Im kommenden August jährt sich die Veröffentlichung des Essays Regeln für den Menschenpark aus der Feder Peter Sloterdijks zum 25. Mal.
Die Debatte, die dieser Text auslöste, wurde ihm nicht gerecht und nötigte den Autor, sich im Nachwort einer späteren Auflage sehr kritisch zum »Einbruch des Boulevards ins Feuilleton« zu äußern und sarkastisch auf die »bekannte Schriftstellerschwäche« zu pochen, »sich beim Schreiben nicht an den gewohnheitsmäßigen oder gewerbsmäßigen Mißverstehern zu orientieren«.
Die Wächter des Diskurses reduzierten den Essay auf ein paar Halbsätze, in denen nach »den zähmenden und den bestialisierenden Impulsen« gefragt wird, die – das wissen wir – stets beide den Menschen erreichen und antreiben. Konkret fragte Sloterdijk, »ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion«, also »zur Manipulation biologischer Risiken« werde vollziehen können.
Die Öffentlichkeit, genauer: die überhaupt zu Wort kommende Öffentlichkeit reagierte wie stets in solchen Fällen. Sie drosch auf den Seismographen ein und wies alles Nachdenken über eine Organisation solcher Möglichkeiten als unstatthaft zurück, so als käme durch dieses Nachdenken das Inhumane zurück in die Welt. Jedoch: Es war ja nie fort. Diese Büchse der Pandora steht seit jeher offen. Aus ihr bedienen sich heute diejenigen, die der Ersten Welt angehören, Zugang zu Laboren haben und es sich leisten können. Man könnte, sloterdijkend, auch sagen: Die Eugenik ist längst ins individuelle Belieben gestellt, soll aber nicht als das Bestialische, das sie ist, auf der Ebene der Herdenfitneß diskutiert werden.
Wir werden uns im Augustheft des kommenden Jahrgangs ausführlich mit den Regeln für den Menschenpark auseinandersetzen, denn dieser Essay beschreibt einen der großen Bögen, die weit oberhalb des Klein-Kleins aus Umfragewert und Richtungskampf aufgespannt sind. Der Verdacht besteht, daß die erregte Reduzierung der komplexen Struktur auf ein Detail den jeweils ganzen Bogen verdecken soll, vor allem seine Konsequenzen für diejenigen, die meinen, mit ihrem demokratischen Stimmrecht auch nur in die Nähe dieser Bögen zu gelangen und an ihrem Bau beteiligt zu sein.
Sloterdijks Essay ist kalt, er ist frei von jeder Widerstandsromantik. Selbst die von uns wiederholt vorgetragene Überzeugung, daß der Kampf um den Menschen in vollem Gange sei, dürfte ihm zu pathetisch formuliert sein, zu sehr ausgerichtet an einem idealen, ausgependelten Bild von diesem Menschen, der vielleicht sogar seelisch entwickelbar sei, und zwar nicht nur als einzelner, sondern wiederum gattungsweit.
An Selbstberuhigungen beteiligte sich Sloterdijk also bereits vor knapp fünfundzwanzig Jahren nicht, auch nicht daran, daß man sich, zumal an verantwortlicher Stelle, aus dem Spiel nehmen und die Dinge laufen lassen könne: »Da bloße Weigerungen oder Demissionen an ihrer Sterilität zu scheitern pflegen, wird es in Zukunft wohl darauf ankommen, das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechnik zu formulieren.« Diese Argumentation gipfelt in einem jener Sätze, die, weil formelhaft notiert, überrumpelnd wirken: Deutlich sei nämlich geworden, »daß der Mensch für den Menschen die höhere Gewalt darstellt«.
Es steht außer Frage, werte Leser, daß uns unsere Landsleute am Herzen liegen. An die Tür unserer Denk-Stube haben wir vor bald fünfundzwanzig Jahren das Wort »Staatspolitik« geschrieben. Die Frage, wie den Deutschen von unserer Warte aus am besten zu helfen sei, umkreisen wir seither. Wir sehen, daß andere an den großen Bögen bauen, und sind daran beteiligt, ihr Vorrecht am Bau in Frage zu stellen. Wie aber sehen unsere Pläne aus?
Hoffentlich ist klar, daß diese Frage auf den Kern aller Opposition zielt. Wer nämlich weiß, daß Menschen Strukturen errichten, die eine Gesellschaft zugleich mit kollektivem Halt versorgen und in Marsch setzen, muß eine Entscheidung treffen: Beteiligt er sich am anthropotechnischen Regelwerk für den Menschenpark oder nicht? Sieht er Rettungschancen für die vielen – oder packt er seine Siebensachen ein, um sich auf den Weg der »Selbstrettung« zu begeben?
Wieviel Raum aber ist unter den großen Bögen? Und: Ist dieser »Freiraum« nicht auch von den Konstrukteuren eingepreist worden?