Common good conservatism

von Moritz Scholtysik -- PDF der Druckfassung aus Sezession 113/ April 2023

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Auf­grund der West­bin­dung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land wur­de auch der deut­sche Kon­ser­va­tis­mus US-ame­ri­ka­nisch geprägt, obwohl ein sol­cher eigent­lich die Wah­rung eige­ner Inter­es­sen und Tra­di­tio­nen zur Auf­ga­be hät­te. Vor allem Christ­de­mo­kra­ten und Libe­ral­kon­ser­va­ti­ve haben die Denk­mus­ter neo­kon­ser­va­ti­ver US-Repu­bli­ka­ner und oft­mals auch deren US-Patrio­tis­mus ver­in­ner­licht. Dabei über­se­hen sie, daß der Neo­kon­ser­va­tis­mus längst nicht die ein­zi­ge Spiel­art des US-Kon­ser­va­tis­mus dar­stellt und sei­ne Vor­macht­stel­lung über­dies gefähr­det ist. Denn auch in Über­see tre­ten ver­mehrt Bruch­li­ni­en auf, die man in der Nach­kriegs­zeit des gemein­sa­men kom­mu­nis­ti­schen Geg­ners wegen zuge­kleis­tert hatte.

Maß­geb­lich beein­flußt durch das Maga­zin Natio­nal Review des sich selbst als kon­ser­va­tiv und liber­tär bezeich­nen­den Jour­na­lis­ten Wil­liam Frank Buck­ley Jr., fan­den in den 1950er Jah­ren öko­no­mi­scher Liber­ta­ris­mus, Anti­kom­mu­nis­mus bzw. Inter­ven­tio­nis­mus und tra­di­tio­nel­ler Kon­ser­va­tis­mus unter dem Dach der Repu­bli­ka­ner zusam­men. Die phi­lo­so­phi­sche Grund­la­ge für die­sen soge­nann­ten fusio­nism lie­fer­te ­Buck­leys Mit­ar­bei­ter Frank Straus Mey­er, der sich wäh­rend des Krie­ges vom Kom­mu­nis­ten zum Liber­tä­ren gewan­delt hat­te: In sei­nem Buch In Defen­se of Free­dom (1962) erkennt er zwar die Not­wen­dig­keit eines tugend­haf­ten, sitt­li­chen Lebens an, will des­sen Gestal­tung aber dem ein­zel­nen über­las­sen, da sich der Staat nur um die Ver­tei­di­gung der Frei­heit durch Poli­zei, Mili­tär und Jus­tiz zu küm­mern habe.

Er schuf eine »Syn­the­se aus tra­di­tio­nel­lem und liber­tä­rem Den­ken«, wie es Ronald Rea­gan in einer sei­ner ers­ten Reden als US-Prä­si­dent 1981 aus­drück­te, in der er Mey­er lobend her­vor­hob. Das ver­deut­licht, daß sich Mey­ers fusio­nism inner­halb der Repu­bli­ka­ner durch­ge­setzt hat­te und die­se bis heu­te prägt. Dabei gerie­ten vor allem die tra­di­tio­nel­len Kon­ser­va­ti­ven unter die Räder, wohin­ge­gen Inter­ven­tio­nis­ten und Liber­tä­re die Ober­hand gewan­nen, nicht zuletzt durch Unter­stüt­zung des mäch­ti­gen mili­tä­risch-indus­tri­el­len Komplexes.

Die Kri­tik am fusio­nism ließ daher nicht lan­ge auf sich war­ten: Noch zu Leb­zei­ten Mey­ers beton­te etwa der Theo­re­ti­ker Rus­sell Kirk die gerin­gen Schnitt­men­gen zwi­schen kon­ser­va­ti­vem und liber­tä­rem Den­ken. Spä­ter ver­such­ten die soge­nann­ten Paläo­kon­ser­va­ti­ven wie zum Bei­spiel der Phi­lo­soph Paul Gott­fried und der mehr­fa­che Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat Pat Buchanan die neo­kon­ser­va­ti­ve Domi­nanz zu bre­chen. Letz­te­rer ver­ließ 1999 die Repu­bli­ka­ner und grün­de­te drei Jah­re spä­ter mit zwei Jour­na­lis­ten das Maga­zin The Ame­ri­can Con­ser­va­ti­ve als Gegen­stim­me zur neo­kon­ser­va­ti­ven Unter­stüt­zung der bevor­ste­hen­den Irak-Invasion.

Auf die­se jahr­zehn­te­lan­ge publi­zis­ti­sche und poli­ti­sche Vor­ar­beit folg­te mit der Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tur von Donald J. Trump ein ers­ter Durch­bruch. Auch wenn den mar­ki­gen Reden im Wahl­kampf die ent­spre­chen­den Hand­lun­gen als Prä­si­dent fehl­ten, so popu­la­ri­sier­te Trump doch die Kri­tik am repu­bli­ka­ni­schen Main­stream und erwei­ter­te den Reso­nanz­raum jener Strö­mun­gen, die nun unter Bezeich­nun­gen wie com­mon good con­ser­va­tism, Natio­nal­kon­ser­va­tis­mus, Sozi­al­kon­ser­va­tis­mus oder Post­li­be­ra­lis­mus an Zustim­mung gewinnen.

Deren gemein­sa­mer Nen­ner ist die Auf­kün­di­gung des fusio­nism: Von des­sen drei oben genann­ten Bestand­tei­len leh­ne man die »Ideo­lo­gie der frei­en Markt­wirt­schaft« und die »libe­ra­le inter­ven­tio­nis­ti­sche Außen­po­li­tik« ab, wie es der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Patrick J. Deneen auf dem kom­mu­ni­ta­ris­ti­schen Blog »Front Porch Repu­blic« aus­drückt. Statt des­sen sol­le der Fokus auf eine »stär­ker natio­nal aus­ge­rich­te­te poli­ti­sche Öko­no­mie, die sich am Gemein­wohl der Bür­ger, Fami­li­en und Gemein­den ori­en­tiert«, sowie auf eine »Außen­po­li­tik, in der Ame­ri­ka weni­ger impe­ri­al und mehr defen­siv ist«, gelegt wer­den. Die Ver­tre­ter des com­mon good con­ser­va­tism sehen sich daher auch als Anwäl­te der mehr­heit­lich wei­ßen Unter- und Mit­tel­schich­ten der fly­o­ver sta­tes zwi­schen den urba­nen, pro­gres­si­ven Küs­ten. Im Zuge der Deindus­tria­li­sie­rung vor allem der nord­öst­li­chen Bun­des­staa­ten stie­gen dort Arbeits­lo­sig­keit, Alko­hol- und Dro­gen­miß­brauch sowie die Zahl zer­rüt­te­ter Fami­li­en an.

Deren Elend ver­an­schau­lich­te der inzwi­schen zum Sena­tor von Ohio gewähl­te James David Van­ce in sei­ner Fami­li­en­ge­schich­te Hill­bil­ly-­Ele­gie (2017). Auch wenn Van­ce selbst damals ein aus­ge­spro­che­ner Geg­ner Trumps war, wur­de sein Buch häu­fig zur Erklä­rung für die hohe Zustim­mung her­an­ge­zo­gen, die Trump von der wei­ßen Arbei­ter­schaft erhielt. Dar­aus lei­ten meh­re­re Publi­zis­ten und Wis­sen­schaft­ler, dar­un­ter auch Deneen, in einem pro­gram­ma­ti­schen Auf­satz im theo­lo­gi­schen Maga­zin First Things das gro­ße Poten­ti­al einer poli­ti­schen Bewe­gung ab, die sich der Bedürf­nis­se der Arbei­ter anneh­me und die­se nicht als »aus­tausch­ba­re Wirt­schafts­ein­hei­ten« anse­he. Die Autoren kon­sta­tie­ren, daß es »kei­ne Rück­kehr zu dem kon­ser­va­ti­ven Kon­sens aus der Zeit vor Trump« und zu einem »auf­ge­wärm­ten Rea­ganis­mus« geben kön­ne. Die­ser Kon­sens habe »vor der Por­no­gra­phi­sie­rung des All­tags, vor der Kul­tur des Todes, vor dem Kult des Wett­be­werbs« und vor dem Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus kapi­tu­liert. Sie dage­gen wol­len sich einem »tyran­ni­schen Libe­ra­lis­mus« und dem »uto­pi­schen Ide­al einer gren­zen­lo­sen Welt« widersetzen.

Die dar­aus fol­gen­de Band­brei­te poli­ti­scher Zie­le faßt die Publi­zis­tin Ste­pha­nie Sla­de in einem kri­ti­schen Kom­men­tar für das liber­tä­re Maga­zin Reason zusam­men: »In wirt­schaft­li­cher Hin­sicht lehnt der Post­li­be­ra­lis­mus die Dok­trin der ›ent­fes­sel­ten‹ frei­en Märk­te ab, zuguns­ten von Zöl­len, einer ›Indus­trie­po­li­tik‹, die ame­ri­ka­ni­sche Her­stel­ler ange­sichts der Kon­kur­renz aus Über­see unter­stüt­zen soll, Lohn­sub­ven­tio­nen und ähn­li­chem. In sozia­len Fra­gen befür­wor­tet er alles von Sit­ten­ge­set­zen über eine Rück­nah­me von Ehe­schei­dun­gen ohne Schuld­fra­ge bis hin zu stär­ke­ren Ein­schrän­kun­gen der Rede­frei­heit aus Grün­den der öffent­li­chen Moral sowie (vor allem unter einer regen Grup­pe radi­ka­ler Katho­li­ken) die Ein­füh­rung eines kon­fes­sio­nel­len Staa­tes und viel­leicht sogar eines christ­li­chen Monarchen.«

Sowohl die eige­nen Aus­sa­gen als auch die Fremd­zu­schrei­bun­gen deu­ten dar­auf hin, daß es nicht nur um eine Kurs­kor­rek­tur der Repu­bli­ka­ner geht, son­dern um einen grund­sätz­li­chen Para­dig­men­wech­sel, was auch die Debat­te über die Inter­pre­ta­ti­on der US-ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung belegt. Da die­se den Geist der Auf­klä­rung atmet und vor allem von den Phi­lo­so­phien John Lockes und Mon­tes­quieus geprägt ist, ste­hen post­li­be­ra­le US-Kon­ser­va­ti­ve vor einem Legi­ti­ma­ti­ons­pro­blem. Im Gegen­satz zu den meis­ten Neo­kon­ser­va­ti­ven fol­gen sie nicht der ori­gi­na­lis­ti­schen Rechts­schu­le, die die Ver­fas­sung nach den ursprüng­li­chen, also auf­klä­re­ri­schen Vor­stel­lun­gen ihrer Autoren aus­legt. Post­li­be­ra­le for­dern statt des­sen eine am Gemein­wohl aus­ge­rich­te­te Les­art, wobei sie dafür jedoch unter­schied­li­che Bezugs­punk­te wäh­len: Der Phi­lo­soph Yoram Hazo­ny und der Rechts­wis­sen­schaft­ler Josh Ham­mer zie­hen Edmund Bur­ke her­an, der Ver­fas­sungs­recht­ler Adri­an Ver­meu­le ist von Carl Schmitt geprägt. Deneen, der Phi­lo­soph Ryan Ander­son und ande­re beru­fen sich auf das Natur­recht im Sin­ne von Aris­to­te­les und Tho­mas von Aquin. Letz­te­re nähern sich damit dem katho­li­schen Inte­gra­lis­mus an, obwohl die­ser nicht direkt als Posi­ti­on in der Debat­te zu fin­den ist, da er kei­ne ande­re Ver­fas­sungs­in­ter­pre­ta­ti­on beinhal­tet, son­dern die Tren­nung von Kir­che und Staat auf­he­ben möchte.

Die heu­ti­gen Inte­gra­lis­ten, etwa der Domi­ni­ka­ner Tho­mas Cre­an und der Theo­lo­ge Alan ­Fimis­ter, kün­di­gen damit einen wei­te­ren Kon­sens auf: die Akzep­tanz des libe­ra­len, plu­ra­lis­ti­schen Staats­ver­ständ­nis­ses in den USA durch die Katho­li­ken, maß­geb­lich erwirkt im frü­hen 20. Jahr­hun­dert durch den libe­ra­len Jesui­ten John Court­ney Mur­ray, obwohl dies Papst Leo XIII. zuvor unter dem Begriff »Ame­ri­ka­nis­mus« ver­ur­teilt hatte.

Die (rechts-)philosophischen Unter­schie­de zie­hen auch ver­schie­de­ne poli­ti­sche Stra­te­gien nach sich: Hazo­ny und das Umfeld der von ihm gelei­te­ten Edmund Bur­ke Foun­da­ti­on ­plä­die­ren für einen angel­säch­sisch gepräg­ten Natio­na­lis­mus und suchen über ihre jähr­li­che Natio­nal Con­ser­va­tism Con­fe­rence Anschluß an euro­päi­sche Vor­bil­der, allen vor­an an Vik­tor Orbán, der auf der Kon­fe­renz 2020 in Rom gespro­chen hat. Deneen hin­ge­gen schlägt in sei­nem Buch ­War­um der Libe­ra­lis­mus geschei­tert ist (2019) vor, post­li­be­ra­le Poli­tik nicht auf einer umfas­sen­den Theo­rie auf­zu­bau­en, son­dern durch Pra­xis, Erfah­rung und von unten nach oben ent­ste­hen zu las­sen, kon­kret durch den Auf­bau loka­ler, inten­tio­na­ler Gemein­schaf­ten. In einer Replik auf Deneen im Ame­ri­can Affairs Jour­nal spricht sich Ver­meu­le wie­der­um dafür aus, »die Insti­tu­tio­nen der alten Ord­nung, die der Libe­ra­lis­mus selbst geschaf­fen hat, zu über­neh­men« und sie auf das Gemein­wohl auszurichten.

Wel­cher von die­sen ver­schie­de­nen Ansät­zen sich letzt­lich durch­set­zen wird, hängt auch davon ab, ob sich im Zuge des Prä­si­dent­schafts­wahl­kamp­fes 2024 eine wei­te­re Tür für einen post­li­be­ra­len, am Gemein­wohl ori­en­tier­ten Kon­ser­va­tis­mus öff­nen wird. Es wäre nicht nur für die Ver­ei­nig­ten Staa­ten positiv.

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