Dieser Staat ist auch im 21. Jahrhundert der Nationalstaat. Der ist wesensgemäß ein Steuerstaat, wie der Berliner Historiker Marc Buggeln im vorliegenden Wälzer akzentuiert. Noch heute, in der Epoche des »Globalismus«, den Buggeln im Anschluß an Ulrich Beck als jenes Politikverständnis beschreibt, das »das politische Handeln dem Diktat des Weltmarkts unterwerfen und den Staat wie ein Unternehmen führen« möchte, ist das Gros erhobener Steuern dem nationalstaatlichen Zugriff unterworfen.
Das Versprechen der Gleichheit widmet sich dabei der deutschen Situation. Zwar gibt es immer wieder ausführliche Vergleiche mit anderen Steuersystemen, aber im wesentlichen wird die deutsche Steuergeschichte der letzten 150 Jahre niedergeschrieben. Es ist dies ein gewaltiger Parforceritt, der National- und Ideengeschichte, Wirtschafts- und Realpolitik zusammenführt. Da dieser Weg über verschiedene Regime und Entwicklungsstufen führt – Kaiserreich, Weimarer Republik, »Drittes Reich«, Alt-BRD / DDR, neue BRD –, wird dem Leser Geduld und Zeit abverlangt. Ökonomisch gesprochen, entspricht dies einer Investition, die sich »lohnt«, denn Buggeln hat ein Standardwerk vorgelegt, das immer wieder zum Nachschlagen genutzt werden kann. Besonders hervorzuheben sind vier Abschnitte:
Erstens beschreibt Buggeln nicht nur die Praxis der Besteuerung in Preußen und im Kaiserreich, sondern vermittelt auch die zugrundeliegenden Theorien. Eine starke Rolle nehmen die Sozialkonservativen um Adolph Wagner, Gustav Schmoller und den Verein für Socialpolitik ein. Sie haben dem deutschen Prinzip Ausdruck verliehen, wonach die »staatliche Fürsorge« kein »unvermeidliches Uebel« sei, sondern die »Erfüllung einer der höchsten Aufgaben unserer Nation«.
Zweitens hervorzuheben ist die Detailschau der NS-Steuerpolitik. Buggeln weist nach, daß die Hitler-Regierung die Steuererhöhungen der Weimarer Zeit nicht revidierte. Zwar wütete Hitler in »Kampfzeiten« gegen die »steuerbolschewistische Vernichtung unserer Wirtschaftssubstanz«, aber umfassende Steuersenkungen setzte er nicht um. Zum einen verhinderte dies das kostenintensive Primat der Aufrüstung, zum anderen galt ab 1934 in den NS-Steuergesetzen folgendes Diktum: »Ohne Steuern kein Staat und ohne Staat keine Daseins- und Entwicklungsmöglichkeiten des Volkes, der Familie und der Einzelpersonen.«
Die dritte besondere Stärke dieses im allgemeinen starken Buches ist die Detailbetrachtung der Entstehung der »Sozialen Marktwirtschaft« rund um Ludwig Erhard und die geistigen Väter ebenjenes Erfolgskonstrukts. Buggeln versteht es wie schon im Kaiserreich-Abschnitt formidabel, die Schnittmengen von Theorie und Praxis ebenso wie ihre Abweichungen darzulegen.
Das vierte Hervorzuhebende ist die Analyse der wirkmächtigen Denkschule des Neoliberalismus. Ohne jeden Schaum vor dem Mund und daher ohne jede vulgärlinke Verkürzung führt Marc Buggeln durch die unterschiedlichen Ansätze, wobei er die Wesensmerkmale des klassischen Liberalismus, des Ordoliberalismus und des Neoliberalismus erneut anhand theoretischer und praktischer Exempel verdeutlicht. Nachdrücklich zeigt Buggeln auf, daß die neoliberale Zurichtung des Staates im Marktsinne, die Vermögens- und Machtkonzentration und die damit verbundene Steigerung gesellschaftlicher Ungleichheiten in der Bundesrepublik zwei Geburtshelfer kennen: den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder.
Letztere sorgte mit ihren Steuerreformen dafür, daß internationale Kapitalfraktionen finanziell begünstigt wurden. Das »Aufbrechen der Deutschland-AG«, also die Entnationalisierung des nationalen Kapitals, sorgte unter der vermeintlich »sozialen« rot-grünen Regierung für eine »Ausschlachtung und Zerschlagung deutscher Unternehmen« im global entfesselten Konkurrenzkampf.
Zu allem Überfluß wurden (und werden) den internationalen Großkonzernen besondere Steuerbegünstigungen zuteil, die kleine und mittlere deutsche Unternehmen nicht erhalten – im Gegenteil. Buggeln weist darauf hin, daß das immense Steueraufkommen der BRD »durch die stärkere Belastung der Unter- und Mittelschichten sowie kleiner und mittelständischer Unternehmen bei gleichzeitiger Entlastung der Spitzenverdiener und Großkonzerne« stabil gehalten werde.
Im Fazit kann der politische Rezensent deutlicher werden als der Historiker: Just diese Konstellation wäre im Sinne einer konstruktiven Neuvermessung des steuerpolitischen Geländes vollständig umzukehren. Auch bezüglich der Verwendung der Steuermittel schweigt Buggeln als Geschichtswissenschaftler.
Doch wird bei der Lektüre seines Buches deutlich, daß die größte Gefahr für den Steuerstaat darin besteht, »daß die Bezieher mittlerer Einkommen angesichts steigender Lasten zu dem Schluß kommen könnten, daß ihre Steuergelder ihnen selbst nicht mehr im proportionalen Maße zugute kämen«. Der Steuerstaat ist sich also selbst die größte Gefahr: Er droht heute, angesichts einer fatalen Verteilungs- und Belastungspolitik, sich seiner Legitimationsbasis zu berauben.
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Marc Buggeln: Das Versprechen der Gleichheit. Steuern und soziale Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute, Berlin: Suhrkamp 2022. 1039 S., 38 €
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