Rheinischer Separatismus

von Marcel Kehlberg -- PDF der Druckfassung aus Sezession 113/ April 2023

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Im Jahr 1923 schien die Macht noch ein­mal auf der Stra­ße zu lie­gen. Infla­ti­on, Ruhr­be­set­zung und pas­si­ver Wider­stand brach­ten die Reichs­re­gie­rung in macht­po­li­ti­sche Bedräng­nis, so daß außer­par­la­men­ta­ri­sche Akteu­re den Coup wagten.

In Mün­chen war dies ein wenig bekann­ter lokal­po­li­ti­scher Exzen­tri­ker namens Adolf Hit­ler und in den preu­ßi­schen wie baye­ri­schen Rhein­lan­den (Pfalz) war es eine Rei­he von Grup­pie­run­gen, die sich die Her­aus­lö­sung die­ser Gebie­te aus dem Staats­ver­band auf die Fah­nen geschrie­ben hat­ten. Eine bis­lang unbe­kann­te Strö­mung trat im Wes­ten des Rei­ches punk­tu­ell ans Tages­licht und ver­schwand im Schwung der Ereig­nis­se so schnell, wie sie gekom­men war: der Separatismus.

In der deut­schen Geschich­te nimmt sich der Sepa­ra­tis­mus wie ein Fremd­kör­per aus. Deut­sche Staats­ver­bän­de waren weder zen­tra­lis­tisch, noch waren sie im moder­nen Sin­ne Viel­völ­ker­staa­ten mit irre­den­tis­ti­schen Regio­nen, mit der ein­zi­gen, beson­de­ren Aus­nah­me Elsaß-Loth­rin­gens. Die soge­nann­te klein­deut­sche Lösung unter Aus­schluß Öster­reich-Ungarns, die Bis­marck für das spä­te­re preu­ßisch-deut­sche Kai­ser­reich ver­folg­te, ent­sprang auch die­sen Befürchtungen.

Die Situa­ti­on von Bas­ken, Kor­sen, ­Kra­ji­na-Ser­ben, Kur­den oder aktu­ell der rus­sisch­spra­chi­gen Bevöl­ke­rung der Krim und des Don­bass sucht man in unse­rer Geschich­te ver­ge­bens. Die Spra­che, die Eth­nie, die Kul­tur, die Besied­lungs­struk­tur sowie die lan­ge föde­ra­le Tra­di­ti­on bis hin­auf zu ihren ger­ma­ni­schen Quel­len waren hier­zu­lan­de zu ein­heits­stif­tend aus­ge­prägt, zu tief im all­ge­mei­nen Volks­be­wußt­sein ver­an­kert, als daß es zu grö­ße­ren ter­ri­to­ria­len Infra­ge­stel­lun­gen kom­men konn­te, trotz Min­der­hei­ten wie Sor­ben oder Dänen.

Im Fall der seit 1815 (admi­nis­tra­tiv seit 1822) preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz moch­te anfäng­lich die römisch-katho­li­sche Kon­fes­si­on der Mehr­heits­be­völ­ke­rung gegen­über dem pro­tes­tan­ti­schen Preu­ßen mit­samt der offe­nen Wun­de aus dem Kul­tur­kampf eine Rol­le gespielt haben. Viel­leicht trug noch die Erin­ne­rung an das römi­sche Erbe in jenen Gebie­ten sowie an das einst stol­ze Kur­fürs­ten­tum Köln das ihri­ge zu den Abspal­tungs­wün­schen bei. Die Nie­der­la­ge des Rei­ches mit­samt sei­nen Dynas­tien im Welt­krieg wur­de von man­chen hier als beson­de­re Nie­der­la­ge Preu­ßens gewer­tet, wel­che nun die ein­ma­li­ge Gele­gen­heit zur Tren­nung bot.

Was die eigent­li­che Trieb­kraft für sepa­ra­tis­ti­sche Putsch­ver­su­che ent­lang dem Rhein anbe­langt, so ist die­se jedoch kaum klar anzu­ge­ben. Zu dif­fus waren die ideo­lo­gi­schen und stra­te­gi­schen Vor­stel­lun­gen der betei­lig­ten Per­so­nen und Grup­pen, zu undurch­sich­tig war auch das Hin­ter­grund-Spiel der fran­zö­sisch-bel­gi­schen Besat­zungs­macht. Der rhei­ni­sche Sepa­ra­tis­mus ist allen­falls in einem sehr kur­zen Zeit­fens­ter in der Pfalz als eine ein­heit­li­che Bewe­gung aufgetreten.

Selbst die Zuschrei­bung »Bewe­gung« geht fehl, han­del­te sich doch viel eher um lose Zir­kel von »Son­der­bünd­lern«, so die abschät­zi­ge Bezeich­nung von sei­ten der betref­fen­den Bevöl­ke­rung. Eine Mas­sen­ba­sis hat­ten sie zu kei­nem Zeit­punkt. Die loka­len Beset­zun­gen von Amts­ge­bäu­den, die bei­na­he regel­mä­ßig im (stel­len­wei­se blu­ti­gen) Fias­ko ende­ten, sowie die hek­ti­schen Pro­kla­ma­tio­nen rhei­ni­scher Repu­bli­ken tra­gen schon fast eine kar­ne­val­eske Note, so als hät­ten »köl­sche Polit-Jecken« eine staats­po­li­ti­sche Wei­ber­fast­nacht auf­füh­ren wollen.

Da es aber durch­aus zu gewalt­sa­men Aus­ein­an­der­set­zun­gen kam, im Sie­ben­ge­bir­ge gar zu einer Art »Schlacht«, ist der Sepa­ra­tis­mus als zwar rand­stän­di­ge, aber ernst­zu­neh­men­de Ange­le­gen­heit von Reichs­sei­te aus behan­delt wor­den. Noch 1949 sah sich Kon­rad Ade­nau­er im Par­la­men­ta­ri­schen Rat durch wüs­te Angrif­fe aus den Rei­hen der KPD mit sei­nen qua­si­s­epa­ra­tis­ti­schen Über­le­gun­gen aus der Früh­zeit der Wei­ma­rer Repu­blik kon­fron­tiert. Immer wie­der wur­de dem ers­ten Kanz­ler der Bun­des­re­pu­blik, in des­sen betont rhei­ni­scher Men­ta­li­tät Asi­en bekannt­lich an der Elbe begann, die Glaub­wür­dig­keit in Sachen Wie­der­ver­ei­ni­gungs­ge­bot angezweifelt.

Die ers­ten Impul­se für eine Los­lö­sung des Rhein­lands von Gesamt­deutsch­land gin­gen von römisch-katho­li­schen Geist­li­chen aus, die im Zuge der revo­lu­tio­nä­ren Ereig­nis­se in Nord­deutsch­land, Ber­lin und sogar Mün­chen eine radi­ka­li­sier­te Neu­auf­la­ge des Kul­tur­kampfs befürch­te­ten. Beson­ders die anti­kirch­li­chen Posi­tio­nen des preu­ßi­schen Kul­tus­mi­nis­ters Adolph Hoff­mann waren vie­len Pfar­rern wie Zen­trums­po­lit­kern ein Dorn im Auge.

Die ers­te Ver­samm­lung, in wel­cher sepa­ra­tis­ti­sche Vor­schlä­ge offen dis­ku­tiert wur­den, fand am 4. Dezem­ber 1918 in Köln statt. Die ers­ten Wort­füh­rer kamen aus dem rhei­ni­schen Kle­rus. Vor allem Pfar­rer Bert­ram Kas­tert mach­te sich für eine rhei­ni­sche Repu­blik stark und woll­te die­se umge­hend aus­ru­fen. Da die ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken der anwe­sen­den Zen­trums­po­li­ti­ker über­wo­gen, kam es dazu nicht. Pfar­rer Kas­tert wur­de spä­ter von sei­nem Ordi­na­ri­at straf­ver­setzt und spiel­te in den wei­te­ren sepa­ra­tis­ti­schen Akti­vi­tä­ten kei­ne Rol­le mehr, so wie auch das kon­fes­sio­nel­le Moment mehr und mehr von ande­ren Befürch­tun­gen bzw. Antrie­ben abge­löst wurde.

Der Köl­ner Sepa­ra­tis­mus war damit kei­nes­wegs vom Tisch. In der Fol­ge­zeit schäl­ten sich hier zwei Strän­ge aus die­ser Strö­mung her­aus, die sich erbit­tert bekämp­fen soll­ten. Zum einen ein gemä­ßig­ter Zweig, der die rhei­ni­sche Los­lö­sung ein­zig auf ver­fas­sungs­ge­mä­ßen Wegen im Sin­ne einer weit­ge­hen­den Auto­no­mie und zudem nur als ulti­ma ratio für den Fall einer spar­ta­kis­ti­schen Macht­über­nah­me in Ber­lin ange­hen wollte.

Die­se Rich­tung wur­de vom dama­li­gen Köl­ner Ober­bür­ger­meis­ter Kon­rad Ade­nau­er ver­tre­ten, der der revo­lu­tio­när bedräng­ten Reichs­re­gie­rung in Gestalt des Rates der Volks­be­auf­trag­ten 1918 sogar vor­ge­schla­gen hat­te, den Reichs­tag nach Koblenz oder Lim­burg an der Lahn ver­le­gen zu las­sen, was in Ber­lin sogleich abge­lehnt wur­de. Er war über­dies der Mei­nung, daß im Ernst­fall nur eine Los­lö­sung des Rhein­lands des­sen Annek­tie­rung durch Frank­reich ver­hin­dern oder zumin­dest erschwe­ren wür­de. Nach eige­nen Anga­ben ging es ihm dabei stets um die Bewah­rung des Deutsch­tums am Rhein. Ein von ihm 1919 frak­ti­ons­über­grei­fend ein­ge­setz­ter Aus­schuß der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung soll­te die Fra­ge einer auto­no­men west­deut­schen Repu­blik behan­deln, doch kam es nie zu kon­kre­ten Ergebnissen.

Die Reichs­re­gie­rung wie­der­um behan­del­te jeg­li­che ­Sezes­si­ons­ab­sich­ten als Hoch­ver­rat und warn­te drin­gend vor jeder Betei­li­gung. Ihre eige­nen Bestre­bun­gen, eine Neu­glie­de­rung Preu­ßens vor­zu­neh­men und die­se in der Wei­ma­rer Ver­fas­sung fest­zu­schrei­ben, mach­te das noch mäch­ti­ge Preu­ßen zunich­te. Die rhei­ni­schen Abge­ord­ne­ten ver­blie­ben treu zum Reich, und eine auto­no­me rhei­nisch-west­fä­li­sche Repu­blik inner­halb des Staa­tes stand fort­an nicht mehr auf der Agen­da der Mandatsträger.

Am 1. Dezem­ber 1918 war das links­rhei­ni­sche Gebiet von alli­ier­ten Trup­pen besetzt wor­den, poli­tisch ver­tre­ten wur­den sie von der eigens ein­ge­setz­ten Inter­al­li­ier­ten Rhein­land­kom­mis­si­on (IRKO), wel­che aller­dings unter ihrem fran­zö­si­schen Prä­si­den­ten Paul Tirard diplo­ma­tisch wie unver­hoh­len fran­zö­si­sche Inter­es­sen am Rhein gel­tend mach­te. Links des Rheins und 50 Kilo­me­ter rechts davon lag das nun­mehr ent­mi­li­ta­ri­sier­te Gebiet.

Vor allem das Ver­hal­ten der fran­zö­si­schen Trup­pen und ihrer Befehls­ha­ber in den Jah­ren 1918/19 war Was­ser auf die Müh­len der sepa­ra­tis­ti­schen Grup­pen. Der Ober­kom­man­die­ren­de der fran­zö­si­schen 8. Armee, Gene­ral Augus­tin Gérard, gab bei­spiels­wei­se sei­nen Trup­pen am 28. Novem­ber in einem Tages­be­fehl zu ver­ste­hen, daß die Fran­zo­sen gegen­über den deut­schen Bar­ba­ren als eine »befrei­en­de Ras­se« auf­zu­tre­ten hät­ten. In der auf­ge­brach­ten Bevöl­ke­rung der Pfalz, wohin er ein­mar­schier­te, wur­den sogleich his­to­ri­sche Erin­ne­run­gen an grau­sa­me fran­zö­si­sche Heer­füh­rer aus den Erb­fol­ge­krie­gen des 17. Jahr­hun­derts wach.

Neben die­ser Brachial­rhetorik und dem dar­aus fol­gen­den Ver­hal­ten der Sol­da­ten gegen­über der Zivil­be­völ­ke­rung lie­ßen sich mit der Zeit aber auch Sire­nen­ge­sän­ge ver­neh­men, in denen eben­die­ser Gene­ral Gérard Erleich­te­run­gen bei den Repa­ra­tio­nen in Aus­sicht stell­te, falls sich die links­rhei­ni­schen Gebie­te vom Reich los­sag­ten. Ähn­li­che Äuße­run­gen (eigent­lich Gerüch­te) aus dem Umkreis des Sta­bes von Gene­ra­lis­si­mus Fer­di­nand Foch über die Errich­tung einer fran­zö­si­schen Zoll­gren­ze und die öko­no­mi­sche Ein­ver­lei­bung des Rhein­lands oder über den ange­streb­ten Auf­bau einer »Rhei­ni­schen Frie­dens­re­pu­blik«, die für den Bruch mit allem Preu­ßi­schen mit Mil­de­rung der Frie­dens­be­din­gun­gen belohnt wür­de, mach­ten die Run­de und sorg­ten für Ner­vo­si­tät bei den poli­ti­schen Verantwortungsträgern.

Bei man­chen indes wur­den Erin­ne­run­gen an die links des Rheins ein­rü­cken­den fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­ons­hee­re des Jah­res 1794 wach­ge­ru­fen, die ins eigens errich­te­te »Dépar­te­ment Rhin et Mosel­le« die Errun­gen­schaf­ten der Revo­lu­ti­on von 1789 mit­ge­bracht hatten.

In die­sem Sin­ne agi­tier­te eine poli­ti­sche Lokal­grö­ße aus Bonn, der Jurist Hans Adam Dor­ten, der einer der schärfs­ten Wider­sa­cher Kon­rad ­Ade­nau­ers in der Sepa­ra­tis­mus-Fra­ge jener ers­ten Jah­re wer­den soll­te. Der ehe­ma­li­ge Welt­kriegs­of­fi­zier gehör­te dem zwei­ten, dem radi­ka­len, außer­par­la­men­ta­ri­schen Zweig an und plä­dier­te für einen sofor­ti­gen rhei­ni­schen Son­der­weg an der Sei­te des sieg­rei­chen Frank­reichs, mit des­sen Gene­ral Charles Man­gin, dem Stadt­kom­man­dan­ten von Mainz, einem offe­nen Sym­pa­thi­san­ten der rhei­ni­schen Umtrie­be, ihn eine enge Freund­schaft verband.

Dor­ten hat­te ein unge­dul­di­ges, umstürz­le­ri­sches Tem­pe­ra­ment und ver­ließ sich naiv auf die ver­mu­te­te fran­zö­si­sche Rücken­de­ckung sei­ner Vor­ha­ben. In der Fol­ge soll­te sich jedoch immer wie­der zei­gen, wie wenig frei die Sie­ger­macht Frank­reich in ihren außen­po­li­ti­schen Hand­lun­gen auf Dau­er tat­säch­lich war. Vor allem bri­ti­scher Druck wur­de in Paris schmerz­lich gespürt. Pre­mier Lloyd Geor­ge lehn­te jede Form eines unab­hän­gi­gen Rhein­lands ab.

Davon nicht beein­druckt oder in Kennt­nis gesetzt, schmie­de­te Dor­ten gewag­te Umsturz­plä­ne und ließ sich 1919 mit sei­ner poli­ti­schen Split­ter­grup­pe zu einem Putsch in Wies­ba­den hin­rei­ßen, der von den her­bei­ge­eil­ten Ein­woh­nern ver­ei­telt wur­de. Da nicht ein­mal deut­sche Poli­zei­kräf­te vor Ort gestat­tet waren, reich­te der geball­te Volks­zorn aus, um die Plä­ne im Keim zu ersti­cken. Wei­te­re iso­lier­te und unbe­waff­ne­te Unter­neh­mun­gen die­ser Art erfolg­ten in Koblenz, Spey­er und im Huns­rück, die alle­samt schei­ter­ten, da die fran­zö­si­schen Trup­pen ein­sa­hen, wie wenig Rück­halt die Sepa­ra­tis­ten in der Bevöl­ke­rung genos­sen, und die die­sen bei Abbruch der Aktio­nen allen­falls siche­res Geleit zu geben bereit waren. Dor­tens väter­li­cher Freund, Gene­ral Man­gin, wur­de im sel­ben Jahr pen­sio­niert und kehr­te nach Frank­reich zurück.

 

Das »Super-Kri­sen­jahr« 1923 in sei­nen Erschüt­te­run­gen schien für man­che auch eine Chan­ce für die eige­nen Vor­ha­ben bereit­zu­hal­ten. Dies galt etwa für die Sepa­ra­tis­ten am Rhein, die sich nach ihrer Schlap­pe in den Wir­ren der ers­ten Nach­kriegs­zeit neu zu for­mie­ren began­nen. Der umtrie­bi­ge Dr. Dor­ten, der angeb­lich eine Mil­li­on Unter­schrif­ten für eine rhei­ni­sche Repu­blik gesam­melt hat­te, erhielt unlieb­sa­me Kon­kur­renz durch ande­re Per­sön­lich­kei­ten, wel­che die sepa­ra­tis­ti­sche Sache geschick­ter in die Hand nah­men, ihr aber auch eine neue ideo­lo­gi­sche Wen­dung gaben.

Der ehe­ma­li­ge Köl­ner Sozi­al­de­mo­krat und USPD-Par­tei­gän­ger Josef Smeets hat­te in der fran­zö­sisch besetz­ten Zone die Rhei­nisch-Repu­bli­ka­ni­sche Volks­par­tei gegrün­det und zugleich ab 1920 begon­nen, aus Ver­spreng­ten der bol­sche­wis­ti­schen Roten Ruhr­ar­mee bewaff­ne­te Ver­bän­de auf­zu­stel­len. Man mun­kel­te, er unter­hal­te gute Bezie­hun­gen zum bel­gi­schen Mili­tär und bezie­he aus Brüs­sel dis­kre­te finan­zi­el­le Unter­stüt­zung, wäh­rend Frank­reich Vor­be­hal­te gegen bewaff­ne­te Grup­pie­run­gen anmel­de­te und Sor­ge um den ent­mi­li­ta­ri­sier­ten Sta­tus der betref­fen­den Gebie­te hatte.

Mit der Bil­dung sol­cher Sepa­ra­tis­ten-Armeen, spä­ter ­voll­mun­dig »Rhein­land­schutz« genannt, ver­füg­te die­se Strö­mung zwar über eini­ge Schlag­kraft, mach­te sich aber zugleich abhän­gig von links­ra­di­ka­len Kräf­ten, wel­che die Fuß­trup­pen die­ser For­ma­tio­nen stell­ten. Es soll­te sich jedoch bald zei­gen, daß in ihnen alles ande­re als eine straff dis­zi­pli­nier­te Trup­pe von kom­mu­nis­ti­schen Par­tei­sol­da­ten auf­trat, da Smeets vie­le Erwerbs­lo­se, Gestran­de­te, Kri­mi­nel­le und Flücht­lin­ge aus Ober­schle­si­en rekru­tier­te, die kei­ner­lei inne­re Bezie­hung zum Rhein­land hat­ten und sich ent­spre­chend benah­men. Bei sei­nen Anwer­bun­gen gelang es Smeets nicht, auch nur einen Offi­zier für sei­ne Trup­pe zu gewinnen.

Über­deut­lich wur­de unter Smeets eine poli­ti­sche Ver­schie­bung nach links spür­bar, da auch alt­be­kann­te Kom­mu­nis­ten wie Max ­Levi­en, Held der Münch­ner Räte­re­pu­blik, und Orga­ne wie die fran­zö­si­sche kom­mu­nis­ti­sche Zei­tung L’Humanité den rhei­ni­schen Sepa­ra­tis­mus zu unter­stüt­zen began­nen. Die Kom­mu­nis­ten ver­such­ten hier eine gären­de Sache, die sie als erfolg­ver­spre­chend ein­stuf­ten, für ihre Zwe­cke zu instru­men­ta­li­sie­ren, ähn­lich wie es Karl Radek mit dem Kampf des Frei­korps­füh­rers Albert Leo Schla­ge­ter unter­neh­men sollte.

Bevor die­se Ver­bän­de im Kri­sen­jahr 1923 zum Ein­satz kamen, wur­de das par­tei­po­li­ti­sche Hin­ter­land des Sepa­ra­tis­mus neu sor­tiert. Hans Adam Dor­ten hat­te erkannt, daß er ins Abseits zu gera­ten droh­te, und schloß sich mit Smeets in der gemein­sa­men Par­tei »Rhei­ni­sche Volks­ver­ei­ni­gung« zusam­men. Die­ses Bünd­nis war der stra­te­gi­schen Not geschul­det, da Dor­ten von Hau­se aus anti­so­zia­lis­tisch und bür­ger­lich ein­ge­stellt war, jedoch mit­ anse­hen muß­te, wie Smeets’ Par­tei­gän­ger unter den Indus­trie­ar­bei­tern für einen rhei­ni­schen Arbei­ter­staat war­ben und an die Her­stel­lung einer Mas­sen­ba­sis herangingen.

Der Streit um die Repa­ra­ti­ons­for­de­run­gen, die Kata­stro­phe der Geld­ent­wer­tung, vor allem der fran­zö­sisch-bel­gi­sche Ein­marsch ins Ruhr­ge­biet im Janu­ar 1923 und der dar­auf­fol­gen­de pas­si­ve Wider­stand bewirk­ten eine Eska­la­ti­on der Lage, in der die Sepa­ra­tis­ten noch ein­mal offen­siv für eine rhei­ni­sche Eigen­stän­dig­keit ein­tre­ten wollten.

Der Ruhr­kampf belas­te­te die Men­schen im Rhein­land über die Maßen. Ein­ge­klemmt zwi­schen den Straf­an­dro­hun­gen aus Ber­lin, von wo Ver­bo­te jeg­li­cher Zusam­men­ar­beit mit den Besat­zungs­trup­pen sowie der IRKO aus­gin­gen, und den dra­ko­ni­schen Maß­nah­men der fran­zö­si­schen Mili­tär­jus­tiz gegen­über jedem zivi­len Unge­hor­sam, schie­nen sie bereit für einen unab­hän­gi­gen rhei­ni­schen Staat zu sein, zumin­dest in den Kal­ku­la­tio­nen der Put­schis­ten. Daß die­se sich gewal­tig täusch­ten, wur­de bald offenkundig.

Als wei­te­rer Antrei­ber die­ser Sze­ne betä­tig­te sich in die­ser Zeit der Jour­na­list und gebür­ti­ge Würz­bur­ger Josef Fried­rich Matthes, der sich trotz staats­män­ni­scher Allü­ren als Har­le­kin ent­pup­pen soll­te. Er erdreis­te­te sich, in Paris Ver­hand­lun­gen über ein auto­no­mes Rhein­land füh­ren zu wol­len, wur­de aber nicht vor­ge­las­sen; ein­zig der pen­sio­nier­te Gene­ral Man­gin äußer­te Sym­pa­thie. Sogar Über­le­gun­gen zu einer eige­nen rhei­ni­schen Wäh­rung hat­te Matthes bereits ange­stellt, jedoch ver­ge­bens. Außen­mi­nis­ter Aris­ti­de Bri­and sprach sich gegen ein unab­hän­gi­ges Rhein­land aus. Ber­lin und Paris waren zudem gezwun­gen, ihre Kon­fron­ta­ti­on bei­zu­le­gen, da die Mit­ver­bün­de­ten Frank­reich klar zu ver­ste­hen gaben, daß Deutsch­land sich nicht an den Ver­sailler Ver­trag gebun­den füh­len müs­se, solan­ge die völ­ker­rechts­wid­ri­ge Beset­zung an der Ruhr anhal­te. Reichs­kanz­ler ­Stre­se­mann wie­der­um muß­te den pas­si­ven Wider­stand auf­grund der deso­la­ten Situa­ti­on der Reichs­fi­nan­zen abbrechen.

Die Zivil­be­völ­ke­rung erdul­de­te fast zwei Jah­re lang die fran­zö­si­schen Repres­sio­nen und die Wider­stands­ak­tio­nen der Frei­korps und präg­te für die Hal­tung Ber­lins den resi­gniert-spöt­ti­schen Begriff vom »Ber­li­ner Separatismus«.

Ihr Haß galt aber in ers­ter Linie den Sepa­ra­tis­ten auf eige­nem Boden, die im Fahr­was­ser der Ruhr­be­set­zung mit­schwam­men und denen sogar eine Mit­schuld am Ein­marsch gege­ben wur­de. Ein­ge­si­cker­te Frei­kor­p­s­an­ge­hö­ri­ge ver­üb­ten fol­ge­rich­tig auch gegen sie Anschlä­ge, so auf Josef Smeets, der sich dar­auf­hin aus der Poli­tik zurückzog.

Der­weil fuhr Matthes mit den von Smeets auf­ge­stell­ten Ver­bän­den auf Lkws durch rhei­ni­sche Städ­te und Ort­schaf­ten wie Düs­sel­dorf, ­Aachen, Trier etc., erklär­te die­se für ein­ge­nom­men, rief freie Repu­bli­ken aus, ließ stel­len­wei­se die grün-weiß-rote Fah­ne his­sen und mach­te sich wie­der davon. Die­se Art der pro­pa­gan­dis­ti­schen Gue­ril­la ver­fehl­te ihr Ziel völ­lig, weil es, wie schon 1918/19, zu hef­ti­ger Gegen­wehr sei­tens der Bevöl­ke­rung und der amt­li­chen Stel­len kam. Erst als die Sepa­ra­tis­ten ihre Waf­fen ein­setz­ten (zum Teil hat­ten sie fran­zö­si­sche Waf­fen­schei­ne erhal­ten), griff das fran­zö­si­sche Mili­tär ein und führ­te sie ab.

Matthes’ ein­zi­ger Erfolg gelang ihm in Koblenz, wo er sich im Okto­ber 1923 zum »Gene­ral­be­voll­mäch­tig­ten der Exe­ku­ti­ve der vor­läu­fi­gen Regie­rung der Rhei­ni­schen Repu­blik« auf­schwang. Als er aber dar­an­ging, die Ver­wal­tung mit Gefolgs­leu­ten zu beset­zen, wider­setz­ten sich die dienst­ha­ben­den Beam­ten, da sie über ihre Regie­rungs­prä­si­di­en tele­gra­phisch die Order des Reichs­mi­nis­ters des Innern erhal­ten hat­ten, die Ein­dring­lin­ge umge­hend aus den Amts­zim­mern zu ent­fer­nen. Nicht ohne pein­li­che Zere­mo­nie erklär­te Matthes schließ­lich gegen­über dem Prä­si­den­ten der IRKO for­mell sei­nen Rücktritt.

Die sepa­ra­tis­ti­sche Sol­da­tes­ka hat­te unter­des­sen im Umland der Städ­te durch Plün­de­run­gen und Gewalt­ta­ten aller Art für Auf­se­hen unter der Bevöl­ke­rung gesorgt. Als Reak­ti­on dar­auf war man vie­ler­orts dazu über­ge­gan­gen, Heim­weh­ren zu bil­den, die auf ver­schlun­ge­nen Pfa­den sogar von der Reichs­re­gie­rung Instruk­tio­nen sowie Aus­rüs­tung erhielten.

Auf den Höhen des Sie­ben­ge­bir­ges bei Aegi­di­en­berg stell­ten sich am 15. und 16. Novem­ber 1923 rund 3000 Heim­wehr­an­ge­hö­ri­ge etwa 500 bis 600 Rhein­land­schutz­leu­ten ent­ge­gen und erran­gen einen ­ful­mi­nan­ten Sieg, auch dank dem alko­ho­li­sier­ten Zustand vie­ler Sepa­ra­tis­ten, die 14 Mann ver­lo­ren. Die Gegen­sei­te hat­te zwei Men­schen­le­ben zu bekla­gen. Noch heu­te erin­nert ein Gedenk­stein an der Aegi­di­en­ber­ger Stra­ße an die­se »Schlacht« (»Gott ver­half zum Sieg«).

Wei­ter süd­lich, in der Pfalz, fei­er­te eine letz­te schil­lern­de Gestalt der sepa­ra­tis­ti­schen Sze­ne einen kurz­le­bi­gen Erfolg. Hier führ­te ein cha­ris­ma­ti­scher Land­wirt mit Namen Franz Joseph Heinz, auch Heinz-Orbis genannt, die sepa­ra­tis­ti­schen Geschäf­te. Der gewand­te Volks­red­ner mach­te sich als regio­na­ler Bau­ern­füh­rer einen nicht unum­strit­te­nen Namen, der Gerüch­ten zufol­ge bis an die Ohren Hit­lers gedrun­gen sein soll. Uner­müd­lich gei­ßel­te er die reak­tio­nä­re, impe­ria­lis­ti­sche und mili­ta­ris­ti­sche Poli­tik Mün­chens und Ber­lins, die er für alle Übel in Deutsch­land ver­ant­wort­lich machte.

In Spey­er gelang es ihm tat­säch­lich, eine Zeit­lang die Regie­rungs­ge­walt zu über­neh­men und ein Pro­gramm vor­zu­le­gen, das unter ande­rem eine Preis­fest­set­zung vor­sah und eine Ein­schrän­kung der Pres­se­frei­heit beinhal­te­te. Diver­se Son­der­ge­rich­te und Kom­mis­sio­nen soll­ten sei­ne Vor­stel­lun­gen von einer auto­no­men Pfalz über­wa­chen und umset­zen. Sei­ne Ermor­dung am 9. Janu­ar 1924 in einem Lokal in Spey­er durch eine Kom­man­do­ak­ti­on, bei der sich einer der Vor­den­ker der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, Edgar Juli­us Jung, her­vor­tat, ver­hin­der­te einen pfäl­zi­schen Son­der­weg. Die letz­ten Anhän­ger ­Heinz-Orbis wur­den durch einen Akt von Lynch­jus­tiz in Pir­ma­sens 1924 gewalt­sam ver­trie­ben und eini­ge von ihnen ermordet.

 

Sepa­ra­tis­mus ist in Deutsch­land als poli­ti­sche Erschei­nung aus­schließ­lich in einer Aus­nah­me­si­tua­ti­on auf­ge­kom­men bzw. über­haupt denk­bar gewe­sen. Ver­gleich­ba­res wie am Ende des Ers­ten Welt­krie­ges gab es nur noch ein ein­zi­ges Mal im Fall der legen­den­um­wo­be­nen »Frei­en Repu­blik Schwar­zen­berg« im Erz­ge­bir­ge, wo 1945 ins­be­son­de­re ört­li­che Kom­mu­nis­ten einen ein­ma­li­gen his­to­ri­schen Augen­blick aus­nutz­ten, um die Amts­ge­schäf­te im Ort an sich zu reißen.

Sepa­ra­tis­mus ist ansons­ten in Tra­di­ti­on und Struk­tur deut­scher Staat­lich­keit bis in die Bun­des­re­pu­blik hin­ein nicht vor­stell­bar. Das Grund­ge­setz legt inso­fern davon bered­tes Zeug­nis ab, als daß es die­se Fra­ge nicht eigens behan­delt und nur in Arti­kel 29 eine gere­gel­te wie ein­ver­nehm­li­che Neu­glie­de­rung der Bun­des­län­der zuläßt.

Was aber, wenn sich eines Tages eine ähn­li­che Aus­nah­me­si­tua­ti­on erge­ben soll­te wie nach den bei­den Welt­krie­gen? Wel­che Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on wür­de sich als Mög­lich­keit bie­ten, wenn die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung nicht mehr bestün­de oder in wei­ten Tei­len des Lan­des nicht mehr vor­herrsch­te? Gehört Sepa­ra­tis­mus nicht in die Rei­he der gewalt­frei­en Wider­stands­maß­nah­men, die zu ergrei­fen dem Staats­volk zusteht?

Ähn­lich wie mit der Frei­heit ver­hält es sich mit der Fra­ge des Sepa­ra­tis­mus – nicht nur wovon, son­dern auch wohin muß gefragt wer­den. Es gilt, die Zwei­schnei­dig­keit die­ses Phä­no­mens zu betrach­ten. Es war nicht nur rhei­ni­scher Humor, als man an Rhein und Ruhr in den Jah­ren um 1923 vom »Ber­li­ner Sepa­ra­tis­mus« sprach.

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