Hessischer Erfolg im Lagerwahlkampf – Gespräch mit Andreas Lichert

Andreas Lichert ist einer von zwei Vorstandssprechern des hessischen Landesverbands der AfD und Abgeordneter im Landtag. Erik Lehnert sprach mit ihm über den Erfolg seiner Partei bei der Landtagswahl.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

SEZESSION: Die AfD hat bei der Land­tags­wahl in Hes­sen mit 18,4 Pro­zent den zwei­ten Platz hin­ter der CDU und das bes­te bis­lang im Wes­ten erreich­te Ergeb­nis erzielt. Das war, nach­dem die Umfra­gen die AfD bei 15 bis 16 Pro­zent auf Platz vier sahen, eine Über­ra­schung. Was hat zu die­sem her­aus­ra­gen­den Ergeb­nis geführt?

LICHERT: Ehr­li­cher­wei­se war der bun­des­po­li­ti­sche Ein­fluß sehr stark. Einer­seits, weil die „gro­ßen The­men“, wie Migra­ti­on, Infla­ti­on, Wirt­schaft etc. Bun­des­the­men sind, und ande­rer­seits, weil das Ampel-Desas­ter in Ber­lin für alle betei­lig­ten Par­tei­en natür­lich zu einer Abstra­fung durch die Wäh­ler geführt hat.

Eine kla­re Mehr­heit von 53 Pro­zent der hes­si­schen Wäh­ler hat daher CDU und AfD gewählt, also dezi­diert gegen ein links-grü­nes „Woki­stan“ mit Zwangs­be­grü­nung von Staat, Wirt­schaft und Gesell­schaft gestimmt.

Auch der Wahl­er­folg der CDU geht im Grun­de auf die­sen Lager­wahl­kampf zurück, weil Spit­zen­kan­di­dat und Minis­ter­prä­si­dent Boris Rhein Ber­li­ner Oppo­si­ti­ons­rhe­to­rik mit Wies­ba­de­ner Amts­bo­nus ver­bin­den konn­te. Die­ser Erfolg ist jedoch völ­lig unver­dient, weil die drei Groß­ka­ta­stro­phen der jün­ge­ren bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Geschich­te, näm­lich grund­ge­setz­wid­ri­ge Grenz­öff­nung, Ener­gie­wen­de und EU-Trans­fer von Geld und Sou­ve­rä­ni­tät alle­samt auf das Kon­to CDU-geführ­ter Bun­des­re­gie­run­gen gehen.

Sehr ermu­ti­gend ist, daß inner­halb des bür­ger­li­chen Lagers mehr als ein Drit­tel der Wäh­ler für die AfD stimm­te und sich somit von der gou­ver­nan­ten­haf­ten Bevor­mun­dung durch Staat und Medi­en eman­zi­piert hat. Das zeugt davon, daß der infla­tio­när ver­wen­de­te Rechts­extre­mis­mus­vor­wurf immer weni­ger wirkt. Der Kon­trast von täg­li­chem Erle­ben zu „ver­öf­fent­lich­ter Rea­li­tät“ treibt immer mehr Bür­ger zur Suche nach poli­ti­schen Alter­na­ti­ven, die sie natur­ge­mäß und aus­schließ­lich bei der AfD finden.

SEZESSION: Wie erklärst Du Dir die Dis­kre­panz zwi­schen den Umfra­gen und dem Endergebnis?

LICHERT: Die­se Abwei­chung zwi­schen Wahl­er­geb­nis und Umfra­gen zeigt, daß selbst Wäh­ler noch kurz vor der Wahl vor einem offe­nen Bekennt­nis zur AfD zurück­schreck­ten, die Stig­ma­ti­sie­rung also wei­ter­hin wirkt. Ob und wie der ful­mi­nan­te Wahl­er­folg dar­an etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.

SEZESSION: Die Wahl­ana­ly­se auf sezession.de kam zu dem Schluß, daß sich „aus der neu hin­zu­ge­won­ne­nen Stär­ke im Wes­ten […] regio­na­le Ver­wur­ze­lungs­struk­tu­ren und selbst­ver­ständ­li­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­räu­me mit der AfD her­aus­bil­den“ müs­sen. Wie stark ist die AfD in Hes­sen ver­an­kert und wel­che Rol­le spielt dort der vor­po­li­ti­sche Raum?

LICHERT: Sicher­lich ist ein erheb­li­cher Teil des Wahl­er­fol­ges „Pro­test­stim­men“ geschul­det. Aller­dings sind Pro­test­stim­men min­des­tens so legi­tim wie „Akkla­ma­ti­ons­stim­men“ für die Regie­ren­den und der ver­klau­su­lier­te Wäh­lert­adel, daß haupt­säch­lich Bun­des­the­men wahl­ent­schei­dend waren, geht eben­falls fehl. Wah­len gehö­ren zu den weni­gen Gele­gen­hei­ten einer Kom­mu­ni­ka­ti­on „von unten nach oben“, wäh­rend auf die Bür­ger stän­dig Kom­mu­ni­ka­ti­on „von oben nach unten“ niedergeht.

Der vor­po­li­ti­sche Raum ist zah­len­mä­ßig klein, aber in vie­len Fäl­len han­delt es sich um gut ver­netz­te Mul­ti­pli­ka­to­ren. Die­se bil­den eine gewis­se Infor­ma­ti­ons­eli­te, sodaß sie häu­fig wei­ter sind als die brei­te Öffent­lich­keit. Dadurch haben sie auch ein grö­ße­res Pro­blem­be­wußt­sein und sind ent­spre­chend offe­ner für unse­re Argu­men­te und Lösungs­an­sät­ze. Aller­dings ist der vor­po­li­ti­sche Raum auch sehr heterogen.

Durch die Coro­na-Maß­nah­men-Kri­se kam noch eine ganz neue Dyna­mik und ver­stärk­te Poli­ti­sie­rung hin­zu. Das hat sich durch die Infla­ti­ons- und Ener­gie­preis­kri­se wei­ter ver­schärft, da nun die Fol­gen die­ser desas­trö­sen Poli­tik in viel stär­ke­rem Aus­maß im Leben der Bür­ger spür­bar wer­den. In Ver­bin­dung mit der ver­stärk­ten Nut­zung alter­na­ti­ver Medi­en hat sich dadurch sowohl das Poten­zi­al als auch die Wir­kung des vor­po­li­ti­schen Raums erhöht.

Para­do­xer­wei­se führt das aber nicht zu einem Umsteu­ern „der Poli­tik“, son­dern zu ver­stärk­ter Abkap­se­lung bis hin zur Erfin­dung der „ver­fas­sungs­schutz­re­le­van­ten Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes“, um den Inlands­ge­heim­dienst – genannt Ver­fas­sungs­schutz – gegen die Oppo­si­ti­on ein­set­zen zu können.

SEZESSION: Die AfD wird im Hes­si­schen Land­tag Oppo­si­ti­ons­füh­rer sein und hat, durch die erreich­te Anzahl an Abge­ord­ne­ten, beson­de­re Min­der­hei­ten­rech­te. Was ist aus die­ser Posi­ti­on her­aus mög­lich, wel­che poli­ti­schen Zie­le las­sen sich erreichen?

LICHERT: Wesent­li­che Ver­än­de­rung ist, daß wir nun über mehr als 20 Pro­zent der Abge­ord­ne­ten ver­fü­gen und somit Unter­su­chungs­aus­schüs­se ein­set­zen kön­nen, was wir im Fal­le des Coro­na-Unter­su­chungs­aus­schus­ses auch tun wer­den. Aller­dings gehört zur Wahr­heit auch, daß für die Ein­la­dung der Sach­ver­stän­di­gen die Mehr­heit erfor­der­lich ist. Als all­zu belast­bar haben wir bis­her die par­la­men­ta­ri­schen Gepflo­gen­hei­ten der selbst­er­nann­ten „demo­kra­ti­schen Frak­tio­nen“ nicht erlebt.

Die wesent­li­che Lage­än­de­rung ist nicht for­mal oder juris­tisch, son­dern liegt vor allem in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung und media­len Bericht­erstat­tung. Als Oppo­si­ti­ons­füh­rer las­sen sich unse­re poli­ti­sche Arbeit und par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ven nicht län­ger mar­gi­na­li­sie­ren und die Medi­en wer­den um eine aus­führ­li­che­re Bericht­erstat­tung nicht herumkommen.

Per­spek­ti­visch wer­den wir dadurch in eine Auf­wärts­spi­ra­le ein­tre­ten. Mehr Bericht­erstat­tung, mehr Wahr­neh­mung beim Bür­ger, wach­sen­de Zustimmung…

SEZESSION: In Bran­den­burg liegt der 2000-sei­ti­ge Abschluß­be­richt des ers­ten Unter­su­chungs­aus­schus­ses zur Coro­na-Poli­tik der dor­ti­gen Lan­des­re­gie­rung vor. Der Schwer­punkt lag dort auf der Fra­ge, wer für die Coro­na-Maß­nah­men ver­ant­wort­lich war und ob sie dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ent­spra­chen. Wo wird die AfD-Frak­ti­on in Hes­sen ihren Schwer­punkt setzen?

LICHERT: Wich­tig ist uns, die Ent­schei­dungs­pro­zes­se nach­zu­voll­zie­hen. Das heißt, wel­che Infor­ma­tio­nen lagen als Ent­schei­dungs­grund­la­ge vor. Wel­che wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en wur­den zugrun­de gelegt und wel­che nicht? Wer hat ent­schie­den, wel­che Wis­sen­schaft­ler Gehör fan­den und auf wel­cher Grundlage?

Heu­te wis­sen wir vie­les bes­ser, aber die Maß­nah­men­kri­ti­ker haben früh­zei­tig gewarnt, wur­den aber mund­tot gemacht. Mas­ken­pflicht, Schul­schlie­ßun­gen usw. gin­gen mit Kol­la­te­ral­schä­den ein­her und dann natür­lich die skan­da­lö­se Ratio­nie­rung von Grund­rech­ten nach Impfstatus.

Wir sind der Ansicht, daß vie­le der Frei­heits­ein­schrän­kun­gen und Grund­rechts­ver­let­zun­gen schlicht rechts­wid­rig waren. Das muß unbe­dingt auf­ge­klärt wer­den, zumal in Form des WHO-Pan­de­mie­ver­trags eine Ver­schär­fung inter­na­tio­na­ler Gesund­heits­vor­schrif­ten und Ein­füh­rung von auto­ma­ti­schen Maß­nah­men droht, falls die WHO eine ent­spre­chen­de Lage fest­stellt. Das ver­meint­lich erfolg­rei­che Agie­ren in der Coro­na-Kri­se und der inter­na­tio­na­le Her­den­trieb der Regie­run­gen sol­len damit zur rechts­ver­bind­li­chen Blau­pau­se gemacht wer­den. Für jeden Frei­heits­lie­ben­den ein maxi­mal dys­to­pi­sches Szenario.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (3)

RMH

20. Oktober 2023 10:16

Es tut richtig gut, nach den ganzen Nahost-Debatten wieder einmal so etwas bondenständig, Realpolitisches zu lesen. Danke für diesen Zwischenstopp.

Blue Angel

20. Oktober 2023 15:22

Diesem Dank schließe ch mich an. Als sehr wohltuend empfinde ich auch die bestimmte Zuversicht, die Herr Lichert hier zum Ausdruck bringt, und die m. E. für die zukünftigen Erfolge der konkreten Planungen der hessischen AfD steht. 

Schobbepetzer

21. Oktober 2023 05:10

Interessantes Interview, gerne mehr davon.
Habe Herrn Lichert vor 4 Jahren auf einer AFD Veranstaltung erstmals kennengelernt. Da kannte ich noch keine Sezession, ich freue mich über seinen Erfolg und das er auch hier ist. Er ist für mich der Typ AFD Politiker der langfristig neue Wählerschichten erschließen kann und trotzdem programmtisch nicht beliebig wird. Seriös und rechts, klasse, ich drücke ihm die Daumen und hoffe das die Fraktion geschlossen bleibt.
 

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