Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators (Neuausgabe in überarbeiteter Fassung)

von Werner Bräuninger -- 1996 legte die Historikerin Brigitte Hamann ihr Werk Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators vor, den Versuch einer Kultur- und Sozialgeschichte Wiens für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg und zugleich die Biographie des jungen Adolf Hitler, der von 1908 bis 1913 in der Donaumetropole lebte.

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Nun haben Oli­ver Rath­kolb und Johan­nes Sachsleh­ner das Buch »kom­plett neu bear­bei­tet« her­aus­ge­ge­ben, um »wich­ti­ge Quel­len« und »in der For­schung dis­ku­tier­te Erklä­rungs­mo­del­le der Trieb­kräf­te, die Hit­ler geprägt haben«, ergänzt, wie sie in ihrer Ein­lei­tung voll­mun­dig behaupten.

Prof. Oli­ver Rath­kolb, Wie­ner His­to­ri­ker und lang­jäh­ri­ger SPÖ-Genos­se, ist bereits durch sei­ne Bio­gra­phie über den ehe­ma­li­gen Reichs­ju­gend­füh­rer Bal­dur von Schi­rach mit Unkennt­nis und rein ideo­lo­gisch moti­vier­ten Ver­zer­run­gen auf­fäl­lig gewor­den. Nicht min­der sein Kom­pa­gnon Dr. phil. Johan­nes Sachsleh­ner, sei­nes Zei­chens Lek­tor mit Vor­lie­be für Wie­ner The­men. Was die­se bei­den Kory­phä­en gerit­ten hat, das bereits von Hamann recht chao­tisch geglie­der­te Werk nun erneut vor­zu­le­gen und es noch­mals um ein Viel­fa­ches unles­ba­rer zu machen, ver­mag man kaum zu sagen. Fünf­zehn Pro­zent des Inhalts sei­en »neu geschrie­ben« wor­den, so die Autoren, doch was genau und an wel­chen Stel­len erfährt man nicht.

Das Buch, das angeb­lich völ­lig »neu­en Spu­ren« nach­geht, hät­te eigen­tlich viel eher als rei­ne Bild­do­ku­men­ta­ti­on kon­zi­piert wer­den müs­sen, denn die rei­che Bebil­de­rung macht einen Groß­teil des klo­bi­gen, unhand­li­chen Wäl­zers aus. Die Unge­reimt­hei­ten begin­nen schon auf der ers­ten Sei­te, auf der die berühmt gewor­de­ne, ein­zi­ge zeich­ne­ri­sche Dar­stel­lung Hit­lers als jun­ger Mann dem um zwei Jah­re jün­ge­ren, spä­te­ren Archi­tek­ten ­Armin Sturm­berger zuge­ord­net wird.

Doch nach­weis­lich wur­de sie von Hit­lers Stey­rer Mit­schü­ler Sturm­lech­ner ange­fer­tigt. Auch daß der eins­ti­ge NS-Gau­amts­lei­ter und Schrift­stel­ler Karl Sprin­gen­schmid Hit­lers Jugend­freund und kurz­zei­ti­gem Weg­be­glei­ter in Wien, August Kubi­zek, bei der Abfas­sung von des­sen Erin­ne­run­gen an den »Füh­rer« die Feder führ­te, ist nun wahr­lich kei­ne neue Erkennt­nis und fand in der ent­spre­chen­den Lite­ra­tur schon etli­che Male Erwäh­nung. Bei Rath­kolb aber wird sie uns sei­ten­lang als ver­meint­lich neue »Sen­sa­ti­on« präsentiert.

Jede noch so mar­gi­na­le Aus­sa­ge auch des zwie­lich­tigs­ten Män­ner­heim­ge­nos­sen des jun­gen Hit­ler wird gera­de­zu wei­he­voll rezi­piert, han­delt es sich aber um eine den Autoren weni­ger geneh­me Stim­me, wie etwa die Hen­ri­et­te von Schirachs, wird sie sogleich als »Hit­ler-Legen­de« abqua­li­fi­ziert. Die durch nichts bewie­se­ne Unter­stel­lung, der Bohe­mi­en sei nach Aus­zug aus einem sei­ner Wie­ner Wohn­quar­tie­re »die Mie­te schul­dig geblie­ben« und habe sich »aus dem Staub gemacht«, wird den Lesern als unum­stöß­li­che Wahr­heit prä­sen­tiert, frei­lich ohne jeg­li­che Quellenangabe.

Daß Hit­ler in Wien wohl nie­mals in der Simon-Denk-Gas­se gewohnt hat­te, wur­de spä­tes­tens 2009 von Dirk Baven­damm in Der jun­ge Hit­ler klar­ge­stellt, in einer Fuß­no­te aller­dings, wohin­ge­gen Rath­kolb / Sachsleh­ner sage und schrei­be zwei Sei­ten im Haupt­text, samt drei­er Fotos, ver­an­schla­gen, um die­ses »Rät­sel«, wie sie es in ihrer gan­zen Unbe­darft­heit nen­nen, »auf­zu­lö­sen«. Da ver­wun­dert es nicht, daß selbst die uralte, unsäg­lich geschmack­lo­se »Geschich­te mit dem Zie­gen­bock« von den sich seri­ös nen­nen­den »His­to­ri­kern« auf meh­re­ren Sei­ten wie­der auf­ge­wärmt wird. All die unhalt­ba­ren Spe­ku­la­tio­nen also, auf die Bri­git­te Hamann als ernst­haf­te Wis­sen­schaft­le­rin ganz bewußt ver­zich­te­te, fin­den bei dem Wie­ner Autoren­duo infer­na­le nun unge­niert Eingang.

Der Bericht Kubi­zeks, wonach der 16jährige Hit­ler damit begann, eine Oper »Wie­land der Schmied« zu kom­po­nie­ren, ist weit­hin bekannt. Die Idee zu einem sol­chen Dra­ma hat­te Richard Wag­ner 1849, wur­de von ihm aber nicht aus­ge­führt. Ohne Kennt­nis des hand­werk­li­chen und kom­po­si­to­ri­schen Rüst­zeugs griff ­Hit­ler den Gedan­ken auf und mach­te sich dilet­tie­rend ans Werk, unter­stützt von dem Musik­stu­den­ten ­Kubi­zek. Dann aber gab er schließ­lich doch auf.

Ein Noten­blatt mit dem Titel »Wie­land Vor­spiel – nach Moti­ven von Adolf Hit­ler« war, wie ande­re Expo­na­te aus Kubi­zeks Nach­laß, in der Aus­stel­lung »Der jun­ge Hit­ler« im Haus der Geschich­te im Muse­um Nie­der­ös­ter­reich zu sehen. Für Rath­kolb ist das Frag­ment den­noch ein »Fake«. Doch genau­so, wie sich Jung-Adolf mit der Behe­bung des Woh­nungs­pro­blems in Wien befaß­te, über der Idee eines alko­hol­frei­en Volks­ge­trän­kes für die Mas­sen brü­te­te oder mal eben den Fries des Lin­zer Muse­ums auf 220 Meter zu erwei­tern beab­sich­tig­te, so nahm er eben auch sol­ches in Angriff.

Wozu hat es die­ses Buch gebraucht? Die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge muß auch für den Rezen­sen­ten letzt­lich offen­blei­ben. Ledig­lich eini­ge weni­ge Pas­sa­gen die­ses Buches ver­mö­gen zu über­zeu­gen, wie etwa die Bei­trä­ge über den Füh­rer der »All­deut­schen« Schö­ne­rer und den popu­lä­ren Wie­ner Bür­ger­meis­ter Karl Lue­ger. Auch jener über den Besuch des jun­gen Par­tei­füh­rers Hit­ler in Wien 1920, bei dem er auch sei­ne jün­ge­re Schwes­ter Pau­la wie­der­traf, die er über zwölf Jah­re nicht gese­hen hat­te, zählt zu den gelungeneren.

Mit Hit­lers Wien haben sich den­noch zwei aus­ge­wie­se­ne Zeit­geist­sur­fer gehö­rig an ihrem Gegen­stand ver­ho­ben. Bri­git­te ­Hamann jeden­falls haben sie post­hum kei­nen Gefal­len getan. Die stol­zen 40 Euro, die für die­ses lai­en­haf­te Ela­bo­rat ver­langt wer­den, sind an ande­rer Stel­le ganz sicher bes­ser investiert.

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Bri­git­te Hamann, Oli­ver Rath­kolb, Johan­nes Sachsleh­ner: Hit­lers Wien: Lehr­jah­re eines Dik­ta­tors, Wien: Mol­den 2022. 512 S., Abb., 40 €

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