Jegliche Beteiligung an der Diskussion, egal mit welcher Meinung, dient am Ende ja doch nur dazu, für Tarantino & Co die Kassen klingeln zu lassen.
Am liebsten hätte ich von vornherein abgewunken, daß es sich hier bloß um einen politisch irrelevanten Unterhaltungsschund und nichts weiter handelt. Aber was soll man als gutwilliger Appeasement-Kritiker machen, wenn die bösen Kollegen sich partout nicht davon abhalten lassen, anläßlich des Films wildeste geschichtstheologische und fundamentalästhetische Exegesen zu verkünden, die sowohl in der Highbrow- (“Georg Seeßlen erklärt, warum gerade wir Deutschen dieses Werk brauchen”) als auch der Dummi- Fassung (“Der deutscheste Film, der jemals aus Hollywood kam!”) platterdings darauf hinauslaufen, daß wir den Amis das Hinterteil zu küssen haben, weil sie uns schon wieder von Hitler befreit haben.
Daß Inglourious Basterds von Seeßlen und Co solchermaßen quasi zum Film der Nation geadelt wird, läßt sich wohl nur mit dem spezifischen Koller erklären, der den deutschen Feuilleton jedesmal dann heimsucht, wenn ein Nazi-Thema am Horizont auftaucht, sei es Der Untergang oder Die Wohlgesinnten oder Operation Walküre. Was diesmal unter anderem vom Stapel gelassen wurde, ist jedoch so unbeschreiblich knackdumm und an der Grenze zur Demenz, daß ich mich bei dem Gedanken, das etwa auch noch widerlegen zu müssen, schlagartig ganz, ganz müde und lethargisch fühle.
Inglourious Basterds ist nämlich von A bis Z nicht mehr, als ein einziger deftiger Action-Cartoon in der Tradition von The Dirty Dozen oder Hogan’s Heroes oder Kelly’s Heroes oder auch The Eagle has Landed, ein karikaturhafter Klamauk, der mit den Versatzstücken des Genres ironisch spielt, ohne den abgesteckten Rahmen allzuweit zu verlassen. “Antideutsch” ist das Spektaktel nur insofern, als implizit jeder Deutsche in Uniform automatisch ein “Nazi” ist, und ein “guter” Deutscher ist deshalb entweder ein toter oder einer, der zu den Alliierten übergelaufen ist. Das ist eine Konvention, die sich im Hollywoodkino seit Casablanca nicht geändert hat, und die bombenfester Bestandteil des Genres ist. Was soll man da machen? Genauso gut könnte man sich über die Schwerkraft oder Vanilleeis beschweren. Andererseits glaubt inzwischen wohl schon jeder zweite Deutsche daran.
Auch ansonsten ist alles wie gehabt: Hitler ist der spinnerte Teppichbeißer und Goebbels der geile, eitle Bock, direkt aus der Dani-Levy-Klamotte Mein Führer geplumpst, in der ihn ebenfalls Sylvester Groth verkörpert hat. Es fehlt auch nicht an polternden, dümmlichen “Krauts” und schmierigen SS-Männern (August Diehl), aber wenn Claus Wolfschlag dem Film den Gebrauch von antideutschen Stereotypen ankreidet, dann muß man auch hinzufügen, daß es darin (mit der bezeichnenden Ausnahme der hübschen jüdischen Heldin) keine einzige Figur gibt, die nicht ein Stereotyp oder zumindest ein Comics-Charakter wäre.
Tarantinos Stärke und Charme lagen immer in seinem ironisch-lässigen Umgang mit Klischees und Genrefiguren: man denke etwa die Gangster, die über Big Macs, Fußmassagen, den sozialen Wert von Trinkgeld, Madonna-Songs oder obskure Radioshows diskutieren, ehe sie sich an die “Arbeit” machen. Aber wo es in Reservoir Dogs und Pulp Fiction noch echte, mehrdimensionale Charaktere gab, spulen die Darsteller von Inglourious Basterds lediglich ihre Nummern ab: Brad Pitt klopft dauergrinsend coole Sprüche, Till Schweiger schweigt und guckt dabei psychopathenschief und Eli Roth läßt die Augen sadistisch funkeln. Man erfährt praktisch nichts über die Figuren, ihre Motivationen und ihren Hintergrund. Manche der “Basterds” haben im ganzen Film keine zwei Dialogzeilen.
Selbst der vielgepriesene Christoph Waltz als heiter-höflicher SS-Mann, der nicht einmal ein überzeugter Nazi ist, spielt bloß den Clown auf höherer Ebene, irgendwo zwischen Lubitschs Concentration-Camp-Erhardt und den zigtausenden kultiviert-gefährlichen SS-Offizieren, die zum Standardrepertoire des “Nazi“films gehören. Das ist sicher zum Teil witzig, originell und mit Hingabe gespielt, aber auch weit, weit entfernt von den Prätentionen, die Waltz in einem Interview mit dem Stern äußerte:
Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass dieser Film einen gewissen Beitrag dazu leisten kann, dass man anfängt, sich neue Fragen zu stellen. Und zwar nicht nur, was das Kino betrifft, sondern auch, was die sogenannte Aufarbeitungsfrage angeht. Deswegen ist das Etikettenabziehen wichtig, und deswegen ist es wichtig, das Etikettenabziehen nicht zum Etikett werden zu lassen.
Ähnlich wurde ja auch anläßlich des Untergangs von Eichinger argumentiert, als es darum ging, Hitler jenseits des Teppichbeißer-Images “als Menschen” darzustellen (was indessen als “geschichtsrevisionistisch” attackiert wurde). Tatsächlich aber hat die Darbietung Waltz’ so gut wie nichts mit dem Versuch zu tun, hinter dem Bösewicht-Klischee geschichtliche Komplexität sichtbar zu machen. Der Abstand zeigt sich etwa im Vergleich mit Kate Winslets imposanter Leistung im Vorleser. Es gibt im Grunde keinen Unterschied zwischen Landa und den attraktiv-kuhlen Schurken und Killern aus anderen Tarantino-Filmen wie etwa Kill Bill, Jules Winnfield aus Pulp Fiction oder “Mr. Blonde” aus Reservoir Dogs.
Und nun der Oberwitz: Das entscheidende Gimmick und Hauptärgernis von Inglourious Basterds, nämlich das brutale Abschlachten der deutschen Soldaten und das Verstümmeln ihrer Leichen, spielt in dem Film kaum eine Rolle. Nach dreißig Minuten Laufzeit ist das Motiv innerhalb einer einzigen Sequenz erledigt, und von da an dauert es noch ganze zwei Stunden bis zum bitteren Ende. Selbst der über die Voraus-Publicity so berüchtigte Baseballschläger des “Bärenjuden” kommt nur ein einziges Mal (!) zum Einsatz. Danach werden die “Basterds” vom nur gelegentlich blutigen, verschlungenen Plot verschluckt und haben bis zum finalen Massaker kaum etwas zu tun. Und ironischerweise ist es gerade diese eine Sequenz zu Beginn des Films, die eben wegen ihrer Anstößigkeit einen doppelten Boden hat, den aber offenbar weder die Hasser noch die Fanboys des Films zu bemerken scheinen:
Die Basterds haben einen Trupp deutscher Soldaten getötet. Zwei sind noch am Leben. Kommandant Pitt verlangt von einem der beiden Auskunft über den Aufenthaltsort weiterer deutscher Truppen. Der erniedrigte Soldat ringt sichtlich um seine Haltung und seine Würde. Die zynischen Basterds zeigen nicht einen Funken Ritterlichkeit oder Respekt, im Gegenteil verhöhnen und beschimpfen sie ihn. Dieser weigert sich jedoch, seine Kameraden zu verraten, obwohl er weiß, daß dies sein Todesurteil bedeutet: “I respectfully refuse… Sir!”, sagt er zu Pitt. Dieser ruft den “Bärenjuden”´herbei: “Donnie, hier ist ein Deutscher, der für sein Vaterland sterben will!” Pathetische Italowestern-Musik braust auf. Der “Bärenjude” ist ein riesiger, brutaler Kerl. Er deutet auf das Eiserne Kreuz, fragt verächtlich: “Hast Du das fürs Judentöten bekommen?” “Für Tapferkeit!” Dann zertrümmert er dem Soldaten mit frenetischer Wut den Schädel, was schockierend realistisch gezeigt wird.
[youtube:https://www.youtube.com/watch?v=yIja0yValiE]
Eine scheußliche, quälende, in mehrfacher Hinsicht kaum erträgliche Szene. Tarantino selbst hat in einem Interview mit dem Spiegel ihre Ambivalenz betont:
Wenn alles, was ich mit dieser Szene erreichen wollte, gewesen wäre, daß das Publikum schreit: “Jawohl, hau ihn um, den Nazi”, hätte ich den deutschen Soldaten einfach zu einem erbärmlichen Feigling gemacht. Doch dieser deutsche Feldwebel in meinem Film fürchtet sich nicht. Er ist ein äußerst tapferer deutscher Soldat. Der Punkt ist: Die Wirklichkeit des Krieges war eben kompliziert.
Schön und gut. Das sagen wir eingeschworenen Gegner der “Vergangenheitsbewältigung” ja auch immer. Wieviele Zuschauer aber haben das verstanden? Ich sah den Film in Originalfassung ohne Untertitel, im Cinestar-Center am Potsdamer Platz. Der Saal war knallvoll und ringsum wurde behaglich Popcorn aus riesigen Papptüten gemampft und Cola geschlürft. Das ganze Kino roch nach Popcorn, man hörte lautstark das Geschmatze und Papiergeraschel. Zwei Verkäufer mit Eiscreme machten noch schnell die Runde. “Mir bitte Schokolade und Karamel, aber ohne Nuß”. Neben mir saß ein junges, ziemlich einfältiges Mädchen mit asiatischen Gesichtszügen, ihrer Sprache nach zu urteilen aber französischer Herkunft. Während der Vorführung lachte und kicherte sie ununterbrochen und zuckte in ihrem Sitz zusammen, wenn es gewalttätig wurde, dabei angeekelt-lustvoll stöhnend. Sie lachte, als Brad Pitt den vor ihm knieenden Soldaten mit flotten Sprüchen im Südstaaten-Kaugummi-Akzent verhöhnte. Und sie lachte und zuckte zugleich zusammen, als ihm der “Bärenjude” den Kopf zu Brei schlug.
Als ich im Herbst 1994 zum ersten Mal Pulp Fiction völlig unvorbereitet im Kino sah, wußte noch niemand, wer Tarantino ist, gab es den “Kult” noch nicht, der Mitte der Neunziger Jahre seinen Zenit erreichte. Ich erinnere mich noch genau an meine Reaktion auf die berüchtigte Szene, als Samuel Jackson als Killer und Geldeintreiber urplötzlich einen Mann erschießt, um dessen Freund, der stotternd um Gnade bettelt, zum Schweigen zu bringen: “Habe ich dich aus dem Konzept gebracht?” In diesem Moment hielt der ganze Kinosaal den Atem an. Die Szene kam nach all der vorangegangenen Blödelei wie ein Schock. Niemand hätte diesen Umschlag erwartet. Sie war hart, gemein und zynisch. Wochen später sah ich Pulp Fiction erneut im Kino. Der Film war inzwischen hip geworden, jeder kannte nun die Lieder, die Sprüche, die Witze, die Drehbuchpointen. Jeder hatte den Film schon mindestens einmal gesehen, jeder wußte, was als nächstes kommt. Peng! “Habe ich dich aus dem Konzept gebracht?” Schallendes Gelächter. Die Gewalt war zu etwas Komischen geworden. Nicht darüber lachen war uncool und unhip.
In den Neunziger Jahren wurde diese Kombination aus Klamauk und härtester Gewalt dank Tarantino zur vielkritisierten Mode, heute ist sie selbstverständlich geworden. Das zeitgenössische popcornmampfende Publikum hat kaum noch das Sensorium, um den Ansatz jenes verstörenden potentiellen Films zu sehen, den Tarantino zu inszenieren letztlich doch nicht den Mut hatte. Inglorious Basterds hätte ein Film werden können, der unbequeme moralische Fragen aufwirft über das Töten im Krieg, die vermeintlich “gute Sache”, die Spiegelbildlichkeit der Gegner, den Kampf mit Ungeheuern, der nach Nietzsche selbst zum Ungeheuer macht. Die “Basterds” sind im Grunde kaum weniger brutal, inhuman und ruchlos als die “Nazis”, aber für Tarantino, der offensichtlich ein juveniles Vergnügen an der filmisch zelebrierten Gewalt hat, ist das kein Thema, dem er gewachsen wäre. Nahezu alle Ansätze, die in diese Richtung deuten, wurden aus dem Endschnitt eliminiert oder heruntergespielt, und kaum ein Zuschauer hat heute wohl ein Problem damit, psychopathische Mörder als coole Helden zu sehen, wenn sie von Brad Pitt und Till Schweiger gespielt werden, und die Ermordeten bloß “Nazis” sind. Das Tarantino-Publikum ist längst konditioniert, die gezeigte Gewalt als Spaß zu erleben, und es wird umso lauter gelacht, je krasser und übertriebener sie daherkommt.
Und damit sind wir auch schon wieder in der Wirklichkeit jenseits der Leinwand angelangt, in der die allgemeine emotionale Verrohung und Verdummung zu wesentlichen Faktoren geworden sind, um “Geschichtspolitik” zu machen und durchzusetzen.