Noch im I. Quartal 2023 waren die Umsätze des Barbie-Universums drastisch eingebrochen. Trotz (oder wegen) all dieser Diversitätsvorstöße? Es gab längst Barbie im Rollstuhl, schwarze Barbies, amputierte Barbies etc.
Der „Barbie“-Film nun löste heftige Kontroversen aus. Das deutsche Feuilleton liebte ihn fast rundum: „Wow, Emanzipation!“ In den USA wurde er vor allem von Konservativen hart kritisiert: „Ganz falsches Frauenbild.“ Regisseurin Greta Gerwig feierte: Ihr „Barbie“-Film spielte mehr als eine Milliarde Dollar an amerikanischen Kinokassen ein.
Das Unternehmen Mattel hat den Film ko-finanziert. Es ist also kein ganz freies „Kunststück“. Man sollte darüber reden! Sprich: wir sollten!
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ELLEN KOSITZA: Liebe Susanne, wir beide haben den „Barbie“-Film gesehen. Du gleich zweimal, stimmt´s? Meine Twitter-Freundin Marie-Thérèse Kaiser, AfD-Kandidatin, fand, es sei der schrecklichste Film, den sie je gesehen habe. Soweit würde ich nicht gehen. Ich mußte mindestens zehnmal laut lachen! Ich fand zumal die beiden Hauptdarsteller Margot Robbie und Ryan Gosling einfach großartig. Überhaupt ist ja alles an diesem Streifen äußerst professionell, darüber muß man kaum streiten
Die Botschaft des Films aber mißfällt mir sehr. Ich darf mal den Inhalt kurz rekapitulieren? Also: Es gibt eine Art Vorfilm. Gaaanz früher spielten kleine Mädchen mit niedlichen Babypuppen. Sie spielten Mutter-Sein. Das ist (via Erzählstimme) natürlich ganz schön, aber doch nicht erfüllend. Dann tritt die „Barbie“ in den Raum. Diese steinzeitlichen Mädchen mit ihren Babypuppen sind voll elektrisiert. Denn Barbie ist ganz anders! Sie ist emanzipiert, sie ist eine Figur, die einfach alles kann! Die moderne Barbie kann Erfinderin sein, sie kann in den Weltraum düsen, sie kann alle Hautfarben, sie kann Präsidentin sein!
Nun kriegt unsere „stereotypische Barbie“ (eben die strahlend schöne Margot Robbie) aber inmitten einer so schönen Barbie-Party einen Depri-Flash: Memento Mori! Auch du wirst sterben! Geht ja gar nicht in dieser Happy-Welt! Die Ur-Barbie hatte High-Heels-Füße. Margot Robbies Füße nun sind, verdammt!, flach geworden. Sie muß nun in die „echte Welt“, um das zu beheben. In der echten Welt aber herrscht das Patriarchat. Barbies Lebenspartner Ken begleitet sie. Logisch findet er das Patriarchat cool und will es nun auch in der Barbie-World reaktivieren. Spoiler: Er wird scheitern.
Susanne, sorry. Das ist nicht mein Film. Was findest Du daran gut?
SUSANNE DAGEN: Oh, es ist ein fabelhafter Film! Ich habe ihn, das stimmt, schon zweimal gesehen und plane nun noch einen dritten Kino-Besuch. Ich sehe den Film primär als ein großes Kunstwerk, was mir gefällt und was mich inspiriert. Auch dahingehend, daß dieser von den Zuschauern so unterschiedlich und so multiperspektivisch interpretiert wird. Das ist für mich vor allem eine Definition für Kunst. Im Übrigen wissen wir, daß Regisseurin Greta Gerwig das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach schrieb, und ich glaube, die hatten richtig viel Spaß dabei!
Wir steigen in diesen Film mit einem ersten Zitat ein. Überhaupt wimmelt es in diesem Streifen von filmischen und verbalen Anspielungen. Für mich ist das eine höchst erfreuliche und auch spielerische Gelegenheit, meine, zugegebenermaßen, nicht so umfangreiche Filmerfahrung retrospektiv zu prüfen. Die Klassiker allerdings kenne ich. Und siehe da, mir ist einiges aufgefallen: wir beginnen mit einer Situation in einer Mondlandschaft, in der kleine Mädchen mit Puppen spielen. Allerdings spielen sie vor allem eins, nämlich Mutter sein. Und das ist für mich das Grundthema dieses Filmes. Ursächlich steht da natürlich das Mann/Frau-Thema, was uns aktuell als ein Fluides, nicht Starres beschrieben wird und daraus resultierend die Frage um Mutterschaft. Denn, was ist denn Barbie? Barbie spricht selbst im Film von sich als einer Figur, die keine Vagina hat. Also, keine Frau ist.
Nun ist es seit Menschengedenken, selbst wenn man uns heute anderes glauben lassen möchte und selbst wenn es so wäre, daß Unvorstellbares schon technisch möglich ist, so und bleibt es dabei, daß nur die Frau mit ihrer entsprechenden geschlechtsorganischen Beschaffenheit, die nun doch unbestrittenerweise eine völlig andere als die des Mannes ist, Mutter sein kann. Die Erzählstimme spricht in der Eingangsszene, der bombastisch musikalisch unterlegten Ouvertüre, über diese Mutterrolle, die kleine Mädchen schon im Spiel mit Puppen erlernen und eben auch üben.
Eine Rolle, das wissen wir beide, die wahrscheinlich die schwerste, wenn man sie allerdings als eine Aufgabe betrachtet, dann doch die am schönsten, auch leidvollste zu erfüllende Ur-Aufgabe im Leben einer Frau ist. In dem Moment allerdings, wo Barbie auf diese Mondlandschaft, die uns von ihrem Bildthema vor allen Dingen an Stanley Kubricks „Odyssee im Weltall“ erinnert, auftaucht, zerstören die Mädchen ihre Baby-Puppen und wenden sich dieser reinen, weil geschlechtslosen Frauen-Attrappe zu…
KOSITZA: Stopp bitte kurz, Einhalt: Es ist nicht nur das Bildthema, es ist ebenfalls die Musik, „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Bei Kubricks Film von 1968 sehen wir in der entsprechenden Eingangsszene eine Horde wilder Affen. Als die bombastischen Zarathustraklänge ertönen, beginnt einer der Affen voller Furor, das herumliegende Skelett eines toten Tieres zu zertrümmern. Die Szene, wo diese netten, hübsch gekleideten Mädchen angesichts der Herabkunft der Barbie ihre niedlichen Puppen zerstören, fand ich übrigens schlimmer als den ganzen Rest des Films.
Meine 12 und 17jährigen Töchter, die mit mir im Kino waren, sahen das ähnlich. Sie waren dann beruhigt, daß es hinterher „so heiter“ war. Naja, das waren dann Gespräche! Für mich bedeutete dieses Intro: Als die Mädchen noch bezopft Mama spielten, waren sie eigentlich auf dem Niveau instinktgetriebener Affen. Übrigens sehe ich nicht, daß sie die Barbie als geschlechtsloses Wesen begrüßen. Barbies Geschlechtslosigkeit wird doch erst später im Film zum Thema. In meiner Sicht bewundern die Kinder im Film diese überlebensgroße Barbie aufgrund ihrer sorglosen Perfektion.
DAGEN: Du sprichst etwas Wichtiges an, nämlich die Einstufung der FSK auf 6 Jahre. Das heißt, daß man entweder den Film dort vorab nicht gesehen hat oder man tut eben nichts anderes, als sich an die eigenen Regeln strikt zu halten, nämlich, daß Filme ohne sichtbare Gewalt und Sexhandlungen eben diese Kategorisierung erhalten. Es tut mir furchtbar leid, wenn ich dann pinkfarben gekleidete Mädchen mit ihren Müttern im Kinosaal sehe, denn im besten Fall gehen die ratlos, wenn nicht gar verstört aus diesem Film heraus.
Zur Eingangsszene: Du findest die Mädchen nett und hübsch gekleidet? Es herrscht Endzeitstimmung vor und es gibt nur Brauntöne, die diesen Eindruck noch verstärken. Plötzlich erscheint die hübsche Barbie, und ja, mit einer Traumfigur und farbig gekleidet. Ihr Zwinkern, an die Kleinmuttis gerichtet, bringt diese dazu, ihr bisheriges Dasein zu zerstören. Alle wollen nur noch das Heilsversprechen Barbie – perfekt, sinnlich und lichtumflossen….
Du weißt viel besser als ich, daß das Reine das Anbetungswürdige ist, daß die Gottesmutter aus der reinen Lehre heraus nie berührt wurde. Auch Barbie ist frei von solcher Art Berührungen, selbst wenn Mattel ihr einen Partner an die Seite gestellt hat, nämlich den schönen Ken. Nur, was soll das für eine Partnerschaft sein, wenn sie doch als Mann und Frau nie zusammenkommen können, sich ihrer Aufgabe nicht bewußt sind. Wenn Ken nicht Mann und Barbie nicht Frau sein kann,…
KOSITZA: Ich geh‘ nochmal dazwischen, pardon. Das ist ein Punkt, den ich so nicht bedacht habe. Allerdings will Ken ja offenkundig dauernd – also ins Bett mit Barbie. Nur weiß ich nicht, ob die Reinheit oder sagen wir es noch strenger, die Sterilität der herkömmlichen – im Film heißt es selbstironisch: der „stereotypischen“ Barbie – das große Problem ist.
Ich selbst und meine Kinder haben übrigens nie mit Barbies gespielt. Du? Wie war das überhaupt im Osten mit Barbie? Ich konnte die nie leiden. Mädchen, die mit Barbie spielten, waren für mich Zimperliesen. Und meine Töchter hab ich lieber davon ferngehalten, weil ich keine Tussis wollte, mal grob gesagt. Zurück zur Reinheit, heute ja ein verfemter Begriff. Du weist mich darauf hin, daß die stereotypische Barbie asexuell sei. Ja, gut, „natürlich“ ist Asexualität nicht. Daß Kinder heute mit Barbie und Ken Geschlechtsverkehr spielten, erscheint mir allerdings nicht besonders erstrebenswert.
DAGEN: Ich glaube nicht, daß Ken mit Barbie andauernd in die Kiste will – er will einfach bei ihr sein. Im Film heißt es ja auch „Sie ist alles, er ist nur Ken.“ Wir wissen, daß es zuerst nur Barbie gab, erst dann kam Ken als ihr „Partner“, eher als ihr Pendant dazu. Warum ist das so? Wo doch die religiöse Erzählung umgekehrt ist, wenn Gott Adam in einen tiefen Schlaf fallen läßt und aus seiner Rippe, „der schönen Seite“ Eva schuf. Es braucht eben das Paar von Mann und Frau, was als Partner, als Gegenüber fungiert, beide erst zum Ganzen werden, verschmelzen und sich vermehren läßt.
Hier scheint Ken aus Barbies Seite geformt, sucht ihre Gegenwart und bedrängt sie, die Nacht mit ihm zu verbringen. „Was machen wir dann?“ fragt Barbie, als er sie darum bittet. „Ich weiß es nicht“, sagt Ken. Interessant in dem Zusammenhang ist dann noch die Sache mit Allan, der weder zu den Kens, noch zu den Barbies gehört: Mattel hatte vor Jahren Ken und Barbie die Puppen Allan und Midge zur Seite gestellt. Midge war neben der Nobelpreisträger-Barbie, der Stewardess-Barbie, der Pilotin-Barbie – also neben all den Barbies – nur schwanger. Die Produktion wurde sehr schnell wieder eingestellt, die unförmige, weil: schwangere Barbie verkaufte sich nicht. Seither ist Allan allein. Aber wenigstens gibts den nur einmal… Merkst Du was?
KOSITZA: Ehrlich gesagt: nein. Klär mich auf, bitte. Die Allan-Geschichte hab ich zwar nachgelesen – aber im Film kam mir Allan doch als so was wie ein non-binärer Trottel vor. Er ist unattraktiv weich, peinlich und das, was man heute einen NPC nennt, einen Non-Player-Charakter. Noch peinlicher als Ken, der ja immerhin ein Ziel hat: die Errichtung eines Patriarchats.
DAGEN: Allan hat seinen Lebenssinn verloren, nämlich der „Mann“ von Midge zu sein. Interessant ist ja auch der Kniff, Allan in der „realen Welt“ als Angestellten bei Mattel zu zeigen. Dort spielt er eine entscheidende Rolle als derjenige, der den Mut hat, zur Geschäftsleitung vorzudringen, dies wohl erstmalig mit ganzem Einsatz, um dort die entsetzliche Kunde von Barbies Ausbruch und Eindringen zu überbringen. An der Suche nach ihr ist er dann endlich gleichwertig beteiligt, ist Teil einer Gruppe fast identischer Managertypen. Zum guten Ende dann umarmt er gar den Chef, der ihn aber brüsk abweist und keine echte Berührung wünscht. In dem Moment ist er wieder der Allan aus der Barbie-Welt, der zu niemandem gehört. Ein starker schauspielerischer Charakter!
Ken folgt ebenfalls Barbie in die „reale Welt“ und erlebt dort das erste Mal Anerkennung. Interessanterweise macht er das daran fest, daß ihn eine Frau nach der Uhrzeit fragte. Ihn! Und dann auch noch mit der entscheidendsten Frage danach, in welcher Zeit wir leben! Er ist fasziniert von den Insignien der Männlichkeit, bekommt endlich (männliche) Kontur und beschließt, genau dies in die Barbie-Welt zu übertragen und endlich Ken-Land zu schaffen! (Huch, er emanzipiert sich!) Ist das herrlich! Überall prangen nun starke Pferde, die geritten werden wollen, zeigen sich Gegner, die gestoßen werden müssen…
KOSITZA: Kleiner Zwischenruf. Vieles war auch so lieblos übersetzt oder synchronisiert. Bei einem Film, der den Anspruch hat, Kunst zu sein, passiert sowas eigentlich nicht! Daran meine ich zu sehen, daß es um „Marktmacht“ ging. Dieses wiederkehrende „sich stoßen“ war so ein Beispiel. Das sagt man doch auf Deutsch gar nicht: „Ich stoße dich!“- „Los, stoß mich!“ Bei dieser albernen Prügelszene, wo sich alle Kens mit lächerlichem Strandspielzeug am sogenannten Beach „stoßen“, also prügeln, bin ich übrigens kurz eingenickt. Unter anderen diese Szene war für mich noch so ein Indiz, daß hier die Grundschulklientel eingefangen werden soll.
DAGEN: Ellen, Du bist süß… Die Prügelei, wie Du es nennst, ist eine meiner Lieblingspassagen in diesem Film, adaptiert und ironisiert sie doch die endlosen Schlachtszenen in all den großen Streifen, die ich so gern mag, zum Beispiel bei „Herr der Ringe“ oder bei „Vikings“. Starke, wütende Männer toben, brüllen, kämpfen da gegeneinander. Filmisch wird’s dann noch eindrucksvoller, wenn scharfe Schnitte oder Zeitlupe eingesetzt werden.
Der stereotype Ken und Asia-Ken scheinen nur auf diesen erlösenden Moment gewartet haben, hier endlich gegeneinander anzutreten – wenn auch nur mit Spielzeug in dieser gerade noch so heilen Spielzeugwelt. Daß sie sich stoßen ist für mich da Wortwitz erster Güte; was soll es denn auch anderes sein bei diesen Püppchen??? Wenigstens aber werden die besetzten rosa Barbie-Häuser zum „Mojo Dojo Casa House“ und schon wie der neue Ken-Mann in Stallones Webpelz das ausspricht, über die Lippen perlen und mit der Zunge formen lässt, ist so sexy – wow! Er lernt schnell.
KOSITZA: Wo ich laut lachen mußte: als Ken (er nennt sein Land „Kendom“ und trägt ein Shirt mit der munter-zufriedenen Aufschrift „Kenough“) Barbie in seinem Patriarchat empfängt und sich dabei lässig aufstützt. Beim Aufstützvorgang wandert sein Blick kurz zum eigenen Bizeps. Ist er deutlich zu sehen? Noch nicht ganz. Er spannt nach…
DAGEN: So überzeichnet, wie die fröhlichen Barbies vormals agierten, sind nun die Kens: Sie trinken, raufen, halten sich die Barbies (vormals Präsidentin, Nobelpreisträgerin, Erfinderin) als Hostessen, die lasziv nach den Wünschen der Herren fragen. „Noch jemand ein Mango-Bierchen?“.
Nun zeigt sich, daß alle assistierenden Barbies gehirngewaschen sind und die Aussage der „komischen Barbie“, die vor allem die Rolle der weisen, weil erfahrenen Frau hat, scheint endgültig: „Entweder du bist einer Gehirnwäsche unterzogen oder du bist seltsam.“
Ich hatte übrigens keine Barbie, bin ja ein Zonenkind und ich kannte auch niemanden, der ein solch dürres Puppengerippe hatte. Und dann auch noch mit Brüsten und diesen komischen Füßen! Wir haben unsere drallen Babypuppen in Kinderwagen, die so aussahen wie die großen, wenn sie mit echten Babies reihenweise vor der Kaufhalle standen, in der wiederum die Mütter nach Lebensmitteln anstanden, rumgeschoben. Haben die geherzt und geküsst, sie an- und umgezogen, gebadet und gewickelt, in den Schlaf gesungen, mit ihnen geschimpft und manchmal auch den Hintern versohlt, so wie wir es von zu Hause kannten…
KOSITZA: Ich beneide Dich, fast. Ich hab niemals mit Puppen gespielt, vermutlich auch wegen dieser Vormacht der Barbie bei uns im Westen. Mit–Puppen- Spielen war für mich nichts.
DAGEN:…und es gab auch immer die böse Puppe, der man die Haare abgeschnitten hat und die wir mit Filzern verschönt haben. Ähnlich der „komischen Barbie“ im Film, die dann verstoßen wurde und nun Herrin über all die aussortierten Barbies, wie eben auch Mitch ist.
KOSITZA: Die böse Puppe, die im Film „die komische Barbie“ heißt und ein unkonventioneller Punk ist, bedient natürlich das übliche Narrativ: Es ist die Ausgestoßene, die der eigentliche Katalysator für die notwendige Emanzipation der Barbie ist.
Ihr Motto: Mach alles anders, als es von Dir erwartet wird. Spreng einfach die Rollen! Heikel, finde ich. Wir beide, Du, Susanne, und ich, haben ja auch gewisse Rollen gesprengt. Aber dies eben nicht im Sinne einer Utopie. Nicht, um ein phantasiertes „Patriarchat“ zu überwinden. Ich halte es, mal glasklar gesagt, für fatal, wenn die Frau ihre Rolle, was für ein dummes Wort, als Frau „sprengen“ will. In diesem Film wollen die Frauen, die Barbies, aber nichts anderes als: die Oberhand. Sie wollen mindestens Präsidentin sein und jedenfalls diese dümmlichen Männer auf zweite oder niedere Ränge verweisen. Haha, wie witzig. Wer wartet denn dann die Flugzeuge, wer plant, konstruiert und baut Brücken? Wer erfindet Maschinen? Die Barbies im Engelbert-Strauss-Dress? Das ist doch ein Witz!
Daß die Barbies im Film auch Müllwerkerinnen waren, hab ich übrigens als ironischen Bonus verbucht. Ich meine aber, im Reallife ist das seeehr selten. Das sagt doch alles! Frauen fahren weder Müll weg, noch erkunden sie den Mond.
DAGEN: Der Film ist für mich vor allem eins: eine sehr geschickte, weil unterhaltsame Art der Kritik an der derzeitig woken und völlig absurden Auffassung, dass es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gäbe, daß dies nur ein Konstrukt sei, das es zu dekonstruieren gilt. Und, was dem Ganzen die Krone aufsetzt, uns glauben machen zu wollen, daß natürlich auch Männer schwanger werden können.
Wenn Sebastian Kleinschmidt in seinem Buch Lob der Autorität darüber schreibt, daß die 68-er nicht nur den Marsch durch die Institutionen, sondern auch den Weg durch die Definitionen beschritten haben, ist es doch so, daß sie nun beim Ur-Thema angekommen zu sein scheinen, nämlich der völligen Entgleisung zur Auffassung von Mann und Frau, von Mutter und Vater, von Familie und Geschlechterrollen. Das Mutterthema im Film zieht sich ja auch auf einer weiteren Ebene, nämlich auf der der „Realen Welt“, in die Barbie und Ken gehen müssen, durch. Was meinst Du zu meiner These?
KOSITZA: Daß es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gäbe, ist eine Theorie, die von einer minikleinen, natürlich tonangebenden Schicht verfochten wird. Insofern halte ich es für reines Appeasement, wenn im Film nicht vom binären Geschlechtermodell abgewichen wird. Anders als du finde ich den Barbie-Film furchtbar „woke“, obwohl ich das Attribut mittlerweile fast so sehr hasse wie „linksgrünversifft“. Eine der Barbies wird ja auch von einer Transfrau gespielt, das wurde auch eigens und stolz kommuniziert. Mattel selbst hat längst eine Transgender-Barbie kreiert. Das, und daß Mattel den Film kofinanziert hat, sagt für mich alles.
DAGEN: Wie gesagt, ist dieser Film für mich eine herrliche Satire. Eben auch auf das „woke“ Tun, was das Anbiedern an den Zeitgeist betrifft. Man muß bei all dem Tempo, der Farbigkeit und den schönen Melodien schon sehr gut aufpassen, um die eine oder andere Selbstkritik herauszulesen…
Ein Brüller, wenn auch nur von wenigen wahrgenommen ist die Szene, als der Chef von Mattel hörte, daß nach Jahren eine Barbie (und nun auch noch die stereotype, die Ur-Barbie) mal wieder eine Reise in die „echte Welt“ unternimmt, um ihr menschliches Pendant zu finden. Sie ist gezwungen dazu, denn plötzlich nimmt sie menschliche Züge an. Das heißt, sie fühlt und fürchtet den Tod. Naja, eigentlich nur das Ende der rosafarbenen Tagein-Tagaus-Barbiewelt. Auf die Frage, ob sie so geschunden lieber in ihrer Welt bleiben will (High-Heel) oder der Sache auf den Grund gehen sollte (Birkenstock-Schuh braun) wählt sie natürlich den Hacki, der ihr aber verwehrt wird. Sie muß die rote Pille schlucken und raus in die Welt. Willkommen bei „Matrix“!
Die Chefetage Mattel erfährt davon recht schnell, der Boss schäumt und zählt nochmal flink all das auf, was er doch richtig gemacht hat. Es hätte doch eben deshalb nichts passieren dürfen – keine Umsatzeinbrüche, keine Vorwürfe von Feministinnen, Barbie wäre vollkommen untypisch und vor allem sexualisiert und vor allem nicht, daß die erdachte Barbie nun in der Realität landet. Die Aufzählung all seiner guten Taten endet mit dem erschöpften Ausruf „Und zwei meiner besten Freunde sind Juden!“ Ach, das gefällt mir – soviel Ironie war selten!
KOSITZA: Das Juden-Ding war echt gut. Ich halte die Thematisierung des Mutterthemas im Film aber für vergiftet. Einen krassen Tiefpunkt stellte für mich diese Brandrede dar, die Gloria – im Film eine aufgeklärte Angestellte von Mattel und Mutter einer renitenten Tochter – hält. Ich zitiere jetzt rein aus der Erinnerung, also nicht wortwörtlich: „Wir Frauen sollen Heilige sein, aber gleichzeitig Huren. Wir sollen die Familie betreuen, aber auch einen guten Job haben. Wir sollen schön sein, aber auch gute Zuhörerinnen. Wir sollen spannend sein, aber auch zuverlässig. Wir sollen cool sein, aber auch sensibel. Das Patriarchat hat uns total im Griff, und das muß weg.“
Ich kann dieses Gelaber ehrlich nicht ertragen. Die Frau zwischen allen Fronten! Die sie doch nur selbst imaginiert beziehungsweise sich einreden läßt! Früher über irgendeinen Benimm-Code, heute über Instagram. Ich kann mich mit diesen Klageweibern überhaupt nicht identifizieren. Ich finde diese Art Aufschrei kontraproduktiv. Total.
Und wie lange Frauen schon diese Philippika im Mund führen… Wenn meine Mutter „Krise“ hatte, hörte sie sich laut Gitte Haennings Wut-Schlager „Ich will alles“ von 1963 an. Die Generation unserer Töchter hörte „Stronger“ von Britney Spears undundund; dauernd gab und gibt es orchestrierte Ausbrüche gegen das „Patriarchat“, die westliche Frauenwelt wird doch seit Jahrzehnten damit angefixt! Weibliches „Empowerment“ geht dabei mit der Verächtlichmachung des Mannes einher. Und der Barbie-Film streut diesen seit langem schwelenden Diskurs nun unters allerjüngste Volk. Insofern glaube ich nicht, daß „FSK 6“ ein Mißverständnis ist – es ist Teil des Coups!
DAGEN: Achwas! Auch hier sehe ich das anders. Wir können einer Entwicklung beiwohnen, die eben nur Mütter durchleben können, dürfen, müssen. Die pubertierende Tochter ist wie ein Kerl, schart eine Gruppe Mädels um sich, die sie als Anführer und Beschützer sehen. In der Rolle gefällt sich die Tochter der Mattel-Angestellten, stößt ihre Mutter von sich und bezeichnet Barbie als Faschistin. Upps, da muß die Barbie weinen, und ich habe mich kurz gefragt, wie Barbie denn eigentlich wissen kann, was Faschismus ist? Aber selbst in der Barbie-Welt sind wohl solcherart Zuschreibungen bekannt, ob nun richtig oder falsch – ganz egal.
Allerdings zeigt sich, daß Gloria, die Mutter des Teenies, das eigentliche Zielobjekt für Barbie ist, denn diese hat Depressionen und Gedanken von der Schwärze ihrer eigenen Realität. Einen Vater gibt es auch, der aber lernt portugiesisch, vielleicht um seine Frau zu beeindrucken, die ihm in ihrem wiederum klimakterischen Unmut vollkommen fremd ist. Augenscheinlich ist sie aber wenigstens portugiesischsprachig, und der arme Mann versucht sich auf dieser Verständnis-Brücke. Verächtlich gemacht wird er dennoch nicht, nur in seiner Unsicherheit gezeigt.
Barbie, nun wieder in der Barbie-Welt, ist nach ihrer Rückkehr aus der „realen Welt“ entsetzt, wollte sie doch der mit ihr gemeinsam angereisten Mutter die schönste aller Welten vorführen – und kapituliert angesichts der ausgebrochenen Härte, wenn Ken sich zwar verletzt zeigt, aber der neue Macho in ihm die Oberhand gewinnt. Einzig Sascha, die renitente Tochter, versteht es, Barbie und ihre verzweifelte Mutter zu motivieren, diese Welt wieder in Ordnung zu bringen. Eine Handreichung der Tochter, die bereit ist, sich der Mutter wieder anzunähern.
Mutter und Tochter finden darüber wieder zueinander; rührend anzusehen, wie gemeinsame Erinnerung an früheres Puppenspiel mit Barbie die Oberhand gewinnt. Eine schöne Sentimentalität, wie sie nur in der „realen Welt“ vorkommt. Ich behaupte, das ist größtes Mutterglück!
KOSITZA: Oh … ich bin berührbar, aber hier nicht…Mal hart gesagt – wenn pubertäre Tochter und klimakterische Mutter ein Bündnis im emanzipatorischen Sinne eingehen, dann finden wir doch eher einen hormonellen Ausnahmezustand vor? Sollen wir damit enden, Susanne? We agree to disagree?
Ich fand diesen Film giftig und befinde mich damit anscheinend im konservativen Mainstream. Für mich war er Gehirnwäsche. Du wirst ihn dir dem Vernehmen nach demnächst ein drittes Mal ansehen und tolle Zwischentöne heraushören. Ja, oder?
DAGEN:
Ich sag mal so, es ist doch meistens der Ausnahmezustand, der uns zueinander bringt; wie auch immer geartet…
Barbie, soviel sei verraten, macht sich, nachdem sie die Barbie-Welt mit weiblicher List und aus der Kenntnis der einfachen Struktur eines Ken-Brain wieder aufgeräumt hat, wiederum auf in die „reale Welt“. Nun in beigefarbenem Jackett und Hosen, einzig die Birkenstock-Sandalen glitzern pink an ihrem schlanken Fuß. Sie ist auf dem Weg zu ihrer Gynäkologin, wie sie sagt, und ich erinnere mich an ihre Aussage gegenüber Ruth, der Erfinderin der Puppenwelt, die sie an einem versteckten Ort im Glaspalast, dem Firmensitz von Mattel traf: „Ich will etwas erschaffen, statt nur eine Erschaffene zu sein.“
Ihrer beider ineinandergelegten Hände läuten damit Anfang und Ende ein, sind als Zitat Michelangelos zu deuten, der den göttlichen Funken an die Menschheit weitergibt. Lebt nun endlich so, wie ihr leben müßt, schafft und erschafft!
Die letzten Szenen gehören der Bebilderung eines ganz normalen Lebens als Frau, Mutter, Großmutter – nicht als Pilotin, niemals als Müllverräumerin und nicht zwangsläufig als Präsidentin. Der Kreis schließt sich…
Ich hoffe, daß dieses Kunstwerk (ich bleibe dabei!), von dem ich meine, daß dies der am meisten mißverstandene Blockbuster aller Zeiten ist, noch viele Zuschauer findet. Viele, die genau solchen Spaß am Dechiffrieren haben wie ich und solche, die sich auch nur in die Kissen eines tiefen Kinosessels sinken und an der Spielfreude der Schauspieler, dem Kitsch, den Bildern und der Musik erfreuen lassen wollen. Manchmal entstehen Gespräche und Diskussionen daraus, wie dieses hier. Und unsere Gedanken, Deutungen und Interpretationen sagen so viel über uns aus.
All das darf sein, meine ich. Danke, Ellen!
RMH
Danke für die interessante Rezension und Diskussion. Ich werde nicht wirklich mitdiskutieren können, da ich mir den Film nicht ansehen werde. Nur 2 Klugscheißer-Anmerkungen:
Die "Bild" rühmt sich, mit einer Puppe Namens Lilli vor der Barbie auf dem Markt gewesen zu sein und sogar eine Lizenz-Ablösezahlung von Mattel bekommen zu haben. Ken hat als Puppe nichts zwischen den Beinen baumeln und ist an der Stelle genauso "glatt" wie Barbie. Dennoch hat er einen sog. Sixpack (wahre Eunuchen beneiden ihn vermutlich daraum).
Es zeigt sich der gesamte Wohlstand der "weißen" Welt, wenn über biologische Grundsselbstverständlichkeiten vertieft diksutiert werden kann und Menschen ganz konkret sogar Rollenprobleme haben.