Netzwerk und Isolation – das Handwerkszeug der »Stunde Null«

-- von Stefan Scheil

PDF der Druckfassung aus Sezession 116/ Oktober 2023

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Nach dem Jahr 1945 fiel quer durch Euro­pa ein »Eiser­ner Vor­hang«, mit dem sich der künf­ti­ge sozia­lis­ti­sche Macht­be­reich vom Wes­ten abschot­te­te. Er war von Anfang an eine Meta­pher für kon­kre­te Maß­nah­men, die bis 1989 ste­tig per­fek­tio­niert wurden.

Im west­lich die­ses Vor­hangs gele­ge­nen Deutsch­land ver­brei­te­te sich die läh­men­de Atmo­sphä­re einer »Stun­de Null«. Sie ver­wan­del­te ganz Deutsch­land in eine Zone abso­lu­ter Stil­le und Bewe­gungs­un­fä­hig­keit. Im Lauf von eini­gen Jah­ren und unter teil­wei­se phy­si­scher Zer­stö­rung von Kul­tur­gut (wie etwa Büchern) wur­de die­ses Vaku­um dann sehr kon­trol­liert wie­der mit Sinn, Lärm und Leben gefüllt, und zwar in geziel­ter Aus­rich­tung auf das Vor­bild der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Amerika.

Die­se Stun­de Null war kei­ne auto­ma­ti­sche Begleit­erschei­nung der mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge Deutsch­lands. Sie stell­te ein bewußt gewähl­tes, ame­ri­ka­ni­sches Kon­zept der demons­tra­ti­ven Ent­mach­tung und des Neu­be­ginns dar. Dies geschah in gro­ßem Umfang, wie zum Bei­spiel ein ame­ri­ka­ni­scher Bericht aus dem Som­mer 1946 festhält.

»Wir kon­trol­lie­ren jetzt 37 Zei­tun­gen, 6 Radio­sta­tio­nen, 314 Thea­ter, 642 Kinos, 101 Maga­zi­ne, 237 Ver­la­ge, 7384 Buch­händ­ler und Dru­cker, füh­ren 15 Mei­nungs­um­fra­gen im Monat durch, publi­zie­ren eine Zei­tung mit 1,5 Mil­lio­nen Auf­la­ge (1), 3 Nach­rich­ten­ma­ga­zi­ne, betrei­ben die Deut­sche Nach­rich­ten­agen­tur (DANA) und 20 Büche­rei­en. […] Die Auf­ga­be ist gewal­tig.« (2)

Wäh­rend die Deut­schen nun durch die­se gelenk­ten Besatzungs­medien mit dem ver­sorgt wur­den, was sie wis­sen und glau­ben soll­ten, wur­de gleich­zei­tig nicht nur die per­sön­li­che Rei­se­frei­heit von Ort zu Ort inner­halb Deutsch­lands ein­ge­schränkt, son­dern sahen sich selbst neu­ernann­te Ver­trau­ens­per­so­nen dar­an gehin­dert, sich mit Infor­ma­tio­nen aus dem Aus­land zu ver­sor­gen: Kein deut­scher Her­aus­ge­ber in der US-Besat­zungs­zo­ne kön­ne sich die New York Times, irgend­ei­ne ande­re in Eng­land oder den USA gedruck­te Zei­tung oder irgend­ein ande­res Exem­plar der Aus­lands­pres­se besor­gen, mel­de­te ein ande­rer Bericht auch noch für das Jahr 1948.

Das war drei Jah­re nach Kriegs­en­de. Die Grün­dungs­pha­se deut­scher Bun­des­län­der hat­te ein­ge­setzt, ein Jahr spä­ter wür­de aus ihnen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land her­vor­ge­hen. Die­se neue Staats­form des Deut­schen Rei­ches ent­stand also unter höchst schwie­ri­gen Bedingungen.

Erstaun­li­cher­wei­se geriet die Stun­de Null im öffent­li­chen Bewußt­sein, aber auch in Geschichts­schrei­bung und Poli­tik­wis­sen­schaft rela­tiv schnell in Ver­ges­sen­heit. Nach­kriegs­deutsch­land ist län­ge­re Zeit vor dem fik­ti­ven Hin­ter­grund betrach­tet wor­den, es hät­te eine Stun­de Null nicht gege­ben. Erst in den letz­ten zwan­zig Jah­ren ist ein gegen­läu­fi­ger Trend inner­halb der For­schung zu beob­ach­ten, da nach den Kon­ti­nui­tä­ten jetzt die tat­säch­li­che Dimen­si­on die­ses Umbruchs und das Aus­maß sei­ner Pla­nung lang­sam ins Blick­feld geraten.

Sym­pto­ma­tisch für die­sen Trend sind etwa Ver­öf­fent­li­chun­gen wie Die lan­ge Stun­de Null (2007), in denen die Len­kung des sozia­len Wan­dels in Deutsch­land durch ame­ri­ka­ni­sche Pla­nung im Detail nach­ge­zeich­net wird. Auf die­se Wei­se nähert sich die For­schung eben­so vor­sich­tig wie spät dem an, was die damals leben­den Deut­schen erlebt haben. Zudem haben zahl­rei­che Ver­än­de­run­gen der Medi­en­land­schaft im Inter­net­zeit­al­ter und die ame­ri­ka­ni­sche Außen­po­li­tik ein erhöh­tes öffent­li­ches Bewußt­sein dafür geschaf­fen, wie umfang­reich Steue­rungs­ver­su­che und »Nati­on buil­ding« Teil der poli­ti­schen Pra­xis des Wes­tens sind.

Im Rah­men des Pro­jekts eines Neu­starts Nach­kriegs­deutsch­lands kam es zu Ver­än­de­run­gen der deut­schen Schul- und Hoch­schul­land­schaft, die sich in zahl­rei­chen per­sön­li­chen und insti­tu­tio­nel­len Kon­tak­ten und einem trans­at­lan­ti­schen Personen‑, Wis­sens- und Metho­den­trans­fer nie­der­schlu­gen. Die vor allem von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus­ge­hen­den Maß­nah­men zur Bil­dung einer völ­lig neu­en, auf die intel­lek­tu­el­le wie wirt­schaft­li­che West­bin­dung Deutsch­lands aus­ge­rich­te­ten Füh­rungs­schicht ver­stan­den die deut­schen Hoch­schu­len als wesent­li­ches Instru­ment zur Prä­gung die­ser neu­en Eliten.

Eine ent­schei­den­de Rol­le wur­de von sei­ten der Besat­zungs­be­hör­den dabei der Eta­blie­rung neu­er ideo­lo­gi­scher Leit­wis­sen­schaf­ten an den deut­schen Uni­ver­si­tä­ten zuge­wie­sen, eine Rol­le, die von der neu­de­fi­nier­ten Sozio­lo­gie und beson­ders durch die neu­ge­schaf­fe­ne Poli­tik­wis­sen­schaft und die Zeit­ge­schichts­for­schung über­nom­men wer­den soll­te. Bei­de Fach­kom­ple­xe soll­ten nach die­sen Vor­stel­lun­gen einen Ein­fluß auf alle Stu­di­en­gän­ge ent­wi­ckeln, ganz beson­ders aber auf die Aus­bil­dung von Schul- und Hochschullehrern.

Ergänzt und über­la­gert wur­den die­se Absich­ten von den neu­ge­schaf­fe­nen Rei­se- und Aus­tausch­pro­gram­men, die einer grö­ße­ren Anzahl von aus­ge­wähl­ten viel­ver­spre­chen­den Per­so­nen aus wich­ti­gen Beru­fen und Fach­rich­tun­gen im Rah­men von Stu­di­en­auf­ent­hal­ten in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ein west­lich gepräg­tes, gemein­sa­mes Eli­ten­be­wußt­sein ver­mit­teln sollten.

Die Umset­zung die­ser Plä­ne geschah über Gast­vor­trä­ge, durch Sti­pen­di­en der Rocke­fel­ler- und der Ford-Stif­tung, die Grün­dung von Insti­tu­ten aus Stif­tungs­mit­teln und über eine gan­ze Rei­he von Aus­tausch­pro­gram­men, von denen das Ful­bright-Pro­gramm das bekann­tes­te ist.

Dane­ben spiel­ten die inter­na­tio­na­le Kor­re­spon­denz und eigen­tüm­li­che Netz­wer­ke eine Rol­le, ins­be­son­de­re auch durch Remi­gra­ti­on von For­schern, die seit 1933 Deutsch­land ver­las­sen hat­ten und dann wäh­rend und nach dem Krieg an teil­wei­se füh­ren­der Stel­le an der US-ame­ri­ka­ni­schen Macht­ent­fal­tung betei­ligt waren, soweit dort die Diens­te von Poli­tik- und Sozi­al­wis­sen­schaft­lern benö­tigt wur­den. Die­se Pro­jek­te unter­la­gen des­halb in der Regel direk­ter poli­ti­scher, nicht sel­ten auch direk­ter geheim­dienst­li­cher Einflußnahme.

Letz­te­res kann bis heu­te nur in Umris­sen erforscht wer­den, da in die­sem Bereich wei­ter­hin vie­le Doku­men­te nicht zugäng­lich sind oder sicher­heits­hal­ber gleich ver­nich­tet wur­den, wie zum Bei­spiel aus einem 1977 ver­faß­ten inter­nen ame­ri­ka­ni­schen Bericht her­vor­geht. Früh­zei­tig erfolg­te auch die Grün­dung for­ma­ler Netz­wer­ke wie der bekann­ten Atlan­tik-Brü­cke, eines Ver­eins, dem in der Nach­kriegs­zeit sehr vie­le bun­des­deut­sche Poli­ti­ker aus der ers­ten Rei­he ange­hör­ten und der aktu­ell bei­spiels­wei­se vom sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Mul­ti­funk­tio­när und mehr­fa­chen Minis­ter Sig­mar Gabri­el gelei­tet wird.

Auf die zahl­rei­chen Insti­tu­tio­nen und Pro­gram­me ein­zu­ge­hen, die sich dem deutsch-ame­ri­ka­ni­schen Aus­tausch wid­me­ten, ist im Rah­men die­ses Arti­kels nicht oder nur flüch­tig mög­lich. Das Hand­buch für die­se Fra­gen lis­te­te etwa 1958 und 1965 jeweils 175 Insti­tu­tio­nen und Pro­gram­me auf.

In der neue­ren For­schung wird mitt­ler­wei­le das gro­ße Inter­es­se der Besat­zungs­mäch­te an ver­schie­de­nen Fächern kon­sta­tiert. Ins­be­son­de­re die Fächer Sozio­lo­gie und Poli­tik­wis­sen­schaft wur­den von ihnen mit Blick auf die För­de­rung der west­deut­schen Demo­kra­tie beson­ders gewür­digt. Die Mili­tär­re­gie­run­gen der West­zo­nen orga­ni­sier­ten den ers­ten Sozio­lo­gen­tag, Besat­zungs­of­fi­zie­re hiel­ten die ers­ten Vorlesungen.

Die Fra­gen nach Inter­es­sen­la­gen und bio­gra­phi­schem Hin­ter­grund von Ent­schei­dun­gen in der Bil­dungs­po­li­tik wur­den in den letz­ten Jah­ren zuneh­mend kon­kre­ter gestellt. Dabei ergänz­ten sich zwei Trends. Zum einen erfreu­te sich der bio­gra­phi­sche Zugriff gene­rell aus metho­di­schen Grün­den einer neu­en Beliebt­heit, zum ande­ren schuf der zeit­li­che Abstand zu den Ereig­nis­sen erst die Mög­lich­keit zu wirk­li­chen Biographien.

Die For­schung warf einen detail­lier­te­ren Blick auf die Aus­tausch­ver­su­che, kam aller­dings zu rela­tiv unter­schied­li­chen Bewer­tun­gen hin­sicht­lich des Erfolgs die­ser Pro­gram­me. Die Akti­vi­tä­ten der gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen Stif­tun­gen und deren nicht immer trans­pa­ren­te Ver­bin­dun­gen zu US-ame­ri­ka­ni­schen Regie­rungs­ak­ti­vi­tä­ten gerie­ten spät in den Fokus und damit auch eine Fra­ge­stel­lung, die bis Ende der 1990er Jah­re noch weit­ge­hend unbe­kannt war.

In den Absichts­er­klä­run­gen und Berich­ten der US-Behör­den wur­de die Zusam­men­ar­beit mit pri­va­ten Insti­tu­tio­nen gene­rell als wün­schens­wert bezeich­net, ohne daß Art und Umfang immer ersicht­lich gewe­sen wären – das mach­te es einer For­schungs­ana­ly­se nicht leicht. Tim B. Mül­lers Stu­die über Krie­ger und Gelehr­te – Her­bert Mar­cu­se und die Denk­sys­te­me im Kal­ten Krieg (2010) stellt dies mit Blick auf die Ver­bin­dungs­li­ni­en von ein­fluß­rei­chen deut­schen Intel­lek­tu­el­len zu US-Geheim­diens­ten und unter ande­rem der Rocke­fel­ler-Stif­tung fest.

Der viel­zitierte mili­tä­risch-indus­tri­el­le Kom­plex der Ver­ei­nig­ten Staa­ten wur­de im Zusam­men­hang mit den trans­at­lan­ti­schen Bezie­hun­gen von einem regie­rungs­amt­lich-stif­tungs­recht­li­chen Kom­plex unter­stützt. Die Rück­ver­fol­gung sol­cher Netz­wer­ke anhand der Posi­ti­ons­wech­sel vie­ler Per­so­nen aus der Emi­gra­ti­on in ame­ri­ka­ni­sche Uni­ver­si­tä­ten, Armee und Geheim­diens­te, US-Ver­wal­tungs­be­hör­den, erneut in deut­sche Hoch­schul­stel­len, trans­at­lan­ti­sche Nicht­re­gie­rungs­netz­wer­ke und inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen wie die UNESCO kann dies sicht­bar wer­den lassen.

Die trans­at­lan­ti­schen Bezie­hun­gen der Nach­kriegs­zeit ziel­ten von ame­ri­ka­ni­scher Sei­te aus auf die Schaf­fung einer neu­en deut­schen Eli­te, die demo­kra­tisch geprägt und auf die West­bin­dung Deutsch­lands aus­ge­rich­tet sein soll­te. Dies brach­te eine Umfor­mung mit sich, die sich zugleich auf über­ge­ord­ne­te Maß­stä­be des »Wes­tens« stüt­zen soll­te, aber den­noch auf die Schaf­fung einer »natio­na­len« Eli­te im enge­ren Sin­ne aus­ge­rich­tet war. Bei genau­em Hin­se­hen las­sen sich in die­sem Vor­gang aller­dings bereits Ele­men­te jener Eli­ten­bil­dung fest­stel­len, die Jahr­zehn­te spä­ter um die Wen­de vom 20. zum 21. Jahr­hun­dert in vie­len Län­dern die natio­na­len Eli­ten in trans­na­tio­na­le Eli­ten umwan­deln soll­te, ins­be­son­de­re im Wis­sen­schafts- und Bildungsbereich.

Die­ser Vor­gang bedeu­tet eine Ver­schie­bung von Ein­fluß, weg von der natio­na­len Bil­dungs­eli­te und hin zu einer natur­wis­sen­schaft­lich gepräg­ten, trans­na­tio­nal orga­ni­sier­ten, nach eige­nem Anspruch ver­bind­lich urtei­len­den Wis­sen­seli­te, die eine Ver­bin­dung mit eben­falls trans­na­tio­nal orga­ni­sier­ten Wirt­schafts­eli­ten ein­ge­gan­gen ist, was, so darf man wohl sagen, in die­ser Kom­bi­na­ti­on den Ein­fluß der eigent­lich poli­ti­schen Eli­te in man­chen Berei­chen fast voll­stän­dig ver­drängt hat. Hoch­kom­ple­xe Geset­ze etwa wer­den von stan­dar­di­sier­tem Fach­wis­sen nach trans­na­tio­na­len Maß­stä­ben vor­for­mu­liert und im natio­na­len Poli­tik­be­reich häu­fig nur noch – in vie­len Berei­chen auf­grund der Rechts­la­ge zwangs­wei­se – umgesetzt.

Die Ver­la­ge­rung von Ent­schei­dungs­pro­zes­sen in trans­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen wie die Euro­päi­sche Uni­on, die OSZE oder die UNO mit­samt ihren Unter­or­ga­ni­sa­tio­nen geht ein­her mit der Bil­dung von welt­weit kom­mu­ni­zie­ren­den Wirt­schafts­eli­ten, die sich der Kon­trol­le durch den klas­si­schen Par­la­men­ta­ris­mus oder das Gegen­ge­wicht natio­na­ler Ver­bän­de und/oder Gewerk­schaf­ten weit­ge­hend ent­zie­hen. Im Zeit­al­ter des Regimes von PISA, McK­in­sey & Co. kom­men die Maß­stä­be gera­de im Bil­dungs- und Sozi­al­wis­sen­schafts­be­reich nicht mehr aus den natio­nal ver­faß­ten Ländern.

Sie wer­den von außen gesetzt und kon­trol­liert, im Rah­men von PISA‑, VERA- oder Bolo­gna-Eva­lua­tio­nen. Dabei wird die Rol­le von Bil­dung als Kul­tur­gut, als Wert an sich und als Aus­druck natio­na­ler Iden­ti­tät zuguns­ten eines tech­ni­schen Wis­sens­be­griffs von Bil­dung zurück­ge­drängt, was eine wei­te­re grund­sätz­li­che Ent­mach­tung der tra­di­tio­nell ver­faß­ten Nati­on mit sich bringt. (3)

Der inner­deut­sche Kon­sens über die Bil­dungs­in­hal­te und Struk­tu­ren, auch der­je­ni­ge, der vor dem Natio­nal­so­zia­lis­mus exis­tiert und ihn über­stan­den hat­te, wur­de von den 1945 mit Trup­pen­un­ter­stüt­zung ein­mar­schie­ren­den und agie­ren­den Bil­dungs- und Wis­sen­schafts­be­ra­tern radi­kal auf­ge­kün­digt. Der modi­sche und jeder­zeit anruf­ba­re Maß­stab des­sen, was gut und zukunfts­fä­hig sei, kommt seit die­ser Zeit in Deutsch­land immer wie­der von außen, die Refor­men fin­den in immer kür­ze­ren Abstän­den statt. Ande­rer­seits dür­fen auch in die­sem Bereich die Behar­rungs­kräf­te nicht unter­schätzt wer­den, die bis in die Mit­te der 1960er Jah­re immer wie­der einen Weg fan­den, sich auszudrücken.

Zu die­sen Mecha­nis­men gehört beson­ders auf dem Feld der Eli­ten­bil­dung die Erwar­tung in die beson­de­re Bedeu­tung ein­zel­ner Per­sön­lich­kei­ten als Mul­ti­pli­ka­to­ren neu­er Mei­nun­gen. Die­se Bedeu­tung ergibt sich aus der Ansicht, daß die Lebens­ver­hält­nis­se von Men­schen nicht von ihrer Exis­tenz als Indi­vi­du­um unter ande­ren Indi­vi­du­en geprägt wer­den, son­dern von ihrer Exis­tenz als Tei­len von klei­ne­ren Netz­wer­ken und Cliquen.

Ein ein­zel­nes Indi­vi­du­um wür­de sich durch einen Wech­sel sei­ner Mei­nung gegen­über der Umwelt zunächst iso­lie­ren, neigt also zur Behar­rung auf die­ser Mei­nung. Wech­selt aber der Mei­nungs­füh­rer eines Netz­werks oder einer Cli­que sei­ne Mei­nung, wer­den dies ten­den­zi­ell die Ange­hö­ri­gen die­ser Grup­pen eben­falls tun. Der Vor­teil eines völ­li­gen Men­ta­li­täts­wech­sels durch Eli­ten­wech­sel ist also nicht nur ein quan­ti­ta­ti­ver, son­dern ein qualitativer.

In die­sem Sin­ne ziel­ten die Reori­en­tie­rungs­pro­gram­me der Nach­kriegs­zeit auf einen Eli­ten­wech­sel zu einem bestimm­ten Zweck, tra­fen jedoch bei den ver­ant­wort­li­chen Per­so­nen sowohl auf Behar­rungs­kräf­te wie auf revo­lu­tio­nä­re Absich­ten, die bei­de auf Moti­ve abseits der eigent­li­chen Reori­en­tie­rungs­zwe­cke zurück­gin­gen. Die per­so­nel­le und insti­tu­tio­nel­le Vor­ge­schich­te der Bil­dungs­re­for­men und poli­ti­schen Bewe­gun­gen der Nach­kriegs­zeit wur­de jeden­falls lan­ge Zeit vor­wie­gend als inner­deut­sches Bin­nen­phä­no­men und Teil all­ge­mei­ner Ent­wick­lun­gen aufgefaßt.

Ein unmit­tel­ba­res poli­ti­sches Inter­es­se ande­rer Staa­ten an die­sen Refor­men wur­de häu­fig nicht ange­nom­men. Den wei­te­ren Aspekt – ame­ri­ka­ni­sche »cul­tu­ral diplo­ma­cy« habe unver­meid­lich die Wir­kung sub­ti­ler Pro­pa­gan­da – sahen vie­le schon eher. Zeit­ge­nös­si­sche Kla­gen über »Ame­ri­ka­ni­sie­rung« und Gegen­vor­wür­fe wegen »Anti­ame­ri­ka­nis­mus« spie­geln dies wider. Im Rah­men der Durch­set­zung von neu­en Fach­be­rei­chen an Uni­ver­si­tä­ten und der Prä­gung poli­ti­scher Ent­schei­dungs­trä­ger spiel­ten aller­dings durch­dach­te Maß­nah­men der Besat­zungs­macht die Haupt­rol­le, die die Initia­ti­ve ergriff, fort­führ­te und den auf deut­scher Sei­te han­deln­den Per­so­nen erst ermög­lich­te, ihre Rol­le zu spielen.

Die Geschich­te der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Eli­ten nach 1945 läßt sich ins­ge­samt ohne die »lan­ge Stun­de Null« über­haupt nicht ver­ste­hen. Die­se lan­ge Stun­de hat prä­gen­de Nach­wir­kun­gen, zum Teil bis heute.

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(1) – Gemeint ist die Neue Zei­tung in Mün­chen, vgl. ­Joseph Dun­ner: »Infor­ma­ti­on Con­trol in the Ame­ri­can Zone of Ger­ma­ny, 1945 – 1946«, in: Carl Joa­chim Fried­rich (Hrsg.): Ame­ri­can Expe­ri­en­ces in Mili­ta­ry Govern­ment in World War II, New York 1948, S. 283. Aus ihrer Redak­ti­on gin­gen schließ­lich 16 deut­sche Chef­re­dak­teu­re und über 30 Redak­teu­re deut­scher Zei­tun­gen her­vor. Vgl. Arnd Bau­er­käm­per (Hrsg.): Demo­kra­tie­wun­der. Trans­at­lan­ti­sche Mitt­ler und die kul­tu­rel­le Öff­nung West­deutsch­lands 1945 – 1970, Göt­tin­gen 2005, S. 148.

(2) –Zit. n. Colo­nel ­Alfred H. Pad­dock: »Major ­Gene­ral Robert Alexis McClure – For­got­ten Father of US Army Spe­cial War­fa­re«, in: www.psywarrior.com (die DANA war eine Schöp­fung der ame­ri­ka­ni­schen Psy­cho­lo­gi­cal War­fa­re Divi­si­on, vgl. Dun­ner: Infor­ma­ti­on Con­trol, S. 284).

(3) – Dazu ganz all­ge­mein der Sozio­lo­ge Richard Münch: Glo­ba­le Eli­ten, loka­le Auto­ri­tä­ten. Bil­dung und Wis­sen­schaft unter dem Regime von PISA, McK­in­sey und Co., Ber­lin 2009, S. 90.

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