Stefan Schulz: Die Altenrepublik

 Der »Gebär«- und »Zeugungstreik« unserer Lands­leute hat zuletzt 2005/06 ein breites Echo gefunden.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Damals ver­öf­fent­lich­te der Bevöl­ke­rungs­wis­sen­schaft­ler Her­wig Birg in der FAZ einen »Grund­kurs Demo­gra­phie«. Bas­so con­ti­nuo: Es sei heu­te bereits »fünf nach zwölf«, da sich seit Jahr­zehn­ten ein deut­sches Paar quan­ti­ta­tiv nicht mal selbst repro­du­zie­re. Dazu wäre eine durch­schnitt­li­che Kin­der­zahl von 2,1 nötig. Das schaf­fen wir nicht. Wir lie­gen bei unter 1,6 Gebur­ten. Deutsch natür­lich in Anfüh­rungs­zei­chen. Die zuge­wan­der­ten Neu­deut­schen heben den Schnitt.

Was macht nun Ste­fan Schulz (*1983), Jour­na­list und erfolg­rei­cher Pod­cas­ter, dar­aus? Er beginnt lus­tig. Hat­te über­legt, sein Buch Opa­ka­lyp­se now oder Omaged­don zu beti­teln. Das wär’s! Aber schnell wird es ernst. Die Zah­len sind dras­tisch. Bei­spie­le: Der Geburts­jahr­gang 1964: 1,4 Mil­lio­nen Neu­ge­bo­re­ne. Schwenk auf den Jahr­gang 2011: 743 000 Gebur­ten. Ab 2023 (dies ist der offi­zi­el­le Buch­an­laß) gehen die soge­nann­ten Baby­boo­mer in Ren­te. Die­se Kohor­te umfaßt rund 18 Mil­lio­nen Bür­ger. Im sel­ben Zeit­raum wer­den aber nur elf Mil­lio­nen Leu­te ihren 18. Geburts­tag fei­ern. Die resul­tie­ren­de Unwucht ist bestechend klar.

1990 lag das Durch­schnitts­al­ter in Deutsch­land bei 38 Jah­ren. Heu­te ist der Durch­schnitts­deut­sche 46 Jah­re alt. Nach Japan sind wir das zweit­äl­tes­te Land der Welt. Die­ser Ten­denz ste­he die Ein­wan­de­rung als Jung­brun­nen ent­ge­gen: 55,5 Pro­zent der zwi­schen 2010 und 2919 Zuge­wan­der­ten waren jün­ger als dreißig!

Afri­ka hat heu­te eine Bevöl­ke­rung von 1,4 Mil­li­ar­den, 2100 dürf­ten es 4,5 Mil­li­ar­den sein. Die drän­gen wohin? Und wei­ter: Ab 2035 wird es (zumal in den ost­deut­schen Län­dern!) mehr Pfle­ge­be­dürf­ti­ge geben als Men­schen unter­halb von drei­ßig Jah­ren. Laut Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler Bernd Raf­fel­hü­schen wird es ab dann dop­pelt so vie­le Rent­ner geben wie heute.

Bereits im Jahr 2020 stan­den 253 Mil­li­ar­den Euro Ren­ten­bei­trä­ge 338 Mil­li­ar­den Euro Aus­ga­ben gegen­über. Bei glei­cher Finan­zie­rung wür­de ab 2060 die Hälf­te des gesam­ten Bun­des­haus­halts in die Ren­te flie­ßen. Und: In heu­ti­gen Wahl­kampf­kal­ku­la­tio­nen spie­len die Jun­gen kei­ne Rol­le: »Es gibt sechs­mal mehr Wähler*innen über 50 als sol­che unter 30 Jah­ren. Kurz­fris­ti­ge Mathe­ma­tik schlägt lang­fris­ti­ge Kon­se­quenz.« Schulz rech­net auch vor, daß es bereits mehr pen­sio­nier­te Beam­te gibt als arbei­ten­de. Drin­gen­der Änderungsbedarf!

Der Autor hat uns hier uner­müd­lich Fak­ten, Zah­len und Stim­mun­gen ver­sam­melt. Man kann sagen, er hat die soge­nann­te Pres­se­land­schaft zwi­schen 2016 und heu­te aus­ge­wer­tet oder wenigs­tens »ein­ge­bracht«. Das ist lobens­wert, aber vor allem ist es dies: eine Fleiß­ar­beit. Nach den ers­ten bei­den (anre­gen­den) von sie­ben Kapi­teln wird das als Man­ko deutlich.

Schulz wirft zunächst gute Fra­gen auf: Wirt­schafts­wachs­tum? Wie denn und war­um? Ist Schrump­fen nicht zwangs­läu­fig? Gibt es eine »Umvol­kung« wie von »rechts« geunkt? (Schulz zu den ent­spre­chen­den Berech­nun­gen: »Die­se Zah­len ent­spre­chen der Rea­li­tät«, kehrt sie im Ver­lauf aber unter den Tisch.) Daß Schulz in sei­nem brei­ten Lite­ra­tur­ver­zeich­nis zahl­rei­che Links zu Bun­des­be­hör­den und Zeit­geist­me­di­en auf­führt, Stan­dard­wer­ke der renom­mier­ten Bevöl­ke­rungs­wis­sen­schaft­ler (hor­ri­ble dic­tu!) Josef Schmid und ­Her­wig Birg nicht mal rezi­piert, spricht Bände.

Inso­fern ist man froh über Fund­stü­cke, von denen zwei her­aus­ge­ho­ben gehö­ren. Ers­tens die Per­so­na­lie Ernst Fehr. Es geht hier um das »Öko­no­men­ran­king« der FAZ. Die Plät­ze bis Rang sie­ben (etwa die pro­mi­nen­ten Mar­cel Fratz­scher, Hans-Wer­ner Sinn, Clau­dia Kem­fert) erhiel­ten von den Exper­ten zwi­schen 17 und 66 »Punk­te«. Aber wer lan­de­te unan­ge­foch­ten mit 500 Punk­ten (!) auf Platz eins? Der dem Publi­kum unbe­kann­te Fehr.

Er hat das Feld des »Ver­trau­ens« inner­halb von wirt­schaft­li­chen Trans­ak­tio­nen unter­sucht – ein wesent­li­cher Len­kungs­fak­tor in der altern­den Mas­sen­ge­sell­schaft. Die angeb­lich »wer­be­re­le­van­te Ziel­grup­pe« zwi­schen 14 und 49 Jah­ren ist seit 2001 von 41 auf 35 Mil­lio­nen geschrumpft. Das wirkt sich auf die Wer­be­bil­der aus: »Dann stürzt nicht mehr der fit­te Rad­fah­rer, son­dern die Schwie­ger­mut­ter beim mor­gend­li­chen Duschen.«

Der zwei­te Tref­fer von Schulz fin­det sich eben­falls im ers­ten Buch­vier­tel: Er brand­markt die Aus­wir­kun­gen der digi­ta­len Sphä­re. Die näm­lich (laut Schulz auf 2008 datie­rend, den Beginn der Alten­re­pu­blik) bedeu­te­te einen Rück­zug der Jun­gen aus der ers­ten in die zwei­te, nicht­ana­lo­ge Welt. »Seit 2008 fällt die Gesell­schaft anhand ihrer Eigen­tums­ver­tei­lung aus­ein­an­der. Schaut man auf die poli­ti­schen Geschichts­bü­cher, bleibt die­se Ent­wick­lung uner­zählt.« Unse­re Digi­tal nati­ves tan­giert das ech­te Gesche­hen kaum. Sie nei­gen deut­lich mehr zu Depres­sio­nen und Suizidalität.

Schulz unter­zieht die Ren­ten­pro­gram­me sämt­li­cher grö­ße­rer Par­tei­en einer Über­prü­fung. Der Leser darf raten, wel­che Par­tei bei die­ser Betrach­tung fehlt. Der Name beginnt mit A. Was für ein Zufall!

Hier hat ein Autor einen guten Anlauf genom­men, ist ordent­lich abge­sprun­gen und hat dann auf dem Weg sein Ziel ver­fehlt. Das Gan­ze hat etwas von einer gelen­ki­gen Aus­gleichs­be­we­gung. Ange­strebt wird unterm Strich eine Gebur­ten­ra­te von 1,8 wie in Däne­mark. Eine glat­te Drei.

– –

Ste­fan Schulz: Die Alten­re­pu­blik. Wie der ­demo­gra­phi­sche Wan­del unse­re Zukunft ­gefähr­det, Ham­burg: Hoff­mann und Cam­pe 2022. 223 S., 23 €

 

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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