Yan Bian: Land der Tugend

Mal was Heiteres: Eine junge Chinesin verbringt drei Jahre in (West-)Deutschland und schildert, was sie vorfindet. Sie spiegelt das Chinabild der Deutschen mit dem Deutschlandbild der Chinesen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Das ist bit­ter-süß und eine fröh­li­che Lek­tü­re! Typisch asia­tisch hält Au-pair-Mäd­chen Yan Bian sich beim Kichern die Hand scheu vor den Mund: »Mein Blick auf Deutsch­land und die Deut­schen wird hof­fent­lich nicht nur als kri­ti­scher und belus­tig­ter, son­dern auch sehr lie­be­vol­ler und bewun­dern­der empfunden.«

Was beob­ach­tet Yan Bian? Die ver­rück­te Lie­be ihrer Lands­leu­te zu deut­schen Land­schaf­ten, deut­scher Musik und Dich­tung. Jaja, die Deut­schen mögen die­se Begeis­te­rung als »ein­fäl­ti­ge Nach­ah­me­r­ei« emp­fin­den. Klar, gesteht sie sou­ve­rän zu, der chi­ne­si­sche »Gefühls­mix« bezüg­lich klas­si­schen Deutsch­tums sei »ver­mut­lich seich­ter als bei einem ein­hei­mi­schen Euro­pä­er. Aber die­se Gefüh­le emp­fin­den wir auf unse­re eige­ne Art als tief und erha­ben und haben kein Pro­blem, das zuzugeben.«

Wir erfah­ren: Daß Essen den Chi­ne­sen noch viel wich­ti­ger ist als Fran­zo­sen oder Ita­lie­nern. Wich­ti­ger jeden­falls als Sex oder ein gefüll­tes Porte­mon­naie. Daß man »zum Chi­ne­sen« am bes­ten mit einem Chi­ne­sen gehen soll­te – dann erst wer­de rich­tig auf­ge­ta­felt. Daß in Chi­na Döner als »typisch deut­sche Deli­ka­tes­se« gilt. Daß es in Chi­na die Voka­bel »Bái­zuo« gibt, die soviel wie »wei­ßer Lin­ker« oder »pro­gres­si­ver West­ler« bedeu­tet – ein Typus, der die eige­ne Kul­tur ver­ach­tet und frem­de Kul­tu­ren über alles stellt. Daß – und war­um – chi­ne­si­sche Frau­en mit deut­schen »Lang­na­sen« sehr gut har­mo­nie­ren, umge­kehrt eher nicht.

Daß »chi­ne­si­sche Tisch­ma­nie­ren« (schmat­zen, rülp­sen, fur­zen) ein Relikt der 1960er Kul­tur­re­vo­lu­ti­on sind und heu­te pas­sé. Daß die deut­sche Hoch­schul­aus­bil­dung in Chi­na immer noch einen »Ruf wie Don­ner­hall« habe, auch wenn dies womög­lich (zumal in den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten) über­holt sei. Daß sich die Chi­ne­sen nicht satt­se­hen kön­nen (Stich­wort TV-Seri­en etc.) an blon­den Recken und Wal­kü­ren und daß die Schön­heits­bran­che dies­be­züg­lich boomt. Daß man sich als Chi­ne­sin in Deutsch­land wun­dert, wie sehr Ferns­ten­lie­be die Nächs­ten­lie­be (die Sor­ge um Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge hat in Chi­na einen hohen Wert) übertrifft.

Daß die Deut­schen »mei­nungs­süch­tig« sei­en – jeder wol­le alle ande­ren mit einer supe­rio­ren Hal­tung zu allen mög­li­chen The­men über­tref­fen: undenk­bar für eine Chi­ne­sin. Höchst irri­tiert zeigt sich Yan Bian bei min­des­tens zwei Gele­gen­hei­ten: Ein­mal geht es um einen Besuch in einem soge­nann­ten Frei­zeit­park. Die hier ange­trof­fe­ne Bal­lung von offen­kun­dig »unmün­di­gen Zom­bie­bür­gern« muß man ihr erklären.

Zwei­tens geht es um eine bunt­ge­klei­de­te Frau mit einem Las­ten­rad. Was ist mit die­ser armen Per­son los? »Eine Roma viel­leicht, ging mir durch den Kopf, denn ich hat­te gehört, daß die auch abfäl­lig Zigeu­ner genann­ten Roma sich gern bunt klei­den und eini­ge von ihnen ihre Kin­der zum Bet­teln auf die Stra­ße schi­cken«. Als dann die eige­ne Gast­mut­ter einen Fahr­rad­an­hän­ger aus der Gara­ge fährt, ver­steht die Chi­ne­sin die Welt nicht mehr …

Ame­ri­ka heißt auf Chi­ne­sisch »Mei­guo«, Land der Schön­heit. Frank­reich: »Faguo«, Geset­zes­land (wegen des Code Napo­lé­on). Deutsch­land: »Déguó«, Land der Tugend. Ja, paßt.

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Yan Bian: Land der Tugend. Eine jun­ge ­Chi­ne­sin erklärt Deutsch­land, Bonn: Spra­chen­stadt 2022. 129 S., 9,95 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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