Individualpsyche und Massenpsyche

-- von Hans Domizlaff

PDF der Druckfassung aus Sezession 116/ Oktober 2023

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Abge­druckt sind die Sei­ten 15 bis 26 aus der Erst­aus­ga­be des Buches Pro­pa­gan­da­mit­tel der Staats­idee, das Hans Domizlaff 1932 als Pri­vat­druck vor­leg­te, um im soge­nann­ten Wei­ma­rer Flag­gen­streit eine Klä­rung her­bei­zu­füh­ren. Er mach­te dies aus der Sicht des Wer­be- und damit Pro­pa­gan­da­fach­manns. Die hier doku­men­tier­ten grund­sätz­li­chen Abschnit­te sind den sehr kon­kre­ten Vor­schlä­gen zur Neu­ge­stal­tung von Fah­nen, Hoheits­ab­zei­chen, von Behör­den­stil und Staats­repräsentation auf allen Ebe­nen vorangestellt.

 

Eine wesent­li­che Vor­be­din­gung für die erfolg­rei­che Tätig­keit einer Staats­re­gie­rung ist ihre Macht­stel­lung inner­halb einer Volks­ge­mein­schaft. In der Art der hier­zu erfor­der­li­chen eige­nen oder erborg­ten Macht­mit­tel voll­zieht sich offen­sicht­lich eine Wand­lung von phy­si­schen Waf­fen zu psy­chi­schen Waf­fen, von den Instru­men­ten zur Beherr­schung der Kör­per zu den Metho­den zur Beherr­schung der öffent­li­chen Meinung.

Wenn auch die Not­wen­dig­keit einer Macht­zen­tra­le als Vor­aus­set­zung immer bestehen bleibt, solan­ge ein Gemein­schafts­le­ben fun­da­men­ta­le Pro­ble­me bedingt, so ver­langt doch der Besitz der Macht heu­te weit mehr die frei­wil­li­ge Aner­kennt­nis der Regie­rungs­be­fug­nis einer füh­ren­den Insti­tu­ti­on, als das in frü­he­ren Ent­wick­lungs­stu­fen typisch ein­fa­che Zuge­ständ­nis phy­si­scher Ohn­macht und poli­ti­scher Unmün­dig­keit der Masse.

Trotz­dem ist die sys­te­ma­ti­sche Aus­nut­zung moder­ner Pro­pa­gan­da-Erfah­run­gen bei der Schaf­fung geis­ti­ger Macht­mit­tel zur Beein­flus­sung gro­ßer Volks­mas­sen in der Poli­tik noch wenig bekannt. Die Ursa­che hier­für liegt in der Ver­ken­nung der Mög­lich­kei­ten und in der merk­wür­dig gerin­gen Kennt­nis der Mas­sen­psy­che, die für sehr vie­le poli­ti­sche Unter­neh­mun­gen cha­rak­te­ris­tisch ist.

Wie über­all im Leben zeigt es sich auch in der geis­ti­gen Rüs­tungs­in­dus­trie, daß neue Metho­den nur da gefun­den wer­den, wo die bit­te­re Not im Kampf um die wirt­schaft­li­che Exis­tenz erfin­de­risch macht. Das ist in ers­ter Linie im pri­vat­wirt­schaft­li­chen Leben. Hier haben sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten Erfah­run­gen ange­sam­melt, die zu einer häu­fi­gen Kri­tik an vie­len in der Innen- und Außen­po­li­tik übli­chen Pro­pa­gan­da-Erschei­nun­gen füh­ren. Lei­der ist es nicht leicht, das Gebiet der moder­nen Beein­flus­sungs­mit­tel all­ge­mein ver­ständ­lich dar­zu­stel­len, denn all­mäh­lich hat die Kunst der erns­ten Rekla­me eine weit­ge­hend wis­sen­schaft­li­che Spe­zia­li­sie­rung erzwungen.

Dazu kommt noch, daß die meis­ten Men­schen glau­ben, über die Mög­lich­kei­ten pro­pa­gan­dis­ti­scher Beein­flus­sung von Volks­mas­sen bereits genü­gend ori­en­tiert zu sein, ohne an wesent­lich mehr als an Wahl­pla­ka­te, Wahl­re­den und Pres­se­nach­rich­ten zu den­ken. Tat­säch­lich aber erstreckt sich das Gebiet der moder­nen Pro­pa­gan­da auf die Gesamt­heit aller Vor­gän­ge und Erschei­nun­gen, die zur Bil­dung einer öffent­li­chen Mei­nung füh­ren, also auf alles, was einer der Mas­sen­be­ein­flus­sung zweck­ent­spre­chen­den For­mung unter­wor­fen wer­den kann.

Der wich­tigs­te Denk­feh­ler beruht auf der Ver­ken­nung des Unter­schie­des zwi­schen Indi­vi­du­al­psy­che und Mas­sen­psy­che. Die psy­cho­lo­gi­schen Erfah­run­gen ein­zel­ner Men­schen wer­den fast immer aus dem Umgang mit ein­zel­nen Indi­vi­du­en gewon­nen, und die­se Erfah­run­gen haben bei der Behand­lung der Mas­sen­psy­che einen sehr ein­ge­schränk­ten Wert, denn die Mas­sen­psy­che besteht nie­mals aus einer Zusam­men­set­zung von Eigen­ar­ten der Psy­che ein­zel­ner Men­schen, son­dern ist etwas voll­stän­dig Neu­es, Andersartiges.

Der kras­se Unter­schied zwi­schen Indi­vi­du­al­psy­che und Mas­sen­psy­che erscheint dem Neu­ling in dem Gebie­te der Rekla­me zuerst unver­ständ­lich und unsin­nig, da sich die Mas­sen schließ­lich immer aus Indi­vi­du­en zusam­men­set­zen, und des­halb auch die Psy­che der Men­schen in Ein­zahl und Mehr­zahl nur alge­bra­ische Ver­schie­den­hei­ten zei­gen soll­ten. Tat­säch­lich geht aber eine deut­lich nach­weis­ba­re Ver­än­de­rung in der Psy­che des Indi­vi­du­ums vor, wenn das Indi­vi­du­um sich als Teil einer grö­ße­ren Men­schen­grup­pe oder Men­schen­mas­se einfügt.

Die gröbs­ten Merk­ma­le sind all­ge­mein bekannt: Das »Mit­ge­ris­sen­wer­den« inner­halb einer Mas­sen­idee, die Anste­ckungs­ge­fahr von Mas­sen­wahn, der Mas­sen­rausch usw. Dies sind Erschei­nun­gen, denen sogar die Psy­che eines sehr selb­stän­di­gen Indi­vi­du­ums soweit unter­lie­gen kann, daß sich der betref­fen­de Mensch nach dem »Erwa­chen«, d. h. nach der Los­lö­sung aus der Mas­se, bei­na­he selbst nicht mehr begreift und die cha­rak­te­ris­ti­sche Aus­schal­tung der sonst gewohn­ten eige­nen Kri­tik­fä­hig­keit unver­ständ­lich findet.

Nun gibt es nicht nur ele­men­ta­re, leicht erkenn­ba­re Mas­sen­psy­cho­sen, son­dern auch eine unend­li­che Fül­le von Ver­ge­wal­ti­gun­gen der Indi­vi­du­al­psy­che durch eine über­ge­ord­ne­te Mas­sen­psy­che, die so dif­fe­ren­ziert sind, daß das Indi­vi­du­um in den sel­tens­ten Fäl­len sei­ne eige­ne Befan­gen­heit inner­halb einer Mas­sen­idee ver­spürt. Die man­nig­fal­ti­gen Wir­kun­gen direk­ter oder indi­rek­ter Rekla­me für Han­dels­wa­ren geben immer neue Bei­spie­le davon, daß ein­zel­ne Indi­vi­du­en an die Selb­stän­dig­keit ihrer Kauf­ent­schlüs­se glau­ben, aber in Wirk­lich­keit einer Mas­sen­psy­cho­se unter­lie­gen. Es geschieht sogar über­wäl­ti­gend häu­fig, daß ein Käu­fer über­zeugt ist, nie­mals durch Rekla­me beein­flußt wer­den zu können.

Die­ser Irr­tum ist erklär­lich, da – beson­ders bei Groß­re­kla­me für Mas­sen­ar­ti­kel – nie­mals eine ein­zel­ne Indi­vi­du­al­psy­che beein­flußt wird, son­dern eine gewis­se Käu­fer­mas­se, also eine Mas­sen­psy­che; erst auf die­sem Umweg wird der ein­zel­ne Käu­fer erreicht, der aber als Indi­vi­du­um sich kei­ne Rechen­schaft über die Ursa­chen sei­ner Kauf­hand­lun­gen als Teil einer Mas­se able­gen kann. Dies ist der Grund für die eigen­ar­ti­ge Erschei­nung der gro­ßen Wir­kung der Rekla­me und der gerin­gen Wir­kungs­er­kenn­bar­keit durch ein Individuum.

Die Bezeich­nung »Mas­se« darf nicht als etwas Ver­ächt­li­ches betrach­tet wer­den. Gro­ße Füh­rer nei­gen nach ihren Erfah­run­gen mit der Mas­sen­psy­che, die sehr unver­nünf­tig zu sein scheint, oft dazu, die­se Erfah­run­gen in Men­schen­ver­ach­tung umzu­set­zen. Jeder Mensch, auch der klügs­te und selb­stän­digs­te Den­ker, wird in irgend­wel­chen Fäl­len Teil einer Mas­se und somit psy­chisch unselb­stän­dig. So kennt jeder Thea­ter­di­rek­tor eine bestimm­te Mas­sen­psy­che, genannt »Publi­kum«. Die­ses Publi­kum kann sich aus den klügs­ten Köp­fen zusam­men­set­zen, immer ist der Thea­ter­di­rek­tor ver­sucht, die­se Mas­sen­er­schei­nung als ein gro­ßes, durch­aus nicht beson­ders klu­ges Tier zu betrachten.

Der­sel­be Thea­ter­di­rek­tor, der im Thea­ter als Ein­zel­in­di­vi­du­um selb­stän­dig einer geis­tig weni­ger wer­ti­gen Mas­se, dem Publi­kum, gegen­über­steht und sich einer Über­le­gen­heit bewußt wird, gehört bei­spiels­wei­se einem Arzt gegen­über wie­der­um zu der gro­ßen Mas­se, die der Arzt sei­ner­seits mit bewuß­ter Über­le­gen­heit sum­ma­risch als »Publi­kum« bezeich­net, wobei er die cha­rak­te­ris­ti­schen Merk­ma­le der Typi­sie­rung auf einer nied­ri­ge­ren Geis­tes­stu­fe inter­es­siert aus der Distanz sei­ner Son­der­stel­lung zu beob­ach­ten gewohnt ist. Dem Rekla­me­fach­mann gegen­über wird auch wie­der­um der Arzt zum Bestand­teil der dump­fen Mas­se her­ab­sin­ken, die nur mit gro­ben Mit­teln zu Hand­lun­gen bewegt wer­den kann. Jeder Mensch ist ein­mal Indi­vi­du­um, ein­mal Teil einer Mas­se, und somit wech­selt sei­ne Psy­che und damit sein geis­ti­ges Niveau.

Man kann den Grund­satz auf­stel­len, daß die Mas­sen­psy­che nach dem Zeug­nis ihrer Ver­nunft vie­le Stu­fen tie­fer steht als die Indi­vi­du­al­psy­che. Ande­rer­seits hat die Mas­sen­psy­che einen ganz erheb­lich grö­ße­ren Instinkt für bestimm­te Qua­li­tä­ten als das Indi­vi­du­um. Der Kauf­mann weiß, daß man mit Wor­ten leicht einem Men­schen fal­sche Mei­nun­gen auf­zwin­gen kann, daß man aber auf län­ge­re Dau­er eine Mas­se nicht betrü­gen kann.

Die Gegen­sät­ze der typi­schen Merk­ma­le von Indi­vi­du­al­psy­che und Mas­sen­psy­che beru­hen im wesent­li­chen auf gra­du­el­len Unter­schie­den aller mög­li­chen Eigen­schaf­ten. Die nach­ste­hen­de Auf­stel­lung ist also nicht abso­lut, son­dern nur als Eigen­schafts­be­to­nung auf­zu­fas­sen. Deut­lich vor­herr­schend sind fol­gen­de Unterschiede:

  1. Das Indi­vi­du­um ist in einem gewis­sen Maße befä­higt, nach­zu­den­ken und aus Erfah­rungs­tat­sa­chen Schlüs­se zu zie­hen. Es kann durch rech­ne­ri­sche Argu­men­te und logi­sche Schluß­fol­ge­run­gen zu Über­le­gun­gen ver­an­laßt und über­zeugt werden.
  2.  Das Indi­vi­du­um besitzt ein fein­re­gis­trie­ren­des Erin­ne­rungs­ver­mö­gen und ver­mag aus ange­neh­men und uns ange­neh­men Erfah­run­gen Leh­ren zu zie­hen; das Indi­vi­du­um kann Ver­ant­wort­lich­keit, Gewis­sen, Schuld; Bewußt­sein und Reue zei­gen und beweist damit die Fähig­keit zu einer, wenn auch trieb­haft begrenz­ten, Selbst­kri­tik und einem Sinn für Gerechtigkeit.
  3.  Das Indi­vi­du­um ist eines­teils mate­ri­ell ego­is­tisch und ande­rer­seits gel­tungs­süch­tig. Es ist bestrebt, inner­halb des eige­nen beschränk­ten Lebens­krei­ses eine aner­kann­te, mög­lichst beson­ders­ar­ti­ge Rol­le zu spie­len. Auch der Altru­is­mus kann häu­fig als Ego­is­mus höhe­rer Ord­nung abge­lei­tet werden.
  4. Das Indi­vi­du­um wird mehr durch den rea­len Inhalt einer Rede, eines Schrift­sat­zes oder eines Bil­des beein­druckt und weni­ger durch die Form. Irrea­le Kom­bi­na­tio­nen von Far­ben, Lini­en und Kör­pern las­sen nur bei aus­nahms­wei­se fein regis­trie­ren­den Men­schen eine Wir­kung erken­nen, denn das natür­li­che Ziel einer Vor­stel­lungs­bil­dung ist real. Des­halb blei­ben auch Sym­bo­le, Pathos und Thea­tra­lik bei ziel­stre­bi­gen Dis­kus­sio­nen fast immer wir­kungs­schwach. Der Instinkt des Indi­vi­du­ums für gro­ße, aber nicht unmit­tel­bar ersicht­li­che Tat­kraft ist gering.

 

Hier­zu als Gegensatz:

 

  1. Die Mas­sen­psy­che ist äußerst denk­faul und begreift kaum die aller­ein­fachs­ten Din­ge, wenn sie nicht dau­ernd in pri­mi­tivs­ter und leicht­faß­lichs­ter For­mu­lie­rung ein­ge­häm­mert wer­den. Rech­ne­ri­sche Argu­men­te, logi­sche Schluß­fol­ge­run­gen und die unan­greif­bars­ten über­zeu­gends­ten Dar­le­gun­gen wer­den rest­los abge­lehnt, wenn sie auch nur das gerings­te Ein­ge­hen auf irgend­wel­che Gedan­ken­gän­ge ver­lan­gen. Alles Ermah­nen, Beschwö­ren und War­nen mit Grün­den der Ver­nunft allein ist aussichtslos.
  2. Die Mas­se hat ein Erin­ne­rungs­ver­mö­gen nur für die fun­da­men­tals­ten Erleb­nis­se von Not oder Genuß. Die Leh­ren, die die Mas­se dar­aus zu zie­hen ver­mag, blei­ben sehr frag­wür­dig, da kaum irgend­wel­che Selbst­kri­tik vor­han­den ist. Ver­ant­wort­lich­keit, Gewis­sen, Schuld­be­wußt­sein sind der Mas­se an sich unbe­kannt, wenn nicht eine Art Psy­cho­se durch äuße­re Ein­wir­kun­gen ent­steht, die den Schein eines Gewis­sens vor­täuscht. Die Mas­se ist nie­mals aus sich her­aus gerecht, es sei denn zufäl­lig. Die Mas­se sucht stets die Schuld bei ande­ren, nie­mals bei sich selbst.
  3. Die Mas­se ist nicht mate­ri­ell ego­is­tisch und auch nicht altru­is­tisch. Sie ist schwer bere­chen­bar, von Stim­mun­gen abhän­gig und unter­liegt häu­fig unkon­trol­lier­ba­ren Ein­flüs­sen. Die Mas­se ist anleh­nungs­be­dürf­tig und stets bereit, Ver­ant­wor­tung, Arbeit und Lei­tung irgend­wel­chen Füh­rern zu über­las­sen. Der Gel­tungs­trieb führt sel­ten zum unmit­tel­ba­ren Selbst­be­wußt­sein, son­dern zum Stolz auf irgend­wel­che Reprä­sen­tan­ten, die sie zu ver­göt­tern liebt. Das man­geln­de Kri­tik­ver­mö­gen führt eben­so leicht zur sinn­lo­sen Ver­nich­tungs­wut wie zur unkri­ti­schen Ver­eh­rung, wie über­haupt der Trieb zu Extre­men das Bild der Mas­se als ein Indi­vi­du­um sehr frü­her Ent­wick­lungs­stu­fe recht­fer­tigt. Auf das glei­che Bild führt auch der stark aus­ge­präg­te Trieb zur Fetisch­bil­dung zurück, der den Hel­den und den Sym­bo­len einer Mas­se eine uner­hör­te Bedeu­tung verleiht.
  4. Die Mas­se wird weit mehr durch Form und Tenor einer Rede, eines Schrift­sat­zes oder die Far­ben und Flä­chen eines Bild­wer­kes beein­flußt, als durch den rea­len gedank­li­chen Inhalt. Des­halb haben Pathos und Thea­tra­lik eine ungleich grö­ße­re Kraft, die Sym­pa­thie der Mas­se zu erwer­ben, als die bedeu­tends­ten geis­ti­gen Ana­ly­sen und Erkennt­nis­se. Ganz erstaun­lich ist der häu­fig siche­re Instinkt der Mas­se für Qua­li­tät; nur ist der Maß­stab sehr oft ein völ­lig ande­rer, als das Indi­vi­du­um anzu­wen­den gewohnt ist.
  5. Eine Mas­se kann alle Eigen­ar­ten zei­gen, die ein von ihr ver­göt­ter­ter Füh­rer besitzt oder auslöst.

 

Aus die­sen Unter­schie­den kann man die Erklä­rung für vie­le Fehl­schlä­ge und Unver­ständ­lich­kei­ten ablei­ten, die immer wie­der den Poli­ti­ker beschäf­ti­gen, sobald er mit der Mas­sen­psy­che zu tun hat. So zum Bei­spiel die Unbe­lehr­bar­keit von Mas­sen, ande­rer­seits die Gegen­sätz­lich­keit von Opfer­freu­dig­keit und Dick­fel­lig­keit; wei­ter­hin die gerin­ge Popu­la­ri­tät der meis­ten Den­ker und dem­ge­gen­über die Begeis­te­rung für Meis­ter im Lei­bes­s­port, sowie schließ­lich die Macht unkla­rer pathe­ti­scher Ideen und die gerin­gen Erfol­ge der rei­nen Vernunft.

Jeder Beob­ach­ter kann bei Unter­hal­tun­gen mit ein­zel­nen Indi­vi­du­en ganz deut­lich fest­stel­len, wann die selb­stän­di­ge Psy­che des Indi­vi­du­ums und wann ein Teil­or­ga­nis­mus der Mas­sen­psy­che zu ihm spricht. Solan­ge sich ein Gespräch in dem enge­ren per­sön­li­chen und vor­zugs­wei­se beruf­li­chen Inter­es­sen­kreis eines Indi­vi­du­ums bewegt, solan­ge wird man eine rela­tiv selb­stän­di­ge Psy­che bemer­ken. Sobald aber all­ge­mein inter­es­sie­ren­de The­men auf­tau­chen wie Poli­tik, Mar­ken­ar­ti­kel oder Kul­tur­fra­gen, mit denen sich das Indi­vi­du­um nicht selbst spe­zi­ell beschäf­tigt hat, dann kom­men sofort alle Eigen­tüm­lich­kei­ten und Unvoll­kom­men­hei­ten einer Mas­sen­psy­che zur Gel­tung, so daß man nicht mehr glaubt, die glei­che Intel­li­genz­stu­fe vor sich zu haben. Der Mensch ver­liert als Teil einer Mas­se den Intel­lekt des ein­zel­nen Individuums.

Für die Anre­gung zur Ver­wen­dung von Pro­pa­gan­da­mit­teln der Staats­idee inter­es­siert an die­ser Stel­le nur der­je­ni­ge Teil der Mas­sen­psy­che, der für den Zweck der Mei­nungs- oder Stim­mungs­be­ein­flus­sung von Bedeu­tung ist. Hier­bei muß es als erwie­sen ange­se­hen wer­den, daß Über­zeu­gungs­ver­su­che mit Mit­teln, die bei einem ein­zel­nen Indi­vi­du­um erfolg­ver­spre­chend zu sein pfle­gen, der Mas­sen­psy­che gegen­über zumeist hoff­nungs­los blei­ben. Es ist zweck­los, eine Mas­se mit Zah­len­ma­te­ri­al, Sach­er­klä­run­gen und zuver­läs­si­gen wirt­schaft­li­chen Fol­ge­run­gen beein­flus­sen zu wol­len. Dage­gen reagiert die Mas­se auf sinn­fäl­li­ge Schlag­wor­te, auf Pathos, Thea­tra­lik und allen­falls auf den Tenor und die indi­rekt sug­ges­ti­ve Kraft wahr­heits­über­zeug­ter Formulierungen.

Die Form ist für die Mas­se wich­ti­ger als der Inhalt. Rhyth­mik und Schwin­gun­gen eines Wort­ge­bil­des erfaßt der Instinkt der Mas­se leich­ter als einen gedank­li­chen Inhalt und fol­ge­rich­tig ist auch die Sehn­sucht nach einem psy­chi­schen Halt grö­ßer als Ego­is­mus und Geltungstrieb.

Von allen Eigen­ar­ten der Mas­sen­psy­che ist das Anleh­nungs­be­dürf­nis an einen psy­chi­schen Halt (sei es an einen aner­kann­ten Füh­rer, sei es an eine Idee, sei es an das Sym­bol einer Idee oder irgend­ein Objekt, das sich für den tief­ein­ge­wur­zel­ten Trieb zur Fetisch­bil­dung eig­net), der den unmit­tel­bars­ten und wich­tigs­ten Angriffs­punkt zur Beein­flus­sung in Rich­tung eines ein­heit­li­chen Zie­les und einer ideen­ge­bun­de­nen Geschlos­sen­heit bedeutet.

 

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