Das ist bitter-süß und eine fröhliche Lektüre! Typisch asiatisch hält Au-pair-Mädchen Yan Bian sich beim Kichern die Hand scheu vor den Mund: »Mein Blick auf Deutschland und die Deutschen wird hoffentlich nicht nur als kritischer und belustigter, sondern auch sehr liebevoller und bewundernder empfunden.«
Was beobachtet Yan Bian? Die verrückte Liebe ihrer Landsleute zu deutschen Landschaften, deutscher Musik und Dichtung. Jaja, die Deutschen mögen diese Begeisterung als »einfältige Nachahmerei« empfinden. Klar, gesteht sie souverän zu, der chinesische »Gefühlsmix« bezüglich klassischen Deutschtums sei »vermutlich seichter als bei einem einheimischen Europäer. Aber diese Gefühle empfinden wir auf unsere eigene Art als tief und erhaben und haben kein Problem, das zuzugeben.«
Wir erfahren: Daß Essen den Chinesen noch viel wichtiger ist als Franzosen oder Italienern. Wichtiger jedenfalls als Sex oder ein gefülltes Portemonnaie. Daß man »zum Chinesen« am besten mit einem Chinesen gehen sollte – dann erst werde richtig aufgetafelt. Daß in China Döner als »typisch deutsche Delikatesse« gilt. Daß es in China die Vokabel »Báizuo« gibt, die soviel wie »weißer Linker« oder »progressiver Westler« bedeutet – ein Typus, der die eigene Kultur verachtet und fremde Kulturen über alles stellt. Daß – und warum – chinesische Frauen mit deutschen »Langnasen« sehr gut harmonieren, umgekehrt eher nicht.
Daß »chinesische Tischmanieren« (schmatzen, rülpsen, furzen) ein Relikt der 1960er Kulturrevolution sind und heute passé. Daß die deutsche Hochschulausbildung in China immer noch einen »Ruf wie Donnerhall« habe, auch wenn dies womöglich (zumal in den Geisteswissenschaften) überholt sei. Daß sich die Chinesen nicht sattsehen können (Stichwort TV-Serien etc.) an blonden Recken und Walküren und daß die Schönheitsbranche diesbezüglich boomt. Daß man sich als Chinesin in Deutschland wundert, wie sehr Fernstenliebe die Nächstenliebe (die Sorge um Familienangehörige hat in China einen hohen Wert) übertrifft.
Daß die Deutschen »meinungssüchtig« seien – jeder wolle alle anderen mit einer superioren Haltung zu allen möglichen Themen übertreffen: undenkbar für eine Chinesin. Höchst irritiert zeigt sich Yan Bian bei mindestens zwei Gelegenheiten: Einmal geht es um einen Besuch in einem sogenannten Freizeitpark. Die hier angetroffene Ballung von offenkundig »unmündigen Zombiebürgern« muß man ihr erklären.
Zweitens geht es um eine buntgekleidete Frau mit einem Lastenrad. Was ist mit dieser armen Person los? »Eine Roma vielleicht, ging mir durch den Kopf, denn ich hatte gehört, daß die auch abfällig Zigeuner genannten Roma sich gern bunt kleiden und einige von ihnen ihre Kinder zum Betteln auf die Straße schicken«. Als dann die eigene Gastmutter einen Fahrradanhänger aus der Garage fährt, versteht die Chinesin die Welt nicht mehr …
Amerika heißt auf Chinesisch »Meiguo«, Land der Schönheit. Frankreich: »Faguo«, Gesetzesland (wegen des Code Napoléon). Deutschland: »Déguó«, Land der Tugend. Ja, paßt.
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Yan Bian: Land der Tugend. Eine junge Chinesin erklärt Deutschland, Bonn: Sprachenstadt 2022. 129 S., 9,95 €
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