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Vorbemerkung. Der Verfasser ist sich darüber bewußt, jedenfalls auch nichtdeutsche Facetten des Linksseins mit zu beschreiben; angesichts der anscheinend unausrottbaren Neigung der Deutschen, mit negativ-originellen Maßlosigkeiten zur Weltgenesung beitragen zu wollen, konzentriert er sich gleichwohl auf linke Wesenseigenheiten, die er für genuin deutsch hält.
1. Geschichtliche Herleitung. Die Entwicklung marxistischen Denkens in Deutschland ging zeitlich einher mit drei tiefgreifenden soziologischen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts: dem sich zu seinem Beginn formierenden und nach 1830 stakkatoartig steigernden technischen Fortschritt, dem etwa zur selben Zeit sprunghaft einsetzenden Bevölkerungszuwachs und der damit verbundenen Verstädterung und Vermassung der Deutschen sowie dem spätestens zum Ende des Jahrhunderts abgeschlossenen Zerfall des Glaubens.
Geistesgeschichtlich flankiert wurden diese Industrialisierungs- und Säkularisierungsschübe vom Niedergang der klassischen Hegelschen Schule. Es waren vor allem Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach, deren Religionskritik die linkshegelianisch-materialistische Zeitenwende auslöste. Das idealistisch-romantische Erbe, dessen Abendsonne noch bis in das Hambacher Fest 1832 hineingestrahlt hatte, wurde ruhmlos abgewickelt, und der neuzeitliche Glaube an die Machbarkeit aller Dinge erfuhr eine dramatische Beschleunigung.
Nach 1848 – der Hegelsche Geist war aus der Zeit gefallen, Marx und Engels hatten das Manifest der Kommunistischen Partei verkündet – kam nach und nach jener ebenso biedere wie utopische Eudämonismus auf, der sich berufen fühlte, die englisch-mittelmäßige Philosophie Jeremy Benthams von der greatest happiness of the greatest number ins Politische zu übertragen. Seither, seit dieser »Feuerbachschen Umstülpung Hegels« (Ernst Troeltsch: »Der Historismus und seine Probleme«, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Tübingen 1922, S. 565), tritt die Linke mit jenem penetranten, im therapeutischen Gewand daherkommenden Anspruch auf, im Alleinbesitz aller Schlüssel zum Glück der Menschheit zu sein.
Auf diese Weise ist ein »religiös gefärbter Gefühlssozialismus« (Hans Freyer: Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts (1921), Hildesheim 1966, S. 87) entstanden, in dessen stickigem Klima eine seltsam anmutende Melange aus Weltverbesserern, Ressentimentmenschen und Philanthropiedarstellern den Ton angibt.
2. Ideologisches Näheverhältnis Marxismus / Kapitalismus. Das Verhängnisvolle an dieser geistigen Wendung war, daß der Marxismus seinem erklärten Gegner, dem Kapitalismus, von Anfang an ideengeschichtlich nichts Eigenes, nichts Originelles, entgegenzusetzen wußte und statt dessen ausgetretenen Holzwegen folgte: In bewußter Abkehr, ja Verachtung der deutschen Romantik, die sich bis zuletzt mit souveränen geschichtsphilosophischen Argumenten ebenso wie mit schöngeistigem Tiefgang dem Primat der Ökonomie und der Antireligion der Technizität entgegengestemmt hatte, erklärte Marx die Wirtschaft zum Alpha und Omega, zum »Unterbau« der von ihm aus der Taufe gehobenen Philosophie des Proletariats.
Diese macht sich eine anthropologische Triebfeder des Menschen gezielt zunutze: Der soziale Instinkt des einzelnen, der spürt, daß er nur in Gemeinschaft mit anderen existieren kann, wurde zweckentfremdet zu einer kollektivistischen Ideologie, bei der die schöpferische Energie des Individuums unter die Räder einer immer kräftiger stiebenden Ökonomielokomotive kam. Die Tyrannei der entfremdeten Arbeit, der »Monotheismus des Marktes« (Alain de Benoist: Gegen den Liberalismus, Dresden 2021, S. 256) und ein trostlos-materialistischer Geldfetisch, die Hauptkennzeichen des Kapitalismus spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts, wurden damit zum unverrückbaren Merkmal linker Ideologie.
Mit dieser Engführung menschlichen Lebens auf das Wirtschaftlich-Mechanische, auf die »ganze ökonomische Scheiße« (Karl Marx: Brief vom 2. April 1851 an Friedrich Engels, in: Karl Marx, Friedrich Engels: Der Briefwechsel, Bd. 1, München 1983, S. 180), beraubte sich die Linke ab origine der Chance, der kalt gekachelten Welt der Plutokraten einen Ideenkosmos entgegenzustellen, der den Gemeinschaftssehnsüchten der Menschen eine würdige Heimat gibt.
Die mit einem bemerkenswerten theoretischen Aufwand und einem unablässigen rhetorischen Geklappere in Szene gesetzte Dichotomie zwischen Kapitalismus und Marxismus war also nie etwas anderes als eine Luftspiegelung für Ahnungslose. Tatsächlich findet man im Werkzeugkasten beider Anschauungsweisen immer nur ein und dasselbe Instrument: den – einmal individualistisch, einmal umverteilungswütig etikettierten – Geldhammer, mit dessen monotoner Handhabung man glaubt, alle Problemnägel dieser Welt in die Wand schlagen zu können.
3. Egalitarismus. Der linke Motor bezieht seinen Treibstoff in erster Linie aus negativen Reflexen, aus nur schlecht kaschierten Nivellierungsgelüsten; dem Marxismus fehlt jede schöpferische Potenz. Um im Innern dieser großen Gleichheitsmaschine die Betriebstemperatur halten und das immergleiche Mantra von der »sozialen Gerechtigkeit« stets aufs neue abspulen zu können, müssen am laufenden Band neuentdeckte »Unterprivilegierte«, »Benachteiligte« und anderweitige Havenots jeglicher Schattierung präsentiert und nötigenfalls aus aller Herren Länder herangekarrt werden.
»Neid und Eifersucht sind die Schamtheile der menschlichen Seele« (Friedrich Nietzsche: »Menschliches, Allzumenschliches« (1878), in: ders.: Kritische Studienausgabe (KSA), Bd. 2, München 1988, S. 321), und niemand beherrscht die Niedrigbauweise des Egalitarismus so wie die Nachfahren des Justizratssohnes aus Trier an der Mosel: »Gleichheit ist […] kein Zustand, sondern ein Herrschaftsinstrument« (Walter Leisner: Der Gleichheitsstaat, Berlin 1980, S. 19). Die Stärke des Marxismus, das Geheimnis seiner traurigen und – insbesondere im 20. Jahrhundert – eine lange Blutspur hinter sich herziehenden Attraktion besteht in »seine[r] Kunst, die Ressentiments zu bündeln und in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Dafür genügen Reizwörter, einige geschickt montierte Feindbilder« (Armin Mohler: Tendenzwende für Fortgeschrittene, München 1978, S. 196). Das ungehemmte Ausleben solcher Ressentiments hat auf der Linken jenes ewig unzufriedene Lebensgefühl aufkommen lassen, das Bewunderung für Fähigkeiten und Leistungen eines anderen nicht kennt. Statt dessen blickt man in diesen bedauernswerten Milieus – stilecht verkörpert von Gestalten, deren Mundwinkel nach unten gezogen sind und auf deren Schultern das ganze Leid der (Dritten) Welt zu lasten scheint – voller Mißgunst auf diejenigen, denen man nichts anderes vorzuwerfen vermag als ihre Ungleichheit.
4. Internationalismus. Kraft ihrer universalistischen Herkunft aus dem Geist von 1789 war und ist die Linke streng internationalistisch zugeschnitten. Die achtbaren Versuche Ferdinand Lassalles und Hermann Hellers, die marxistische Doktrin national zu erden und im Lande Herders und Fichtes einen volksgebundenen Sozialismus zu entwickeln, sind längst Geschichte.
Nur kurz unterbrochen durch das Augusterlebnis 1914 und die als »sozialdemokratisches Feldgrau« idealisierte Phase der Identifikation mit der Nation, zieht sich – von August Bebels landesverräterischen Kontakten mit dem britischen Geheimdienst vor dem Ersten Weltkrieg bis zu dem heutigen Antifa-Geblöke »Deutschland, du mieses Stück Scheiße!« – eine lange Spur linker Volksfeindlichkeit durch die deutsche Geschichte. Mit ihrem ausgeprägten, das ethnische Überleben bewußt aufs Spiel setzenden Haß auf das Eigene besitzt die deutsche Linke – im Vergleich mit linken Bewegungen jenseits der deutschen Landesgrenzen – ein beklemmendes Alleinstellungsmerkmal: Kein italienischer Kommunist, kein französischer Sozialist, erst recht kein Linker in Asien oder Lateinamerika bekämpft das Land seiner Väter so hartherzig, so unnachsichtig, so lieblos wie der deutsche Linke.
An diesem ernüchternden Befund ändern mit dem zeitüblichen Pathos garnierte Ansprachen führender Linker, wie etwa Friedrich Ebert, Kurt Schumacher oder Willy Brandt, nichts. Wenn es darauf ankam, optierte die deutsche Linke in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle gegen das eigene Land (zum Beispiel Aufkündigung des »Burgfriedens« im Ersten Weltkrieg 1916 ff., Begründung der DDR 1949 mit ihrer 40jährigen Unrechtspraxis gegen das eigene Volk, Godesberger Programm der SPD 1959 und der in ihm vollzogene Kotau vor dem westextremistischen Laisser-faire-Einzelmenschsystem, Ostverträge 1970 / 72 mit ihrem gegenleistungslosen Verzicht auf jahrhundertealten deutschen Volks- und Kulturboden, Forcierung des Multi-Kulti-Wahns ab Mitte der 1970er Jahre und nun 2022 ff.: Waffenlieferungen in das ukrainische Kriegsgebiet, verbunden mit vulgärmilitaristischem Getöse durch Expazifisten, und damit vorsätzliche Heraufbeschwörung der Gefahr einer atomaren Auslöschung der Deutschen).
5. Demophobie. Paradox formuliert, könnte man das linksgestrickte »Nie wieder Deutschland« unserer Tage als die Heimat der Heimatlosen bezeichnen. Die Titulierung als »vaterlandslose Gesellen«, im Kaiserreich eines der schlimmsten Schimpfwörter, dürften die meisten Linken der Habermas-Habeck-Gewichtsklasse ohnehin als Kompliment auffassen.
Tatsächlich kennzeichnen die Weltoffenheitsmanie der »Wir haben Platz«-Volksfeinde und ihre darauf beruhende Weigerung, Deutschlands Grenzen zu schützen, die ganze »Emanzipation ins Leere und die vom Plakatieren sogenannter westlicher Werte bestärkte Ort- und Horizontlosigkeit« der Linken (Frank Böckelmann: Jargon der Weltoffenheit, Waltrop/Leipzig 2014, S. 88). Deren Demophobie mündet zwischenzeitlich in einer erstaunlichen Blindheit gegenüber dem Schicksal derjenigen, die eine im präzisen Sinne des Wortes bodenlose Soziologie als »Globalisierungsverlierer« herabwürdigt.
Das politische Porzellan, das die Linke auf diesem Felde in den vergangenen zwei Jahrzehnten zerdeppert hat, wächst sich ins Endlose aus. Die Mesalliance mit den stets liquiden, über die »billigen Linken« nur spottenden Geldaposteln des Westens hat eben ihren Preis. Wer sich Annalena-mäßig als Jungführer der Davokratie mit solchen Figuren ins politische Bett legt, verliert alle Unschuld und darf sich nicht wundern, selbst von Gutwilligen nur noch als US-Sprechpuppe wahrgenommen zu werden.
6. Links / rechts-Verbrüderung? Aufgrund der vorbeschriebenen linken Aversion gegen alles Deutsche sind den Phantasien, eine atlantisch unverseuchte, quasi naturbelassene Linke könnte sich – unseligen Angedenkens an den Berliner Straßenbahnerstreik 1932 – bei einer weiteren Zuspitzung der Lage mit der Rechten gegen die hier schon länger Regierenden verbünden, sehr enge Grenzen gesetzt. Für eine solche Neuauflage der »Topographie der Hufeisen« (Armin Mohler), bei der sich die Extreme – bewegt durch imaginäre Magnetkräfte der Ideengeschichte – berühren, spricht wenig.
Auch die stilsicher gekleidete, geschickt formulierende und mit Kritik an der Geldherrschaft glänzend verdienende Madame Wagenknecht, die kurioserweise in den Jeanne‑d’Arc-Tagträumen vieler Rechtskonservativer fast noch präsenter zu sein scheint als in den Geschwätzsendungen des Zwangs-Pay-TV, operiert zwar gerne mit scheinbar verheißungsvollen Vokabeln wie »De-Globalisierung« und neuerdings sogar – horribile dictu – »Nationalstaat«. Wenn es aber konkret werden soll, liest man auch bei der heiligen Sahra nichts von der Zukunft des deutschen Volkes, sondern muß mit den immergleichen internationalistischen Plattitüden aus der Mottenkiste des Marxismus Vorlieb nehmen (für »Solidarität«, »Miteinander«, »soziale Gerechtigkeit«, gegen »Reiche«, »Diskriminierung« usw. usf.; vgl. Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten, Frankfurt a. M. / New York 2022, insbes. S. 277 ff., 370 ff.).
Von wem und für wen diese Friede-Freude-Fortschritt-Wundertüte geöffnet werden soll, bleibt in einem bewußt vieldeutig gehaltenen Zwielicht, das alle Optionen offenläßt. Daß die vergreisten Deutschen, die dank ihrer politischen Arglosigkeit alle Chancen darauf haben, sich als die europäischen Indianer des 21. Jahrhunderts von der Geschichte zu verabschieden, zu der bevorzugten Klientel dieses linken Menschheitsumarmungsprogramms zählen, steht eher nicht zu erwarten: »Ich bin mit zwei Sätzen aufgewachsen […]: ›Es ist unverantwortlich, Kinder in die Welt zu setzen.‹ Und: ›Nie wieder Deutschland.‹ Ich habe linkes Bewußtsein nur wahrgenommen in dieser Engführung. – Linkssein hieß, am Projekt der Abschaffung Deutschlands zu arbeiten. Und dieses Projekt ist tatsächlich sehr realistisch geworden.« (Norbert Bolz, zit. nach Nation Europa Bd. 56 (2006), S. 18)
7. Antifaschismus. Neben dem Fortschritts- und dem Gleichheitsdogma wird die Linke von kaum etwas mehr beherrscht als von ihrer in der Wolle gefärbten antifaschistischen Gesinnung. Nichts scheint in dieser hochnervösen Atmosphäre wichtiger zu sein als die sich tagtäglich neu stellende Aufgabe, das gefährlich untot scheinende Ungeheuer aus Braunau an seiner Wiederauferstehung zu hindern. Das ist wahrhafte Kärrnerarbeit: Man lebt, man schreibt, man redet von morgens bis abends allein zu dem Behufe, einen Adolphum redivivum zu verunmöglichen.
Dem Antifaschismus kommt in der BRD tatsächlich der Rang einer verweltlichten Glaubensform zu, deren unsichtbare Gebetsmühlen das gesamte öffentliche Leben bestimmen. Für die deutschen Linken ist Hitler auch fast 80 Jahre nach seinem Tod »die schwarze Sonne, um die sämtliche Wert-Planeten dieser Republik kreisen« (Botho Strauß, zit. nach Michael Wiesberg: Erinnerung als Dichterpflicht, Berlin 2018, S. 51). Auf der Grundlage dieser »reductio ad Hitlerum« (Leo Strauss) ist eine skurrile Tätervolksgemeinschaft entstanden, in der Ängste, Verdächtigungen und Denunziationen zu den ständigen Begleitern eines sich immer absurder gestaltenden Politikbetriebes geworden sind.
Unrettbar verheddert in diesem psycho-politischen Unterholz der Vergangenheitsbewältigung, ist man sich bei den linken Matadoren der Hitlerdauerbesiegung vor allem in einem Punkt einig: Nie wieder darf Deutschland eine eigenständige Rolle in der Welt spielen. Dazu muß es außenpolitisch im Rahmen der Bündnissysteme des Westens eingehegt und im Innern durch den möglichst unkontrollierten Zustrom von Fremden heterogenisiert, also »verdünnt«, will sagen: allmählich in seiner Substanz beseitigt werden.
8. Geistiges Band zwischen »1945« und »1968«. Die 68er und ihre Nachzügler haben bis heute den Clou der Ideengeschichte Posthitlerdeutschlands, die Funktion des Antifaschismus als die Fortsetzung eines Strategems der Besatzungsmächte zur Niederhaltung des deutschen Volkes, nicht begriffen. Tatsächlich war dem linken Marsch durch die Institutionen 1968 ff. die alliierte Kaperung eben dieser Institutionen 1945 ff. vorausgegangen. Es gab somit ein geheimes Einverständnis zwischen »1945«, der militärischen, und »1968«, der geistig-ethischen Niederwerfung der Deutschen; oder im Clausewitz-Stil ausgedrückt: 1968 war im wesentlichen nie etwas anderes als die Fortsetzung von 1945 mit anderen Mitteln.
Allen »Ho, Ho, Ho Chi Minh«-skandierenden Demos, allem Che-Guevara-Kult und dem ganzen Vietnam-Gedöns zum Trotz: Die antifaschistischen Linken in Deutschland waren nie etwas anderes als die nützlichen Idioten der US-Amerikaner. Deren Reeducation-Konzepte konnten gerade deswegen auf der ganzen Linie obsiegen, weil es auf seiten der Linken niemanden gab, der den Mut hatte, sich der moralischen Verdammung eines ganzen Volkes entgegenzustemmen. Eine solche Widerstandsleistung wäre indes – aufgrund der fehlenden NS-Belastung ihrer maßgeblichen Repräsentanten – die genuine Aufgabe der deutschen Linken gewesen.
Statt diese Handlungsfreiheit für den Versuch eines Neustartes der eigenen Nation jenseits kapitalistischer Irrwege zu nutzen, unterwarfen sich die Linken freiwillig einer raumfremden Großmacht. Diese installierte mit ihrem Freedom-and-democracy-Verständnis 1945 ff. in Westeuropa und 1990 ff. in Osteuropa ein willfähriges Brainwash-Personal, dem es an jeder Urteilskraft gebricht und das man mit – jenseits und diesseits des großen Teiches befindlichen – atlantischen Thinktanks vergleichsweise einfach lenken kann.
9. Repräsentativer Konsum. Die linksdurchwirkte, aus dem Geist der Frankfurter Schule hervorgegangene Bundesrepublik bog spätestens Anfang der 1980er Jahre ins Unverfängliche, ins Belanglose, ins Linksliberale ab. Die theoretische Potenz sattelfester marxistischer Ideologen war out, in wurde der Kotau vor der geheimen Staatsgesinnung der Bimbesrepublik, dem repräsentativen Konsum. Diesem gilt – von der »Wir sind wieder wer«-Aufbauphase nach dem Krieg bis zur »You’ll never walk alone«-Gegenwart – die geheime Loyalität der Bundesbürger.
Von diesem Virus eines Neobiedermeier wurde auch die ins Hedonistische abdriftende Linke befallen: In dem gleichen Maße, wie die Produktionskraft der Wirtschaft wuchs und dazu auf der individuellen Ebene analog: die Droge des persönlichen ökonomischen Erfolges ihre betäubende Wirkung entfaltete, schnurrte der revolutionäre Elan der Linken auf Miniaturformat zusammen. Aus der Raupe des stets klammen, über die Ungerechtigkeiten dieser Welt lamentierenden Revoluzzers schlüpfte der Schmetterling des smarten Partylinken, der es verstand, es sich auf dem Lebenslügesofa der BRD so richtig gemütlich zu machen. Als Nachwuchscleverle schwor er fortan, die eigene Prosperität vor allem dadurch zu fördern, daß er das Herrschaftsgefüge der Geldaristokratie nie ernsthaft in Zweifel zieht.
Bei dieser Vorgeschichte kann es nicht weiter verwundern, daß die alte Fuhrwerkerweisheit, daß, wer gut schmiert, gut fährt, im real existierenden Linksliberalismus von betörender Aktualität ist. Die Obszönität des Geldes, das gerade in politicis die Tendenz hat, »alle sozialen Beziehungen in Prostitutionsverhältnisse um[zuformen]« (Alain de Benoist: Gegen den Liberalismus, S. 408), begleitet hierzulande nahezu jeden politischen Prozeß von Relevanz. Die effektivste Schmierspritze befindet sich dabei in Händen des Staates, der nicht nur ein Millionenheer von Beamten und Rentnern alimentiert, sondern vor allem durch ein filigranes Umverteilungs‑, Subventions- und Steuersystem die (Fehl-)Anreize setzt, mit denen er einen Gutteil seiner Macht ausübt. Dorthin, wo es am besten, weil am geräuschlosesten flutscht, strömen die Linksliberalen wie die Motten zum Licht.
Die Älteren dieser rundumversorgten Spezies haben längst ihren Frieden mit der ehedem als so repressiv empfundenen Bundesrepublik gemacht. »Wir sind die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben«, hatten sie sich vor Jahrzehnten spätpubertär nicht entblödet. Heute können sie sich – in stiller Verachtung gegenüber den 15 Millionen Menschen, die in diesem Land die Umverteilungsmasse erwirtschaften – ins Fäustchen lachen nach der Parole: »Wir sind die Leute, die den Witz des Systems kapiert haben und dort abernten, wo andere gesät haben.«
Wenn diese APO-Opas dann noch ihre Absahnermentalität mit dem Schmelz der Erinnerungen an ihre vermeintlich revolutionäre Jugend zu bemänteln bestrebt sind, dokumentieren sie auf ihre Weise, daß sie die kurvige Wegstrecke vom Langhaarigen mit dem Palästinensertuch um den Hals bis zum Vegan-Bobo mit dem SUV in der Garage mit ein und derselben Einstellung absolviert haben: »Sich als etwas Besonderes fühlen, ohne dies durch irgendeine Art von Leistung einlösen zu müssen, ist ein Grundmotiv dessen, was man politisch links nennen kann.« (Reinhard Falter: Ludwig Klages – Lebensphilosophie als Zivilisationskritik, München 2003, S. 80)
10. Davokratie. Das geheime Einverständnis zwischen den Dioskuren der Scheinalternativen Kapitalismus und Marxismus, Adam Smith und Karl Marx, gipfelt im 21. Jahrhundert in einer »große[n] ideologische[n] Osmose« (Alain de Benoist: Gegen den Liberalismus, S. 34): An Davoser Hotelbars prosten sich blasierte Geldmenschen und moralintrunkene Linkskonformisten auf die gemeinschaftliche Beherrschung der rückständigen Somewheres zu und versichern sich dabei gegenseitig, den Weg in die schöne, neue, transhumane Big-Data-Zukunft nur Hand in Hand zu gehen. Die gelegentlich noch aufflackernde antikapitalistische Rhetorik linker Wahlstimmenfänger ist also nichts als Augenwischerei:
»Die Linke hat aus dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten die Lehre gezogen, daß es offenbar keine funktionierende linke Wirtschaft gibt. Die Linke hat begriffen, daß sie den Kapitalismus nicht stürzen muß, um zu herrschen, sondern daß es genügt, ihn zu bewirtschaften. Sie will nicht mehr Überwinder des Kapitalismus sein, sondern sein Parasit« (Michael Klonovsky: »Acta diurna« vom 18. September 2020, klonovsky.de/acta-diurna).
Der neue »Unterbau« des Marxismus ist nunmehr also – das ist eine ideengeschichtliche Pointe besonderer Art – der Kapitalismus selbst! Dessen ökonomischer Effizienz beugt sich der Neulinke gerne, solange er derjenige ist, der den Staat okkupiert hat und als gatekeeper darüber entscheidet, wohin die Geldströme fließen. Diese finanzielle Dauerbefeuerung linker Programmatik hat Machtstrukturen geschaffen, die sich – jenseits der Fragilität tagespolitischer Diskurshoheiten – noch als äußerst zählebig erweisen könnten.
RMH
Vor dem Hinterrund der angekündigten Parteigründung von Frau Wagenknecht ist Punkt 6 besonders aktuell. @alle, bitte zumindest diesen Punkt lesen, falls man den Rest des beachtenswerten Beitrags ob seiner Länge wegen nicht zu lesen schafft (was aber schade wäre).