»Heißt der Nachfolger von Franz Josef Strauß vielleicht weder Streibl noch Waigel, sondern Schönhuber?« Diese bange Frage stellte der SPD-Politiker Peter Glotz in seinem 1989 erschienenen Buch Die deutsche Rechte.
Gerade hatte der charismatische Redner mit seinen »Republikanern« im Juni dieses epochalen Jahres ein Ergebnis von bundesweit 7,1 Prozent bei den Europawahlen eingefahren und damit die Hüter des politischen Status quo bis ins Mark erschüttert. In manchen Regionen Bayerns lag die nationalkonservative Partei dort, wo heute die AfD in manchen mitteldeutschen Ländern steht, nämlich bei über 20 Prozent.
Die Medien gaben sich alle Mühe, den gefürchteten Volkstribun als gerissenen, rechtsextremistischen Karrieristen zu zeichnen, der es in seiner langen Karriere beim Bayerischen Rundfunk gelernt habe, die Menschen zu manipulieren.
Friedrich Karl Fromme traf den Charakter des bajuwarischen Kraftmenschen allerdings viel besser, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Januar 1989 notierte: »Schönhuber hat etwas von einem Abenteurer; dazu gehört, daß er ehrlich gegen sich selbst ist. Sein Lebensweg war bunt und vielfältig.« Das ist keine Übertreibung, wie ein Blick in seine 1981 erschienene Autobiografie Ich war dabei zeigt.
In ihr schildert der am 10. Januar 1923 in Trostberg im Chiemgau geborene Autor, wie sein Ehrgeiz, den beengten Verhältnissen seines Elternhauses zu entfliehen, ihn schließlich zur Waffen-SS brachte. Sein Vater Xaver war ein Metzgermeister und Viehhändler, »der aus einer Familie von Korbflechtern, Fischern, Wirtsleuten und Kellnerinnen« stammte. Der Sohn Franz wird früh von dem drückenden Gefühl verfolgt, als gesellschaftlicher Außenseiter zu gelten. Dabei genießt er eine gute Ausbildung und wird zu den »Maristen« in Traunstein in ein streng katholisches Internat geschickt. Danach zieht die Familie für einige Zeit nach Dresden.
Dem ehrgeizigen Filius gelingt nach dem Notabitur, das er 1942 in München ablegt, der Eintritt in die »Leibstandarte SS Adolf Hitler«. Beim Einzug in die Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde im Sommer 1942 hat er den Eindruck, nun endgültig zur »Elite der Elite« zu gehören. Während der unbedingte Korpsgeist und das Fehlen von Klassenschranken ihn beeindrucken, muß er wenig später während eines Einsatzes in Ostpreußen miterleben, wie ein Kamerad wegen eines kleinen Diebstahls zum Tode verurteilt und erschossen wird. Die Szene verfolgt ihn jahrelang in wiederkehrenden Alpträumen.
Erst in der Bretagne, in die er im Frühjahr 1943 verlegt wird, lebt er wieder auf und verliebt sich in eine junge Französin. Doch es geht weiter nach Korsika. Sein Aufenthalt auf der Insel fällt mit dem Seitenwechsel Italiens zu den Alliierten zusammen. Schönhuber wird mit den einstigen Verbündeten in schwere Gefechte verwickelt und mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet.
Er ist nun für einen Einsatz zur Partisanenbekämpfung auf dem Balkan vorgesehen, vor dem ihn die Gelbsucht bewahrt. Statt dessen wird er als Ausbilder und Dolmetscher zur französischen Waffen-SS-Einheit »Charlemagne« versetzt, die im Herbst 1944 auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken in der Rhön zur Division aufgestockt wird. »Wildflecken war für mich, wenn man überhaupt von Glück reden kann, die glücklichste Zeit in diesem Krieg«, erinnert er sich später in Ich war dabei.
Er lernt Idealisten kennen, die von den demokratischen Traditionen ihres Heimatlandes geprägt sind und sich häufig sowohl als Christen wie auch Sozialisten verstehen. In dieser Zeit wird der junge SS-Offizier zum überzeugten Paneuropäer – eine Haltung, die er nie mehr wieder ablegen wird. Noch der spätere Parteivorsitzende erstaunt seine Gesprächspartner mit dem Bekenntnis, daß ihm Napoleon näherstehe als dessen damalige nationalistische Gegner. Nach einem Lehrgang an der Junkerschule in Prag sowie Einsätzen zur Verteidigung Berlins an der Oder und in Mecklenburg Ende April 1945 ist der Krieg für ihn vorbei. Er gerät in Schleswig-Holstein in britische Kriegsgefangenschaft und wird in seinem Spruchkammerverfahren als Mitläufer eingestuft.
Die Welt wartet damals trotzdem nicht gerade auf einen jungen ehemaligen Waffen-SS-Mann, der sich immer stärker zum Bohemien entwickelt. Bei Karlshafen an der Weser schließt er sich einem Wandertheater an, das durch die norddeutschen Gasthöfe tingelt. Er flüchtet sich in den »Rausch der Illusionen«, muß sich aber eingestehen, daß er nicht der ganz große Schauspieler ist.
Er kehrt in seine Heimat zurück und erhält in München als Sportreporter erste Aufträge vom Bayerischen Rundfunk und von der kommunistisch finanzierten Deutschen Woche. Für diese nimmt er auch an den Weltjugendspielen in Bukarest 1953 teil. Die Begegnung mit dem real existierenden Sozialismus desillusioniert ihn. Er sieht, wie das Volk hungert, während Funktionäre und sympathisierende westliche Intellektuelle es sich gutgehen lassen. Zwei Jahre später heiratet er in Budapest unter einem Stalin-Bild eine jüdischstämmige Ungarin, die er bei einer seiner Reisen in den Ostblock kennengelernt hatte.
Obwohl bald ein Kind kommt, läßt sich Schönhuber treiben und denkt über eine Auswanderung nach Brasilien nach. Die Ehe geht zu Bruch. Erst als er 1964 die Rechtsanwältin und SPD-Stadträtin Ingrid Feuchtenberger heiratet, faßt er im bürgerlichen Alltag Fuß. Jetzt macht er schnell Karriere. Er wird 1969 Chefredakteur der Münchener Boulevardzeitung tz und ein Jahr später Kolumnist der Münchener Abendzeitung.
Schönhuber gilt damals als Sympathisant der Jungsozialisten und Kritiker des konservativen Münchener SPD-Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel. Seine antiliberalen Affekte führen ihn in den siebziger Jahren in den logenartigen Franzensclub im Umfeld des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Das ist seiner Karriere beim Bayerischen Rundfunk natürlich nicht abträglich, wo er es bis zum stellvertretenden Chefredakteur bringt. Die größten Erfolge feiert er als Moderator der bis heute bestehenden Wirtshausdiskussion »Jetzt red i«, in der Politiker den Bürgern Rede und Antwort stehen müssen. Es gibt kaum einen Bayern, der die Sendung nicht kennt.
Schönhuber befindet sich auf dem Zenit seiner Karriere, und es gilt nur noch als eine Frage der Zeit, bis er es zum Intendanten bringen wird. Doch der einst heißersehnte gesellschaftliche Erfolg macht ihn viel weniger glücklich, als er sich das ursprünglich vorgestellt hat.
Er hat ein schlechtes Gewissen, als er während eines Frankreichaufenthalts zufällig einem alten Kameraden der »Charlemagne« begegnet. Müßte er nicht etwas zu der zunehmenden pauschalen Dämonisierung der Waffen-SS sagen? Der prominente Fernsehmann ist fast erleichtert, als im Dezember 1979 ein anonymer Denunziant Briefe in Umlauf bringt, die sich mit seiner Vergangenheit im Dritten Reich beschäftigen. Jetzt kann er endlich die Flucht nach vorne antreten und sich umfassend erklären.
Als ein gutes Jahr später Ich war dabei im Langen Müller Verlag von Herbert Fleissner erscheint, ist die Presse in München – tz, Münchner Merkur und die Münchener katholische Kirchenzeitung – begeistert. Die große Ehrlichkeit der Darstellung wird gelobt. Erst als Haug von Kuenheim mehrere Monate später in der Zeit von einem »stinkenden Rülpser« spricht, geht die Hetzjagd los. Franz Josef Strauß und der BR-Intendant Reinhold Vöth lassen ihn nun relativ schnell fallen.
Im Rückblick hat Franz Schönhuber seine Kündigung durch den Bayerischen Rundfunk allerdings als glückliche Fügung des Schicksals angesehen. So kann er 1983 an der Gründung der »Republikaner« teilnehmen, zwei Jahre später zum Parteivorsitzenden gewählt werden und im Sommer 1989 schließlich der Mann werden, »der als erster die andere Mauer, die aus Kautschuk« (so Armin Mohler), durchbricht, indem er zum erstenmal eine Rechtspartei bei einer bundesweiten Wahl über die Fünfprozenthürde führt.
Paradoxerweise ist es wohl die Wiedervereinigung, die seiner Bewegung den Wind auch wieder aus den Segeln nimmt, da sich die Wähler zurück unter die Fittiche von Helmut Kohl flüchten. Oder war es umgekehrt? Armin Mohler war sich jedenfalls sicher, daß Schönhubers zeitweiliger Erfolg eine der notwendigen Bedingungen für die Wiedervereinigung darstellte. Ohne diese »Gefahr von rechts« hätte Helmut Kohl »die Pink-Fraktion in seiner Partei« nicht ausschalten können, wie der Schweizer Ideengeschichtler 1990 an Josef Isensee schrieb.
Nach Jahren der innerparteilichen Grabenkämpfe verliert Schönhuber 1994 dann endgültig den Parteivorsitz. Am 27. November 2005 verstirbt er in München, nachdem er kurz zuvor bei der Bundestagswahl in einem Dresdner Wahlkreis noch für die NPD kandidiert hatte. Sein größtes Vermächtnis sind seine Bücher, in denen er als unbestechlicher Zeitzeuge »die NS-Falscherzogenen, die US-Umerzogenen und die BRD-Verzogenen« (so Schönhuber in Trotz allem Deutschland) analysiert, dabei aber – ganz im Gegensatz zu seinen oft haßerfüllten Gegnern – immer versöhnlich bleibt.