SEZESSION: Die AfD hat bei der Landtagswahl in Hessen mit 18,4 Prozent den zweiten Platz hinter der CDU und das beste bislang im Westen erreichte Ergebnis erzielt. Das war, nachdem die Umfragen die AfD bei 15 bis 16 Prozent auf Platz vier sahen, eine Überraschung. Was hat zu diesem herausragenden Ergebnis geführt?
LICHERT: Ehrlicherweise war der bundespolitische Einfluß sehr stark. Einerseits, weil die „großen Themen“, wie Migration, Inflation, Wirtschaft etc. Bundesthemen sind, und andererseits, weil das Ampel-Desaster in Berlin für alle beteiligten Parteien natürlich zu einer Abstrafung durch die Wähler geführt hat.
Eine klare Mehrheit von 53 Prozent der hessischen Wähler hat daher CDU und AfD gewählt, also dezidiert gegen ein links-grünes „Wokistan“ mit Zwangsbegrünung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gestimmt.
Auch der Wahlerfolg der CDU geht im Grunde auf diesen Lagerwahlkampf zurück, weil Spitzenkandidat und Ministerpräsident Boris Rhein Berliner Oppositionsrhetorik mit Wiesbadener Amtsbonus verbinden konnte. Dieser Erfolg ist jedoch völlig unverdient, weil die drei Großkatastrophen der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte, nämlich grundgesetzwidrige Grenzöffnung, Energiewende und EU-Transfer von Geld und Souveränität allesamt auf das Konto CDU-geführter Bundesregierungen gehen.
Sehr ermutigend ist, daß innerhalb des bürgerlichen Lagers mehr als ein Drittel der Wähler für die AfD stimmte und sich somit von der gouvernantenhaften Bevormundung durch Staat und Medien emanzipiert hat. Das zeugt davon, daß der inflationär verwendete Rechtsextremismusvorwurf immer weniger wirkt. Der Kontrast von täglichem Erleben zu „veröffentlichter Realität“ treibt immer mehr Bürger zur Suche nach politischen Alternativen, die sie naturgemäß und ausschließlich bei der AfD finden.
SEZESSION: Wie erklärst Du Dir die Diskrepanz zwischen den Umfragen und dem Endergebnis?
LICHERT: Diese Abweichung zwischen Wahlergebnis und Umfragen zeigt, daß selbst Wähler noch kurz vor der Wahl vor einem offenen Bekenntnis zur AfD zurückschreckten, die Stigmatisierung also weiterhin wirkt. Ob und wie der fulminante Wahlerfolg daran etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.
SEZESSION: Die Wahlanalyse auf sezession.de kam zu dem Schluß, daß sich „aus der neu hinzugewonnenen Stärke im Westen […] regionale Verwurzelungsstrukturen und selbstverständliche Identifikationsräume mit der AfD herausbilden“ müssen. Wie stark ist die AfD in Hessen verankert und welche Rolle spielt dort der vorpolitische Raum?
LICHERT: Sicherlich ist ein erheblicher Teil des Wahlerfolges „Proteststimmen“ geschuldet. Allerdings sind Proteststimmen mindestens so legitim wie „Akklamationsstimmen“ für die Regierenden und der verklausulierte Wählertadel, daß hauptsächlich Bundesthemen wahlentscheidend waren, geht ebenfalls fehl. Wahlen gehören zu den wenigen Gelegenheiten einer Kommunikation „von unten nach oben“, während auf die Bürger ständig Kommunikation „von oben nach unten“ niedergeht.
Der vorpolitische Raum ist zahlenmäßig klein, aber in vielen Fällen handelt es sich um gut vernetzte Multiplikatoren. Diese bilden eine gewisse Informationselite, sodaß sie häufig weiter sind als die breite Öffentlichkeit. Dadurch haben sie auch ein größeres Problembewußtsein und sind entsprechend offener für unsere Argumente und Lösungsansätze. Allerdings ist der vorpolitische Raum auch sehr heterogen.
Durch die Corona-Maßnahmen-Krise kam noch eine ganz neue Dynamik und verstärkte Politisierung hinzu. Das hat sich durch die Inflations- und Energiepreiskrise weiter verschärft, da nun die Folgen dieser desaströsen Politik in viel stärkerem Ausmaß im Leben der Bürger spürbar werden. In Verbindung mit der verstärkten Nutzung alternativer Medien hat sich dadurch sowohl das Potenzial als auch die Wirkung des vorpolitischen Raums erhöht.
Paradoxerweise führt das aber nicht zu einem Umsteuern „der Politik“, sondern zu verstärkter Abkapselung bis hin zur Erfindung der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“, um den Inlandsgeheimdienst – genannt Verfassungsschutz – gegen die Opposition einsetzen zu können.
SEZESSION: Die AfD wird im Hessischen Landtag Oppositionsführer sein und hat, durch die erreichte Anzahl an Abgeordneten, besondere Minderheitenrechte. Was ist aus dieser Position heraus möglich, welche politischen Ziele lassen sich erreichen?
LICHERT: Wesentliche Veränderung ist, daß wir nun über mehr als 20 Prozent der Abgeordneten verfügen und somit Untersuchungsausschüsse einsetzen können, was wir im Falle des Corona-Untersuchungsausschusses auch tun werden. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, daß für die Einladung der Sachverständigen die Mehrheit erforderlich ist. Als allzu belastbar haben wir bisher die parlamentarischen Gepflogenheiten der selbsternannten „demokratischen Fraktionen“ nicht erlebt.
Die wesentliche Lageänderung ist nicht formal oder juristisch, sondern liegt vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung und medialen Berichterstattung. Als Oppositionsführer lassen sich unsere politische Arbeit und parlamentarischen Initiativen nicht länger marginalisieren und die Medien werden um eine ausführlichere Berichterstattung nicht herumkommen.
Perspektivisch werden wir dadurch in eine Aufwärtsspirale eintreten. Mehr Berichterstattung, mehr Wahrnehmung beim Bürger, wachsende Zustimmung…
SEZESSION: In Brandenburg liegt der 2000-seitige Abschlußbericht des ersten Untersuchungsausschusses zur Corona-Politik der dortigen Landesregierung vor. Der Schwerpunkt lag dort auf der Frage, wer für die Corona-Maßnahmen verantwortlich war und ob sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprachen. Wo wird die AfD-Fraktion in Hessen ihren Schwerpunkt setzen?
LICHERT: Wichtig ist uns, die Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen. Das heißt, welche Informationen lagen als Entscheidungsgrundlage vor. Welche wissenschaftlichen Studien wurden zugrunde gelegt und welche nicht? Wer hat entschieden, welche Wissenschaftler Gehör fanden und auf welcher Grundlage?
Heute wissen wir vieles besser, aber die Maßnahmenkritiker haben frühzeitig gewarnt, wurden aber mundtot gemacht. Maskenpflicht, Schulschließungen usw. gingen mit Kollateralschäden einher und dann natürlich die skandalöse Rationierung von Grundrechten nach Impfstatus.
Wir sind der Ansicht, daß viele der Freiheitseinschränkungen und Grundrechtsverletzungen schlicht rechtswidrig waren. Das muß unbedingt aufgeklärt werden, zumal in Form des WHO-Pandemievertrags eine Verschärfung internationaler Gesundheitsvorschriften und Einführung von automatischen Maßnahmen droht, falls die WHO eine entsprechende Lage feststellt. Das vermeintlich erfolgreiche Agieren in der Corona-Krise und der internationale Herdentrieb der Regierungen sollen damit zur rechtsverbindlichen Blaupause gemacht werden. Für jeden Freiheitsliebenden ein maximal dystopisches Szenario.
RMH
Es tut richtig gut, nach den ganzen Nahost-Debatten wieder einmal so etwas bondenständig, Realpolitisches zu lesen. Danke für diesen Zwischenstopp.