Werner Mäder: Grundrechte und Grundunrecht

von Josef Schüßlburner --

Das Bundesverfassungsgericht hat sich von einem Organ der Verfassungsrechtsprechung in einem System ideologischer Parteienherrschaft zu einem justizpolitischen Organ entwickelt.

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Dies meint der Ver­fas­ser mit »Rich­ter­däm­me­rung«. Erläu­tert wird dies anhand zen­tra­ler Ent­schei­dun­gen, von denen das Nicht­ver­bots­ur­teil im zwei­ten NPD-Ver­bots­ver­fah­ren und die Wun­sie­del-Ent­schei­dung her­aus­ra­gen. (Wun­sie­del: Nach meh­re­ren Instan­zen wur­den 2009 die Rudolf-Heß-Gedenk­mär­sche ver­bo­ten.) Die Frag­wür­dig­keit die­ser Ent­schei­dun­gen wird auch für Nicht­ju­ris­ten ver­ständ­lich dar­ge­legt. Das Gericht woll­te hier­bei erkenn­bar jus­tiz­po­li­tisch tätig sein. Im Wun­sie­del-Fall hät­te über­haupt kei­ne Ent­schei­dung erge­hen müs­sen, weil der Beschwer­de­füh­rer ver­stor­ben war.

Statt des­sen wur­de im ers­ten Fall mit Hil­fe der Men­schen­wür­de der demo­kra­tie­kon­for­me eth­ni­sche Volks­be­griff für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt, indem er in einer ver­fehl­ten Wei­se nazi­fi­ziert wur­de, obwohl er schon dem gel­ten­den Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht von 1913 zugrun­de gelegt ist und auch in der BRD 50 Jah­re prak­ti­ziert wur­de. Deut­sche wer­den dabei uni­ver­sa­lis­tisch durch »Men­schen­rechts­in­ha­ber« ersetzt; damit wird die kon­kre­te Demo­kra­tie in Deutsch­land unter­mi­niert. Ille­ga­le Mas­sen­ein­wan­de­rung kann dann wegen der Men­schen­wür­de­ver­pflich­tung mit allen hier auf­ge­zeig­ten Fol­gen (Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten etc.) nicht mehr ver­hin­dert werden.

Im zwei­ten Fall wur­de eine an sich vom Gericht selbst als ver­fas­sungs­wid­rig erkann­te Straf­norm, näm­lich § 130 Abs. 4 StGB (»Leug­nung«), unter Beru­fung auf eine ad hoc in die Welt gesetz­te Gegen­ent­wurfs­kon­zep­ti­on gegen das NS-Regime unter Beru­fung auf die Atlan­tik-Char­ta für ver­fas­sungs­kon­form erklärt. Viel­leicht, so die Ver­mu­tung des Rezen­sen­ten, las­sen sich die juris­tisch zur Begrün­dung der Ableh­nung des Ver­bots­an­trags unnö­ti­gen Aus­füh­run­gen im NPD-Ver­fah­ren damit erklä­ren, daß so die zu erwar­ten­den Mas­sen­ein­bür­ge­run­gen von ille­gal Ein­ge­reis­ten ver­fas­sungs­recht­lich abge­si­chert wer­den soll­ten. Die Rechts­wid­rig­keit der Poli­tik der Dul­dung mas­si­ver ille­ga­ler Mas­sen­ein­wan­de­rung im Jahr 2015 stellt der Ver­fas­ser eben­falls kon­zi­se dar.

Die Argu­men­ta­ti­on des Ver­fas­sungs­ge­richts wird als ideo­lo­gie­po­li­tisch und zivil­re­li­gi­ös gekenn­zeich­net und damit außer­halb des Rechts ange­sie­delt. In der Tat ist ins­be­son­de­re der Grund­ge­setz­prä­am­bel kei­ne Kon­zep­ti­on eines »Gegen­ent­wurfs« zu ent­neh­men. Das Ver­fas­sungs­ge­richt stellt mit die­sen Ent­schei­dun­gen und ande­ren, auf die hier nicht ein­ge­gan­gen wer­den kann, zen­tra­le Grund­rech­te zur Dis­po­si­ti­on und macht etwa die Aus­übung ins­be­son­de­re der Mei­nungs­frei­heit in einem bestimm­ten Kon­text zum Grundunrecht.

Ist die­se Rich­ter­däm­me­rung auf die par­tei­po­li­ti­sche Ernen­nung der Ver­fas­sungs­rich­ter zurück­zu­füh­ren? Nun: Die Par­tei­en­li­zen­zie­rung des alli­ier­ten Mili­tär­re­gimes hat die tra­di­tio­nel­le poli­ti­sche Rech­te eli­mi­niert, so daß dem irgend­wie unab­hän­gi­gen Staats­we­sen schon eini­ges an Ideo­lo­gie­po­li­tik vor­ge­ge­ben war, was der Ver­fas­ser nur streift bzw. als bekannt vor­aus­setzt, wie die Ent­ste­hung des Grund­ge­set­zes unter einem alli­ier­ten Mili­tär­re­gime. Die­ses hat die Frank­fur­ter Schu­le eta­bliert, deren Ideo­lo­gie erst nach Ende des Ost-West-Kon­flikts ihre vol­le Wir­kung erzie­len kann – nach­dem mit der Wie­der­ver­ei­ni­gung noch ein­mal die Natio­nal­staats­kon­zep­ti­on den ­Tri­umph ein­fah­ren konnte.

Es ist des­halb auch die Fra­ge, ob die kri­ti­sier­te Recht­spre­chungs­art wirk­lich eine so neue Erschei­nung ist, zumal der Ver­fas­ser zu Recht auf die Bedeu­tung der Par­tei­en­staats­leh­re des lang­jäh­ri­gen Rich­ters Ger­hard Leib­holz hin­weist, die schon zu Beginn der Recht­spre­chung des Ver­fas­sungs­ge­richts Recht durch Poli­tik­wis­sen­schaft ver­drängt hat: eine Metho­dik, die benö­tigt wur­de, um über­haupt ein ers­tes Par­tei­ver­bot aus­spre­chen zu kön­nen. Die sich dar­aus ent­wi­ckel­te Wer­te­me­tho­dik ist bereits vom Ver­fas­sungs­ju­ris­ten Ernst Forst­hoff mas­siv kri­ti­siert worden.

Kri­tisch anzu­mer­ken ist, daß vor allem die Dar­le­gung einer Gegen­stra­te­gie fehlt, die eben poli­tisch und weni­ger gerichts­be­zo­gen zu sein hat. Der Volks­ver­het­zungs­tat­be­stand ist abzu­schaf­fen, dann kann ihn auch das Ver­fas­sungs­ge­richt nicht mehr abseg­nen. Die Par­tei­ver­bots­kon­zep­ti­on und damit das Staats­schutz­recht könn­ten ins­ge­samt dahin­ge­hend geän­dert wer­den, daß nur rechts­wid­ri­ge Hand­lun­gen von Bedeu­tung sind, nicht aber das Ver­tre­ten »fal­scher« Wer­te, wie dies für den Demo­kra­tie-Son­der­weg BRD kenn­zeich­nend ist.

Für die Ände­rung des Staats­schutz­rechts muß eine ent­spre­chen­de Par­tei Wäh­ler gewin­nen und für die Durch­set­zung genügt die ver­fas­sungs­än­dern­de Sperr­mi­no­ri­tät, ein Poten­ti­al, das eine Rechts­par­tei in Deutsch­land durch­aus hat. Um Wäh­ler für die Ände­rung der Recht­set­zung gewin­nen zu kön­nen, soll­ten die maß­geb­li­chen Ver­tre­ter des poli­ti­schen Wider­la­gers die Argu­men­ta­ti­on Mäders ken­nen und beherzigen.

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Wer­ner Mäder: Grund­rech­te und Grund­unrecht. Rich­ter­däm­me­rung, Ham­burg: ­tre­di­ti­on 2022. 192 S., 18,50 €

 

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