Kleinschmidts knapper Essay räumt zunächst den Verdacht aus, unter den die Aufklärung die Autorität stellte, indem sie sich gegen jede Bevormundung verwahrte und zur Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit die Maxime aufstellte, »jeder solle jederzeit selber denken«.
Hier, so Kleinschmidt, stehe der »Zauber der Gegenbegriffe« (Emanzipation, Mündigkeit, Gleichstellung, Autonomie) der Autorität als einer Kraft gegenüber, der fälschlicherweise die einengenden Kategorien Gehorsam, Hierarchie und Bevormundung zugeordnet worden seien und noch immer würden.
Mit Hegel wissen wir indes explizit, daß Freiheit die Einsicht in das Notwendige sei und daß es zur Durchsetzung dieser gedeihlich gerahmten Freiheit einer »freiheitsermöglichenden Autorität« bedürfe. Kleinschmidt, dessen knapper Stil selbst auf feine Weise autoritär wirkt, läßt keinen Zweifel daran, daß er dieses preußische Verständnis von Freiheit und Autorität für reifer hält als die unausgesetzte Rebellion, die in unseren Breiten noch dazu aus Absicherung und Wohlstand heraus erfolgt, also ein Event ist und eine Fahrlässigkeit und keinesfalls eine Revolte aus verzweifelter Lage.
Es ist wichtig, daß Kleinschmidt neben die Autorität auch die Tradition als eine Größe setzt, von der man sich bedingen und zur Arbeit des Bewahrens anstiften lassen sollte. Er läßt sein Lob des Herkommens in einem apodiktischen Satz gipfeln, der ein Beleg für den bereits erwähnten autoritären Stil ist:
Jedenfalls ist Bewahrung nicht minder ein Verhalten aus Freiheit, wie Umsturz und Neuerung es sind.
Kleinschmidt begreift die Tugend des Bewahrens als Voraussetzung für Verwurzelung und Selbstbewußtsein. Von dieser Setzung aus kommt er auf das für uns Wesentliche zu sprechen, auf unsere Lage, die er natürlich nie als »unsere Lage« bezeichnet. Wohin nämlich sei es gekommen, nun, da das Lernen von Autoritäten verpönt sei und die Tradition nirgends mehr als Kompaß diene?
Die Antwort lautet: Gruppenzwang, Konformismus, Richtungslosigkeit.
Die der Zuschreibung nach »mündigen Bürger« verfielen dem »Sog der Majorität«, würden »eingepaßt ins Vokabular gutgeheißener Themen und Diskurse«, und das Ergebnis dieses moralisch aufgeladenen Gruppenzwangs sei eine der Demokratie nicht nur unwürdige, sondern für ihren Bestand brandgefährliche Herdenmentalität:
Zu ihr gehört es, mit lizenziertem Mut die zu verbellen, die unerwünschte Dinge sagen.
Wen meint Kleinschmidt, wen sieht er, wenn er über die Kläffer und die Verbellten nachdenkt? Sein Text wird nicht konkret, sondern beschreibt Pendelgesetze, die grundsätzlich wirken.
Also ist die Übertragung unsere Sache. Sie sollte uns nicht schwerfallen, wenn wir in den abschließenden Teil des Essays springen, in dem es um die Autorität in der Demokratie geht. Mit äußerster Zurückhaltung notiert Kleinschmidt, daß es zunächst darum gehe, sich von alten, ideologischen Schablonen freizumachen. Der berühmte Satz, daß weniger Autorität mehr Demokratie bedeute, sei überholt.
Es gibt die Ansicht, Autorität sollte verstanden werden als eine beherzte außerdemokratische Kraft, die bei innerdemokratischen Konflikten stabilisierend wirken kann.
Ahnen wir, welche Wucht in diesem Satz steckt, der auf Situationen gemünzt ist, »in denen die Demokratie selbst ihre Regeln verletzt«?
In unserem Parteienstaat haben sich die Parteien das Ganze unter den Nagel gerissen, also mit diesem »Ganzen« auch jene außerdemokratisch Beherzten, deren Autorität und Tradition alle wählbaren Kräfte stets an ihre Macht auf Zeit und an den ihnen zugewiesenen Platz hätten erinnern können.
Der »gesicherte Konsens der Gesinnungsethik«, in dem wir zu leben haben, kann vom Staat, dem Ganzen, nicht mehr aufgebrochen werden. Vielmehr ist er mit seinen Behörden in den antidemokratischen Konsens eingebunden worden. Es wird »charismatische Autorität« notwendig sein, um den Beutemachern das Ganze zu entreißen und es zu restaurieren. Kleinschmidt beschreibt diese besonders kräftige Form der Autorität, sieht sie kommen und warnt vor ihr: Sie könne aus dem Ruder laufen.
Aber das muß sie nicht.
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Sebastian Kleinschmidt: Lob der Autorität – hier einsehen und bestellen.
Franz Bettinger
Lieber als das Wort Autorität wäre mir der Begriff Kompetenz. Er ist distanzierter. Autorität kann man missbrauchen, Kompetenz? Eher nicht. Autoritäten haben immer wieder schwere Fehler begangen. Kompetente Menschen? Eher nicht. Es gibt vier Arten von Argumenten: das fiese ad personam (der Chauvi hat gesagt…), ad autoritatem (der Professor …), ad multitudinem (die Mehrheit der Leute glaubt…) und ad rem (das Sach-Agument). Gültig kann nur Letzteres sein, und das hat mit Kompetenz zu tun.