Im Grunde haben wir es bei ihr mit einem im groben Vergleich ähnlichen Phänomen zu tun wie hierzulande mit Ulrike Guérot: Diese war zuerst beim European Council on Foreign Relations und bei der Soros-Stiftung als EU- und Migrationspropagandistin in Lohn und Brot, dann fiel sie durch »Coronakritik« und Kritik an der antirussischen Mainstreamberichterstattung in Ungnade. Naomi Wolf hat es genauso wie Guérot geschafft – trotz im Grunde komplett affirmativer Überzeugungen –, vom System unsanft an den »rechten Rand« geschubst zu werden.
Die deutsche Übersetzung von The Bodies of Others trägt den Titel Im Grunde böse. COVID-19, die neuen Machteliten und ihr Krieg gegen die Menschlichkeit und ist im Kopp-Verlag in diesem Jahr erschienen. Die Übersetzung des Titels spricht Bände: »Die Körper der anderen« ist eine Feminismus-der-zweiten-Generation-Phrase: Zwischen der Sünde des »othering« und der Tugend der »body positivity« spielt man hüben wie drüben postmoderne Spielchen – während das »Böse« der »Machteliten« und ihr »Krieg« gegen uns ebenfalls Phrasen sind, die aber aus einem anderen Spiel stammen, das in den »verschwörungstheoretischen« Alternativmedien getrieben wird.
Die Titelübersetzung ist nicht falsch gewählt, sondern symptomatisch. Wolf kritisiert die »Coronamaßnahmen« vom Standpunkt der »body positivity« her: Den physischen Körper als Dreh- und Angelpunkt von Freiheit, Menschenwürde und Selbstverwirklichung zu verstehen kann dazu führen, daß einem unangenehm auffällt, wie ebendiesem Körper durch »social distancing« sein Ausdruckspotential genommen wird, wie Maskenzwang verhindert, daß Menschen mit anderen Menschen die Atemluft teilen, und wie sie durch »Lockdowns« zu Hause eingesperrt werden, statt sich frei begegnen und lieben zu dürfen. Und plötzlich steht Naomi Wolf neben Steve Bannon, seines Zeichens Trumps ehemaliger Medienberater, der sie in seine Podcasts eingeladen hat, auf der Seite der mit dem Etikett »rechts« beklebten US-Konservativen.
Naomi Wolf ist ein perfektes Beispiel für liberalkonservative Kritik auf der Basis der sogenannten westlichen Werte, zu denen sie »Menschenrechte, Toleranz, demokratische Staatsführung, eine freie Presse, das Recht zu entscheiden, was mit dem eigenen Körper passiert, Gedanken- und Redefreiheit« zählt. All dies wurde ihrer Einschätzung nach durch die Maßnahmen der vergangenen drei Jahre bedroht oder bleibend zerstört, wie Wolf in ihrem Buch sehr detailliert und chronologisch am Beispiel ihrer Heimat USA ausführt. Als Leser nimmt man ihr ab, daß sie davon authentisch erschrocken und betroffen war, sie konnte einfach nicht glauben, daß man diese Werte mit einem Handstreich vom Tisch wischte. Auch das Verhalten ihrer ehemaligen Freunde, Kollegen, ihrer journalistischen und feministischen Weggefährtinnen entsetzte sie.
Da sie mit diesem Denkmodell außerstande ist anzunehmen, daß das von ihr als »Zerstörung unserer Werte« wahrgenommene Geschehen etwas diesen vermeintlichen Werten Inhärentes ist, muß sie einen äußeren Feind postulieren. Und der ist rasch gefunden: »das Weltwirtschaftsforum und die chinesische kommunistische Partei (KPCh)«, »der unverfrorene und tyrannische Staatsführer des kommunistisch regierten China, Xi Jinping«. Die Widmung von Im Grunde böse, »Für die 2049er-Generation«, spielt darauf an, daß dann das hundertjährige Jubiläum der chinesischen Kulturrevolution gefeiert werden wird, deren Verlängerung oder wahren Sieg die Autorin in der durch die »Pandemie«-Maßnahmen geformten »neuen Normalität« erblickt.
Eine »Verschwörungstheorie« besagte früher, daß eine Machtelite eine einigermaßen fadenscheinige Theorie darüber erfindet, wie der Feind heimtückisch den eigenen Erfolg vereitelt habe (»der Jude« den deutschen Sieg im Ersten Weltkrieg, »der Klassenfeind« durch Abwurf von Kartoffelkäfern die Plansollerfüllung im Arbeiter-und-Bauern-Staat etc.). Naomi Wolfs Buch illustriert auf 382 Seiten eine ähnlich gestrickte »Verschwörungstheorie«, die besagt, daß die von der KPCh instruierten Machteliten die von ihr durchweg für real gehaltene »COVID-19-Pandemie« genutzt hätten, um »westliche Normen von Freiheit, einer Welt, in der der Mensch im Mittelpunkt stand, und die Zivilisation selbst auszuschalten«, wie sie einleitend schreibt.
»Im März 2020 standen die Menschen noch im Zentrum der Kultur, und die Kultur war Amerika. Zwei Jahre später waren es Maschinen, Technologie und die ›Volksgesundheit‹, die im Mittelpunkt der Kultur standen, und diese Kultur war im Westen etwas vollkommen Neues. […] Eher wie die Diktate und Normen der Kommunistischen Partei Chinas denn wie die Kultur die [sic!] Überzeugungen der Vereinigten Staaten von Amerika.«
Hochinteressant ist das hier besprochene Buch deshalb als Symptom einer historischen Konstellation: Gehört jemand wie Naomi Wolf nun zu der ideologischen Torwächterarmee der USA, mithin zur globalen Machtelite, die ihre Hegemonie sichern muß gegen Chinas Weltmachtanspruch und ihre Leute deshalb entsprechende »Verschwörungstheorien« lancieren läßt? Oder gehört so jemand zu den Geächteten des Systems, die, als »Verschwörungstheoretiker« gebrandmarkt, nur bei Tucker Carlson auftreten dürfen und deren Buch nur bei Kopp erscheinen kann, weil sie als Mut-Journalisten die Hintergründe der Eliten-NWO aufdecken?
Daß diese Frage offenbleibt, gebietet bis auf weiteres die historische Konstellation. Sie gebietet auch, daß Wolfs Buch eben nur als Symptom relevant ist, nicht als Antwort.
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Naomi Wolf: Im Grunde böse. COVID-19, die neuen Machteliten und ihr Krieg gegen die Menschlichkeit, Rottenburg: Kopp 2023. 328 S., 22,99 €
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