Nun haben Oliver Rathkolb und Johannes Sachslehner das Buch »komplett neu bearbeitet« herausgegeben, um »wichtige Quellen« und »in der Forschung diskutierte Erklärungsmodelle der Triebkräfte, die Hitler geprägt haben«, ergänzt, wie sie in ihrer Einleitung vollmundig behaupten.
Prof. Oliver Rathkolb, Wiener Historiker und langjähriger SPÖ-Genosse, ist bereits durch seine Biographie über den ehemaligen Reichsjugendführer Baldur von Schirach mit Unkenntnis und rein ideologisch motivierten Verzerrungen auffällig geworden. Nicht minder sein Kompagnon Dr. phil. Johannes Sachslehner, seines Zeichens Lektor mit Vorliebe für Wiener Themen. Was diese beiden Koryphäen geritten hat, das bereits von Hamann recht chaotisch gegliederte Werk nun erneut vorzulegen und es nochmals um ein Vielfaches unlesbarer zu machen, vermag man kaum zu sagen. Fünfzehn Prozent des Inhalts seien »neu geschrieben« worden, so die Autoren, doch was genau und an welchen Stellen erfährt man nicht.
Das Buch, das angeblich völlig »neuen Spuren« nachgeht, hätte eigentlich viel eher als reine Bilddokumentation konzipiert werden müssen, denn die reiche Bebilderung macht einen Großteil des klobigen, unhandlichen Wälzers aus. Die Ungereimtheiten beginnen schon auf der ersten Seite, auf der die berühmt gewordene, einzige zeichnerische Darstellung Hitlers als junger Mann dem um zwei Jahre jüngeren, späteren Architekten Armin Sturmberger zugeordnet wird.
Doch nachweislich wurde sie von Hitlers Steyrer Mitschüler Sturmlechner angefertigt. Auch daß der einstige NS-Gauamtsleiter und Schriftsteller Karl Springenschmid Hitlers Jugendfreund und kurzzeitigem Wegbegleiter in Wien, August Kubizek, bei der Abfassung von dessen Erinnerungen an den »Führer« die Feder führte, ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis und fand in der entsprechenden Literatur schon etliche Male Erwähnung. Bei Rathkolb aber wird sie uns seitenlang als vermeintlich neue »Sensation« präsentiert.
Jede noch so marginale Aussage auch des zwielichtigsten Männerheimgenossen des jungen Hitler wird geradezu weihevoll rezipiert, handelt es sich aber um eine den Autoren weniger genehme Stimme, wie etwa die Henriette von Schirachs, wird sie sogleich als »Hitler-Legende« abqualifiziert. Die durch nichts bewiesene Unterstellung, der Bohemien sei nach Auszug aus einem seiner Wiener Wohnquartiere »die Miete schuldig geblieben« und habe sich »aus dem Staub gemacht«, wird den Lesern als unumstößliche Wahrheit präsentiert, freilich ohne jegliche Quellenangabe.
Daß Hitler in Wien wohl niemals in der Simon-Denk-Gasse gewohnt hatte, wurde spätestens 2009 von Dirk Bavendamm in Der junge Hitler klargestellt, in einer Fußnote allerdings, wohingegen Rathkolb / Sachslehner sage und schreibe zwei Seiten im Haupttext, samt dreier Fotos, veranschlagen, um dieses »Rätsel«, wie sie es in ihrer ganzen Unbedarftheit nennen, »aufzulösen«. Da verwundert es nicht, daß selbst die uralte, unsäglich geschmacklose »Geschichte mit dem Ziegenbock« von den sich seriös nennenden »Historikern« auf mehreren Seiten wieder aufgewärmt wird. All die unhaltbaren Spekulationen also, auf die Brigitte Hamann als ernsthafte Wissenschaftlerin ganz bewußt verzichtete, finden bei dem Wiener Autorenduo infernale nun ungeniert Eingang.
Der Bericht Kubizeks, wonach der 16jährige Hitler damit begann, eine Oper »Wieland der Schmied« zu komponieren, ist weithin bekannt. Die Idee zu einem solchen Drama hatte Richard Wagner 1849, wurde von ihm aber nicht ausgeführt. Ohne Kenntnis des handwerklichen und kompositorischen Rüstzeugs griff Hitler den Gedanken auf und machte sich dilettierend ans Werk, unterstützt von dem Musikstudenten Kubizek. Dann aber gab er schließlich doch auf.
Ein Notenblatt mit dem Titel »Wieland Vorspiel – nach Motiven von Adolf Hitler« war, wie andere Exponate aus Kubizeks Nachlaß, in der Ausstellung »Der junge Hitler« im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich zu sehen. Für Rathkolb ist das Fragment dennoch ein »Fake«. Doch genauso, wie sich Jung-Adolf mit der Behebung des Wohnungsproblems in Wien befaßte, über der Idee eines alkoholfreien Volksgetränkes für die Massen brütete oder mal eben den Fries des Linzer Museums auf 220 Meter zu erweitern beabsichtigte, so nahm er eben auch solches in Angriff.
Wozu hat es dieses Buch gebraucht? Die Beantwortung dieser Frage muß auch für den Rezensenten letztlich offenbleiben. Lediglich einige wenige Passagen dieses Buches vermögen zu überzeugen, wie etwa die Beiträge über den Führer der »Alldeutschen« Schönerer und den populären Wiener Bürgermeister Karl Lueger. Auch jener über den Besuch des jungen Parteiführers Hitler in Wien 1920, bei dem er auch seine jüngere Schwester Paula wiedertraf, die er über zwölf Jahre nicht gesehen hatte, zählt zu den gelungeneren.
Mit Hitlers Wien haben sich dennoch zwei ausgewiesene Zeitgeistsurfer gehörig an ihrem Gegenstand verhoben. Brigitte Hamann jedenfalls haben sie posthum keinen Gefallen getan. Die stolzen 40 Euro, die für dieses laienhafte Elaborat verlangt werden, sind an anderer Stelle ganz sicher besser investiert.
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Brigitte Hamann, Oliver Rathkolb, Johannes Sachslehner: Hitlers Wien: Lehrjahre eines Diktators, Wien: Molden 2022. 512 S., Abb., 40 €
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