Emilio Lussu: Marsch auf Rom und Umgebung

Wer Emilio Lussu (1890 – 1975) nicht kennt: Er war Kriegsfreiwilliger, hochdekorierter Frontkämpfer, sardischer Autonomist, Parlamentsabgeordneter, Antifaschist, nach dem Zweiten Weltkrieg zudem Senator und Minister.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Auf die ita­lie­ni­sche Öffent­lich­keit wirk­te er über­dies als Autor lite­ra­ri­scher und poli­tisch-zeit­ge­schicht­li­cher Bücher, wobei das 1938 erschie­ne­ne Ein Jahr auf der Hoch­ebe­ne die bekann­tes­te Publi­ka­ti­on dar­stellt und 1970 ver­filmt wur­de. Was der Süd­ti­ro­ler Folio Ver­lag nun auf­legt, ist indes die Num­mer zwei im Werk Lus­sus: Der Marsch auf Rom und Umge­bung erschien im ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal 1932, in der deut­schen Erst­über­set­zung 1971, nun also in einer schön gestal­te­ten Neu­auf­la­ge, wobei sowohl Über­set­zung als auch Nach­wort eins zu eins vom Euro­pa­ver­lag über­nom­men wurden.

Das Buch ist chro­no­lo­gisch auf­ge­baut, bei­ßend im Spott und doch erstaun­lich deskrip­tiv in der Sache. Denn Lus­su, der als Mit­be­grün­der der Sar­di­schen Akti­ons­par­tei bereits 1919 poli­tisch aktiv wur­de, beschreibt nicht nur den kon­kre­ten »Marsch auf Rom« Beni­to Mus­so­li­nis um den 28. Okto­ber 1922, son­dern auch die kon­kre­te Lebens­rea­li­tät der »Faschis­ten der ers­ten Stun­de« und ihrer Nach­fol­ger der »zwei­ten Stun­de« (oft: Über­läu­fer) auf Sar­di­ni­en und in ganz Ita­li­en. Obschon aus Über­zeu­gung Anti­fa­schist, läßt Lus­su sei­ne Zeit­ge­nos­sen »men­schelnd« zu Wort kom­men – auch Geg­ner. Ohne­hin fal­len Lus­sus Beob­ach­tun­gen, unge­ach­tet aller Par­tei­lich­keit, über­wie­gend fair aus, solan­ge es sich beim Beob­ach­tungs­ge­gen­stand nicht um sar­di­sche Faschis­ten han­delt, deren insu­la­res Tun und Den­ken als sich täg­lich wie­der­ho­len­de Far­ce per­si­fliert werden.

Der über­ge­ord­ne­te Auf­stieg des Faschis­mus – fern von Caglia­ri und Sas­sa­ri – liegt für Lus­su dar­in begrün­det, daß die Schwarz­hem­den ihre Stär­ke »nicht in par­la­men­ta­ri­schen Fines­sen« such­ten, »son­dern in der Akti­on, und dies in einer Zeit, in der alle ande­ren sich an Reden berausch­ten«. Er zitiert den »Duce« und nimmt ihn beim Wort: »Wir wer­den kein Par­la­ments­klub sein, son­dern ein Akti­ons- und Exe­ku­ti­ons­kom­man­do!« Die Faschis­ten, so stellt es Lus­su dar, waren ihrem Wesen nach kei­ne Poli­ti­ker, son­dern leb­ten ihren »sport­lich-lite­ra­ri­schen Cha­rak­ter«. Die eta­blier­ten Par­tei­en ­ver­stan­den nicht damit umzu­ge­hen und tau­mel­ten von ­Fehl­ein­schät­zung zu Fehl­ein­schät­zung. Nur des­halb konn­te ­Mus­so­li­nis Trup­pe erst die Macht erobern und dann Zustim­mung organisieren.

Bei die­ser Argu­men­ta­ti­ons­ket­te neigt Lus­su zu unpas­sen­den Über­trei­bun­gen, die viel­leicht der Ent­ste­hungs­si­tua­ti­on des Wer­kes geschul­det sind, das im Pari­ser Exil geschrie­ben und gedruckt wer­den muß­te. So wirkt man­ches zu schwarz­weiß: »Die Fabri­kan­ten und die Groß­grund­be­sit­zer hat­ten sich nahe­zu aus­nahms­los dem Faschis­mus ange­schlos­sen. Arbei­ter, Päch­ter und Land­ar­bei­ter blie­ben ableh­nend.« So hät­te ­Mus­so­li­ni kei­nen Staat bau­en können.

Zeit­los scheint hin­ge­gen Lus­sus Ana­ly­se des oppor­tu­nis­ti­schen Typus. Vie­le sei­ner Freun­de kün­dig­ten zuerst den Kampf gegen Faschis­mus bis zum Tod an, um sich dann eilig ein­kau­fen zu las­sen. »Der Gewalt zu wider­ste­hen«, resü­miert der Autor, »war nicht ein­fach, es ist aber viel schwie­ri­ger, Lockun­gen und Schmei­che­lei­en zu wider­ste­hen.« Lus­su wider­stand allen Ver­su­chen der Faschis­ten. Das Resul­tat war Ver­ban­nung auf die Insel Lipa­ri und Inter­nie­rung unter wid­rigs­ten Umstän­den; so man­cher Mit­in­sas­se über­leb­te sie nicht.

Erstaun­lich ist Lus­sus Ver­weis dar­auf, daß strik­tes Poli­tik­ver­bot unter den Häft­lin­gen bestand. Selbst blo­ße Gesprä­che waren straf­bar. Zur sel­ben Zeit saß andern­orts mit dem mar­xis­ti­schen Phi­lo­so­phen Anto­nio Gramsci (1891 – 1937) ein sar­di­scher Lands­mann Emi­lio Lus­sus in faschis­ti­scher Haft; der konn­te in den diver­sen Haft­an­stal­ten trotz aller Zen­sur sein epo­cha­les Werk – die spä­ter so genann­ten Gefäng­nis­hef­te – nie­der­schrei­ben. Über die Grün­de für eine sol­che erheb­li­che Dis­kre­panz in der Behand­lung poli­ti­scher Gefan­ge­ner erfährt man lei­der nichts im ansons­ten lesens­wer­ten Nach­wort des Über­set­zers Claus Gatterer.

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Emi­lio Lus­su: Marsch auf Rom und Umge­bung. Ein Bericht, Wien / Bozen: Folio Ver­lag 2022. 272 S., 25 €

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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