Adrian Daub: Cancel Culture Transfer

Der Erwerb dieses Buches beruhte auf einem Mißverständnis. Ungefähr: Ah, sogar bei Suhrkamp haben sie also begriffen, daß »Cancel Culture« (im folgenden: CC) aus einer moralischen Panik resultiert?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ha, wie naiv. Gleich der Klap­pen­text belehrt den Leser eines Bes­se­ren: »Der Kampf gegen CC mag sich als Speer­spit­ze eines wehr­haf­ten Libe­ra­lis­mus ver­ste­hen. In Wahr­heit ist er Teil des Back­lash, der die Demo­kra­tie über­haupt erst bedroht.« Ver­stan­den! Es tut sich also ein unre­gel­mä­ßi­ges Drei­eck auf: hier die Rech­ten, da die Libe­ra­len, dort die Woken / Lin­ken. Inter­es­san­ter­wei­se lägen gemäß die­ser Betrach­tung die Win­kel des libe­ra­len und des illi­be­ra­len (= rech­ten) Punk­tes viel enger bei­ein­an­der, als sie das ver­gleichs­wei­se zum lin­ken und woken Stand­punkt tun.

Autor Adri­an Daub (gebo­ren 1980 in Köln, heu­te in Stan­ford leh­rend) geht davon aus, daß die Rede über CC aus einer mora­li­schen Panik rüh­re. Von »Panik« zu spre­chen ist dabei ähn­lich sinis­ter und unscharf wie die Rede von (Trans‑, Xeno- etc.) Pho­bie. Sowe­nig, wie Kri­ti­ker von Zuwan­de­rung nor­ma­ler­wei­se Furcht und ­Schre­cken (»phob«) gegen­über Frem­den emp­fin­den, sowe­nig »panisch« arti­ku­lie­ren sich die­je­ni­gen, die eine CC anprangern.

Daub ver­sucht nicht mal, eine sol­che Panik nach­zu­wei­sen. Panik ist für ihn bereits, dar­über zu ver­han­deln. Heißt, panisch ist er selbst. Im Wort­laut: »Die Panik fängt an, wenn die bestehen­den gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se umge­dreht wer­den: wenn trans­gen­der Stu­die­ren­de, die in den Medi­en nie zu Wort kom­men, zur ›Trans­lob­by‹ erklärt wer­den, wäh­rend Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te, Präsident:innen, Milliardär:innen […] als macht­lo­se Opfer gel­ten; wenn aus Lap­pa­li­en maxi­ma­le Dia­gno­sen abge­lei­tet wer­den; wenn angeb­lich neu auf­zie­hen­de Gefah­ren aus jahr­zehn­te­al­ten Zwi­schen­fäl­len fest­ge­macht werden […].«

Bereits hier, auf Sei­te 29, möch­te man den Herrn Pro­fes­sor rüt­teln und fra­gen: Hal­lo? Kön­nen Sie bit­te wenigs­tens ein­mal Roß und Rei­ter nen­nen? Oder behaup­ten Sie nur?

Aber genau dies – letz­te­res – tut Daub per­ma­nent in sei­ner wich­tig­tu­en­den Suhr­kamp­schrift. Nach sei­ner Les­art drischt die Medi­en­eli­te aus­ge­rech­net auf »die Trans­lob­by« ein – und nicht etwa auf ech­te Out­laws wie die AfD-Klientel.

Sein Trumpf: Die Rede über CC sei nur die Fort­set­zung des Dis­kur­ses über Poli­ti­cal Cor­rect­ness – und er, Daub, hat’s gemerkt! Er zählt (x‑fach) auf, wie oft CC bejam­mert wer­de. Und wie »selek­tiv« und »par­ti­ell« dabei argu­men­tiert wer­de! Für Daub (das ist im Ernst sein Haupt­ar­gu­ment) sind sämt­li­che Bei­spie­le für CC nur allein­ste­hen­de, unbe­wie­se­ne Anek­do­ten. »Mikro­sko­pisch klei­ne Kon­tex­te« wür­den hier »auf­ge­bläht«. De fac­to gibt es natür­lich Hun­der­te Fäl­le allein in Deutsch­land, wo abwei­chen­de Stim­men »gecan­celt« wur­den – von der Auf­tritts­ab­sa­ge über die Nicht­nen­nung (bei­spiels­wei­se in Best­sel­ler­lis­ten) bis hin zur Job-Kündigung.

»Es gibt sol­che Fäl­le. Aber sind sie der Rede wert?« Nein, aus­ge­stri­chen, getilgt, sus­pen­diert wer­de heu­te kaum einer. Oder nur der, der es echt ver­die­ne. Daub »weist nach«: Es gebe in den USA ein hal­bes Dut­zend Online­da­ten­ban­ken, die CC doku­men­tier­ten. Aber »nur 387 Fäl­le« kämen in mehr als einer die­ser Lis­ten vor! Für Daub ein schla­gen­der Beweis, daß CC ein Phan­tom sei.

Daub, in einer typisch neun­mal­klu­gen Sen­tenz: »Die Angst vor CC ist #Metoo für Men­schen, die Angst vor #Metoo haben.« Und: »Ich [»ich« spielt hier eine Haupt­rol­le; EK] möch­te dem Dis­kurs sei­ne Geschich­te zurück­ge­ben.« Daub strickt sich hier sei­ne eige­ne Fama als Ret­ter der eigent­lich Unter­drück­ten (oh, er kennt als Bru­der im Geis­te »Black Twit­ter« und die ihm inne­woh­nen­de supe­rio­re Iro­nie in- und aus­wen­dig!) zurecht. Das sorgt für Dut­zen­de wasch­ech­te Bull­shitsätze wie die­sen: »Der, der sich über Can­celn beklagt, signa­li­siert gleich­zei­tig, die Rede vom Can­celn wer­de ihm von außen aufgezwungen.«

Wie jetzt? Daub steht nicht an, sol­che Fra­gen zu beant­wor­ten. Aber er hat einen gewis­sen nei­di­schen Affekt, näm­lich: Im Fal­le von #Metoo und #Black­li­ve­s­mat­ter sei »jahr­zehn­te­lan­ge Theo­rie­ar­beit geleis­tet« wor­den, um eine Ver­bin­dung vom Ein­zel­fall zum Sys­tem her­zu­stel­len. Bei der Behaup­tung von CC gehe es hin­ge­gen um nichts Sys­te­mi­sches, son­dern allein um Simu­la­ti­on, hun­dert­fach gepre­dig­te Man­tras, »Fabeln« und »mise­ra­ble Texte«.

Apro­pos mise­ra­ble Tex­te: Inter­es­sant ist auch die Spra­che, in wel­cher der jun­ge Pro­fes­sor sein Pro­blem ver­han­delt. Es ist die­se Mix­tur aus aka­de­mi­scher Auf­blä­hung (samt vor­aus­set­zungs­rei­chem Voka­bu­lar und kru­den Schwur­bel­sät­zen), pop­kul­tu­rel­len Bescheid­wis­ser-Angli­zis­men, aus halb devo­tem, halb läs­si­gem Gen­der-und-Mino­ri­tä­ten-Gehor­sam und einer beton­ten Flap­sig­keit (»raus­po­sau­nen«, »aus­flip­pen«). Oft wird eine »coo­le« Münd­lich­keit insze­niert, die offen­bar bewußt mit der Intel­lek­tua­li­tät des Autors chan­gie­ren soll.

Sum­ma sum­ma­rum bleibt es: eine Bla­sen­wis­sen­schaft. Die­ses Buch mag in lin­ken Echo­kam­mern ein ein­träg­li­ches Wabern haben. Über die­se Bla­se kommt es an kei­nem Punkt hin­aus. Es ist mit­hin: ein­ge­preist beschränkt. Er habe sich in sei­ner ver­bla­se­nen »Intui­ti­on immer wie­der sehr allein gefühlt«, bekennt Daub in sei­ner Dank­sa­gung. Immer­hin sahen es – eben­falls via Dank­sa­gung – ein paar Dut­zend Leu­te aus der Medi­en­eli­te ähn­lich wie er. Die hier – wir dort: Somit bleibt irgend­wie alles beim alten. Aber gut, daß wir gere­det haben. Ihr da oben, in Stan­ford und bei Suhr­kamp – und wir hier am Ran­de. Mehr Geschwätz war selten.

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Adri­an Daub: Can­cel Cul­tu­re Trans­fer. Wie eine mora­li­sche Panik die Welt erfaßt, Ber­lin: Suhr­kamp 2022. 371 S., 20€

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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