. Herrliche Story! 

Laurenz

29. August 2023 18:22

@Franz Bettinger @Niekisch ..... Es ist immer wieder interessant, sich wiederholt den Lebenslauf von Ernst Niekisch https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Niekisch anzuschauen. Er kam, wie Sein Nachfolger auf der SiN, immer nur schwer mit den Herrschaftsformen in Deutschland zurecht oder vielleicht besser gesagt, die nicht wirklich mit Ihm. Als Jurist & politisch interessierten Teilnehmer haben wir Ihn alle auf der SiN kennenlernen dürfen. Ich zumindest kann kein Falsch an Niekisch finden. Obige Geschichte zeigt eher eine eklatante Schwäche des Staates. Ein Staat muß kritische Geister aushalten. Mein Hut ziehe ich vor allem vor Frau Niekisch. Es gibt nicht viele Frauen, die solche Situationen aushalten & ihre Treue bewahren.

Tageszeile

29. August 2023 19:30

Einen guten Tag gewünscht!
Teil 1
Die Grundschule beginnt bereits in der Unkenntnis des Guillaume Paoli von Großmeistern wie F.G. Jünger und seinem Werk "Die Perfektion der Technik", um nur ein Beispiel zu nennen. Es gibt sicherlich noch weitere zu erwähnen, jedoch scheint es mir eher so, dass die neuen Forinspalten, die eifrig verspritzt wurden, im Hippocampus seine zugehörigen Neuronen ausgeschaltet haben. Seine Idee, dass etwas, wenn es weg ist, auch verschwunden bleibt für immer, ist kein frisches Taschentuch wert. Ohne mich jetzt in die Mühsal einer Kritik der menschengemachten Verdummung(Klimawandel) einzulassen, kann ich doch sofort den Mythos bemühen, der einige Freunde herbeizitiert und das Zeugnis seiner Schreibmaschine widerlegt. Aber reden wir doch über seine verdrängte Tatsache, → was im Unbewussten unser aller haust (so meint er es). Etwa die Tatsache, dass der Club of Rome eine geschickte Marketingkampagne ins Rollen brachte? 

Tageszeile

29. August 2023 19:37

Teil 2
Das ist zu simpel ... meint er wirklich, dass alle Menschen (lieber Inder, Chinese, oder Muslim – auch Sie)sowie das europäische Individuum in den Fängen von Systemen gefangen sind, die ein Eigenleben entwickelt und sogar sich selbstständig gemacht haben? Meint er etwa die künstliche Intelligenz, die es überhaupt nicht gibt? Wir wissen längst, dass ein unbekanntes oder neuartiges Problem eine Maschine nie lösen kann, sie trabt auf eingegebenen Pfaden .... und am Quantencomputer höre ich John von Neumann lauthals lachen. Doch gehen  wir schnell zu unserem Meister vom Anfang: "Das Wesen der Technik ist bloßer Verzehr"! Hier muss er noch einmal in Schule gehen – darf er dann mitreden so ohne Heidegger, der auch den Besen schwingt und Kehrt?

Kurativ

29. August 2023 23:38

Ich würde gerne wissen was VS und US über mich gesammelt haben und was sie daraus für Schlüssen für sich ziehen. Auch ohne Einsicht der Unterlagen weiß ich, was sie wissen und ich habe meine Meinung über dieses erbärmliche  Schurkentum von Handy-Abhörern und PC-Eindringlingen.

Laurenz

30. August 2023 08:13

@Kurativ ... VS & US Schurkerei .... wir Kommentatoren sind völlig belanglos, solange wir keine formalen Straftaten im Wort begehen. Zur Feststellung von mehr sind die VS-Hanseln eh nicht in der Lage. Das politische Diskreditieren liegt auf einer anderen Ebene & findet nur bei Personen mit Reichweite statt.

Tageszeile

30. August 2023 09:05

@Kurativ .... Stimuliert solcher Verdacht nicht zur Kreativität? Ein sogenanntes Extra, das dadurch erzeugt wird, ist nicht jeden vergönnt. Wir können es uns in der Betrachtung einfach machen und in ein Staatssicherheitsmuseum(z.B.Leipzig) einlassen, dort diese Angelegenheit geistig potenzieren und schon hat man seine Einsicht. Oder man schaut gemeinsam in die alten Akten mit einem Vertrauten und plötzlich hören wir den Charakter der Mitarbeiter zu jeder Zeit hindurch, der sein Leben als selbstständiger, einzigartiger denkender Mensch durch seine Hingabe als politischer Vollstrecker durch seine Tätigkeit zu Züchtigung. Zwang und diverser Manipulationen verwirkt hat. Die politischen Akteure, der andere einfache Staatsdiener auf freie Geister ansetzen, um das oben genannte auszuführen, ist selbst ein Angriff – auf diese wiederum diverse geschichtstatsächliche Antworten zur Verfügung stehen. Wovor hat man Angst? Genau der Tod und hier sind wir uns einig, dass ein Sterben als Christ z. B. etwas völlig anderes ist als der von jedermanns.

Gotlandfahrer

30. August 2023 13:36

Solange ich weiß, daß ich nicht frei bin, solange gehöre ich in eine Radikalendatei. Stand heute: Ich kann nicht frei sein, bevor das amerikanische Volk frei ist. Das mag sich aber ändern.

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