Hundert Jahre Ernst Nolte

von Stefan Scheil -- PDF der Druckfassung aus Sezession 112/ Februar 2023

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Wenigs­tens vom Namen her kennt in unse­ren Krei­sen fast jeder jenes Werk Ernst Nol­tes, mit dem er 1963 im Alter von vier­zig Jah­ren zu einem Star der geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Sze­ne in Deutsch­land wurde.

Es heißt Der Faschis­mus in sei­ner Epo­che, wur­de an der Uni­ver­si­tät Köln als Habi­li­ta­ti­ons­schrift ange­nom­men und mach­te sei­nen Autor für die nächs­ten zwei Jahr­zehn­te zu einer Auto­ri­tät. »Faschis­mus«, das war alles in allem bis dahin ein Begriff gewe­sen, den man als Selbst­be­zeich­nung der ita­lie­ni­schen Dik­ta­tur und in Deutsch­land als Kampf­be­griff der poli­ti­schen Lin­ken kann­te, weni­ger als Mit­tel ver­glei­chen­der wis­sen­schaft­li­cher Analyse.

Nun lebt jeder Mensch in sei­ner je eige­nen Epo­che, »in his life and times«, wie der Zusatz so man­cher Bio­gra­phie lau­tet. Ernst Nol­te ließ den Faschis­mus-Begriff für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke neu frucht­bar wer­den. Der damit ver­bun­de­ne Ruhm hat­te aller­dings, wie sich spä­ter her­aus­stel­len soll­te, auch jenen Cha­rak­ter, bei dem ein Publi­kum zustimmt, weil es in einem Auf­tritt etwas Bewe­gen­des eher fühlt, als zu durch­bli­cken, was genau dies eigent­lich ist.

Zum Inhalt von Faschis­mus in sei­ner Epo­che als Werk muß des­halb an die­ser Stel­le nicht viel gesagt wer­den. Wich­ti­ger erscheint ein Blick auf die Ent­wick­lung der Bun­des­re­pu­blik, die Nol­te in sei­ner zwei­ten Lebens­hälf­te zusetz­te und zuse­hends iso­lier­te. Dies traf einen nach­denk­li­chen bür­ger­li­chen Gelehr­ten, einen, der jede intel­lek­tu­ell ernst­ge­mein­te Gegen­re­de begrüß­te und beant­wor­te­te, egal, wo der poli­ti­sche Hin­ter­grund sei­nes Gesprächs­part­ners zu ver­or­ten war. Bereits mit die­sem Stil hat­te das in den 1960ern anbre­chen­de Zeit­al­ter von Pole­mik und Agi­ta­ti­on sei­ne Probleme.

Das Jahr 1963 unter­schied sich natür­lich in vie­len Aspek­ten von der heu­ti­gen Bun­des­re­pu­blik, gera­de auch, was die Pfle­ge des Geschichts­be­wußt­seins betraf. Zwar gab es seit Weih­nach­ten 1959 und den dama­li­gen Haken­kreuz­schmie­re­rei­en an der Köl­ner Syn­ago­ge eine ver­schärf­te Beschäf­ti­gung mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus und eine Wen­de in der soge­nann­ten poli­ti­schen Bil­dung. Was jedoch nur in Ansät­zen exis­tier­te, war – immer­hin schon fast zwei Jahr­zehn­te nach 1945 – eine wis­sen­schaft­li­che deut­sche Weltkriegsforschung.

Das lag unter ande­rem schlicht am Feh­len von Quel­len. Deut­sche Akten­be­stän­de lager­ten noch weit­ge­hend im Aus­land, fran­zö­si­sche, rus­si­sche, bri­ti­sche oder ame­ri­ka­ni­sche Doku­men­te waren für Deut­sche weit­ge­hend unzu­gäng­lich. Die wäh­rend des Krie­ges her­aus­ge­brach­ten Akten­edi­tio­nen des Aus­wär­ti­gen Amts aus Beu­te­ak­ten in War­schau und ­Paris aus den Jah­ren 1939 bis 1941 trau­te sich nie­mand mehr so recht zu zitie­ren, obwohl sie authen­tisch und unge­heu­er aus­sa­ge­kräf­tig waren. Man ging all­ge­mein von einer deut­schen Haupt­ver­ant­wor­tung für das Jahr 1939 aus, ohne genau­er nach­zu­fra­gen, und von einer Ver­ant­wor­tung des Dik­ta­tors selbst natürlich.

In die­ser geis­ti­gen Atmo­sphä­re wirk­te Ernst Nol­tes Ver­such einer intel­lek­tu­el­len Deu­tung des Faschis­mus (und damit auch des Natio­nal­so­zia­lis­mus) als eines Epo­chen­phä­no­mens befrei­end. Er hielt sich dabei von den Details staat­li­cher Ent­schei­dungs­fin­dung bewußt weit­ge­hend fern. Nol­te ist in sei­nem Schwer­punkt nie ein vor­wie­gend empi­risch arbei­ten­der His­to­ri­ker gewor­den, sei­ne Metho­de war sozu­sa­gen deduk­tiv, nicht induktiv.

Er lei­te­te sei­ne Dar­stel­lung aus phi­lo­so­phi­schen Gedan­ken­gän­gen ab und ver­such­te weni­ger, auf dem umge­kehr­ten Weg über die Ermitt­lung von Details und Fak­ten zur wei­ter­füh­ren­den Syn­the­se zu kom­men. Für das intel­lek­tu­el­le Kli­ma der bun­des­deut­schen 1960er Jah­re wirk­te das wie eine Offen­ba­rung von Zusam­men­hän­gen, die phi­lo­so­phisch »gese­hen« und her­ge­lei­tet, aber nicht im Zet­tel­kas­ten des Aus­wär­ti­gen Amts oder der Par­tei­zen­tra­le der NSDAP ermit­telt wer­den konnten.

Nol­tes Gedan­ken­gän­ge spar­ten aller­dings eines aus. Er hat spä­ter aus­drück­lich bedau­ert, auf die­sen Punkt nicht gleich ein­ge­gan­gen zu sein, aber viel­leicht war ihm das auch durch die Zeit­um­stän­de nicht mög­lich gewe­sen, und es blieb außer­halb des Radars. Den Natio­nal­so­zia­lis­mus hat­te er im Faschis­mus in sei­ner Epo­che auf das aller­schärfs­te ver­ur­teilt und des­sen Ver­bre­chen als sin­gu­lär cha­rak­te­ri­siert. Dies lie­fert selbst in der heu­ti­gen Bun­des­re­pu­blik noch sozu­sa­gen zitier­fä­hi­ge Pas­sa­gen. Den­noch riet Nol­tes intel­lek­tu­el­le Neu­gier ihm etwa zwan­zig Jah­re nach dem Erschei­nen des Buchs, auch der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob an die­sen Ver­bre­chen etwas ver­steh­bar gewe­sen sei. Nicht ver­ständ­lich wohl­ge­merkt, aber ver­steh­bar. Etwa in dem Sin­ne, wie ein Ermitt­lungs­be­am­ter die Moti­ve eines Täters zu ver­ste­hen versucht.

So ent­stan­den in den 1980er Jah­ren die Hin­ter­grün­de des soge­nann­ten His­to­ri­ker­streits aus der Fra­ge Nol­tes, ob die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Vor­stel­lun­gen vom Welt­ju­den­tum als poli­ti­scher Grö­ße nur eine halt­lo­se Spin­ne­rei gewe­sen sei­en oder ob es nicht doch auch bedeu­ten­de jüdi­sche Ein­flüs­se auf das Welt­ge­sche­hen gege­ben habe. Nol­te hat­te die Fra­ge sei­ner­zeit ganz per­sön­lich an Saul Fried­län­der gerich­tet, den 1932 in Prag in eine jüdisch­stäm­mi­ge Fami­lie gebo­re­nen und spä­ter zio­nis­tisch gepräg­ten His­to­ri­ker. Fried­län­der ver­ließ nach die­ser Fra­ge aller­dings ohne vie­le wei­te­re Wor­te Nol­tes Ber­li­ner Privatwohnung.

Das war, so Nol­te spä­ter, »sozu­sa­gen der Beginn des His­to­ri­ker­streits«, der sich dann zu einem intel­lek­tu­el­len und gesell­schaft­li­chen Ver­nich­tungs­feld­zug gegen ihn selbst und eini­ge ande­re His­to­ri­ker­kol­le­gen ent­wi­ckel­te, die mit ins Visier gera­ten waren, weil man sie eben­falls der mög­li­chen »Rela­ti­vie­rung« des Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­däch­tig­te. Geschichts­wis­sen­schaft sei »kei­ne objek­ti­ve Wis­sen­schaft«: Mit die­sen Wor­ten distan­zier­te sich bezeich­nen­der­wei­se Wolf­gang Wip­per­mann, eigent­lich ­Nol­tes Schü­ler als Dok­to­rand und Habi­li­tand. Man kön­ne Fak­ten nicht von Bewer­tun­gen tren­nen, so Wip­per­mann. Das lief für Nol­tes Geg­ner immer mehr auf die offe­ne For­de­rung hin­aus, bestimm­te Fak­ten dürf­ten eben gar nicht mehr erwähnt wer­den, weil sie unver­meid­lich eine bestimm­te Mei­nung zum Aus­druck brächten.

Aus dem wenig erforsch­ten Natio­nal­so­zia­lis­mus von 1963 war unter die­sen Vor­zei­chen schon Mit­te der 1980er Jah­re das gewor­den, was Nol­te dann in einem berühm­ten FAZ-Arti­kel als »die Ver­gan­gen­heit, die nicht ver­ge­hen will«, gekenn­zeich­net hat. Der NS-Staat stand qua­si als der nega­ti­ve Leit­stern der Repu­blik am Him­mel, an dem sich der Geist des Lan­des täg­lich zu ori­en­tie­ren hatte.

Den vor­her bestehen­den anti­to­ta­li­tä­ren Kon­sens dar­über, was in der Bun­des­re­pu­blik poli­tisch zu wol­len sei, gab es bereits nicht mehr. Im His­to­ri­ker­streit wur­de er nun offen gekün­digt. Pro­mi­nen­te Nol­te-Geg­ner wie Jür­gen Haber­mas oder Hans-Ulrich Weh­ler konn­ten sich kei­ne Distan­zie­rung vom tota­li­tä­ren Sta­li­nis­mus mehr abrin­gen. Der His­to­ri­ker­streit ver­lief trotz­dem in merk­wür­di­gen Bah­nen. Die Fra­ge, ob es auf hoher poli­ti­scher Ebe­ne so etwas wie jüdi­schen Wider­stand gegen das Drit­te Reich gege­ben habe, wur­de näm­lich von bei­den Sei­ten gar nicht offen aufgeworfen.

So blieb ein Leit­mo­tiv des Streits im Hin­ter­grund, obwohl die Fra­ge recht ein­deu­tig zu beant­wor­ten ist: Die gro­ßen inter­na­tio­na­len jüdi­schen Orga­ni­sa­tio­nen sahen selbst­ver­ständ­lich kei­nen Anlaß, sich die Anfang 1933 in Deutsch­land ein­set­zen­de anti­se­mi­ti­sche Poli­tik bie­ten zu las­sen. Sie ergrif­fen auf ver­schie­de­nen Ebe­nen Maß­nah­men dage­gen. Das ist kei­ne Fra­ge irgend­wel­cher Ver­schwö­rungs­theo­rien, es war ein poli­ti­scher Vor­gang und ledig­lich ein Teil­ele­ment des Wider­stands, den das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land inter­na­tio­nal auf sich zog, bis hin zur Bil­dung einer umfas­sen­den Kriegs­koalition, die die­sen deut­schen Staat dann besiegte.

Nol­tes aka­de­misch gemein­te Fra­ge an Saul Fried­län­der war als ein Angriff emp­fun­den wor­den, der außer­halb der Dis­ku­tier­bar­keit lag. Obwohl die Fra­ge nicht öffent­lich wie­der­holt wur­de, son­dern Nol­te sich selbst auf die Argu­men­ta­ti­on beschränk­te, der Natio­nal­so­zia­lis­mus habe bei aller »Sin­gu­la­ri­tät« im Mar­xis­mus und Sta­li­nis­mus Vor­läu­fer, die ihn beein­flußt und sei­ne Exis­tenz mög­lich gemacht hät­ten, wur­de der Fra­ge­stel­ler mit so ziem­lich allen Mit­teln bekämpft. Dazu gehör­ten Pole­mik, Ver­leum­dung und Boy­kott, auch Gewalt gegen sein Eigen­tum und gegen ihn per­sön­lich. Es zeig­te sich das Risi­ko bür­ger­li­cher Exis­tenz und aka­de­mi­scher Argu­men­ta­ti­on in einer »Epo­che« des poli­ti­sie­ren­den lin­ken Eifers. Dies wur­de sozu­sa­gen Nol­tes Schicksal.

Nol­te hat das meist mit aka­de­mi­scher Gelas­sen­heit ertra­gen, sicher auch gele­gent­lich mit Zorn. Er hat wei­te­re Wer­ke vor­ge­legt, dar­un­ter eines über die His­to­ri­sche Exis­tenz und schließ­lich die Abhand­lun­gen über den Isla­mis­mus und noch eines über die jüdi­sche Fra­ge, wenn man das mal so nen­nen will, die Spä­ten Refle­xio­nen. Dar­über gab es erneut Streit, was hier nicht ver­schwie­gen wer­den soll.

Ernst Nol­te war ein Anhän­ger der Gedan­ken­welt Mar­tin Heid­eg­gers und zugleich der Stan­dards des libe­ra­len Sys­tems, in dem er vor ein­hun­dert Jah­ren gebo­ren wur­de. Es war sein Schick­sal, daß die­ses Sys­tem zu sei­nen Leb­zei­ten star­ken Wand­lun­gen in die Illi­be­ra­li­tät unter­wor­fen war. In jedem Fall wur­den Ernst Nol­tes Leben und Werk von die­ser Epo­che der Bun­des­re­pu­blik stark geprägt. Deren Ver­wei­ge­rung von rea­lis­ti­schen Fra­ge­stel­lun­gen und offe­nen Aus­ein­an­der­set­zun­gen macht bis heu­te einen frei­en Dia­log in der Geschichts­wis­sen­schaft unmöglich.

 

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