Das allerletzte Mal: Inglourious Basterds

Versprochen. Ehrlich. Ich habe allmählich ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, in dem ganzen aufgeblasenen Medien-Hype um den Film als Stichwortgeber von rechts mitgemischt zu haben.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Jeg­li­che Betei­li­gung an der Dis­kus­si­on, egal mit wel­cher Mei­nung,  dient am Ende ja doch nur dazu, für Taran­ti­no & Co die Kas­sen klin­geln zu lassen.

Am liebs­ten hät­te ich von vorn­her­ein abge­wun­ken, daß es sich hier bloß um einen poli­tisch irrele­van­ten Unter­hal­tungs­schund und nichts wei­ter han­delt. Aber was soll man als gut­wil­li­ger Appease­ment-Kri­ti­ker machen, wenn die bösen Kol­le­gen sich par­tout nicht davon abhal­ten las­sen, anläß­lich des Films wil­des­te geschichts­theo­lo­gi­sche und fun­da­men­ta­l­äs­the­ti­sche Exege­sen zu ver­kün­den, die sowohl in der High­brow- (“Georg Seeß­len erklärt, war­um gera­de wir Deut­schen die­ses Werk brau­chen”) als auch der Dum­mi- Fas­sung (“Der deut­sches­te Film, der jemals aus Hol­ly­wood kam!”) plat­ter­dings dar­auf hin­aus­lau­fen, daß wir den Amis das Hin­ter­teil zu küs­sen haben, weil sie uns schon wie­der von Hit­ler befreit haben.

Daß Ing­lou­rious Bas­ter­ds von Seeß­len und Co sol­cher­ma­ßen qua­si zum Film der Nati­on geadelt wird, läßt sich wohl nur mit dem spe­zi­fi­schen Kol­ler erklä­ren, der den deut­schen Feuil­le­ton jedes­mal dann heim­sucht, wenn ein Nazi-The­ma am Hori­zont auf­taucht, sei es Der Unter­gang oder Die Wohl­ge­sinn­ten oder Ope­ra­ti­on Wal­kü­re.  Was dies­mal unter ande­rem vom Sta­pel gelas­sen wur­de, ist jedoch so unbe­schreib­lich knack­dumm und an der Gren­ze zur Demenz, daß ich mich bei dem Gedan­ken, das etwa auch noch wider­le­gen zu müs­sen, schlag­ar­tig ganz, ganz müde und lethar­gisch fühle.

Ing­lou­rious Bas­ter­ds ist näm­lich von A bis Z nicht mehr, als  ein ein­zi­ger def­ti­ger Action-Car­toon in der Tra­di­ti­on von The Dir­ty Dozen oder Hogan’s Heroes oder Kelly’s Heroes oder auch The Eagle has Lan­ded, ein kari­ka­tur­haf­ter Kla­mauk, der mit den Ver­satz­stü­cken des Gen­res iro­nisch spielt, ohne den abge­steck­ten Rah­men all­zu­weit zu ver­las­sen. “Anti­deutsch” ist das Spek­t­akt­el nur inso­fern, als impli­zit jeder Deut­sche in Uni­form auto­ma­tisch ein “Nazi” ist, und ein “guter” Deut­scher ist des­halb ent­we­der ein toter oder einer, der zu den Alli­ier­ten über­ge­lau­fen ist. Das ist eine Kon­ven­ti­on, die sich im Hol­ly­wood­ki­no seit Casa­blan­ca nicht geän­dert hat, und die bom­ben­fes­ter Bestand­teil des Gen­res ist.  Was soll man da machen? Genau­so gut könn­te man sich über die Schwer­kraft oder Vanil­le­eis beschwe­ren. Ande­rer­seits glaubt inzwi­schen wohl schon jeder zwei­te Deut­sche daran.

Auch ansons­ten ist alles wie gehabt: Hit­ler ist der spin­ner­te Tep­pich­bei­ßer und Goeb­bels der gei­le, eit­le Bock, direkt aus der Dani-Levy-Kla­mot­te Mein Füh­rer geplumpst, in der ihn eben­falls Syl­ves­ter Groth ver­kör­pert hat.  Es fehlt auch nicht an pol­tern­den, dümm­li­chen “Krauts” und schmie­ri­gen SS-Män­nern (August Diehl),  aber wenn Claus Wolf­schlag dem Film den Gebrauch von anti­deut­schen Ste­reo­ty­pen ankrei­det, dann muß man auch hin­zu­fü­gen, daß es dar­in (mit der bezeich­nen­den Aus­nah­me der hüb­schen jüdi­schen Hel­din) kei­ne ein­zi­ge Figur gibt, die nicht ein Ste­reo­typ oder zumin­dest ein Comics-Cha­rak­ter wäre.

Taran­ti­nos Stär­ke und Charme lagen immer in sei­nem iro­nisch-läs­si­gen Umgang mit Kli­schees und Gen­re­fi­gu­ren: man den­ke etwa die Gangs­ter, die über Big Macs, Fuß­mas­sa­gen, den sozia­len Wert von Trink­geld, Madon­na-Songs oder obsku­re Radio­shows dis­ku­tie­ren, ehe sie sich an die “Arbeit” machen. Aber wo es in Reser­voir Dogs und Pulp Fic­tion noch ech­te, mehr­di­men­sio­na­le Cha­rak­te­re gab, spu­len die Dar­stel­ler von Ing­lou­rious Bas­ter­ds ledig­lich ihre Num­mern ab: Brad Pitt klopft dau­er­grin­send coo­le Sprü­che, Till Schwei­ger schweigt und guckt dabei psy­cho­pa­then­schief und Eli Roth läßt die Augen sadis­tisch fun­keln. Man erfährt prak­tisch nichts über die Figu­ren, ihre Moti­va­tio­nen und ihren Hin­ter­grund. Man­che der “Bas­ter­ds” haben im gan­zen Film kei­ne zwei Dialogzeilen.

Selbst der viel­ge­prie­se­ne Chris­toph Waltz als hei­ter-höf­li­cher SS-Mann, der nicht ein­mal ein über­zeug­ter Nazi ist, spielt bloß den Clown auf höhe­rer Ebe­ne, irgend­wo zwi­schen Lubit­schs Con­cen­tra­ti­on-Camp-Erhardt und den zig­tau­sen­den kul­ti­viert-gefähr­li­chen SS-Offi­zie­ren, die zum Stan­dard­re­per­toire des “Nazi“films gehö­ren. Das ist sicher zum Teil wit­zig, ori­gi­nell und mit Hin­ga­be gespielt, aber auch weit, weit ent­fernt von den Prä­ten­tio­nen, die Waltz in einem Inter­view mit dem Stern äußerte:

Ich bin ziem­lich über­zeugt davon, dass die­ser Film einen gewis­sen Bei­trag dazu leis­ten kann, dass man anfängt, sich neue Fra­gen zu stel­len. Und zwar nicht nur, was das Kino betrifft, son­dern auch, was die soge­nann­te Auf­ar­bei­tungs­fra­ge angeht. Des­we­gen ist das Eti­ket­ten­ab­zie­hen wich­tig, und des­we­gen ist es wich­tig, das Eti­ket­ten­ab­zie­hen nicht zum Eti­kett wer­den zu lassen.

Ähn­lich wur­de ja auch anläß­lich des Unter­gangs von Eichin­ger argu­men­tiert, als es dar­um ging, Hit­ler jen­seits des Tep­pich­bei­ßer-Images “als Men­schen” dar­zu­stel­len (was indes­sen als “geschichts­re­vi­sio­nis­tisch” atta­ckiert wur­de). Tat­säch­lich aber hat die Dar­bie­tung Waltz’ so gut wie nichts mit dem Ver­such zu tun, hin­ter dem Böse­wicht-Kli­schee geschicht­li­che Kom­ple­xi­tät sicht­bar zu machen.  Der Abstand zeigt sich etwa im Ver­gleich mit Kate Wins­lets impo­san­ter Leis­tung im Vor­le­ser.  Es gibt im Grun­de kei­nen Unter­schied zwi­schen Landa und den attrak­tiv-kuh­len Schur­ken und Kil­lern aus ande­ren Taran­ti­no-Fil­men wie etwa Kill Bill, Jules Winn­field aus Pulp Fic­tion oder “Mr. Blon­de” aus Reser­voir Dogs.

Und nun der Ober­witz: Das ent­schei­den­de Gim­mick und Hauptär­ger­nis von Ing­lou­rious Bas­ter­ds, näm­lich das bru­ta­le Abschlach­ten der deut­schen Sol­da­ten und das Ver­stüm­meln ihrer Lei­chen, spielt in dem Film kaum eine Rol­le. Nach drei­ßig Minu­ten Lauf­zeit ist das Motiv inner­halb einer ein­zi­gen Sequenz erle­digt, und von da an dau­ert es noch gan­ze zwei Stun­den bis zum bit­te­ren Ende. Selbst der über die Vor­aus-Publi­ci­ty so berüch­tig­te Base­ball­schlä­ger des “Bären­ju­den” kommt nur ein ein­zi­ges Mal (!) zum Ein­satz. Danach wer­den die “Bas­ter­ds” vom nur gele­gent­lich blu­ti­gen, ver­schlun­ge­nen Plot ver­schluckt und haben bis zum fina­len Mas­sa­ker kaum etwas zu tun. Und iro­ni­scher­wei­se ist es gera­de die­se eine Sequenz zu Beginn des Films,  die eben wegen ihrer Anstö­ßig­keit einen dop­pel­ten Boden hat, den aber offen­bar weder die Has­ser noch die Fan­boys des Films zu bemer­ken scheinen:

Die Bas­ter­ds haben einen Trupp deut­scher Sol­da­ten getö­tet. Zwei sind noch am Leben. Kom­man­dant Pitt ver­langt von einem der bei­den Aus­kunft über den Auf­ent­halts­ort wei­te­rer deut­scher Trup­pen. Der ernied­rig­te Sol­dat ringt sicht­lich um sei­ne Hal­tung und sei­ne Wür­de. Die zyni­schen Bas­ter­ds zei­gen nicht einen Fun­ken Rit­ter­lich­keit oder Respekt, im Gegen­teil ver­höh­nen und beschimp­fen sie ihn.  Die­ser wei­gert sich jedoch, sei­ne Kame­ra­den zu ver­ra­ten, obwohl er weiß, daß dies sein Todes­ur­teil bedeu­tet: “I respectful­ly refu­se… Sir!”, sagt er zu Pitt. Die­ser ruft den “Bärenjuden”´herbei: “Don­nie, hier ist ein Deut­scher, der für sein Vater­land ster­ben will! Pathe­ti­sche Italowes­tern-Musik braust auf. Der “Bären­ju­de” ist ein rie­si­ger, bru­ta­ler Kerl.  Er deu­tet auf das Eiser­ne Kreuz, fragt ver­ächt­lich: “Hast Du das fürs Juden­tö­ten bekom­men?” “Für Tap­fer­keit!” Dann zer­trüm­mert er dem Sol­da­ten mit fre­ne­ti­scher Wut den Schä­del, was scho­ckie­rend rea­lis­tisch gezeigt wird.

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Eine scheuß­li­che, quä­len­de, in mehr­fa­cher Hin­sicht kaum erträg­li­che Sze­ne. Taran­ti­no selbst hat in einem Inter­view mit dem Spie­gel ihre Ambi­va­lenz betont:

Wenn alles, was ich mit die­ser Sze­ne errei­chen woll­te, gewe­sen wäre, daß das Publi­kum schreit: “Jawohl, hau ihn um, den Nazi”, hät­te ich den deut­schen Sol­da­ten ein­fach zu einem erbärm­li­chen Feig­ling gemacht. Doch die­ser deut­sche Feld­we­bel in mei­nem Film fürch­tet sich nicht. Er ist ein äußerst tap­fe­rer deut­scher Sol­dat. Der Punkt ist: Die Wirk­lich­keit des Krie­ges war eben kompliziert.

Schön und gut. Das sagen wir ein­ge­schwo­re­nen Geg­ner der “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung” ja auch immer. Wie­vie­le Zuschau­er aber haben das ver­stan­den? Ich sah den Film in Ori­gi­nal­fas­sung ohne Unter­ti­tel, im Cine­star-Cen­ter am Pots­da­mer Platz. Der Saal war knall­voll und rings­um wur­de behag­lich Pop­corn aus rie­si­gen Papp­tü­ten gemampft und Cola geschlürft.  Das gan­ze Kino roch nach Pop­corn, man hör­te laut­stark das Geschmat­ze und Papier­ge­ra­schel. Zwei Ver­käu­fer mit Eis­creme mach­ten noch schnell die Run­de. “Mir bit­te Scho­ko­la­de und Kara­mel, aber ohne Nuß”.  Neben mir saß ein jun­ges, ziem­lich ein­fäl­ti­ges Mäd­chen mit asia­ti­schen Gesichts­zü­gen, ihrer Spra­che nach zu urtei­len aber fran­zö­si­scher Her­kunft. Wäh­rend der Vor­füh­rung lach­te und kicher­te sie unun­ter­bro­chen und zuck­te in ihrem Sitz zusam­men, wenn es gewalt­tä­tig wur­de, dabei ange­ekelt-lust­voll stöh­nend.  Sie lach­te, als Brad Pitt den vor ihm knie­en­den Sol­da­ten mit flot­ten Sprü­chen im Süd­staa­ten-Kau­gum­mi-Akzent ver­höhn­te. Und sie lach­te und zuck­te zugleich zusam­men, als ihm der “Bären­ju­de” den Kopf zu Brei schlug.

Als ich im Herbst 1994 zum ers­ten Mal Pulp Fic­tion völ­lig unvor­be­rei­tet im Kino sah, wuß­te noch nie­mand, wer Taran­ti­no ist, gab es den “Kult” noch nicht, der Mit­te der Neun­zi­ger Jah­re sei­nen Zenit erreich­te.  Ich erin­ne­re mich noch genau an mei­ne Reak­ti­on auf die berüch­tig­te Sze­ne, als Samu­el Jack­son als Kil­ler und Geld­ein­trei­ber urplötz­lich einen Mann erschießt, um des­sen Freund, der stot­ternd um Gna­de bet­telt, zum Schwei­gen zu brin­gen: “Habe ich dich aus dem Kon­zept gebracht?” In die­sem Moment hielt der gan­ze Kino­saal den Atem an. Die Sze­ne kam nach all der vor­an­ge­gan­ge­nen Blö­de­lei wie ein Schock.  Nie­mand hät­te die­sen Umschlag erwar­tet. Sie war hart, gemein und zynisch. Wochen spä­ter sah ich Pulp Fic­tion erneut im Kino.  Der Film war inzwi­schen hip gewor­den,  jeder kann­te nun die Lie­der, die Sprü­che, die Wit­ze, die Dreh­buch­poin­ten. Jeder hat­te den Film schon min­des­tens ein­mal gese­hen, jeder wuß­te, was als nächs­tes kommt. Peng! “Habe ich dich aus dem Kon­zept gebracht?” Schal­len­des Geläch­ter. Die Gewalt war zu etwas Komi­schen gewor­den. Nicht dar­über lachen war uncool und unhip.

In den Neun­zi­ger Jah­ren wur­de die­se Kom­bi­na­ti­on aus Kla­mauk und här­tes­ter Gewalt dank Taran­ti­no zur viel­kri­ti­sier­ten Mode, heu­te ist sie selbst­ver­ständ­lich gewor­den.  Das zeit­ge­nös­si­sche pop­corn­m­amp­fen­de Publi­kum hat kaum noch das Sen­so­ri­um, um den Ansatz jenes ver­stö­ren­den poten­ti­el­len Films zu sehen,  den Taran­ti­no zu insze­nie­ren letzt­lich doch nicht den Mut hat­te.  Ing­lo­rious Bas­ter­ds hät­te ein Film wer­den kön­nen, der unbe­que­me mora­li­sche Fra­gen auf­wirft über das Töten im Krieg, die ver­meint­lich “gute Sache”,  die Spie­gel­bild­lich­keit der Geg­ner, den Kampf mit Unge­heu­ern, der nach Nietz­sche selbst zum Unge­heu­er macht. Die “Bas­ter­ds” sind im Grun­de kaum weni­ger bru­tal, inhu­man und ruch­los als die “Nazis”, aber für Taran­ti­no, der offen­sicht­lich ein juve­ni­les Ver­gnü­gen an der fil­misch zele­brier­ten Gewalt hat, ist das kein The­ma, dem er gewach­sen wäre. Nahe­zu alle Ansät­ze, die in die­se Rich­tung deu­ten, wur­den aus dem End­schnitt eli­mi­niert oder her­un­ter­ge­spielt, und kaum ein Zuschau­er hat heu­te wohl ein Pro­blem damit, psy­cho­pa­thi­sche Mör­der als coo­le Hel­den zu sehen, wenn sie von Brad Pitt und Till Schwei­ger gespielt wer­den, und die Ermor­de­ten bloß “Nazis” sind. Das Taran­ti­no-Publi­kum ist längst kon­di­tio­niert, die gezeig­te Gewalt als Spaß zu erle­ben, und es wird umso lau­ter gelacht, je kras­ser und über­trie­be­ner sie daherkommt.

Und damit sind wir auch schon wie­der in der Wirk­lich­keit jen­seits der Lein­wand ange­langt, in der die all­ge­mei­ne emo­tio­na­le Ver­ro­hung und Ver­dum­mung zu wesent­li­chen Fak­to­ren gewor­den sind, um “Geschichts­po­li­tik” zu machen und durchzusetzen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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