… warum allein diese beiden Südländer aus der dämlichen Sommerferienrotation ausscheren dürfen und jedes Jahr in den Hundstagen urlauben dürfen?) hat bei uns in Sachsen-Anhalt die Schule bereits vor drei Wochen wieder begonnen.
Das heißt, das kommende Schuljahr ist ein paar Wochen kürzer als das vorige, als die Ferien erst viel später endeten. In den Lehrplänen schlägt sich solche Verkürzung nicht nieder, deshalb wurde auf den soeben ausgestandenen Elternabenden auch darauf hingewiesen, daß in diesem Jahr der „häusliche Fleiß“ (wie solch schön altbackener Terminus in progressiven Schulen überleben kann?) besonders zähle. Nun gut, daran soll´s nicht mangeln.
Drüber hinaus ist das Schulthema (immerhin sind unsere Grundschüler täglich von 6.45h bis 13.15, die Großen bis 16 Uhr in Schulangelegenheiten unterwegs) ein Daueraufreger. Eine beinahe erschöpfende Überschau über den Methoden-Wahn, der die Lehrerschaft seit längerem ergriffen hat (von Kommunikationskompetenz bis Doing gender) hat Jürgen Kaube in der FAZ geliefert. Die Zeitung wartete letzte Woche zum hessischen Schulbeginn mit zahlreichen Artikeln zur schulmäßigen Leidkultur auf.
Wir sehen grundsätzlich drei Möglichkeiten, mit Schulgrotesken umzugehen:
a) den Ärger dem Lehrer mitzuteilen und um Abhilfe zu bitten (was erstens sinnlos ist und einem zweitens einen unschönen Ruf als Querulant eintragen kann),
b) lachen, heißt: die Aufregung runterzuschlucken. Augen zu und durch; Motto: auch wir haben unbegabte Lehrer überlebt und zahlreiche Reformen überstanden, sind an all diesen Reibungen womöglich „gewachsen“, oder
c) die Kinder, zumal die älteren, zu bitten, uns mit mancherlei Mist schlicht zu verschonen.
Allerlei Rahmenbedingungen nimmt man ohnehin für gegeben. Daß der Unterricht (gemäß dem vielplakatierten Landesmotto Sachsen-Anhalts: „Wir stehen früher auf“) bereits um 7.15 beginnt („Eingangsphase“ ab 7.00), daß zwischen Schulende und Schulbus eine Stunde liegt, daß die täglich gereichte gezuckerte Aroma H‑Milch-Flasche unters Motto „Gesund leben“ fällt, daß auf dem Schulgelände eine Goldgrube namens Schülerkiosk steht, die ab halb neun Würstchen, Eis und Hamburger anbietet etc.
Solche Dinge: Geschenkt. Das stehen wir durch. Es bleibt genug Stoff – bereits nach 15 Schultagen! – die man lieber kindlicherseits verschwiegen bekommen hätte. Etwa: Daß die – wahrlich kostspielige – Klassenfahrt mitnichten eine Wanderung oder einen Gang ins Theater, sondern einen Besuch des „größten Spaßbades Sachsen-Anhalts“ und den Eintritt in ein Cinemaxx-Kino beinhaltet (Film darf sich jeder selbst aussuchen). Oder: Daß die Schulglocke unter antiautoritären Gesichtspunkten nun abgeschafft wurde. Die Töchter berichten, daß ersatzweise nun die Lehrer oder PMs (Pädagogische Mitarbeiter) nun mit gellender Stimme und wedelnden Armen nach den Pausen zugange seien.
Oder: Daß (im Gymnasium) die letztgültige Bewertung von Schülervorträgen in die Hand der Mitschüler gelegt wird (Stichworte: Teamfähigkeit (?!), Schulung der Urteilskraft). Daß eine sogenannte Wandzeitung, die ausschließlich aus ausgedruckten Wikipedia-Artikeln besteht, eine 1 erhält. Daß eine Sozialkundelehrerin es unter etlichen Errungenschaften der verblichenen DDR für „wirklich clever“ hält, daß „die“ damals den Stinkreichen das Land einfach wegnahmen und es unter den „einfachen Leuten“ verteilten: „Fragt mal eure Eltern oder Großeltern- da sind bestimmt einige drunter, die sich als Neubauern eine Existenz aufbauen konnten!“ Daß eine Lehrerin ernsthaft (also: ohne jede kritische Anmerkung) anhand von Bildzeitungs-Artikeln „aktuelle Sachverhalte“ bearbeiten läßt. Daß im Fach MMW (Moderne Medienwelten) schon wieder gelehrt wird, wie man glitzernde Einladungskarten vielfarbig gestaltet.
Ja, meine Güte. Welcher Erwachsene erinnert sich nicht rückblickend an haarsträubende Botschaften und minderbemittelte Lehrer? Aber: Damals stand das Elternhaus noch ganz anders in Verantwortung, da lag damals der Schwerpunkt der Erziehungstätigkeit. Seltsame Zeiten, gell, als die Mütter noch daheim rumhockten und warteten, daß endlich mal eins zum Rumerziehen wieder zur Türe hereinkam!
Die „heimlichen Miterzieher“ waren da noch recht unbedeutend, ein bißchen Bravo-Lektüre, ein paar Schmuddelkinder nachmittags auf der Straße, die „Rappelkiste“ im Fernsehen. Dazwischen: ganz viel Entfaltungsspielraum. (Klar: Oftmals haben sich nur die Begriffe wirklich geändert. Mobbing hieß damals Hänseln, “Gewalt” hieß Klopperei. Aber, ganz sicher, Gleichschaltung war damals variantenreicher und mobiler. )
Wenn ich einen Großteil der Schulkinder heute sehe, krieg ich – sagen wir ab Klasse 4, wenn die Gesichter sich schließen – das große Heulen oder, je nach Laune, das Kotzen. Lost kids, teils ziemlich abgefuckt, rettungslos eigentlich. Und das liegt nicht nur an der Schule. Die meisten Lehrer haben ja wenigstens einen naiven „guten Willen“, sonst wären Sie Politesse geworden oder GEZ-Eintreiber.
corvusacerbus
Tja, es hilft Familie Kositza/Kubitschek nicht, wenn ich das schreibe, aber für unsereinen, der zwei Söhne groß und aus der Schule hat, ist es schon eine Erleichterung zu lesen, daß es anderen, die ihre Kinder in das öffentliche Schulsystem schicken, auch nicht besser geht, als es einem selber gegangen ist. Ich denke mit Schaudern an die eigentlich mit Vorfreude erwartete Zeit des Großelternseins, wenn die guten alten Zeiten noch viel länger her und insofern selbst in Einzelfällen nicht mehr als Referenzgröße relevant sein werden. Meine Erfahrung auf der Elternseite war immer, die Eigenständigkeit und Alltagstauglichkeit des Kindes zu bestärken. Wir sind ja früher als Schüler auch nicht zuhause vorstellig geworden, wenn's Ärger oder Unstimmigkeiten gab, jedenfalls war das im harten Kern der Klassengemeinschaft ein unausgesprochener aber praktizierter Konsens, sondern haben versucht, die Schule selber im Griff zu behalten und damals gab es wirklich nicht nur lichte Höhen zu erklimmen, sondern auch manch' dunkles Tal zu durchwandern und manchen verhaltensgestörten Lehrer zu ertragen bzw. im Klasssenverband zu managen . Was ich noch wichtig fand, die Schule ernst zu nehmen als Eltern, das den Kindern zu vemitteln und erlebbar zu machen, sie aber dennoch nicht zu ernst zu nehmen. Das Leben ist nun mal nur in einer gewissen Weite, Komplexität und Widersprüchlichkeit wahr und wirklich und das begreifen Kinder doch relativ früh im Leben, also auch, daß Bildung unendlich wichtig ist, aber die Schule dabei nur einen Teil beiträgt, und man manchmal selber eben investieren muß, wenn es die Institution nicht bringt. Es gab allerdings früher mehr eigenständig denkende und handelnde Lehrerpersönlichkeiten, nach meinem Eindruck, die im Rahmen eines vorgegebenen Lehrplans souveräner und stärker agierten, als man das heute oft findet und mit denen man, zum Wohl der Schüler, gute individuelle Absprachen treffen konnte. Es bleibt schwierig, das ist mal klar, in Schule und Gesellschaft, aber da muß man durch, als Eltern, Schüler und Großeltern.