Wenn wir über die Technik der Manipulation nachdenken, liegen zunächst folgende Unterscheidungen nahe:
1. Manipulation zwischen Individuen,
2. Manipulation im Sozialen und
3. die Wissenschaft der Manipulation als Kriegswaffe.
Ans Eingemachte geht es dann, wenn Manipulation als das ureigene Wirkprinzip dessen begriffen wird, was die christliche Tradition als »Dämonen« beschrieben hat.
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1. Ein Mensch wird dann als »manipulativ« beschrieben, wenn er das Vertrauen, das ein anderer in ihn setzt, mißbraucht. Wer vertraut, setzt voraus, daß der andere ihn nicht belügt, nicht täuscht, nichts bezweckt, was nicht beiden klar ist. Wer manipuliert, »hat den anderen in der Hand« – lat. manus = Hand, plere = füllen; wörtlich: »eine Handvoll (haben), etwas in der Hand haben«, übertragen: Handgriff, Kunstgriff –, weil er die Zwecke setzt, denen der andere ohne Wissen darüber ausgesetzt ist.
Der Manipulationsbegriff geht also von dem Grundsatz aus, daß der Mensch einen (eigentlich) freien Willen hat. Ohne den freien Willen gäbe es kein Kriterium für dessen Mißbrauch. Lüge und Täuschung allein sind noch keine Manipulation, weil sie sich nicht auf den Willen des Belogenen oder Getäuschten richten, sondern auf dessen Denkvermögen bzw. auf dessen Sinne: Ich belüge jemanden, damit er etwas Falsches glaubt, ich täusche jemanden, damit er etwas Falsches wahrnimmt.
Damit der Wille eines Menschen außer Kraft gesetzt werden kann, muß der Manipulateur bei den Gefühlen seines Opfers ansetzen: Er weiß um dessen Triebe, Schwachstellen, emotionale Erregbarkeit, Ängste und was es an Unbewußtem noch so alles gibt. Zwischenmenschliche Manipulation spielt sich im Dreieck von Denken, Fühlen und Wollen so ab, daß A mittels bewußten Zugriffs auf das unbewußte Fühlen von B dessen Willen lenkt, woraufhin dessen Denken und Handeln sich (von B unbemerkt) den Interessen oder Zwecken von A unterordnet. Direkt den Willen von B zu steuern vermag A nicht – eben weil B das merken würde. Manipulation ist daher verschieden von Zwang, denn Zwang ist die Beeinflussung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit gegen den erklärten Willen des Handelnden.
Dies alles ist im Prinzip vorauszusetzen, um soziale Manipulation zu begreifen, also solche, die die Interaktion von zwei Menschen überschreitet und sich auf ganze Gruppen richtet.
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2. Der Philosoph Arno Plack hat in seinem damaligen Bestseller Ohne Lüge leben (1976) eine allgemeine Definition von Manipulation im gesellschaftlichen Gebrauch gegeben: »Manipulation, das ist die Steuerung von Menschen mit Mitteln, die ihnen nicht bewußt sind, zu Zwecken, die nicht die ihren sind, aber ihnen als die ihrigen erscheinen sollen.«
Totalitäre Systeme sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen die Politik den gesamten Alltag und jeden Lebensbereich durchdringen will. Es darf keinen machtfreien Bereich geben, jeder Mensch ist tendenziell in den Fängen der Versuchung der Macht, und nicht nur diejenigen, die Politik betreiben. Denunziationsbereitschaft, Normopathie und Gefügigkeit (neudeutsch: compliance) sowie Blockwartverhalten sind die erkennbaren Wirkungen.
Es betrifft also nicht nur »unsere Politiker«, sondern jeden Menschen qua Menschsein – jeder ist korrumpierbar und verführbar. Wenn ein politisches System in alle Ritzen dringt, steigt die Gefahr dieser Verführung. Insofern der Mensch Triebwesen ist, kann er ihr allein nicht widerstehen und kippt bald in diese, bald in jene vorgefertigte Kampfpose.
Die Religionsphilosophin Simone Weil hat das Soziale als das »große Tier« aus der Johannesapokalypse bezeichnet – im Kollektiv gerät der einzelne Mensch in Mechanismen hinein, die seinen Willen steuern, die ihn von sich selbst notwendig entfremden müssen, die ihn letztlich in das Böse hineinziehen, weil er seinen Willen aufgibt und statt dessen dem Willen der Gruppe folgt.
Die Klassiker der Manipulationstheorie, Gustave Le Bons Psychologie der Massen (1895), Walter Lippmanns Die öffentliche Meinung (1922) und die beiden unter dem Titel Propaganda erschienenen Werke von Edward Bernays (1928) und Jaques Ellul (1962) beschreiben die Lenkbarkeit größerer Menschengruppen aufgrund der psychologischen Prozesse, die in Gruppen ablaufen: Begeisterung, Devotion gegenüber Anführern, Sündenbock- und Blitzableiterphänomene, soziale Mythen, Gruppendruck, Normierung und Nivellierung, Erzeugung von kollektiven Psychopathologien usw. Zur selben Zeit beschrieben Eric Voegelin (Politische Religionen, 1938) und Carl Christian Bry das Funktionieren säkularer Verkappter Religionen (1924), das verräterische Züge primitiver Kulte zeigte.
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3. Die Psychologie und die Soziologie im 20. Jahrhundert, insbesondere der Behaviorismus, dessen Ziel die »Vorhersage und Kontrolle von Verhalten« (John B. Watson) war, haben sich innerhalb weniger Jahrzehnte zu angewandten Manipulationswissenschaften ausgewachsen.
Die planbare Umsetzung von verhaltensbiologischen Erkenntnissen wurde, um nur ein paar Beispiele aufzuzählen, im »Council on Foreign Relations« seit 1921, in Kurt Lewins »Drei-Phasen-Modell« der Re-education der Deutschen nach 1945, in den »Macy-Konferenzen« zur Sozialkybernetik (1946 – 1953) oder auf dem »Kongreß für kulturelle Freiheit« (1950 – 1969) diskutiert und in die Politik der USA und der NATO direkt implementiert.
Berühmt geworden sind die sogenannten Milgram-Experimente der 1960er Jahre, über die ihr Erfinder Stanley Milgram seinerzeit schrieb: »Unsere Untersuchungen befassen sich ausschließlich mit der Form des Gehorchens, die ein Mensch von sich aus entgegenbringt, ohne die geringste Anwendung von Druck oder Drohung.« Im US-Sprachgebrauch hat sich dafür der Begriff »soft power« eingebürgert.
In dieselbe Schublade der Massenmanipulation gehört das social engineering, Techniken des Rückgriffs auf bekannte menschliche Schwächen, um Verhalten vorhersagbar zu steuern. Hier läßt sich ein besonderes Phänomen beobachten: Wenn das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) über das Phänomen social engineering informiert, werde etwa auf »Phishing«-Methoden im Internet hingewiesen – und damit nur auf einen sehr schmalen Ausschnitt des gesamten Phänomens, wie die Alternativjournalistin Aya Velázquez festgestellt hat. Da gehe es dann um die berüchtigten »Enkeltricks« oder darum, daß man aufpassen solle, wem man im Internet seine sensiblen Daten anvertraut. Social engineering wendet sich hier auf sich selbst an.
Velázquez kommentiert: »Da denkt sich Otto Normalo dann, so naiv bin ich nicht. Auf solche Tricks falle ich nicht rein. Das Thema ist dann für ihn abgehakt. Er wird sich mit ›social engineering‹ nicht weiter beschäftigen und nicht mitbekommen, wie er in die nächste Impfkampagne hinein ›genudged‹ wird. Oder wie er vom Tagesspiegel dazu gebracht wird, Regierungskritiker, die sogenannten ›Schwurbler‹, zu hassen.«
Alle diese neueren Methoden aus der amerikanischen Verhaltensforschung (soft power, re-education, social engineering, nudging, framing, predictive programming, prebunking usw.) lassen sich unter dem großen Dach der militärpsychologischen Operationen (»PsyOps«) subsumieren. Von vornherein arbeitete die empirische Sozialforschung – deren Hauptvertreter dem Behaviorismus, der freudomarxistischen Frankfurter Schule und dem kulturanthropologischen Konstruktivismus entstammten – in den USA nicht nur mit dem Militär und dem Militärgeheimdienst zusammen und wurde größtenteils aus deren Quellen finanziert, sondern verstand ihren Auftrag als Waffe in den beiden Weltkriegen und im Kalten Krieg.
Die frühen Hollywoodfilme und Spielshows waren bereits eingebettet in eine dezidierte psychologische Kriegsführung. Lutz Dammbecks Film Overgames (2015) gibt davon Auskunft. (Daß er vom Sender Arte ausgestrahlt wurde und im Mainstream rezipiert werden konnte, liegt womöglich daran, daß er im massenmanipulationskritischen Framing »Nie wieder Hitler!« operiert, mithin selbst trotz großer Verdienste ein wenig social engineering betreibt.)
Im NATO-Sprachgebrauch hat sich die Bezeichnung »PsyOps« für die Hauptstrategie der psychological warfare durchgesetzt. Hiermit bezeichnet man alle Methoden und Maßnahmen zur Beeinflussung des Verhaltens der gegnerischen Streitkräfte und der Zivilbevölkerung. Meist wird durch gezielte Desinformation Einfluß auf die strategischen Erwägungen des Gegners genommen. Für die Bevölkerung werden bestimmte Narrative langfristig vorbereitet, durch »Testballons« im Massenbewußtsein punktuell verankert und dann breit ausgerollt (predictive programming). PsyOps sind regulärer Bestandteil der US-Verteidigungsstrategie.
Der Amerikanist und Motivationsforscher Jonas Tögel schildert in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO die aktuell »fortschrittlichste Form der Manipulation«. Seit dem Jahr 2020 treibe die NATO eine neue Form der psychologischen Kriegsführung voran: die sogenannte kognitive Kriegsführung (cognitive warfare).
Wenn sich die moderne Kriegspropaganda vor 100 Jahren vor allem auf Massenmanipulation verlassen hat (die natürlich noch immer unvermindert anvisiert wird), zielen heute, so Tögel, vor allem die militärische Anwendung der Neurowissenschaften sowie die Technologien des Typs Nanoroboter und Neurowaffen direkt auf das Denken.
Die zugrundeliegende Wissenschaft von der Manipulation kennzeichnet ein Hardcore-Materialismus, der das Leib-Seele-Problem nicht mehr kennt. Offiziell wird noch nichts darüber verlautbart, daß mit RFID-Chips, Nanopartikeln im menschlichen Blutkreislauf, Genveränderung etwa durch mRNA-Injektionen oder neurowirksame Psychopharmaka in Lebensmitteln oder im Trinkwasser die alte Grenze zwischen Physis und Psyche bereits überschritten wird – doch geben die NATO-Strategiepapiere und ‑konferenzen wie eine »offene Verschwörung« davon derartig beredt Auskunft, daß man dies als limited hangout (Preisgeben eines unwichtigen oder veralteten Teils der eigenen Operationen, um mit den entscheidenden Teilen ungestört fortfahren zu können, man hat ja »nichts zu verbergen«) oder als predictive programming interpretieren sollte.
Der »Gedankenkrieg« mittels Soft-power-Techniken ist spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ausgebrochen, doch findet erst neuerdings direkte Steuerung kognitiver Prozesse in den Gehirnen der anvisierten Adressaten statt, und zwar vermittels des Internets. Ein wesentlicher Mechanismus, auf dem die kognitive Waffengattung fußt, ist die völlig freiwillige Preisgabe riesiger Datenmengen durch uns Internetnutzer. Tögel schreibt, wir alle gäben unablässig hinter dem für die Empfänger einsehbaren Text, den wir öffentlich oder privat absetzen, einen »Schattentext« von uns: Klicks, Bewertungen, Suchmaschinenverwendung, Schlagwörter, Surfdauer, Käufe, Verlinkungen, Füttern von KI-Maschinen wie ChatGPT, Handyortung – all das, worauf nicht nur Werbealgorithmen zugreifen können, sondern auch Staatstrojaner, darauf spezialisierte Agenturen und Geheimdienste.
Der Angriff, der auch und gerade, wie Jonas Tögel herausstellt, die eigenen Völker der westlichen Staaten treffen soll, kann auf ein komplexes Waffenarsenal vertrauen. Neben den »Schattentexten« finden sich darin vor allem gezielt aufgebaute »Influencer« und »partizipatorische Propaganda« in den sozialen Medien: das Verbreiten präzise auf sie zugeschnittener Inhalte durch die Nutzer selbst.
Während die meisten vor allem jungen Nutzer die Funktionsweise von Algorithmen bereits kennen, verhält sich dies bei einer der neuesten Waffen anders, dem sogenannten prebunking. Debunking ist das Entlarven oder Aufdecken von Falschmeldungen (das Geschäft der medialen »Faktenchecker«), doch »das ›Prebunking‹ […] soll die psychische Einstellung des Empfängers so präparieren, daß er die fragliche Behauptung bereits für falsch hält, bevor er mit ihr in Kontakt kommt. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, daß Schüler in einer virtuellen Umgebung selbst Fake-News produzieren und sich so scheinbar in ›böswillige Akteure‹ hineinversetzen. Treffen sie dann im Alltag auf eine Nachricht, der dieselbe Kommunikationsstrategie zu Grunde zu liegen scheint, lehnen sie deren Inhalt von vorne herein ab.«
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Genug davon. Die Frage wird immer dringlicher: Was ist es in uns, das uns so teuflisch empfänglich macht für Manipulation? Warum ist der Mensch so beschaffen, daß er solchen Mißhandlungen hilflos ausgeliefert ist?
Wenn ich oben die Wirkweise der Manipulation so skizziert habe, daß A mittels bewußten Zugriffs auf das unbewußte Fühlen von B dessen Willen lenkt, woraufhin dessen Denken und Handeln sich (von B unbemerkt) den Interessen oder Zwecken von A unterordnet, dann entspricht diese Skizze einem Gedanken des heiligen Thomas von Aquin in seiner Summa theologiae.
Engel, und zwar sowohl gute als auch böse (Thomas spricht bei letzteren explizit in diesem Zusammenhang von »Dämonen«), wirken in der Weise auf den Menschen, daß sie ihn nicht über den Willen lenken können, denn das kann nur Gott. Was sie können, ist, auf die Sinnlichkeit des Menschen einzuwirken: seine Gefühle entweder geistig oder physisch erregen. Dämonen sind die Ur-Manipulatoren, ihr gesamtes Sinnen, Trachten und Treiben richtet sich auf nichts anderes!
Das, was die moderne Psychologie nach Freud das »Unbewußte« nennt, hieß in der Tradition »die sinnlichen Triebe«, »das Fleisch« oder »die Unternatur« des Menschen. Diese sind dem Bewußtsein nicht zugänglich, während der Wille und der Verstand die bewußten Seelenteile darstellen. Wer einen Menschen führen will, ohne daß dieser fremde Führung bemerkt und abwehrt, weil sie gegen seinen Willen geschieht, muß sich also in dessen Unternatur einschleichen, sein Fleisch erregen (was wahrlich nicht auf Sexualität beschränkt ist, wenngleich diese den Dämonen als vortrefflich geeignete Sollbruchstelle erscheint).
Dieser Jemand kann ein anderer Mensch sein, ein direktes Gegenüber (oben unter 1. beschrieben), oder es handelt sich um manipulative Zusammenhänge im Sozialen (2.) bzw. regelrechte wissenschaftliche Methoden der Kriegsführung in der human domain (3.). Gemeinsam ist dieser Klimax das Prinzip: die Fremdbestimmung des Willens eines Opfers durch Mißbrauch von dessen Gefühlen und Trieben.
Jonas Tögel beschließt sein Buch mit einem Kapitel, in dem er seinen Lesern Wege weisen will, wie sie als einzelne die Manipulationswaffen der kognitiven Kriegsführung »neutralisieren« können. Logischerweise ist die Kenntnis derselben bereits der erste und entscheidende Schritt: Da sie im Dunkeln auf das Unbewußte wirken sollen, verlieren sie, ans Tageslicht des Bewußtseins gezerrt, ihre Kraft. Doch Wissen bedeutet, davon kann jeder Lehrer und jeder Ethiker ein Lied singen, nicht Umsetzen-Können.
Der Motivationsforscher ist an dieser Stelle trotz eifrigen Bemühens ziemlich geliefert. Er will mehr anbieten als Aufklärung, also eine ihrerseits rein kognitive Gegenstrategie zur kognitiven Kriegsführung. Denn Aufklärung über das Thema Manipulation in Büchern und Vorträgen hat den Pferdefuß, daß die allermeisten Zuhörer verständnisinnig nicken – aber die Manipulierten sind immer die anderen (»die Gesellschaft«, »die Nutzer von Social media«, »die Mainstreamgläubigen«, die »Schlafschafe«).
Tögel schreibt: »Es stimmt und ist in der psychologischen Forschung gut belegt, daß man selbst die eigene Anfälligkeit für Manipulation gerne unterschätzt, während man sie bei anderen überschätzt. Diese Tatsache wird auch als ›Dritte-Person-Effekt‹ (Third-Person-Effect) bezeichnet.«
»Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?« (Mt 7,3) drückt es Christus in der Bergpredigt aus. Denn alle Aufklärung über Manipulationstechniken bewirkt nichts, wenn der einzelne den Balken im eigenen Auge stecken läßt. Er muß blind bleiben für Tögels Ratschläge, etwa die »helle Seite« der Soft power in Form von Motivationstechniken und die woke Psychonummer namens »Empowerment« positiv für sich zu nutzen oder mit C. G. Jung das »Aufwachen« aus der Manipulation neu zu framen: »Ich bin das, was ich entscheide zu werden.« Tögel zitiert Jung noch weiter: »Nur wer in sein Herz blickt, sieht die Dinge so, wie sie wirklich sind. Wer nach außen blickt, schläft. Wer nach innen blickt, der wacht auf.«
»Ich habe auch nach eingehender Recherche diese Sätze nur auf Websites mit berühmten Zitaten gefunden. Jung liest sich in Wirklichkeit etwas weniger selbsthilfegruppenhaft:
Zu viele noch suchen außen; die einen glauben an den Trug des Sieges und der siegreichen Macht, andere an Verträge und Gesetze und wiederum andere an die Zerstörung der bestehenden Ordnung. Zu wenige noch aber suchen nach innen, im eigenen Selbst, und noch zu wenige legen sich die Frage vor, ob nicht der menschlichen Gesellschaft am Ende dadurch am besten gedient sei, daß jeder bei sich selber anfange und jene Aufhebung der bisherigen Ordnung, jene Gesetze, jene Siege, die er auf allen Gassen predigt, zuerst und einzig und allein an seiner eigenen Person und in seinem eigenen inneren Staat erprobte, anstatt sie seinen Mitmenschen zuzumuten.« (Die Psychologie des Unbewußten, Vorwort zur 2. Auflage, 1918)
Dabei ist dem Psychoanalytiker die Wirkweise der Dämonen vertraut, Jung fängt mit dem Begriff des „Archetypus“ in einem gewissen Umfang das ein, was die Tradition als Dämonen gesehen hat. Indirekt zitiert er Augustinus, der ihre „Aufgeblasenheit“ auf 1 Kor 8, 1 zurückführt. Im selben Werk schreibt Jung nämlich:
»Hierin zeigt sich die charakteristische Wirkung des Archetypus: Er ergreift die Psyche mit einer Art Urgewalt und nötigt zur Überschreitung des menschlichen Bereiches. Er veranlaßt Übertreibung, Aufgeblasenheit (Inflation!), Unfreiwilligkeit, Illusion und Ergriffenheit im Guten wie im Bösen. Hier liegt der Grund, warum die Menschen immer der Dämonen bedurften und nie ohne Götter leben konnten.«
Uns Heutigen kann die Interpretation von Manipulation als Wirkweise der Dämonen meines Erachtens weiterhelfen, um die Lücke zwischen dem Erkennen der Manipulation im Außen und dem ständigen Wirken der Manipulation auf das Innen zu schließen. Der Mensch ist nämlich seit dem Sündenfall prinzipiell von Dämonen umzingelt und auch innerlich durchdrungen, insofern ist es etwas völlig Gewöhnliches, eben die Natur (oder: die Unternatur) des Menschen, daß unser Wille derart belagert, bezirzt, verführt, getriezt, unterwandert, matt gesetzt und ausgetrickst werden kann. Die Dämonen vermögen nichts anderes, als sich mannigfaltigster »Psychotricks« zu bedienen, das ist ihre Natur.
Nicht jede Sünde ist dämonisch bewirkt. Aber »wenn der Mensch seinen Willen vernachlässigt und ihn preisgibt, ohne ihn Gott zu unterwerfen, so wird sich alsbald der Widersacher Gottes melden, um sich diesen Willen hörig zu machen oder ihn zu verdrängen. Zwar kann sich auch ein menschlicher Wille einschalten; aber die Macht der Daemonen ist unvergleichlich größer.« (Egon v. Petersdorff, Daemonologie, 1940)
Wenn man sich einmal traut, in der Gewissenserforschung oder im vertraulichen Gespräch wirklich in den eigenen Gefühlshaushalt hinunterzusteigen, wird man sich fragen, was man eigentlich unterhalb der kognitiven Oberfläche alles insgeheim empfindet. Da wird man fündig, da tummeln sich die Dämonen – und zwar gerade dann, wenn die Fragen, die ich dem eigenen Gewissen stelle oder offen ausspreche, bloß scheinbare Kleinigkeiten wie meine Antipathien, typischen Reaktionsmuster und »Trigger-Knöpfchen« betreffen und nicht die kognitive Kriegsführung im geopolitischen Hybridkrieg. Das ganz Große ist das ganz Kleine. Und andersherum. Deshalb ist es einerseits so »normal« und menschlich, der ständigen Wirkung der Dämonen ausgesetzt zu sein, andererseits so pervers und unmenschlich, ja, widermenschlich, wie es eben nur das Böse sein kann.
Meine These wäre: Es ist das altbekannte Böse, das viele Abstufungen und Wirkweisen kennt und seit hundert Jahren den Menschen mit letzter Kraftaufbietung nun dazu bringt, sich re-education, framing manuals und cognitive warfare auszudenken – und das den Menschen dazu bringt, diesen Versuchen, in seine Seele einzudringen, immer mehr zu erliegen, immer willfähriger zu werden, sich freiwillig zu unterwerfen, ohne es auch nur zu ahnen.
Es gibt jedoch gegen das altbekannte Böse ein Hilfsmittel, und das ist die »Scheidung der Geister«. Der Apostel Johannes formuliert es so: »Traut nicht jedem Geist, nein, prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind« (1 Joh 4,1). In den Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola ist die Unterscheidung der Geister die zentrale Übung: »Ich setzte voraus, daß es dreierlei Gedanken in mir gibt: solche, die mein eigen sind und allein meiner Freiheit und meinem Willen entspringen, während die beiden andern von außen kommen: der eine vom guten, der andere vom bösen Geist.«
Diese Übung ist niemals rein kognitiv, denn beim Hinuntersteigen in die Abgründe der Seele empfinde ich rege Abscheu oder aber Wiederholungslust. Wenn ich unerbittlich prüfe, welche meiner scheinbar noch so legitimen Gedanken »vom bösen Geist« stammen könnten, finde ich ihre möglichen Motive: Haß, Angst, Zorn, Herrschsucht, Dünkel, Eigenliebe … die mich unterhalb meines Willens dazu gebracht haben könnten, ein Kriegspropagandavideo zu teilen, die genaueste Schrittzähler-App zu installieren, Tribunale für satanische Pädo-Eliten zu fordern, einem politischen Hoffnungsträger in den sozialen Medien zu folgen, bei Kampagnen gegen »das Virus« oder »die Genspritze« mitzumachen, als »letzte Generation« von links oder von rechts auf die Straße zu gehen, Linke, Schwarze, Moslems und die dekadenten Massen des eigenen Volkes zu verabscheuen oder gar zu glauben, ich sei nicht manipulierbar.
Gotlandfahrer
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Danke für diesen tiefsinnigen, herausragenden und für unser Lageverständnis unverzichtbaren Vortrag. Es scheint, wir arbeiten uns durch solche Beiträge Schritt für Schritt ins Helle, wo sich sehen lässt, wie uns geschah.
Selbstverständlich, verehrte Frau Sommerfeld, ist jeder, also auch jeder von uns, manipulierbar und anfällig für die eigenen Dämonen. Aber kann es der Redlichkeit auch zuviel werden, wo es am Beobachter höherer Ordnung stets mangeln zu müssen scheint? Will sagen: Stellen Sie schon gar nicht Ihr Licht, aber auch nicht das der hemdsärmeligen „Verschwörungstheoretiker“ unter den Scheffel, nur weil nicht jede Regung objektiven Wahrheitsansprüchen genügen kann: Fünfe gerade sein lassen, Zorn (den Sie zu Motiven des bösen Geistes zählen), bei dem mit Spänen gehobelt wird, ist das nicht Ausdruck menschlicher Demut vor der Unerreichbarkeit göttlicher Unfehlbarkeit bei gleichzeitiger Bejahung des eigenen geschenkten Lebens? Und damit das, was den fehlenden objektiven Beobachter höherer Ordnung ersetzt, weil es uns unterscheiden lässt, zwischen, vielleicht nicht Wahr und Unwahr, aber zwischen Falsch und Richtig? Denn die „Gegenseite“ spürt ihn nicht, den Zorn. Weder „Eliten“ noch „Antifanten“ sind „zornig“ auf Rechte.
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