Im Zeitalter des Smartphones ist betreutes Lesen Elternpflicht

Wir – Antaios - haben unseren Bücherschrank „Kinder- und Jugendbücher“ neu sortiert. Es war nötig, und es war eine Freude. Denn es gibt eine Vielzahl neuer, guter, lesenswerter Kinder- und Jugendbücher. Das ist die gute Nachricht.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Zunächst aber zu den trau­ri­gen Fakten:

25,8 Mil­lio­nen Men­schen, die in Deutsch­land leben (aktu­ell: 84,5 Mil­lio­nen), kau­fen und lesen Bücher. Kraß ist der Ver­gleich mit der nahen Ver­gan­gen­heit: 2012 (in Deutsch­land Leben­de damals: 80,4 Mil­lio­nen) gab es noch 37 Mil­lio­nen Buch­le­ser- und ‑käu­fer.

Man kann die­sen Auf- und Abschwung kul­tu­rel­ler Blü­te sehr gut mit den Theo­rien eines Oswald Speng­ler (Unter­gang des Abend­lan­des) oder eines Juli­us Evo­la (Men­schen inmit­ten von Rui­nen) abglei­chen.

Nur: Sowohl Speng­ler als auch Evo­la gin­gen von viel wei­ter­ge­spann­ten Zeit­läuf­ten aus. In deren recht dras­ti­schen Theo­re­men über Geschichts­zy­klen machen elf Jah­re als Betrach­tungs­raum wenig Unter­schied. De fac­to: lei­der doch!

Laut aktu­el­ler Jim-Stu­die (die das Medi­en­ver­hal­ten von Kin­dern und Jugend­li­chen unter­sucht) lasen 2011 noch 44% der 12–19jährigen „täg­lich“ oder „mehr­fach wöchent­lich“ Bücher. Der­zeit sind es dem­ge­mäß nur noch 30%. Das ist kein sanf­ter Abstieg. Das ist vielsagend.

Wer öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel nutzt, weiß es: Der Blick klebt am Han­dy und nie am Buch. Fast ist es schon soweit, daß wir den ein­zi­gen Buch­le­ser unter 80 Mit­in­sas­sen spon­tan umar­men woll­ten – und wenn er nur Jür­gen Haber­mas, Stef­fen Mau, die Hele­ne-Fischer-Bio­gra­phie oder Lucy – mein Weg, mei­ne Gefüh­le liest .

„Das Inter­net“ gibt es nun schon so lan­ge. Die ganz­tä­gi­ge Smart­phone-Sucht ist erst ein paar Jah­re alt. Erwach­se­ne „User“ mit ihrem Sucht­ver­hal­ten soll­ten einem egal sein – aber die Kinder?

Mei­ne eige­ne (jüngs­te) Toch­ter war in ihrer vier­ten Grund­schul­klas­se die ein­zi­ge ohne Smart­phone. Sie besucht nun als Zwölf­jäh­ri­ge die 8. Klas­se, und bis­lang ist es bei der Smart­phonelo­sig­keit geblie­ben. Sie wird beim Über­tritt in die Neun­te so ein Ding bekom­men. All mei­ne Kin­der beka­men erst zu die­sem Zeit­punkt die­ses Zeug.  (Eine ver­wei­ger­te sich: bis heu­te. So wie ich mich ver­wei­ge­re. Ein Leben ohne Smart­phone ist äußerst luxuriös.)

Hin­ge­gen sind all mei­ne Kin­der Viel­le­ser. Ich glau­be kaum, mir beson­de­re erzie­he­ri­sche Ver­diens­te zuschrei­ben zu kön­nen. Aber eines ist mir (bes­ser: uns) dann doch gelun­gen: Die Lie­be der Kin­der zum Buch zu wecken.

Mei­ne Kin­der lesen, wäh­rend sie sich die Schu­he schnü­ren. Sie lesen, wenn sie am Herd irgend­was rüh­ren müs­sen. Sie lesen im Bus, vor dem Ein­schla­fen, sie lesen immer und über­all.  Und stets gibt es Redebedarf.

Mei­ner Zwölf­jäh­ri­gen lese ich noch all­abend­lich vor. Zum Glück liebt sie es! Die Lek­tü­re­aus­wahl neh­me ich so locker wie streng. Streng: Schlech­te Lite­ra­tur ver­dient es nicht, gele­sen zu wer­den. Locker: Manch­mal fin­de ich her­vor­ra­gend erzähl­te Bücher. Dar­in gibt es oft ein­zel­ne Stel­len, die mir zuwi­der sind: Bei­spiels­wei­se wird gegen­dert. Oder es wird „poli­tisch kor­rekt“ illus­triert. Ich fin­de, man muß sou­ve­rän genug sein, so etwas hin­zu­neh­men. Aber auch: die Kin­der dar­auf hin­zu­wei­sen.  Ja, das ist „betreu­tes Lesen“, aber so sind halt heu­te die Bedingungen.

Gera­de lasen wir Iwein Löwen­rit­ter von Feli­ci­tas Hop­pe. Ich las es erst­mals und war so begeis­tert, daß ich es gleich in unse­ren Antai­os-Bücher­schrank „Kin­der- und Jugend­bü­cher“ ein­stell­te, damit es noch mehr Leser fin­det. (Lei­der ist unse­re Pracht­aus­ga­be, die 2016 ein Weih­nachts­ge­schenk für eine älte­res Schwes­ter war, nicht mehr erhält­lich, son­dern nur ein Taschenbuch.)

Dabei fiel mir auf, daß die­sem Bücher­schrank eine Aktua­li­sie­rung sehr gut­tä­te. Das ist gesche­hen: Bit­te schau­en Sie sich gründ­lich um!

In den kom­men­den Wochen wer­de ich die­se Kin­der- und Jugend­buch­be­trach­tun­gen gele­gent­lich fort­set­zen. Ob Lesen nicht über­be­wer­tet wird; was gut ist am aktu­el­len Buch­markt, was bedenk­lich oder schlecht; wel­che The­men „boo­men“ und wel­che unter­be­lich­tet sind; was, wenn Kin­der von Kitsch oder Schrott ange­zo­gen werden?

Um aber an die­ser Stel­le mit dem Iwein abzu­schlie­ßen: Hop­pes Nach­er­zäh­lung des „Iwein“- Stof­fes, dem mit­tel­al­ter­li­chen Dich­ter Hart­mann von Aue (um 1200) nach­emp­fun­den, ist gro­ße Klas­se. Unter der Hand ver­bin­det sie näm­lich Mit­tel­al­ter, Roman­tik und Neu­zeit. Ich nen­ne es eine mus­ter­gül­ti­ge Arbeit am Mythos.

Wor­um geht´s? Gawein und Iwein sind Rit­ter der Tafel­run­de rund um König Artus. Wor­auf sind die­se vor­treff­li­chen Rit­ter aus? Natür­li­che um aven­ti­ure und ere, Aben­teu­er und Ehre. Sie sind die „bes­ten der Bes­ten“. Nur… gibt es neben der Hard power auch die Soft power, und die nennt sich auf all­deutsch Liebe.

Iwein, der Held, ist Lau­di­ne in Lie­be ver­fal­len, in hef­ti­ger, erns­ter, abso­lu­ter Lie­be. Ande­rer­seits ist er auch ein Kämp­fer, ein Krie­ger und Held. Er will sich mes­sen. Das eine kol­li­diert mit dem anderen.

In sei­ner Brust schlägt seit der Ver­mäh­lung Lau­di­nes Herz, und in Lau­di­nes Brust das von Iwein. Das ist unhin­ter­geh­bar.  Und den­noch darf Iwein nicht weich werden…

Ich den­ke, es gibt kei­nen bes­se­ren, roman­ti­sche­ren “Coming-of-age“-Roman als die­se mit­tel­al­ter­li­che Auf­po­lie­rung durch Feli­ci­tas Hoppe!

– – –

Hier geht es zum Antai­os-Bücher­schrank “Kin­der- und Jugend­bü­cher”.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (24)

Laurenz

11. November 2023 13:14

Hoppes Buch ist offensichtlich kein Buch für Mädchen, sondern eines für Jungs. Hier wird doch offensichtlich, was Frauen tun. Sie wollen ein Alpha-Tier, welches dann umerzogen zuhause bleibt. Zuwendung bekommt man(n) nur bei Wohlverhalten. Die schwerste Aufgabe ist es, die Zuwendung abzulehnen, sich selbst zu bewahren & wenn's denn sein muß, Zuwendung woanders zu holen. @EK zwischen einem Mobiltelefon & einem Buch bestehen natürlich Unterschiede, wie auch Geeinsamkeiten. Es entwickeln sich oft 2 Arten von Sucht. 1. Kommunikationssucht, was Aufmerksamkeit anderer bedeutet. Nicht mein erstes mobiles Telefon verführte mich zu Tipperei, sondern, wen wundert's, Frauen. Ein fataler Fehler. Man versteht sich so schon schlecht mit Frauen & dann auch noch per Textnachrichten. Das Mißverständnis ist vorprogrammiert, grauenhaft. Seit vielen Jahren nutze ich das Telefon nur noch als Kurz-Absprache-Modul & zum telefonieren. Das mußte ich aber erst lernen. 2. Info-Sucht. Selbst dann, wenn man ihr unterliegt, sind MobTels wenig komfortabel. Eine Tastatur & ein richtiger Bildschirm sind das einzig akzeptable. Der Nachteil von Videos im Verhältnis zu Büchern.... man lernt nicht, eigene Bilder zu kreieren. Man konsumiert die Bilder anderer.
 

Umlautkombinat

11. November 2023 13:15

Betreuter Umgang mit der Technik selbst muss ebenfalls sein und relativiert. Muss man machen, sonst hat man auf lange Sicht mit totalen Ansaetzen schlechte Karten. Es muss nicht immer haptisch sein oder gedruckt. Je nach Inhalt z.B. gibt es andere Vor- (ja, auch Vorteile, nie vergessen!) und Nachteile. Fachbuecher etc. liegen bei mir seit Jahren zu wesentlichen Teilen auf dem Smartphone (oder gleich mal grundsaetzlich: alles zum Lesen dann doch besser ueber ein Tablet), sie koexistieren friedlich mit ein etlichen Druckausgaben, die ich trotzdem besitze. Filme gibts nicht als DVD, aber auch nicht gestreamt von Netflix und Konsorten, sondern als Kollektion von Dateien unter meiner Kontrolle. YouTube muss man nicht werbeverseucht sehen, sondern kann z.B. einen Client wie NewPipe benutzen. Meine kleinste Tochter mit ihrem Faible fuer Playmobil hat es genossen, als die mittlerweile doppelten und dreifachen nichtwegklickbaren Werbebloecke komplett verschwanden. Sie hat kein Smartphone, wie es ihr Bruder bis zur achten Klasse ebenfalls nicht hatte. Die Geraete der Eltern genuegen und sie kombiniert das in rechteigenwilliger Weise mit dem physischen Spielen.
 
U.a. aus o.g. Gruenden kaufe ich uebrigens auch weniger Buecher. Interessant waere, ob vielleicht doch noch mehr lesen als die genannten Zahlen nahelegen. Nur eben nicht mehr auf Papier.

MarkusMagnus

11. November 2023 13:25

Man sollte allerdings auch nicht vergessen das mittlerweile auch viel im Internet gelesen wird. Oder über Book-Reader.
Das relativiert auch etwas die Statistik.
Vieles was mich interessiert habe ich dennnoch als Buch.
 
 

Karl Otto

11. November 2023 14:56

Ich bin auch ein Feind des Smartphones, habe nach wie vor nur ein einfaches Handy, mit dem man telefonieren oder SMS verschicken kann. 
Aber was Bücher betrifft, sollte man nicht so streng sein. Den Ebook-Reader habe ich in der Jackentasche, und er begleitet mich in der Bahn wie im Flugzeug oder im Urlaub. Kleiner als ein Taschenbuch und mit dem Inhalt einer kleinen Bibliothek, was will man mehr?
Dass man nicht unterstreichen und Anmerkungenmachen kann, ist natürlich ein minus, aber wenn man mehrere Wochen verreist, erspart einem das schon einige Kilo Gepäck.

Volksdeutscher

11. November 2023 17:16

1. Davon, daß betreutes Lesen wirklich Elternpflicht sein müßte, wissen die meisten Eltern nichts. Würden sie überhaupt diese Ansicht Frau Kositzas teilen? Wohl nur die allerwenigsten. Ich teile sie, obwohl ich keine Kinder habe. Langsam sind wir jedoch so weit, daß wir Eltern in Kindererziehung unterrichten müßten und ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden, Mann und Frau einer vorherigen Prüfung zu unterziehen, ob sie geistig und seelisch überhaupt geeignet sind, Kinder in die Welt zu setzen. Es gäbe dann womöglich zahlenmäßig weniger, aber in seelischer Hinsicht mehr glückliche Kinder. Nun gut, in meiner Kindheit gab es kein betreutes Lesen, dafür gab es aber etwas Grundlegendes: Erziehung zum Lesen. Wir wurden zur Liebe zur Literatur erzogen. 

Volksdeutscher

11. November 2023 17:24

2. Der erste Stoß in diese Richtung bewirkte, daß man sich im weiteren selbst zum Bücherkaufen und Lesen motivierte, ja ertüchtigte. Das Hauptproblem dabei ist lediglich das Platzproblem: Wohin mit den Büchern? Ein kleineres Problem ist der Zeitfaktor. Man würde auch gerne mehr Bücher kaufen und lesen, nicht nur aus Bildungsgründen, sondern auch aus ästhetischen, weil Bücher einfach schön sind! Die Zeiten haben sich leider gewandelt, man weiß, in welch ungünstige Richtung, das Jammern darüber möchte ich jetzt aber doch lieber jemand anderem überlassen. Meine letzten Bücherkäufe waren Bücher von Hans Kollhoff (angeregt durch Frau Kositzas Buchvorstellung) und ein wunderschön aufgemachtes zweibändiges Werk (für alle, die die Kunst der Architektur (der Renaissance) lieben): Lionello Puppi, Palladio, Das Gesamtwerk in zwei Bänden, 230 S. bzw. 467 S.. Zum Dahinschmelzen.

Franz Bettinger

11. November 2023 17:48

"Meine Kinder lesen, während sie sich die Schuhe schnüren. Sie lesen, wenn sie am Herd irgendwas rühren müssen. Sie lesen im Bus, sie lesen immer und überall.“ Hm, das ist eigentlich kaum besser, als ständig Musik hören oder ins Smartphone schauen zu müssen. Ich denke, man sollte das, was man tut (kochen, Auto fahren, Holz hacken) mit allen Sinnen tun. - Sie haben schon recht, verehrte Frau K. Ohne Smartphone (& Handy) zu leben, ist ein versteckter, wenig bekannter & ungeheurer Luxus. Ein Lob den Verweigerern von Intelligenz-Krücken! Den einzigen PC, den ich umarme, ist mein Gehirn. Redebedarf ist natürlich großartig. Reden ist etwas Aktives. Lesen lediglich was Passives. Über das Diskutieren, Reden und Haarspalten entwickeln sich Denk- und Rede-Gewandtheit (Intelligenz). Ja, eine Familie wie die Ihre wäre für mich eine Alternative gewesen. - Ihre Kinder, interessieren die sich eigentlich für Sagen (deutsche, römische, griechische ...)? Das war als Kind und Jugendlicher mein Lebenselixier.  Und später natürlich Fernau.

Laurenz

11. November 2023 18:58

@Franz Bettinger ... Castaneda definierte den Luxus damit, nicht erreichbar für niemanden zu sein. Damit meinte Er nicht nur die anderen, sondern auch den eigenen Kopf, also die "Innere Stille". Letztere ist die schwerste Übung überhaupt. Kann jeder selbst testen, wie lange er den  inneren Dialog anhalten kann.

Volksdeutscher

11. November 2023 20:09

@Franz Bettinger - "Redebedarf ist natürlich großartig. Reden ist etwas Aktives. Lesen lediglich was Passives."
 
Werter Herr, da muß ich gleich intervenieren. Sofort schoß mir Nietzsches Forderung durch den Kopf, nicht passiv mit den Augen, sondern aktiv mit den Ohren zu lesen, d.h. man solle sich das Geschriebene laut vorlesen! Man hört und belebt die Gedanken eines anderen durch seine eigene Stimme, Sprechrythmus und Intonation, was mit der Interpretation eines Musikstücks zu vergleichen ist: Die Noten stehen schon fest, aber beseelt wird das Werk durch den Künstler, durch ihn wird es erst zum Leben erweckt. Auch wenn es so etwas wie ein Textbild gibt, ist das Geschriebene gleich dem Gesagten, für die Ohren und nicht für die Augen: Schriftkunst und Gedichtkunst sind keine visuellen Künste. So zu lesen riet ich mal einer ehemaligen Freundin in der Phase zur mündlichen Prüfung auf der Uni. Es hatte sich bei ihr bewährt. Auf diese Weise kann man sich etwas einfacher merken und auch einstudieren, da man den Text sowohl visuell als auch akustisch in sein Gedächtnis speichern kann. Nun mögen Sie da einwenden, daß dies in der Öffentlichkeit nicht gehe. Wohl geht es aber in seinen eigenen Räumlichkeiten. Das reicht. Es ist für den "intimen" Umgang mit Geschriebenem.

monchichi

11. November 2023 20:33

Ich erinnere mich an zu wenige Bücher mit Titel, aber um ein paar zu nennen: Pünktchen und Anton, König Kallewirsch, Das Vamperl, Hanno malt sich einen Drachen, Die Mitte der Welt, Die Schachnovelle, Die Geisha, Der Englische Patient, Die Nebel von Avalon, Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Quasselstrippe, Perry Rhodan, Fear Street, Finger Prints, Libri Mortis, Das Herz des Privaten, Merle kann nicht singen, Die kleine Hexe/Wassermann, viele Geschichtebände, z.B. das Gruselbuch oder das Weihnachtsbuch, usw. Viele Bücher über Kinder in Not. Später wurde ich von einem Scientologen im Chat angeschrieben, aber ich wusste bereits was Scientology ist und blockierte die Person. Nach "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" schwor ich mir selbst, nie Drogen zu nehmen. Bildung bewahrt vor Vielem. Bei uns Zuhause wurde aber auch musiziert, jedes Kind lernte ein Instrument, es gab Gesangsunterricht am Klavier, mein Vater las uns jeden Abend vor, erzählte Geschichten aus seinem Leben, erfand Geschichten für uns. Das Elternhaus macht wohl einen Unterschied. Wobei man auch weiß, dass sich intelligente Kinder bestimmte Nischen suchen, in denen Bildung verfügbar ist. 

Franz Bettinger

11. November 2023 22:20

Kinder sammeln natürlich per se gerne ihr (erstes) Eigentum. Das Eigentum ist das erweiterte Eigene / Ich. Herrlich. Man wächst, indem die Büchermenge wächst, die man auf dem Bücherbrett stehen hat. Junge Erwachsene sind stolz auf ihre Bibliothek. Schaut, was ich alles gelesen und somit im Kopf habe, soll das bedeuten. Bin ich nicht ein kluger Mann mit vielen Büchern?! Irgendwann erreichen einige das gegenteilige Stadium: Sie entrümpeln die Bücherwand und damit sich selbst. Sie werfen weg, was weniger gut oder einfach schlecht ist. Und dann gibt es noch ein Endstadium, in dem ich seit Jahren stecke: Man gibt Bücher weiter an Freunde, darunter gerade die sehr guten Bücher (Fernau, Wass…), die man dazu neu kauft, um die eigenen (alten, schwer bearbeiteten) wie einen Schatz zu bewahren. Der Bücherschrank schrumpft, wird aber zum Kleinod.

Franz Bettinger

12. November 2023 00:36

@Volksdeutscher: Danke für Ihre wertvolle Ergänzung. Das sich selbst oder anderen laut Vorlesen (übrigens erst recht in einer Fremdsprache) ist tatsächlich sehr wichtig: Man hört sich selbst, seine Stimme, das Gesprochene, die Betonung; man merkt, wo es hapert; man formuliert um, auch fremde Autoren, was ich "verfranzeln" nenne. Darin liegt der Wert der lauten Selbstgespräche. "Aktiv geht über passiv!“ Das war eine der wichtigsten Botschaften im Lern-Unterricht (= Lernen wie man lernt) der tollen Université Catholique de Louvain (Löwen, Belgien). Welches rating die UCL heute hat, weiß ich nicht.  @Laurenz: Bei intensivem Tun (Holz hacken, Kajak fahren…) verschwinden die (oft lästigen) inneren Monologe. Das kann Therapie sein. Tut was, denkt weniger! Na ja, so ungefähr. Es kommt wohl auf die Balance an. 

Laurenz

12. November 2023 01:21

@Franz Bettinger ... ich besaß bis vorletztes Jahr 22 knapp unter mittelgroße Kartons Bücher, zählbar, weil die wegen der Renovierung meiner Junggesellenklause, verpackt werden mußten. Ich nahm jedes Buch einzeln in die Hand, um zu entscheiden, ob ich es behalte oder es wegkommt. Die zum behalten, reinigte ich mit einer Hilfe aufwendig. Jetzt sind noch 9 Kartons in meinem Besitz, immer noch zu viele. Die überzähligen 13 Kartons bot ich dem Büro von Antaios an, der Stadtbücherei & anderen Organisationen, die mit dem Lesen beschäftigt sind. Keiner hatte Interesse an Büchern, die älter als 20 Jahre oder jünger als 80 Jahre sind. Öffentliche Buchregale sind alle überfüllt. Die 13 Kartons kamen in die Presse, dazu noch 2 blaue Tonnen Bücher meiner Vaters (etwa 1/10 Seiner Bücher) & 2 alte große Koffer mit Büchern meines Großonkels. Sic transit gloria mundi.
@Volksdeutscher @Franz Bettinger ... aktiv mit den Ohren zu lesen. ... Wenn man in Leben nur Nietzsches Werke liest, mag das angehen. Aber sonst können Sie das haken. Vorlesen ist was anderes, wie lesen. Mein Vater las mir Grimms Märchen vor. Ich las 2 Fernbeziehungen am Telefon vor, zum einschlafen. Das macht man für Menschen, an denen einem was liegt. In meisten besten Zeiten las ich den Herrn der Ringe in 2 Tagen, mit meiner eigenen Bilderwelt. Laut lesen kostet mehr als eine Woche.

MarkusMagnus

12. November 2023 09:39

@ Laurenz
Ihr Beitrag hat mich zu einer Idee gebracht.
Wie wäre es mit einer patriotischen Bibliothek auf dem Rittergut? 
Ich interessiere mich sehr für Bücher die die Allierten seit 45 aus der Öffentlichkeit verbannt haben. Es sind sehr Viele 
Hat jemand Informationen dazu ob es dazu eine Art schwarze Liste gibt? Und ob diese geheim ist?
Es soll ja angeblich sog. Giftschränke in deutschen Bibliotheken geben in denen solche Bücher aufbewahrt werden.
Lesen darf man sie nur wenn man Akademiker ist und dir für das Studium oder eine Dr.-Arbeit braucht 
Diese Bücher müssen ja sehr interessant sein wenn sie von der BRD weggeschlossen und dem normalen Bibliothekbenutzer entzogen werden.
Verbotene Früchte schmecken nunmal am Besten.

Kositza: Nein, für eine "patriotische Bibliothek" haben wir keine Kapazitäten. Es gibt ja in Berlin die JF-nahe Bibliothek des Konservatismus.

Oderint

12. November 2023 13:15

Zum Thema Kinder und Lesen kann ich nur ein gerütteltes Maß Defätismus beisteuern. Selbst - ebenso wie meine bessere Hälfte -  leidenschaftlicher Vielleser, bin ich bei dem Versuch, dem Nachwuchs das Lesen schmackhaft zu machen, vollständig gescheitert. Wir haben viel vorgelesen und später immer wieder Bücher mit ausdrücklicher Leseempfehlung in die Hand gedrückt - vergebens.
Da die österreichischen Schulen Literatur im Deutschunterricht auf ein lächerliches Überbleibsel zusammengestrichen haben, werden unsere Kinder, wie man so schön sagt, illiterat bleiben. Trotzdem hält sich meine Verzweiflung in Grenzen, aus drei Gründen:

Die Kinder sind für die Welt von morgen gemacht, nicht für die Welt von heute.
Mein angelesenes gutes Deutsch hat mir im Leben oft geholfen - aber das setzt voraus, dass das Gegenüber selber eine Vorstellung davon hat, was gutes Deutsch ist. Das dürfte in Zukunft nicht mehr der Fall sein.
Deutsch als relevante Sprache wird wohl in ein, zwei Generationen der Vergangenheit angehören. Ich freue mich darüber, dass der Nachwuchs gutes Englisch spricht und den lokalen, ausgeprägten alpenländischen Dialekt - unsere Muttersprache - in allen Nuancen beherrscht. Der Dialekt wird bleiben.

Laurenz

12. November 2023 14:59

@Oderint ... Hinter dem Lesen & gutem Deutsch steckt etwas elementares, & zwar die Kapazität & die Kompetenz zu denken. Eine Kompetenz, die über das Wissen der technischen Funktionsweise eines Rechners hinausgeht. Denn, jeder Mensch denkt in Worten (von Taubstummen mal abgesehen, die in Gesten denken). Daß sich Deutsch besonders gut zum Denken eignet, beweist unsere einzigartige Geschichte, deren Denker, technisch oder philosophisch immer noch die Welt am laufen halten. In Englisch oder Arabisch denken bedeutet weniger Denken. Insofern ist Ihr Defätismus keine Alternative um das Überleben Ihrer Kinder zu sichern.
@MarkusMagnus @L. ... Sie lesen schlecht. Ich hatte meine Bücher bereits der Administration von Antaios hinter der Redaktion angeboten. Das Lager ist voll. Es sind mutmaßlich heute mehr Bücher verboten, als im III. Reich. Aber es gibt genügend gute Bücher, die nicht verboten sind. Man darf auch verbotene Bücher privat besitzen, aber immer nur eins. Wenn Sie Ihre Idee einer Bibliothek für wert halten, umzusetzen, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sie persönlich zu bewältigen, ein Rittergut zu kaufen, die Räumlichkeiten für die Lagerung von Büchern einzurichten, zu katalogisieren & für die entsprechende Sicherheit zu sorgen. Ich habe für mich entschieden, mich weitestgehend von weltlichem Besitz zu trennen.

Bernard Udau

12. November 2023 18:06

Wir haben auch den einen oder anderen minderjährigen Mitbewohner, alle ohne Smartphone, aber leider nicht alle lassen sich vom Lesen begeistern. Einige sind Leseratten, aber gerade den ältesten müßte man vors Buch prügeln. Der schaut lieber eine Stunde aus dem Fenster als etwas zu lesen.
Jedenfalls vielen Dank für Ihre Kolumnen und den Bücherschrank. Wenn man Kinder hat, gibt es eigentlich nichts Wichtigeres.

Fonce

12. November 2023 18:15

@Markus Magnus: «Hat jemand Informationen dazu ob es dazu eine Art schwarze Liste gibt? Und ob diese geheim ist?»
Früher gab es im Netz folgendes PDF (Total mehr als 1000 Seiten): Unglaublichkeiten präsentiert: "Zensierte Schriften in der BRD", Quelle: http://members.odinsrage.com/zensur/zensur/die_zensur.htm // Vereinigtes Königreich, im Januar 2004  ─  Sie müssen jemand finden, der dieses PDF heruntergeladen hat. Denn wenn man die Titel kennt, kann man ca. die Hälfte davon im archive.org herunterladen.

Gimli

12. November 2023 19:52

Hallo Frau Kositza, lesen in wortwörtlich jeder Lage und Tätigkeit kann ich nachvollziehen, ist ein Ausdruck für Gier nach Worten oder Geschichten - aber bestimmt kein Standard oder Vorbild. Ich unterstütze ausdrücklich, dass Eltern kaum fordern können wo sie selber nicht Vorbild sind - im Guten wie im Schlechten (im Sinne von ehrlich Lebens-Fehler zugeben oder Schwächen eingestehen). Aber erzwingen kann man zB Lesefreude auch nicht. Meine Frau hat täglich vorgelesen, die Klassiker von Preussler (aber nie Struwwelpeter; Ihr Ernst??), die neuen Klassiker (Grüffelo ..), Tintenherz etc. .. Unsere Lehramtsstudentin las schon immer gern, die Zwillingsbuben nie, unsere junge Einser-Abiturientin gelegentlich (rechnet und knobelt lieber). Ich fürchte, manch einer überschätzt sein prägendes Vorbild, Genetik und andere Lebensumstände (auch Epigenetik) können den elterlichen Idealen pfundiges Gegengewicht sein.
Angesichts der Bücherschwere im Hinblick aufs Alter haben wir jüngst ausgemistet. Alles musste weg, was wir nicht als für uns bedeutsam empfanden. Neue Romane, die nette Lektüre waren und sonst nicht nachwirken, schenken wir weiter. Bleibt immer noch genug. Bücher haben Ausstrahlung. Daher geht nicht alles nur auf Apple Books. Letzter Punkt: NAcherzählung des Tristan von Grizmeck (Hanser). NAch dem empfehlenswerten Hörbuch dazu von Peter Wapnewksi lieber als das Original. Wäre mir zu schwer und für alles hab ich einfach keine Zeit. 

wolfdieter

13. November 2023 07:24

Kinder verlustieren sich mit dem Medium, das Stand der Technik ist. Ich selbst bin (leider) überbebüchert, meine Partnerin dito, meine beiden Söhne hingegen lesen kaum was auf Papier, allenfalls Fachartikel im Netz. Dito ihre beiden Töchter.
 
(In einem Land vor unserer Zeit klagten die Altvorderen, dass ihre Kinder die Nase in Bücher steckten statt an die frische Luft.)
 
A propos Medium, ich selbst habe – bis auf Antiquarisches – umgesattelt auf Ebook-Reader. Da passen Bibliotheken in meine Hosentasche.

pasquill

13. November 2023 11:16

Die Rechnung viel "Leseangebot an Kinder macht aus ihnen Intensivleser fürs Leben" geht nie eins-zu-eins auf. Die umgekehrte Rechnung auch nicht: Wer als Kind nichts zu lesen bekam, kann nie ein begeisterter Leser werden. Ich bin in einer bildungsfernen Arbeiterfamilie aufgewachsen. Weder gab es Bücher noch wurde mir und meinen Geschwistern vorgelesen; vor dem Fernseher wurden wir dafür umso öfter geparkt. Im Halbwüchsigenalter gabs Abonnements von "Bravo" und "Micky Maus". Muttersprache: "restringiertes" Kurpfälzisch. Dennoch fing ich mit 17 an, alles zu lesen, was mir zwischen die Finger kam, auch Autoren wie Platon, Bloch, Adorno. Ich verstand anfangs zwar nichts, war aber sofort angetan von der Aura dieser Texte. Seither lese ich immer und überall, im Bus, auf der Toilette, im Gehen, in der Warteschlange. Ohne Buch unterwegs sein löst bei mir Unruhe aus, ich könnte ja irgendwo fünf Minuten Wartezeit aber nichts zu lesen haben. Meine These dazu: Intelligenz sucht sich irgendwann ihr Futter. Vermutlich bringen ihre Kinder alle ein gerüttelt Maß an Intelligez mit, bei den klugen Eltern nicht überraschend. Damit will ich sagen: Wahrscheinlich spielen auch genetische Faktoren eine wichtige Rolle. Wer gerne seinen Verstand betätigt, wird immer zum Buch greifen.  
 
 

Fonce

13. November 2023 13:33

@Bernard Udau («Der schaut lieber eine Stunde aus dem Fenster als etwas zu lesen.»)
Dieser Sohn ist gut geraten. Beim Bücherlesen versuchen die Leute sich selber zu finden, indem sie die Gedanken und Stimmungen/Erlebnisse anderer Menschen kontemplieren. Beim Zum-Fenster-Hinausstarren jedoch kontempliert man sich selber; folglich ist das die Urform des Lesens und die Urform des Sich-Selber-Findens. Das Bücherlesen ist eigentlich nur eine projizierte oder degenerierte Variante davon.

Gracchus

13. November 2023 16:49

Smartphonelosigkeit - schöne Wortschöpfung.
Kenne sogar vieles aus der Liste. Nils Holgersson, Emil, Frederick habe ich geliebt. Ich würde noch Sachen von Astrid Lindgren hinzutun (Kalle, Karlson, Ronja, Brüder Löwenherz etc.). Von Preussler ausserdem den Hotzenplotz. Unvergessen. 
Lesen, indem man ja die Sätze oder das Gehörte verknüpft und in Bilder verwandelt, ist nicht rein passiv; manch schwierige Lektüre muss man sich auch erst erarbeiten. Ansonsten liegt Franz Bettinger nicht falsch.
"Fun Fact": Die hier bekannte Jasmina Kuhnke will - so auf X gesehen - Preusslers Krabat reklamieren, weil rassistisch, und zwar weil ein Kapitel "Der Mohrenkönig" lautet ... 
 
 

links ist wo der daumen rechts ist

15. November 2023 05:10

Lesen ist unbestritten eine Kulturtechnik, Analphabetentum setzt man nicht mit hoher Kultur gleich.
Lesen stellt automatisch einen Traditionszusammenhang her, einerseits muttersprachlich bestimmt, andererseits durch den – ambivalenten – Begriff Weltliteratur diesen Horizont erweiternd oder durchbrechend.
Lesen bleibt immer ein Mysterium an sich. Man ist zeitenthoben-„unsterblich“, sehr wahrscheinlich glücklich, allein und doch in einer imaginären Gemeinschaft: jemand spricht zu einem, teilt etwas mit, nur mir, aber potentiell zugleich einer lesenden Weltgemeinde.
Man ist im besten Sinne gesättigt, ein Gefühl der Leere wie nach dem Hören von Musik oder dem Ansehen von Filmen stellt sich nicht ein. „Postkoitale Traurigkeit“ gibt es nicht.
Was sich für mich am besten im Leseverhalten mit und gegenüber Kindern verdeutlicht: alles was wir gelesen haben, prägt uns.
Und das bedeutet anderseits den Auftrag, kulturelle Traditionen zu erhalten.
Aber auf welchem Wege man es erreicht, daß jemanden das Mittelhochdeutsche des Nibelungenliedes oder die Übersetzung des „Armen Heinrich“ von Borchardt oder das Hölderlin-Deutsch oder ein kurzer Text wie das „Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ oder Brentanos Märchen oder Heideggers Sprachtiefe oder die verlorengegangenen Dialekte des deutschen Ostens anrühren (man könnte noch hunderte Beispiele aus unserer nationalen Schatztruhe anführen), bleibt das zweite große Mysterium.
Bewahren und weitertragen aber können wir.

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