Die großen Bögen

PDF der Druckfassung aus Sezession 117/ Dezember 2023

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Im kom­men­den August jährt sich die Ver­öf­fent­li­chung des Essays Regeln für den Men­schen­park aus der Feder Peter Slo­ter­di­jks zum 25. Mal.

Die Debat­te, die die­ser Text aus­lös­te, wur­de ihm nicht gerecht und nötig­te den Autor, sich im Nach­wort einer spä­te­ren Auf­la­ge sehr kri­tisch zum »Ein­bruch des Bou­le­vards ins Feuil­le­ton« zu äußern und sar­kas­tisch auf die »bekann­te Schrift­stel­ler­schwä­che« zu pochen, »sich beim Schrei­ben nicht an den gewohn­heits­mä­ßi­gen oder gewerbs­mä­ßi­gen Miß­ver­ste­hern zu orientieren«.

Die Wäch­ter des Dis­kur­ses redu­zier­ten den Essay auf ein paar Halb­sät­ze, in denen nach »den zäh­men­den und den bes­tia­li­sie­ren­den Impul­sen« gefragt wird, die – das wis­sen wir – stets bei­de den Men­schen errei­chen und antrei­ben. Kon­kret frag­te Slo­ter­di­jk, »ob die Mensch­heit gat­tungs­weit eine Umstel­lung vom Gebur­ten­fa­ta­lis­mus zur optio­na­len Geburt und zur prä­na­ta­len Selek­ti­on«, also »zur Mani­pu­la­ti­on bio­lo­gi­scher Risi­ken« wer­de voll­zie­hen können.

Die Öffent­lich­keit, genau­er: die über­haupt zu Wort kom­men­de Öffent­lich­keit reagier­te wie stets in sol­chen Fäl­len. Sie drosch auf den Seis­mo­gra­phen ein und wies alles Nach­den­ken über eine Orga­ni­sa­ti­on sol­cher Mög­lich­kei­ten als unstatt­haft zurück, so als käme durch die­ses Nach­den­ken das Inhu­ma­ne zurück in die Welt. Jedoch: Es war ja nie fort. Die­se Büch­se der Pan­do­ra steht seit jeher offen. Aus ihr bedie­nen sich heu­te die­je­ni­gen, die der Ers­ten Welt ange­hö­ren, Zugang zu Labo­ren haben und es sich leis­ten kön­nen. Man könn­te, slo­ter­di­jkend, auch sagen: Die Euge­nik ist längst ins indi­vi­du­el­le Belie­ben gestellt, soll aber nicht als das Bes­tia­li­sche, das sie ist, auf der Ebe­ne der Her­den­fit­neß dis­ku­tiert werden.

Wir wer­den uns im August­heft des kom­men­den Jahr­gangs aus­führ­lich mit den Regeln für den Men­schen­park aus­ein­an­der­set­zen, denn die­ser Essay beschreibt einen der gro­ßen Bögen, die weit ober­halb des Klein-Kleins aus Umfra­ge­wert und Rich­tungs­kampf auf­ge­spannt sind. Der Ver­dacht besteht, daß die erreg­te Redu­zie­rung der kom­ple­xen Struk­tur auf ein Detail den jeweils gan­zen Bogen ver­de­cken soll, vor allem sei­ne Kon­se­quen­zen für die­je­ni­gen, die mei­nen, mit ihrem demo­kra­ti­schen Stimm­recht auch nur in die Nähe die­ser Bögen zu gelan­gen und an ihrem Bau betei­ligt zu sein.

Slo­ter­di­jks Essay ist kalt, er ist frei von jeder Wider­stands­ro­man­tik. Selbst die von uns wie­der­holt vor­ge­tra­ge­ne Über­zeu­gung, daß der Kampf um den Men­schen in vol­lem Gan­ge sei, dürf­te ihm zu pathe­tisch for­mu­liert sein, zu sehr aus­ge­rich­tet an einem idea­len, aus­ge­pen­del­ten Bild von die­sem Men­schen, der viel­leicht sogar see­lisch ent­wi­ckel­bar sei, und zwar nicht nur als ein­zel­ner, son­dern wie­der­um gattungsweit.

An Selbst­be­ru­hi­gun­gen betei­lig­te sich Slo­ter­di­jk also bereits vor knapp fünf­und­zwan­zig Jah­ren nicht, auch nicht dar­an, daß man sich, zumal an ver­ant­wort­li­cher Stel­le, aus dem Spiel neh­men und die Din­ge lau­fen las­sen kön­ne: »Da blo­ße Wei­ge­run­gen oder Demis­sio­nen an ihrer Ste­ri­li­tät zu schei­tern pfle­gen, wird es in Zukunft wohl dar­auf ankom­men, das Spiel aktiv auf­zu­grei­fen und einen Codex der Anthro­po­tech­nik zu for­mu­lie­ren.« Die­se Argu­men­ta­ti­on gip­felt in einem jener Sät­ze, die, weil for­mel­haft notiert, über­rum­pelnd wir­ken: Deut­lich sei näm­lich gewor­den, »daß der Mensch für den Men­schen die höhe­re Gewalt darstellt«.

Es steht außer Fra­ge, wer­te Leser, daß uns unse­re Lands­leu­te am Her­zen lie­gen. An die Tür unse­rer Denk-Stu­be haben wir vor bald fünf­und­zwan­zig Jah­ren das Wort »Staats­po­li­tik« geschrie­ben. Die Fra­ge, wie den Deut­schen von unse­rer War­te aus am bes­ten zu hel­fen sei, umkrei­sen wir seit­her. Wir sehen, daß ande­re an den gro­ßen Bögen bau­en, und sind dar­an betei­ligt, ihr Vor­recht am Bau in Fra­ge zu stel­len. Wie aber sehen unse­re Plä­ne aus?

Hof­fent­lich ist klar, daß die­se Fra­ge auf den Kern aller Oppo­si­ti­on zielt. Wer näm­lich weiß, daß Men­schen Struk­tu­ren errich­ten, die eine Gesell­schaft zugleich mit kol­lek­ti­vem Halt ver­sor­gen und in Marsch set­zen, muß eine Ent­schei­dung tref­fen: Betei­ligt er sich am anthro­po­tech­ni­schen Regel­werk für den Men­schen­park oder nicht? Sieht er Ret­tungs­chan­cen für die vie­len – oder packt er sei­ne Sie­ben­sa­chen ein, um sich auf den Weg der »Selbst­ret­tung« zu begeben?

Wie­viel Raum aber ist unter den gro­ßen Bögen? Und: Ist die­ser »Frei­raum« nicht auch von den Kon­struk­teu­ren ein­ge­preist worden?

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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