Hundert Jahre Franz Schönhuber

von Wiggo Mann -- PDF der Druckfassung aus Sezession 112/ Februar 2023

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»Heißt der Nach­fol­ger von Franz Josef Strauß viel­leicht weder Streibl noch Wai­gel, son­dern Schön­hu­ber?« Die­se ban­ge Fra­ge stell­te der SPD-Poli­ti­ker Peter Glotz in sei­nem 1989 erschie­ne­nen Buch Die deut­sche Rech­te.

Gera­de hat­te der cha­ris­ma­ti­sche Red­ner mit sei­nen »Repu­bli­ka­nern« im Juni die­ses epo­cha­len Jah­res ein Ergeb­nis von bun­des­weit 7,1 Pro­zent bei den Euro­pa­wah­len ein­ge­fah­ren und damit die Hüter des poli­ti­schen Sta­tus quo bis ins Mark erschüt­tert. In man­chen Regio­nen Bay­erns lag die natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Par­tei dort, wo heu­te die AfD in man­chen mit­tel­deut­schen Län­dern steht, näm­lich bei über 20 Prozent.

Die Medi­en gaben sich alle Mühe, den gefürch­te­ten Volks­tri­bun als geris­se­nen, rechts­extre­mis­ti­schen Kar­rie­ris­ten zu zeich­nen, der es in sei­ner lan­gen Kar­rie­re beim Baye­ri­schen Rund­funk gelernt habe, die Men­schen zu manipulieren.

Fried­rich Karl From­me traf den Cha­rak­ter des baju­wa­ri­schen Kraft­men­schen aller­dings viel bes­ser, als er in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung vom 31. Janu­ar 1989 notier­te: »­Schön­hu­ber hat etwas von einem Aben­teu­rer; dazu gehört, daß er ehr­lich gegen sich selbst ist. Sein Lebens­weg war bunt und viel­fäl­tig.« Das ist kei­ne Über­trei­bung, wie ein Blick in sei­ne 1981 erschie­ne­ne Auto­bio­gra­fie Ich war dabei zeigt.

In ihr schil­dert der am 10. Janu­ar 1923 in Trost­berg im Chiem­gau gebo­re­ne Autor, wie sein Ehr­geiz, den beeng­ten Ver­hält­nis­sen sei­nes Eltern­hau­ses zu ent­flie­hen, ihn schließ­lich zur Waf­fen-SS brach­te. Sein Vater Xaver war ein Metz­ger­meis­ter und Vieh­händ­ler, »der aus einer Fami­lie von Korb­flech­tern, Fischern, Wirts­leu­ten und Kell­ne­rin­nen« stamm­te. Der Sohn Franz wird früh von dem drü­cken­den Gefühl ver­folgt, als gesell­schaft­li­cher Außen­sei­ter zu gel­ten. Dabei genießt er eine gute Aus­bil­dung und wird zu den »Maris­ten« in Traun­stein in ein streng katho­li­sches Inter­nat geschickt. Danach zieht die Fami­lie für eini­ge Zeit nach Dresden.

Dem ehr­gei­zi­gen Fili­us gelingt nach dem Not­abitur, das er 1942 in Mün­chen ablegt, der Ein­tritt in die »Leib­stan­dar­te SS Adolf Hit­ler«. Beim Ein­zug in die Kadet­ten­an­stalt in Ber­lin-Lich­ter­fel­de im Som­mer 1942 hat er den Ein­druck, nun end­gül­tig zur »Eli­te der Eli­te« zu gehö­ren. Wäh­rend der unbe­ding­te Korps­geist und das Feh­len von Klas­sen­schran­ken ihn beein­dru­cken, muß er wenig spä­ter wäh­rend eines Ein­sat­zes in Ost­preu­ßen mit­er­le­ben, wie ein Kame­rad wegen eines klei­nen Dieb­stahls zum Tode ver­ur­teilt und erschos­sen wird. Die Sze­ne ver­folgt ihn jah­re­lang in wie­der­keh­ren­den Alpträumen.

Erst in der Bre­ta­gne, in die er im Früh­jahr 1943 ver­legt wird, lebt er wie­der auf und ver­liebt sich in eine jun­ge Fran­zö­sin. Doch es geht wei­ter nach Kor­si­ka. Sein Auf­ent­halt auf der Insel fällt mit dem Sei­ten­wech­sel Ita­li­ens zu den Alli­ier­ten zusam­men. Schön­hu­ber wird mit den eins­ti­gen Ver­bün­de­ten in schwe­re Gefech­te ­ver­wi­ckelt und mit dem Eiser­nen Kreuz zwei­ter Klas­se ausgezeichnet.

Er ist nun für einen Ein­satz zur Par­ti­sa­nen­be­kämp­fung auf dem Bal­kan vor­ge­se­hen, vor dem ihn die Gelb­sucht bewahrt. Statt des­sen wird er als Aus­bil­der und Dol­met­scher zur fran­zö­si­schen Waf­fen-SS-Ein­heit »Char­le­ma­gne« ver­setzt, die im Herbst 1944 auf dem Trup­pen­übungs­platz Wild­fle­cken in der Rhön zur Divi­si­on auf­ge­stockt wird. »Wild­fle­cken war für mich, wenn man über­haupt von Glück reden kann, die glück­lichs­te Zeit in die­sem Krieg«, erin­nert er sich spä­ter in Ich war dabei.

Er lernt Idea­lis­ten ken­nen, die von den demo­kra­ti­schen Tra­di­tio­nen ihres Hei­mat­lan­des geprägt sind und sich häu­fig sowohl als Chris­ten wie auch Sozia­lis­ten ver­ste­hen. In die­ser Zeit wird der jun­ge SS-Offi­zier zum über­zeug­ten Pan­eu­ro­pä­er – eine Hal­tung, die er nie mehr wie­der able­gen wird. Noch der spä­te­re Par­tei­vor­sit­zen­de erstaunt sei­ne Gesprächs­part­ner mit dem Bekennt­nis, daß ihm Napo­le­on näher­ste­he als des­sen dama­li­ge natio­na­lis­ti­sche Geg­ner. Nach einem Lehr­gang an der Jun­ker­schu­le in Prag sowie Ein­sät­zen zur Ver­tei­di­gung Ber­lins an der Oder und in Meck­len­burg Ende April 1945 ist der Krieg für ihn vor­bei. Er gerät in Schles­wig-Hol­stein in bri­ti­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft und wird in sei­nem Spruch­kam­mer­ver­fah­ren als Mit­läu­fer eingestuft.

Die Welt war­tet damals trotz­dem nicht gera­de auf einen jun­gen ehe­ma­li­gen Waf­fen-SS-Mann, der sich immer stär­ker zum Bohe­mi­en ent­wi­ckelt. Bei Karls­ha­fen an der Weser schließt er sich einem Wan­der­thea­ter an, das durch die nord­deut­schen Gast­hö­fe tin­gelt. Er flüch­tet sich in den »Rausch der Illu­sio­nen«, muß sich aber ein­ge­ste­hen, daß er nicht der ganz gro­ße Schau­spie­ler ist.

Er kehrt in sei­ne Hei­mat zurück und erhält in Mün­chen als Sport­re­por­ter ers­te Auf­trä­ge vom Baye­ri­schen Rund­funk und von der kom­mu­nis­tisch finan­zier­ten Deut­schen Woche. Für die­se nimmt er auch an den Welt­ju­gend­spie­len in Buka­rest 1953 teil. Die Begeg­nung mit dem real exis­tie­ren­den Sozia­lis­mus des­il­lu­sio­niert ihn. Er sieht, wie das Volk hun­gert, wäh­rend Funk­tio­nä­re und sym­pa­thi­sie­ren­de west­li­che Intel­lek­tu­el­le es sich gut­ge­hen las­sen. Zwei Jah­re spä­ter hei­ra­tet er in Buda­pest unter einem Sta­lin-Bild eine jüdisch­stäm­mi­ge Unga­rin, die er bei einer sei­ner Rei­sen in den Ost­block ken­nen­ge­lernt hatte.

Obwohl bald ein Kind kommt, läßt sich Schön­hu­ber trei­ben und denkt über eine Aus­wan­de­rung nach Bra­si­li­en nach. Die Ehe geht zu Bruch. Erst als er 1964 die Rechts­an­wäl­tin und SPD-Stadt­rä­tin Ingrid Feuch­ten­ber­ger hei­ra­tet, faßt er im bür­ger­li­chen All­tag Fuß. Jetzt macht er schnell Kar­rie­re. Er wird 1969 Chef­re­dak­teur der Mün­che­ner Bou­le­vard­zei­tung tz und ein Jahr spä­ter Kolum­nist der Mün­che­ner Abend­zei­tung.

Schön­hu­ber gilt damals als Sym­pa­thi­sant der Jung­so­zia­lis­ten und Kri­ti­ker des kon­ser­va­ti­ven Mün­che­ner SPD-Ober­bür­ger­meis­ters Hans-Jochen Vogel. Sei­ne anti­li­be­ra­len Affek­te füh­ren ihn in den sieb­zi­ger Jah­ren in den logen­ar­ti­gen Fran­zens­club im Umfeld des baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Franz Josef Strauß. Das ist sei­ner Kar­rie­re beim Baye­ri­schen Rund­funk natür­lich nicht abträg­lich, wo er es bis zum stell­ver­tre­ten­den Chef­re­dak­teur bringt. Die größ­ten Erfol­ge fei­ert er als Mode­ra­tor der bis heu­te bestehen­den Wirts­h­aus­dis­kus­si­on »Jetzt red i«, in der Poli­ti­ker den Bür­gern Rede und Ant­wort ste­hen müs­sen. Es gibt kaum einen Bay­ern, der die Sen­dung nicht kennt.

Schön­hu­ber befin­det sich auf dem Zenit sei­ner Kar­rie­re, und es gilt nur noch als eine Fra­ge der Zeit, bis er es zum Inten­dan­ten brin­gen wird. Doch der einst heiß­ersehn­te gesell­schaft­li­che Erfolg macht ihn viel weni­ger glück­lich, als er sich das ursprüng­lich vor­ge­stellt hat.

Er hat ein schlech­tes Gewis­sen, als er wäh­rend eines Frank­reich­auf­ent­halts zufäl­lig ­einem alten Kame­ra­den der »Char­le­ma­gne« begeg­net. Müß­te er nicht etwas zu der zuneh­men­den pau­scha­len Dämo­ni­sie­rung der Waf­fen-SS sagen? Der pro­mi­nen­te Fern­seh­mann ist fast erleich­tert, als im Dezem­ber 1979 ein anony­mer Denun­zi­ant Brie­fe in Umlauf bringt, die sich mit sei­ner Ver­gan­gen­heit im Drit­ten Reich beschäf­ti­gen. Jetzt kann er end­lich die Flucht nach vor­ne antre­ten und sich umfas­send erklären.

Als ein gutes Jahr spä­ter Ich war dabei im Lan­gen ­Mül­ler Ver­lag von Her­bert Fleiss­ner erscheint, ist die Pres­se in Mün­chen – tz, Münch­ner Mer­kur und die Mün­che­ner katho­li­sche Kir­chen­zei­tung – begeis­tert. Die gro­ße Ehr­lich­keit der Dar­stel­lung wird gelobt. Erst als Haug von Kuen­heim meh­re­re Mona­te spä­ter in der Zeit von einem »stin­ken­den Rülp­ser« spricht, geht die Hetz­jagd los. Franz Josef Strauß und der BR-Inten­dant Rein­hold Vöth las­sen ihn nun rela­tiv schnell fallen.

Im Rück­blick hat Franz Schön­hu­ber sei­ne Kün­di­gung durch den Baye­ri­schen Rund­funk aller­dings als glück­li­che Fügung des Schick­sals ange­se­hen. So kann er 1983 an der Grün­dung der »Repu­bli­ka­ner« teil­neh­men, zwei Jah­re spä­ter zum Par­tei­vor­sit­zen­den gewählt wer­den und im Som­mer 1989 schließ­lich der Mann wer­den, »der als ers­ter die ande­re Mau­er, die aus Kau­tschuk« (so Armin Moh­ler), durch­bricht, indem er zum ersten­mal eine Rechts­par­tei bei einer bun­des­wei­ten Wahl über die Fünf­pro­zent­hür­de führt.

Para­do­xer­wei­se ist es wohl die Wie­der­ver­ei­ni­gung, die sei­ner Bewe­gung den Wind auch wie­der aus den Segeln nimmt, da sich die Wäh­ler zurück unter die Fit­ti­che von Hel­mut Kohl flüch­ten. Oder war es umge­kehrt? Armin Moh­ler war sich jeden­falls sicher, daß Schön­hu­bers zeit­wei­li­ger Erfolg eine der not­wen­di­gen Bedin­gun­gen für die Wie­der­ver­ei­ni­gung dar­stell­te. Ohne die­se »Gefahr von rechts« hät­te Hel­mut Kohl »die Pink-Frak­ti­on in sei­ner Par­tei« nicht aus­schal­ten kön­nen, wie der Schwei­zer Ideen­ge­schicht­ler 1990 an Josef Isen­see schrieb.

Nach Jah­ren der inner­par­tei­li­chen Gra­ben­kämp­fe ver­liert Schön­hu­ber 1994 dann end­gül­tig den Par­tei­vor­sitz. Am 27. Novem­ber 2005 ver­stirbt er in Mün­chen, nach­dem er kurz zuvor bei der Bun­des­tags­wahl in einem Dresd­ner Wahl­kreis noch für die NPD kan­di­diert hat­te. Sein größ­tes Ver­mächt­nis sind sei­ne Bücher, in denen er als unbe­stech­li­cher Zeit­zeu­ge »die NS-Fal­scher­zo­ge­nen, die US-Umer­zo­ge­nen und die BRD-Ver­zo­ge­nen« (so Schön­hu­ber in Trotz allem Deutsch­land) ana­ly­siert, dabei aber – ganz im Gegen­satz zu sei­nen oft haßer­füll­ten Geg­nern – immer ver­söhn­lich bleibt.

 

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