Allein durch die Aufmachung (»goldene« Lettern, bildlos) erinnert sein neues Buch an ähnliche Bestseller – beispielsweise von Amy Chua, Rainer Zitelmann und Jordan Peterson. Was eint diese Autoren? Ganz klar: daß sie einen »Weg zum Erfolg« beschreiben. Chua, Zitelmann und Peterson gehen dabei höchst unterschiedliche Pfade.
Unger gibt einen weiteren Weg hinzu. Für ihn ist es die »Heldenreise des Künstlers«. 2012 hatte er, noch politisch unauffällig, ein Buch dieses Titels veröffentlicht. Damals ging es ihm darum, zu schildern, wie es ist, sich als Kunstschaffender unter Schmerzen von der Normgesellschaft zu entfernen. Ihm wurde (aus dem, grob gesagt, »Querdenker«-Umfeld) geraten, diese Schrift anhand neuer Ereignisse zu renovieren.
Unger hat den zaudernden Künstler von damals (der er selbst war, bevor er die Loslösung von einem »ordentlichen Beruf« hin ins freie Schaffen wagte) mit dem zaudernden Bürger ersetzt: der mit sich ringt, ob das »so« bis ans Lebensende weitergehen soll. »So« meint: das Hängen an Konventionen, das artige Befolgen von Mainstreamanweisungen, die vielfältigen Kompensationen (wie Konsum, seichte Unterhaltung, Alltagsdrogen), mit denen der Mensch jahrzehntelang hantieren kann, um Lebensüberdruß und Sinnsuche zu ummänteln.
Die Schriften C. G. Jungs und vor allem Viktor Frankls dienen Unger als Rüstzeug, um den Leser bei seiner persönlichen »Heldenreise« zu begleiten. Angelehnt an den klassischen Heldenmythos, gilt es, elf Stationen zu bewältigen. Zunächst steht das »karge Land«: ein Ort der Not, der Krise und der Dekadenz. Es tritt, zweitens, ein »Bote« auf, der die Tür ins Freie einen Spalt öffnet und klarmacht, daß ein »Weiter so« mit Selbstverrat ausgepreist sei. Drittens folgt »der Ruf«, dann der Aufbruch, die Begegnung mit dem Feind und so weiter bis zur letzten Station, dem »Dienst«.
Diese Reise ist in jedem Fall ein Sprung ins Ungewisse: »Das Wagnis besteht in nichts Geringerem als darin, die Bereitschaft aufzubringen, das allseits propagierte und als absolute Wahrheit ausgegebene Weltbild zu prüfen.« Wichtig: Bei dieser Selbstbefreiung wird es Gegenwind geben, da angepaßte Menschen dazu gezwungen seien, freie Denker durch Pathologisierung und Beschämung klein zu halten.
Seinen eigenen Gang ins »Freie« hat Unger erst um 2015 geschafft, ein Späterweckter, der nun klagt, daß man ihm unterstelle, »Neurechter« zu sein. Sein Buch hat ganz famose Strecken, auch jenseits des oben skizzierten zweiten Kapitels; sogar gelegentliche Eitelkeiten (die Betonung, einer seltenen Berufung zu folgen, ein »königliches Erbe« anzutreten) sind verzeihlich.
Eine Straffung hätte dem Werk allerdings gutgetan – allein die langen Fremdzitate dürften ein Drittel des Buches ausmachen. Daß zusätzlich das gesammelte Wissen über den Corona-Hype (kontrafaktisch behauptet er, die AfD habe mitgemacht!), den Ukraine-Konflikt, die Klimanarren, Rockefeller etc. hineingetragen wurde, ist etwas zuviel Mitteilungsdrang und zerfleddert den Kern der Reisechoreographie.
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Raymond Unger: Die Heldenreise des Bürgers. Vom Untertan zum Souverän, München: Europa 2023. 404 S., 25 €
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