Andreas Höfele: Carl Schmitt und die Literatur

Die Quintessenz zuvor: Wer nachvollziehen möchte, wie ernst der bedeutendste Staatsrechtsgelehrte des 20. Jahrhunderts das Lesen nahm, wird in Carl Schmitt und die Literatur fündig.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Und mehr: Man begreift, daß die­se Schö­ne Lite­ra­tur nicht nur Bei­werk und Zeit­ver­treib war, son­dern wesent­lich, zutiefst inspi­rie­rend, Bil­der stif­tend wahr­ge­nom­men wur­de – von einem mes­ser­schar­fen Geist, dem man vie­les zutrau­te, aber kaum einen feinst­füh­li­gen Sinn für Dich­tung und ein empa­thi­sches Wie­der­erken­nen der eige­nen Lage in dem, was lite­ra­ri­sche Figu­ren vorlebten.

Mit der exis­ten­ti­el­len Begeis­te­rung für sol­che Lek­tü­re-Fund­stü­cke ist nicht die Illus­trie­rung des eige­nen Den­kens durch Roman-Remi­nis­zen­zen gemeint. Schmitt las so, wie ­Botho Strauß es ein­mal aus­drück­te: daß näm­lich die Unschär­fe das Genaue sei, indem der aus­fran­sen­de Rand des in den Fokus genom­me­nen Bil­des jäh und durch­drin­gend »das Gan­ze« erfas­se. Das meint auch der Ver­fas­ser der vor­lie­gen­den Arbeit, Andre­as Höfe­le, wenn er fest­hält, daß bei Schmitt die Lite­ra­tur nicht aus der »Kampf­zo­ne des Poli­ti­schen« aus­schei­de: »Viel­mehr sieht Schmitt in ihr die Kon­flikt­kon­stel­la­tio­nen des Zeit­ge­sche­hens, die Umbrü­che und Erschüt­te­run­gen der gesell­schaft­li­chen Welt oft­mals seis­mo­gra­phisch genau­er regis­triert als in wis­sen­schaft­li­chem Schrifttum.«

Bei­spie­le, nicht nur von Schmitt: Ernst Jün­ger hat die grau­en­er­re­gen­de Erzäh­lung Edgar Allen Poes vom »Mahl­strom« immer wie­der als Hal­tungs­leh­re einer ret­ten­den Distanz auf­ge­ru­fen. Wer in den Mahl­strom gera­ten sei, müs­se eben­so han­deln wie der Erzäh­ler. Der näm­lich habe auf der rasen­den Fahrt in den Strö­mungs­trich­ter den Kopf nicht ver­lo­ren, son­dern ent­deckt, daß man sich nur ret­ten kön­ne, indem man das ver­meint­lich siche­re, im Stru­del aber viel zu schwer­fäl­li­ge Schiff auf­ge­be und sich, mit leich­tem Gepäck auf sich selbst gestellt, nach oben zie­hen las­se. Wer an Bord blieb, ging unter. (Daß die­ser Sprung aus dem Gehäu­se den Mann fürs Leben zeich­ne­te, gehört zur Erzäh­lung unbe­dingt dazu.)

Ähn­lich hart wird Schmitt von Bil­dern, Sze­nen, Figu­ren gepackt. Sie die­nen der Selbst­ver­or­tung. Beni­to Cere­no ist eine davon. Her­man Mel­vil­les nach die­ser Haupt­fi­gur benann­te Novel­le schil­dert die Lage eines nach einer Meu­te­rei mit dem Tode bedroh­ten Kapi­täns, der nur solan­ge am Leben gelas­sen wird, solan­ge er das Schiff navi­giert und vor Frem­den den nach wie vor frei­en Mann spielt. Dem an Bord geru­fe­nen ame­ri­ka­ni­schen Kapi­tän eines ande­ren Schif­fes ent­hüllt sich in der Tat die Lage nicht. Im aller­letz­ten Moment erst stürzt die Kulis­se. Alles, was zuvor wie ver­schlei­ert, aber mög­lich wirk­te, klärt sich schlag­ar­tig auf eine Wei­se, die nur eine Fra­ge übrig­läßt: Wie konn­te man sich je so blen­den lassen?

Mel­vil­les Novel­le aus dem Jahr 1856 erschien erst 1938 in deut­scher Über­set­zung. Schmitt ent­deck­te sie drei Jah­re spä­ter und sand­te den Band sofort an Jün­ger, mit den Wor­ten, er sei von dem »ganz unge­woll­ten, hin­ter­grün­di­gen Sym­bo­lis­mus der Situa­ti­on als sol­cher ganz über­wäl­tigt«, und sah sich selbst als einen von Mas­sen ent­mach­te­ten und zur Wah­rung des Scheins gezwun­ge­nen Kapi­tän – sprach sich aber selbst die Fähig­keit zu, den »unge­woll­ten« Sym­bo­lis­mus aus der Novel­le Mel­vil­les her­aus­zu­le­sen, also mehr in ihr auf­zu­fin­den, als der Autor in sie hin­ein­ge­schrie­ben habe.

So war Schmitt. Man soll­te sein Ver­hält­nis zur Lite­ra­tur als »hoch­gra­dig ich­be­zo­gen« begrei­fen, wie es der Ver­fas­ser der vor­lie­gen­den Arbeit emp­fiehlt. Schmitt such­te, wie ­Jün­ger, lesend nach sich selbst. Daß die­ses Lesen auf sein eige­nes Arbei­ten zurück­wirk­te, ist letzt­lich ein Aus­druck gro­ßer Wert­schät­zung den Wer­ken ande­rer gegenüber.

(Daß ein sol­ches Lesen und ein offen­her­zi­ges Kund­tun der Behaust­heit in der Lite­ra­tur ver­wund­bar machen, ist offen­sicht­lich. Aber auch hier­zu fin­det sich bei Höfe­le eine klu­ge Ein­ord­nung: »Vom Levia­than aus­ge­spien, fin­det man in der Lite­ra­tur ein Refu­gi­um.« So ist es, und wenn die­ses Ver­hal­tens­bei­spiel in unse­re Tage über­tra­gen wer­den darf, dann erschließt sich, war­um unse­re Zeit­schrift und unser Ver­lag je län­ger, je mehr Bel­le­tris­tik vor­zu­stel­len und zu ver­le­gen versuchen.)

Höfeles Unter­su­chung beginnt bei den frü­hen lite­ra­ri­schen Ver­su­chen Schmitts, sei­nem Hang zur Par­odie, erkun­det sei­ne Begeis­te­rung für das kaum les­ba­re Mega­ge­dicht »Nord­licht« von Theo­dor Däub­ler, wan­dert an der Aus­ein­an­der­set­zung mit Franz Blei und der Freund­schaft mit Hugo Ball ent­lang und mün­det in die katho­li­sche Lyrik des »schwä­bi­schen Epi­me­theus« Kon­rad Weiß, den man (auch ein gro­ßer Nut­zen die­ses Buches) mit Schmitt wiederent­decken mag. Zuletzt dann: spä­te Kaf­ka-Lek­tü­re und die Adap­ti­on von Rol­len eines Ver­folg­ten, eines »Wilds«.

Höfe­le, der Vor­sit­zen­der der Shake­speare-Gesell­schaft war, kommt natür­lich auf Schmitt-Othel­lo und Schmitt-Ham­let sehr aus­führ­lich zu spre­chen. Daß im Gang sei­ner Unter­su­chun­gen so her­me­ti­sche Denk­fi­gu­ren wie die vom Feind als der »eige­nen Fra­ge als Gestalt« und »Deutsch­land ist Ham­let« klä­rend erör­tert wer­den, ist mehr als Bei­fang: Man wird gründ­lich dar­an erin­nert, woher Schmitt das hat­te, woher es kam und wie ernst er es nahm. Daher rührt denn auch Schmitts wei­te­rer super­la­ti­ver Ruf: Er sei nicht nur der gefähr­lichs­te und der meist­be­ar­bei­te­te, der mons­trö­ses­te und der klügs­te, son­dern auch der am meis­ten lite­ra­ri­sche poli­ti­sche Den­ker des 20. Jahrhunderts.

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Andre­as Höfe­le: Carl Schmitt und die Lite­ra­tur, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2022. 523 S., 49,90 €

 

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Götz Kubitschek

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