Raymond Unger: Die Heldenreise des Bürgers

Raymond Unger (*1963) ist bildender ­Künstler, Therapeut und Autor. Mit seinem hervorragenden Buch Die Wiedergutmacher. Das Nachkriegstrauma und die Flüchtlingsdebatte (2018) hat er sich als genauer Beobachter und Analytiker rezenter deutscher Seelenlagen empfohlen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Allein durch die Auf­ma­chung (»gol­de­ne« Let­tern, bild­los) erin­nert sein neu­es Buch an ähn­li­che Best­sel­ler – bei­spiels­wei­se von Amy Chua, Rai­ner Zitel­mann und Jor­dan Peter­son. Was eint die­se Autoren? Ganz klar: daß sie einen »Weg zum Erfolg« beschrei­ben. Chua, Zitel­mann und Peter­son gehen dabei höchst unter­schied­li­che Pfade.

Unger gibt einen wei­te­ren Weg hin­zu. Für ihn ist es die »Hel­den­rei­se des Künst­lers«. 2012 hat­te er, noch poli­tisch unauf­fäl­lig, ein Buch die­ses Titels ver­öf­fent­licht. Damals ging es ihm dar­um, zu schil­dern, wie es ist, sich als Kunst­schaf­fen­der unter Schmer­zen von der Norm­ge­sell­schaft zu ent­fer­nen. Ihm wur­de (aus dem, grob gesagt, »Querdenker«-Umfeld) gera­ten, die­se Schrift anhand neu­er Ereig­nis­se zu renovieren.

Unger hat den zau­dern­den Künst­ler von damals (der er selbst war, bevor er die Los­lö­sung von einem »ordent­li­chen Beruf« hin ins freie Schaf­fen wag­te) mit dem zau­dern­den Bür­ger ersetzt: der mit sich ringt, ob das »so« bis ans Lebens­en­de wei­ter­ge­hen soll. »So« meint: das Hän­gen an Kon­ven­tio­nen, das arti­ge Befol­gen von ­Main­strea­man­wei­sun­gen, die viel­fäl­ti­gen Kom­pen­sa­tio­nen (wie Kon­sum, seich­te Unter­hal­tung, All­tags­dro­gen), mit denen der Mensch jahr­zehn­te­lang han­tie­ren kann, um Lebens­über­druß und Sinn­su­che zu ummänteln.

Die Schrif­ten C. G. Jungs und vor allem Vik­tor Fran­kls die­nen Unger als Rüst­zeug, um den Leser bei sei­ner per­sön­li­chen »Hel­den­rei­se« zu beglei­ten. Ange­lehnt an den klas­si­schen Hel­den­my­thos, gilt es, elf Sta­tio­nen zu bewäl­ti­gen. Zunächst steht das »kar­ge Land«: ein Ort der Not, der Kri­se und der Deka­denz. Es tritt, zwei­tens, ein »Bote« auf, der die Tür ins Freie einen Spalt öff­net und klar­macht, daß ein »Wei­ter so« mit Selbst­ver­rat aus­ge­preist sei. Drit­tens folgt »der Ruf«, dann der Auf­bruch, die Begeg­nung mit dem Feind und so wei­ter bis zur letz­ten Sta­ti­on, dem »Dienst«.

Die­se Rei­se ist in jedem Fall ein Sprung ins Unge­wis­se: »Das Wag­nis besteht in nichts Gerin­ge­rem als dar­in, die Bereit­schaft auf­zu­brin­gen, das all­seits pro­pa­gier­te und als abso­lu­te Wahr­heit aus­ge­ge­be­ne Welt­bild zu prü­fen.« Wich­tig: Bei die­ser Selbst­be­frei­ung wird es Gegen­wind geben, da ange­paß­te Men­schen dazu gezwun­gen sei­en, freie Den­ker durch Patho­lo­gi­sie­rung und Beschä­mung klein zu halten.

Sei­nen eige­nen Gang ins »Freie« hat ­Unger erst um 2015 geschafft, ein Spä­ter­weck­ter, der nun klagt, daß man ihm unter­stel­le, »Neu­rech­ter« zu sein. Sein Buch hat ganz famo­se ­Stre­cken, auch jen­seits des oben skiz­zier­ten zwei­ten Kapi­tels; sogar gele­gent­li­che Eitel­kei­ten (die Beto­nung, einer sel­te­nen Beru­fung zu fol­gen, ein »könig­li­ches Erbe« anzu­tre­ten) sind verzeihlich.

Eine Straf­fung hät­te dem Werk aller­dings gut­ge­tan – allein die lan­gen Fremd­zi­ta­te dürf­ten ein Drit­tel des Buches aus­ma­chen. Daß zusätz­lich das gesam­mel­te Wis­sen über den Coro­na-Hype (kon­tra­fak­tisch behaup­tet er, die AfD habe mit­ge­macht!), den Ukrai­ne-Kon­flikt, die Klima­narren, Rocke­feller etc. hin­ein­ge­tra­gen wur­de, ist ­etwas zuviel Mit­tei­lungs­drang und zer­fled­dert den Kern der Reisechoreographie.

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Ray­mond Unger: Die Hel­den­rei­se des ­Bür­gers. Vom Unter­tan zum Sou­ve­rän, Mün­chen: ­Euro­pa 2023. 404 S., 25 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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