Was Thomas Hoof etwa hier (Sezession 46 und 100) oder was die Kehre zur Nachhaltigkeit veröffentlichte, findet sich auch beim Großdenker wieder. Mit Mehrwert.
Sloterdijk setzt mit einem blinden Fleck bei Marx ein, der mit seinem »Stoffwechsel des Menschen mit der Natur« zwar schon auf einem guten Weg war, sich dann aber auf die Geschichte als eine von Klassenkämpfen versteifte und damit ein »außerleibliches Agens« ausblendete: das Feuer. (Er hätte freilich bei Engels’ Dialektik der Natur fündig werden können.) Selbst in den Ur- und Sklavengesellschaften gab es ein »pyrotechnisches X« aus zahllosen Feuerstellen, und dies läßt sich in energetische Sklavenarbeiter umrechnen. Zum umstürzenden Ereignis wurde das Feuer durch die Entdeckung der Verbrennungsmaschinen. Mit ihnen begann das Verfeuern der über endlose Zeiträume in die Tiefen versunkenen Wälder und organischen Sedimente.
Als Prometheus den Menschen die Fackel brachte, war ihm die Existenz dieser Energiequellen wohl nicht bewußt. Marxens »Arbeit sans phrase« wurde nun durch eine unerschöpfliche »Energie sans phrase« ergänzt – erst in der Kombinatorik aus der »menschlichen Arbeitskraft und der Kraft aus Bränden« entstand jene Akzeleration, deren destruktive Kraft wir heute erleben. Sie ermöglichte zudem »eine massenhafte Freisetzung forschender, erfinderischer und spielerischer Intelligenz«.
Spätestens hier durfte man sich Prometheus als beschämt, ja als reuig denken, er mußte die geschichtsphilosophische Grundlagenlektion von der Unabsehbarkeit der Folgen unserer Handlungen lernen. Wo die Natur über Äonen auf seltene Selbstentzündungen warten mußte, brannten nun überall mit Absicht entzündete Brände aller Art, angefeuert von eigentlich zur Vergessenheit bestimmtem Material. Nicht nur die ökologischen, auch die gesellschaftlichen Folgen waren überwältigend. So erlaubten die Feuer etwa die Entstehung eines »organisierten Parasitismus«, die »Menge der Unproduktiven« explodierte, andererseits muß man dem »extraktiven Nihilismus« die positiven sozialen Effekte wie die verschiedenen Formen des Abolitionismus oder der Befreiung der Frauen und überhaupt alle möglichen emanzipatorischen Entwicklungen entgegenstellen.
Sloterdijk nennt das »Ausbeutungsverschiebung« und meint damit nicht nur die Verschiebung von der Ausbeutung der Arbeitskraft auf die der brennbaren Rohstoffe, sondern auch die Verschiebung des bloßen Freiheitswillens auf die zunehmende »Forderung der Teilhabe an den Gütern des immer sichtbarer werdenden Überflusses«, von neuen Ausbeutungsgruppen, wie etwa den Tieren in der Massentierhaltung, und anderen »komplizierten Übertragungskaskaden« ganz zu schweigen.
Hier öffnet sich ein weites Feld der Forschung und Beschreibung. Das Industriesystem beschäftigt seine Teilnehmer nun gleich zweifach: als Produzenten und als Konsumenten, freilich mit verschiedenen Graden der politischen Organisierbarkeit. Auch die lebenstechnischen Auswüchse – wie etwa die Gender-Ideologie – lassen sich auf einen energetischen Überschuß zurückführen: »Der Zusammenhang zwischen luxurierenden Konstrukten nicht-binärer nicht-reproduktiver Sexualität und fossilenergetisch entlasteten Lebensstilen bzw. Beziehungsformen ohne Hingabeopfer wird allerdings so gut wie nirgendwo reflektiert« – außer bei Sloterdijk; dafür muß man ihn lieben.
Weniger schlüssig mag die Frage nach den Lösungen erscheinen. Die »große Ekpyrosis«, die »Wiederauflösung der Welt im Feuer«, soll nun durch einen »Verzicht auf das Feuergeschenk«, durch »post-prometheische Technologien« und einen »energetischen Pazifismus« erreicht werden. Kleine Energiequanten müßten speicherbar, die großen politischen Einheiten verkleinert oder realdemokratische Verhältnisse, eine »Helvetisierung des Planeten«, angestrebt werden, und das alles natürlich unter einem umfassenden Bewußtseinswandel.
Den »Hauptfehler des bisherigen Zivilisationsprozesses« sieht Sloterdijk im arbiträren Zusprechen des Eigentums an Bodenschätzen unter den nationalen Territorien. Besser wäre ein »allgemeinsames Weltbodenschatzerbe«, wonach die territorialen Besitzer nur Treuhänder seien. Wie eine globale Organisation zu denken sei, die das regelt, erfahren wir nicht. Hyper-prometheischen Lösungen wie der Kernenergie oder dem Geo-Engineering steht Sloterdijk skeptisch gegenüber.
Dennoch gleitet er ins Politische zurück, wenn er nicht den »Menschen als Gattungswesen«, sondern »brandstifterische Eliten von Ingenieuren und interkontinental operierende Handelsgesellschaften« für den Übergang ins Anthropozän verantwortlich macht oder von »Avantgarde-Nationen« spricht (wie Deutschland), die durch gutes Beispiel vorangingen. Es sei – auch gegen den »grünen Leninismus« und Terror – »eine Politik an der Zeit, in der sich die verbliebenen freien Staaten dazu aufraffen, die fossilenergetischen Industrien willensenergetisch zu disziplinieren.« Zu viele Voraussetzungen, um praktisch relevant zu werden. So endet das anregende Traktat leider auch sprachästhetisch ungewohnt häßlich mit dem Schlachtruf: »Fire-Fighters aller Länder, dämmt die Brände ein!«
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Peter Sloterdijk: Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung, Berlin: Suhrkamp 2023. 80 S., 12 €
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