Peter Sloterdijk: Die Reue des Prometheus

von Jörg Seidel --

Leser dieses Blattes könnten auf die Idee kommen, Sloterdijk lese Sieferle, Sezession und Kehre.  Zum »Pionier der ökologischen Geschichtsschreibung« und zu dessen »wichtigem Buch« Der unterirdische Wald bekennt er sich.

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Was ­Tho­mas Hoof etwa hier (Sezes­si­on 46 und 100) oder was die Keh­re zur Nach­hal­tig­keit ver­öf­fent­lich­te, fin­det sich auch beim Groß­den­ker wie­der. Mit Mehrwert.

Slo­ter­di­jk setzt mit einem blin­den Fleck bei Marx ein, der mit sei­nem »Stoff­wech­sel des Men­schen mit der Natur« zwar schon auf einem guten Weg war, sich dann aber auf die Geschich­te als eine von Klas­sen­kämp­fen ver­steif­te und damit ein »außerleib­li­ches Agens« aus­blen­de­te: das Feu­er. (Er hät­te frei­lich bei Engels’ Dia­lek­tik der Natur fün­dig wer­den kön­nen.) Selbst in den Ur- und Skla­ven­ge­sell­schaf­ten gab es ein »pyro­tech­ni­sches X« aus zahl­lo­sen Feu­er­stel­len, und dies läßt sich in ener­ge­ti­sche Skla­ven­ar­bei­ter umrech­nen. Zum umstür­zen­den Ereig­nis wur­de das Feu­er durch die Ent­de­ckung der Ver­bren­nungs­ma­schi­nen. Mit ihnen begann das Ver­feu­ern der über end­lo­se Zeit­räu­me in die Tie­fen ver­sun­ke­nen Wäl­der und orga­ni­schen Sedimente.

Als Pro­me­theus den Men­schen die Fackel brach­te, war ihm die Exis­tenz die­ser Ener­gie­quel­len wohl nicht bewußt. Mar­xens »Arbeit sans phra­se« wur­de nun durch eine uner­schöpf­li­che »Ener­gie sans phra­se« ergänzt – erst in der Kom­bi­na­to­rik aus der »mensch­li­chen Arbeits­kraft und der Kraft aus Brän­den« ent­stand jene Akze­le­ra­ti­on, deren destruk­ti­ve Kraft wir heu­te erle­ben. Sie ermög­lich­te zudem »eine mas­sen­haf­te Frei­set­zung for­schen­der, erfin­de­ri­scher und spie­le­ri­scher Intelligenz«.

Spä­tes­tens hier durf­te man sich Pro­me­theus als beschämt, ja als reu­ig den­ken, er muß­te die geschichts­phi­lo­so­phi­sche Grund­la­gen­lek­ti­on von der Unab­seh­bar­keit der Fol­gen unse­rer Hand­lun­gen ler­nen. Wo die Natur über Äonen auf sel­te­ne Selbst­ent­zün­dun­gen war­ten muß­te, brann­ten nun über­all mit Absicht ent­zün­de­te Brän­de aller Art, ange­feu­ert von eigent­lich zur Ver­ges­sen­heit bestimm­tem Mate­ri­al. Nicht nur die öko­lo­gi­schen, auch die gesell­schaft­li­chen Fol­gen waren über­wäl­ti­gend. So erlaub­ten die Feu­er etwa die Ent­ste­hung eines »orga­ni­sier­ten Para­si­tis­mus«, die »Men­ge der Unpro­duk­ti­ven« explo­dier­te, ande­rer­seits muß man dem »extrak­ti­ven Nihi­lis­mus« die posi­ti­ven sozia­len Effek­te wie die ver­schie­de­nen For­men des Aboli­tio­nis­mus oder der Befrei­ung der Frau­en und über­haupt alle mög­li­chen eman­zi­pa­to­ri­schen Ent­wick­lun­gen entgegenstellen.

Slo­ter­di­jk nennt das »Aus­beu­tungs­ver­schie­bung« und meint damit nicht nur die Ver­schie­bung von der Aus­beu­tung der Arbeits­kraft auf die der brenn­ba­ren Roh­stof­fe, son­dern auch die Ver­schie­bung des blo­ßen Frei­heits­wil­lens auf die zuneh­men­de »For­de­rung der Teil­ha­be an den Gütern des immer sicht­ba­rer wer­den­den Über­flus­ses«, von neu­en Aus­beu­tungs­grup­pen, wie etwa den Tie­ren in der Mas­sen­tier­hal­tung, und ande­ren »kom­pli­zier­ten Über­tra­gungs­kas­ka­den« ganz zu schweigen.

Hier öff­net sich ein wei­tes Feld der For­schung und Beschrei­bung. Das Indus­trie­sys­tem beschäf­tigt sei­ne Teil­neh­mer nun gleich zwei­fach: als Pro­du­zen­ten und als Kon­su­men­ten, frei­lich mit ver­schie­de­nen Gra­den der poli­ti­schen Orga­ni­sier­bar­keit. Auch die lebens­tech­ni­schen Aus­wüch­se – wie etwa die Gen­der-Ideo­lo­gie – las­sen sich auf einen ener­ge­ti­schen Über­schuß zurück­füh­ren: »Der Zusam­men­hang zwi­schen luxu­rie­ren­den Kon­struk­ten nicht-binä­rer nicht-repro­duk­ti­ver Sexua­li­tät und fos­sil­en­er­ge­tisch ent­las­te­ten Lebens­sti­len bzw. Beziehungs­formen ohne Hin­ga­be­op­fer wird aller­dings so gut wie nir­gend­wo reflek­tiert« – ­außer bei Slo­ter­di­jk; dafür muß man ihn lieben.

Weni­ger schlüs­sig mag die Fra­ge nach den Lösun­gen erschei­nen. Die »gro­ße Ekpy­ro­sis«, die »Wie­der­auf­lö­sung der Welt im Feu­er«, soll nun durch einen »Ver­zicht auf das Feu­er­ge­schenk«, durch »post-pro­me­t­hei­sche Tech­no­lo­gien« und einen »ener­getischen Pazi­fis­mus« erreicht wer­den. Klei­ne Ener­gie­quan­ten müß­ten spei­cher­bar, die gro­ßen poli­ti­schen Ein­hei­ten ver­klei­nert oder real­de­mo­kra­ti­sche Ver­hält­nis­se, eine »Hel­ve­ti­sie­rung des Pla­ne­ten«, ange­strebt wer­den, und das alles natür­lich unter einem umfas­sen­den Bewußtseinswandel.

Den »Haupt­feh­ler des bis­he­ri­gen Zivi­li­sa­ti­ons­pro­zes­ses« sieht Slo­ter­di­jk im arbi­trä­ren Zuspre­chen des Eigen­tums an Boden­schät­zen unter den natio­na­len Ter­ri­to­ri­en. Bes­ser wäre ein »all­ge­mein­sa­mes Welt­bo­den­schatz­er­be«, wonach die ter­ri­to­ria­len Besit­zer nur Treu­hän­der sei­en. Wie eine glo­ba­le Orga­ni­sa­ti­on zu den­ken sei, die das regelt, erfah­ren wir nicht. Hyper-pro­me­t­hei­schen Lösun­gen wie der Kern­ener­gie oder dem Geo-Engi­nee­ring steht Slo­ter­di­jk skep­tisch gegenüber.

Den­noch glei­tet er ins Poli­ti­sche zurück, wenn er nicht den »Men­schen als Gat­tungs­we­sen«, son­dern »brand­stif­te­ri­sche Eli­ten von Inge­nieu­ren und inter­kon­ti­nen­tal ope­rie­ren­de Han­dels­ge­sell­schaf­ten« für den Über­gang ins Anthro­po­zän ver­ant­wort­lich macht oder von »Avant­gar­de-Natio­nen« spricht (wie Deutsch­land), die durch gutes Bei­spiel vor­an­gin­gen. Es sei – auch gegen den »grü­nen Leni­nis­mus« und Ter­ror – »eine Poli­tik an der Zeit, in der sich die ver­blie­be­nen frei­en Staa­ten dazu auf­raf­fen, die fos­sil­en­er­ge­ti­schen Indus­trien wil­lens­en­er­ge­tisch zu dis­zi­pli­nie­ren.« Zu vie­le Vor­aus­set­zun­gen, um prak­tisch rele­vant zu wer­den. So endet das anre­gen­de Trak­tat lei­der auch sprach­äs­the­tisch unge­wohnt häß­lich mit dem Schlacht­ruf: »Fire-Figh­ters aller Län­der, dämmt die Brän­de ein!«

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Peter Slo­ter­di­jk: Die Reue des Pro­me­theus. Von der Gabe des Feu­ers zur glo­ba­len Brand­stif­tung, Ber­lin: Suhr­kamp 2023. 80 S., 12 €

 

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