Kernelement jeder demokratischen Staatsform ist die Ermittlung des Volkswillens, meist in Form einer Volksbefragung. Jeder demokratischen Wahl gehen aber, wie Carl Schmitt erkannte, apodiktische Entscheidungen voraus: Was wird erfragt? Wie wird gefragt? Und vor allem: Wer wird befragt?
Das Wahlvolk ist die Basis jeder Demokratie. Ein hocheffektives Mittel, demokratische Entscheidungen zu beeinflussen, ist die Manipulation genau dieser »Abstimmungsgemeinschaft«. Einer der bekanntesten historischen Versuche ist wohl die Erweiterung des Senats durch Julius Caesar von 600 auf 900 Mitglieder. Zahlreiche Neulinge entstammten niedrigen Klassen, manche kamen sogar aus Gallien. Die neuen Wahlberechtigten sollten eine loyale Basis bilden und das Stimmgewicht der traditionellen Eliten schwächen.
Dasselbe findet heute in den Dimensionen der Massengesellschaft statt: Der Import vermeintlich loyaler migrantischer Wählerschichten ist eine wichtige politische Motivation für den Bevölkerungsaustausch. Eine Säule des Machterhalts der bestehenden Eliten sind die Erweiterung der Abstimmungsgemeinschaft und der Austausch des Wahlvolks durch die ethnische Wahl.
Das Phänomen ist der Fachwelt nicht unbekannt. 2017 erschien das Buch Dilemmas of Inclusion: Muslims in European Politics, in dem Rafaela Dancygier die ethnische Wahl wissenschaftlich untersucht. Erwähnenswert ist auch das Buch Whiteshift von Eric Kaufmann.
Bereits 1994 sah Rolf Peter Sieferle die ethnische Wahl klar voraus: »In dem Maße, wie die Einwanderungszahlen steigen, werden sich einzelne Einwanderergruppen als nationale oder kulturelle Minderheiten konstituieren, mit der logischen Folge einer Forderung nach Sonderrechten. Da das politische Gewicht einer solchen Minorität mit der Zahl ihrer Mitglieder steigt, hat sie ein Interesse daran, eine weitere Einwanderung der eigenen Volksangehörigen zu erleichtern.« (1)
Am besten läßt sich die ethnische Wahl an muslimischen Minderheiten untersuchen. Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: In England wählten 2017 85 Prozent der Muslime die linke Labour Party, und satte 70 Prozent der Muslime stimmten im Gleichklang mit anderen Minderheiten wie Asiaten (67 Prozent) und Schwarzen (74 Prozent) gegen den Brexit. Die Moschee in East London wird von Dancygier als »key power-broker« für jede Wahl gesehen. »Jeder lokale Politiker ist dazu genötigt, sich mit ihren Anführern abzustimmen und sie öffentlich sichtbar zu besuchen, wenn er auch nur eine Chance auf Wahlerfolg haben will.« (2)
In Deutschland zeigt sich das gleiche Bild. Eine Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Data4U ergab, daß 2021 44 Prozent der türkischen Migranten für die SPD, 26 Prozent für die Grünen und nur zwölf Prozent für die CDU stimmen würden. Nach einer Studie des SVR-Integrationsbarometers 2017 gaben nur 6,1 Prozent der türkischstämmigen Migranten an, für die Union zu stimmen, während sich 69,8 Prozent zur SPD bekannten.
Die AfD ist für die meisten unwählbar. Dabei ist auffällig, daß Muslime in allen westlichen Gastländern linksliberale, sozial-progressive Parteien wählen, während sie in ihrer Heimat konservative, islamisch-autoritäre Parteien unterstützen. Ihr Interesse gilt weniger dem Gemeinwohl des Gastlandes als ihrem Clan.
Rafaela Dancygier nennt die ethnische Wahl daher »clanbasiert, kandidatenzentriert und unideologisch«. Sie weist nach, daß Migranten gerade im urbanen Raum sehr einheitlich abstimmen. »Muslime wählen als Enklave, die ihre Unterstützung auf der Basis ethnoreligiöser Sippschaft wechseln kann, egal um welches Parteilogo es geht.« Das führe zu »kandidatenzentrierten Kampagnen, die ideologische Parteilinie zu einer Nebensache machen.« (3)
Migranten erwarteten von einer Partei erstens eine liberale Minderheitenpolitik, die ihre Parallelgesellschaft toleriert, in Verbindung mit einer Zensurpolitik, die »Islamophobie« unterdrückt, zweitens die Finanzierung ihrer Clanstrukturen durch staatliche Subventionen und drittens eine Migrationspolitik, die den freien Verkehr mit dem Heimatland sichert. Alle drei Faktoren tragen zum zahlenmäßigen Wachstum des ethnoreligiösen Wahlblocks durch Geburtenraten und Einwanderung bei. Mit dem demographischen steigt auch das demokratische Gewicht. Ein simpler Handel ist die Folge: Parteien geben den Migrantenclans, was sie wollen, und diese geben ihnen dafür ihre Stimmen.
Noch neigen Migranten dabei nicht zur Bildung eigener »Islamparteien«, wie sie Michel Houellebecq in Unterwerfung beschreibt. Erste Testballons wie die niederländische DENK oder die österreichische SÖZ-Partei erzielen derzeit nur in Migrantenbezirken Wahlerfolge. Diese »Islamparteien« dienen noch als Druckmittel gegen klassische Systemparteien. Die Wahloptionen für die Migranten erhöhen den »Preis«, für den sie ihre Stimme »verkaufen«.
Migrantische Wählerblöcke stellen ein einheitliches, aber wenig loyales Wählerpotential. Ihre Stimmen sind linksliberalen Parteien nicht sicher. Sobald Muslime in einem Bezirk wahlentscheidend geworden sind, wird ihr Wahlverhalten volatil. Das hängt jeweils vom »Angebot« der Partei an die lokalen Clanführer ab.
Als Verstärker wirkt es, wenn die Parteien Muslime als Kandidaten aufstellen. Dancygier schreibt: »Wie zu erwarten, stellen Rechts-Mitte-Parteien seltener muslimische Kandidaten auf. Sobald jedoch die Muslime mehr als 25 Prozent der Wahlbevölkerung stellen, verringern sich diese ideologischen Unterschiede.« »Auswahlfehler«, so die Autorin, würden schnell »rekalibriert«. Der derzeitige Premier der Tories, Rishi Sunak, ist ein Ergebnis dieser Strategie.
Auch die CDU folgt diesem Kurs: Sie geht gezielt auf Moscheeverbände zu und bekennt sich zum deutschen »Einwanderungsland«. Die Konrad-Adenauer-Stiftung verkündete Anfang 2021 in einer Studie, daß die Parteipräferenz von Muslimen für die CDU auf 50 Prozent angewachsen sei, was man aber bezweifeln darf. Nach einem erfolgreichen multikulturellen »Rebranding« ist die Union für Migranten jedenfalls wählbar geworden. Keine der etablierten Parteien hat die ethnische Wahl also für sich gepachtet.
Sicher ist nur, daß nichteuropäische muslimische Migranten selten Rechtspopulisten wählen. Ein gutes Beispiel dafür ist Frankreich. Im Jahr 2022 gaben 85 Prozent der Muslime Emmanuel Macron ihre Stimme, um Le Pen zu verhindern. Im ersten Wahlgang hatten dagegen 69 Prozent der Muslime den linksradikalen Jean-Luc Mélenchon gewählt, der offen als »Islamogauchist« (proislamischer Linker) auftritt. Obwohl Marine Le Pen diesem wirtschaftspolitisch näher steht als Macron, hatte sie keine Chance.
Kurz vor dem Urnengang setzte Macron auf eine Charmeoffensive in der Banlieue: »Macron wirbt bei Last-Minute-Besuch in der Pariser Banlieue um die muslimische Wahl«, titelte das Politico-Magazin. Dabei warnte er vor allem vor der »Gefahr des Rechtspopulismus«. Mit Erfolg: Die ethnische Wahl ist zwar flexibel und tribalistisch, niemals jedoch ein Potential für islamisierungs- und migrationskritische Parteien. Die Muslime werden auf circa zehn Prozent der französischen Stimmen geschätzt. Das heißt, daß Marine Le Pen 60 Prozent der Nichtmuslime für sich gewinnen müßte, um eine Chance zu haben! Damit wird das Wählerpotential für eine patriotische Wende von Jahr zu Jahr kleiner.
In Deutschland verkündete nach der Bundestagswahl 2021 die NGO »Citizens For Europe« stolz: »Wähler*innen mit Migrationshintergrund« seien ein »wahlentscheidender Faktor«. (4) Wir erfahren aus ihrer Studie, daß 7,9 Millionen Personen mit Migrationshintergrund bereits 13 Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland ausmachten. Darin sieht die NGO ein »Machtpotential«. In 167 von 299 Wahlkreisen entscheiden Migranten »mit ihrer Erststimme das Direktmandat für den Bundestag«.
Gleichzeitig beklagt man ein »Repräsentationsdefizit« im Bundestag. Das solle sich bald ändern, denn »Diversität gewinnt Wahlen«. Um das »erhebliche Potential« der Migrantenwähler zu erreichen, empfiehlt die NGO Parteien, sich »personell und programmatisch künftig gezielt(er) an die diverser werdende Wählerschaft« zu richten. Der Bericht wurde auf der offiziellen Netzseite der Europäischen Kommission für »Integration« präsentiert, ist dort aber mittlerweile gelöscht.
Der Anteil von rund 13 Prozent migrantischen Wählern könnte bald rasant steigen. Denn in Deutschland haben rund zehn Millionen Migranten im wahlfähigen Alter keine Staatsbürgerschaft und kein Stimmrecht. Diese Diskrepanz zwischen Wahlvolk und Bevölkerung ist eine »demographische Bombe«. In Wien sind 30 Prozent der Einwohner nicht stimmberechtigt.
Während patriotische Politik sinnvollerweise die Begrenzung des Ausländeranteils fordert, plädieren linke Initiativen für Ausländerwahlrecht und Masseneinbürgerung. In Deutschland geht es dabei um potentielle 14 Prozent migrantische Neuwähler. Die fehlende politische Einflußmöglichkeit einer wachsenden Zahl junger Männer, die oft in prekären Umständen und in bestimmten Vierteln leben, ist eine brandgefährliche Mischung.
Diese »demographische Bombe« könnte durch das Ausländerwahlrecht gezündet werden. Dem stehen derzeit noch das Verfassungsrecht und der »bürgerlich-konservative Widerstand« im Weg. Man wählt daher die weniger kontroverse Option der Masseneinbürgerung. Sie ist fester Bestandteil des Regierungsprogramms jeder »Ampel«, und Ende 2022 wurden die Weichen gestellt: Statt nach acht soll man nun nach fünf Jahren – bei »besonderen Integrationsleistungen« sogar nach drei Jahren – eingebürgert werden können. Sollten diese Regeln greifen, könnte es bei der nächsten, spätestens der übernächsten Wahl bis zu 8,7 Millionen neue, migrantische Wähler geben. Bei derzeit 60,4 Millionen Wahlberechtigten würde das eine massive, irreversible Ausweitung der Abstimmungsgemeinschaft bedeuten.
Es liegt damit auf der Hand, daß die ethnische Wahl für AfD und FPÖ ein entscheidendes Thema ist, denn wie für jede Partei ist das Ziel ihrer politischen Arbeit das Erringen parlamentarischer Mehrheiten. Der Bevölkerungsaustausch verringert die Chancen darauf. Die Rechtspopulisten stehen vor einer Wegscheide. Bereits jetzt mehren sich die Stimmen, die dafür plädieren, auch migrantische »Communities« zu umwerben. Um das Überleben der Parteien zu sichern, sollen die »inhaltlichen Hindernisse« beseitigt werden, welche die ethnischen Wähler abschrecken.
Der Weg hin zu einer »zivilnationalistischen«, postidentitären »Law and Order«-Partei ist damit vorgezeichnet. Das hieße, den ethnischen Volksbegriff aufzugeben, die Kritik an Islamisierung und Bevölkerungsaustausch einzustellen und damit das eigene Programm auf abstrakte »klassisch-liberale« Werte zu beschränken. Dazu käme die gezielte symbolische Inklusion von Migranten, mit der man, so die Hoffnung, der Rassismuskeule entgehen könne. Damit, so die Utopie einiger, meist liberaler Rechtspolitiker, würden AfD und FPÖ in der »Mitte« ankommen.
Womöglich haben sie damit recht. Doch dieser »Erfolg« hätte einen Preis: Nur die Aufgabe des programmatischen Kerns, also des Widerstands gegen den Bevölkerungsaustausch, könnte die Rechtsparteien für die ethnische Wahl attraktiv machen. Zugespitzt könnte man sagen: Für die »Rettung der Partei« würde man die »Rettung Deutschlands« opfern. Die rechtspopulistischen Parteien hätten damit ihre Aufgabe als Volksvertreter verraten und sich selbst ihrer Existenzberechtigung als Opposition zur globalistischen Bevölkerungspolitik beraubt.
Die Aufgabe einer patriotischen Opposition bleibt daher der Kampf gegen und die Bewußtseinsbildung für Bevölkerungsaustausch und ethnische Wahl. Statt sich einem von globalen Interessengruppen forcierten »demographischen Wandel« inhaltlich anzupassen, ist es ihre Aufgabe, diesen Wandel selbst zu gestalten, das heißt, die »demographische Bombe« der ethnischen Wahl durch eine Politik der Grenzsicherung und Remigration zu »entschärfen«. Einzelne assimilierte Migranten, die explizit gegen den Bevölkerungsaustausch auftreten, können und sollen Verbündete sein. Dabei ist die Adaption eines »bunten, diversen« Erscheinungsbildes aber auf jeden Fall zu vermeiden.
Was aber, wenn diese Strategie scheitert und der demographische »Kipp- Punkt« überschritten wird? Wächst das migrantische Wählerpotential weiter, wird ab einem gewissen Punkt eine kritische Masse für FPÖ und AfD eine unerreichbare Größe sein. Meiner Ansicht nach wird es dann nur eine einzige mögliche Konsequenz für die Rechtsparteien geben: Sie müßten zu ethnokulturellen Volksgruppenparteien werden, beschränkt auf Interessenpolitik für Einheimische in der Multiminoritätengesellschaft. In diesem postdemokratischen, multikulturellen Gangland wäre der Staat endgültig zur Beute geworden. Die Rechte der deutschen Volksgruppe in der Bundesrepublik zu verteidigen würde bedeuten, ebenso tribalistisch aufzutreten, wie die Migranten es jetzt schon tun.
Dies würde in letzter Konsequenz auch eine räumliche Sammlung der deutschen Minderheit nahelegen. Die Forderung nach einer deutschen Leitkultur und Remigration bliebe dabei nominell bestehen. Solange diese aber nicht umsetzbar ist, müßten nach dem »Kipp-Punkt« die Einforderung von Volksgruppenrechten, die heute anderen ethnischen Minderheiten zustehen, und die Organisation einer deutschen »ethnischen Wahl« das Zeil von FPÖ und AfD sein.
Doch so weit sind wir noch nicht. Noch bleiben viele Jahre und zahlreiche Wahlgänge, um den Bevölkerungsaustausch zu bremsen, anzuhalten und umzukehren. Die »Konvergenz der Katastrophen« (Guillaume Faye) (5) bietet ideale Bedingungen für eine Opposition, die am Status quo keine Schuld trägt. Die tickende »demographische Bombe« sollte Ansporn sein, diese Chancen zu nutzen.
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(1) – Rolf Peter Sieferle: Epochenwechsel – die Deutschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert (1994), Berlin 2017, S. 471 f.
(2) – Rafaela Dancygier: Dilemmas of Inclusion: Muslims in European Politics, Princeton 2017, S. 89.
(3) – Ebd., S. 19.
(4) – Veröffentlicht auf: www.citizensforeurope.org
(5) – Guillaume Faye: Convergence of Catastrophes, London 2012.