Jerry Z. Muller: Professor der Apokalypse

von Felix Dirsch --

Jacob Taubes war bereits zu Lebzeiten ein Geheimtip unter Geisteswissenschaftlern. Seine Persönlichkeit gilt bis heute als ebenso vielschichtig wie exzentrisch.

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Gera­de weil er wenig publi­zier­te – als Mono­gra­phie nur sei­ne Dis­ser­ta­ti­on Abend­län­di­sche Escha­to­lo­gie –, schuf er den Raum für man­nig­fa­che Deu­tun­gen sei­ner Ansich­ten. Die­se trug er nicht nur in aka­de­mi­schen Lehr­ver­an­stal­tun­gen, son­dern auch in vie­len Dis­kus­sio­nen und Debat­tier­zir­keln vor. Immer­hin gibt es aus dem Schü­ler- und Freun­des­kreis eini­ge, die sein Andenken bis heu­te hoch­hal­ten, etwa das Pro­fes­so­ren­ehe­paar Ass­mann. Alei­da Ass­mann mach­te sich beson­ders um die pos­tu­me Edi­ti­on der Vor­le­sun­gen Tau­bes’ über die poli­ti­sche Theo­lo­gie des Apos­tels Pau­lus verdient.

Jen­seits vie­ler Anek­do­ten über Leben und Werk wuß­te man über den »Pro­fes­sor der Apo­ka­lyp­se« im Grun­de genom­men wenig. Die­sem Man­gel hat nun der ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Jer­ry Z. Mull­er Abhil­fe geschaf­fen. Sei­ne gründ­li­che Stu­die dürf­te schnell zum Stan­dard­werk avancieren.

Mull­er beschreibt detail­liert den Wer­de­gang Tau­bes’. Sein Vater Zwi war als Ober­rab­bi­ner zuerst in Wien, spä­ter in Zürich tätig. In der Schweiz über­leb­te die Fami­lie die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Im Eltern­haus lern­te der Her­an­wach­sen­de das Gedan­ken­gut der Ultra­or­tho­do­xen eben­so ken­nen wie die libe­ra­le Geis­tes­welt und die Vor­stel­lun­gen der zumeist glau­bens­lo­sen jüdi­schen Sozia­lis­ten. Tau­bes’ Ver­hält­nis zum Juden­tum ist, wie sei­ne Per­sön­lich­keit ins­ge­samt, viel­schich­tig und schwie­rig auf den Punkt zu brin­gen. Nach der Pro­mo­ti­on lehr­te Tau­bes am Jewish Theo­lo­gi­cal Semi­na­ry in New York. Danach pen­del­te der Ruhe­lo­se zeit­wei­se zwi­schen Isra­el, den USA und Frank­reich. In den 1960er Jah­ren erhielt er schließ­lich eine unbe­fris­te­te Pro­fes­so­ren­stel­le (für Juda­is­tik und Reli­gi­ons­so­zio­lo­gie) an der Frei­en Uni­ver­si­tät Berlin.

Zu den fas­zi­nie­ren­den Aspek­ten sei­nes Lebens zäh­len die zahl­lo­sen Ver­bin­dun­gen, die er zu unter­schied­li­chen sozia­len wie poli­ti­schen Milieus knüpf­te: Zu rech­ten Den­kern wie Armin Moh­ler, Ernst Nol­te und Carl Schmitt, zu des­sen 95. Geburts­tag Tau­bes eine drei­bän­di­ge Fest­schrift her­aus­gab, unter­hielt er eben­so enge Kon­tak­te wie zu Mit­glie­dern der Frank­fur­ter Schu­le und zu viel­fäl­ti­gen jüdi­schen Zir­keln. Die Ver­bin­dun­gen dau­er­ten teil­wei­se über Jahr­zehn­te an.

Tau­bes’ Ansatz beweg­te sich im brei­ten Feld zwi­schen Juden­tum und Chris­ten­tum. Sei­ne immer wie­der neu­en Anläu­fe, über Escha­to­lo­gie, Apo­ka­lyp­se und Gno­sis nach­zu­den­ken, erwie­sen sich auch des­halb als frucht­bar, weil sich vor die­sem Hin­ter­grund ein Bogen zur Moder­ne schla­gen ließ. Nicht zuletzt die tota­li­tä­ren Ideo­lo­gien schlie­ßen eine wirk­mäch­ti­ge uto­pisch-escha­to­lo­gi­sche Dimen­si­on ein, sei es das »Tau­send­jäh­ri­ge Reich« der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pro­pa­gan­da, sei es das Marx­sche »Reich der Frei­heit«. Der aktu­el­le Able­ger sol­cher Unter­gangs­er­zäh­lun­gen ist die ver­meint­li­che End­zeit der her­bei­hal­lu­zi­nier­ten Kli­ma­ka­ta­stro­phe. In den 1950er und 1960er Jah­ren schlug sich die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Crè­me de la Crè­me mit der­ar­ti­gen The­men zwi­schen Reli­gi­on und Phi­lo­so­phie her­um. Exem­pla­risch sind die Namen Karl Löwi­th, Erik Voe­gel­in, Hans Blu­men­berg und Hans Jonas zu nen­nen, mit deren Werk sich Tau­bes inten­siv beschäftigte.

Der Mensch Tau­bes wird in Mullers Betrach­tun­gen nicht aus­ge­las­sen. Auf­fal­lend für vie­le Zeit­ge­nos­sen waren sei­ne öffent­lich bekann­ten amou­rö­sen Aben­teu­er und Intri­gen. Sei­ne ers­te Frau Sus­an beging Sui­zid. Auch sei­ne zwei­te Ehe mit der zeit­wei­li­gen Vize­prä­si­den­tin der Frei­en Uni­ver­si­tät, Mar­ghe­ri­ta von Bren­ta­no, kann man kaum als glück­lich bezeich­nen. Bezie­hungs­pro­ble­me beson­ders im fami­liä­ren Umfeld waren sei­ner Gesund­heit wohl nicht förderlich.

Mull­er und die kon­ge­nia­le Über­set­ze­rin Ursu­la Kömen haben ein Tau­bes-Bild gezeich­net, das den Meis­ter als Anre­ger und För­de­rer zahl­rei­cher Dis­kur­se sowie als Netz­wer­ker par excel­lence her­aus­stellt. Neben­bei wird eine gesam­te Wis­sen­schafts­epo­che por­trä­tiert. Mehr kann man von einer Bio­gra­phie nicht erwarten.

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Jer­ry Z. Mull­er: Pro­fes­sor der Apo­ka­lyp­se. Die vie­len Leben des Jacob Tau­bes, Ber­lin: Jüdi­scher Ver­lag 2022. 927 S., 58 €

 

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