Vom Überschuß. Israel und die demographische Frage

PDF der Druckfassung aus Sezession 117/ Dezember 2023

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Ben­ny Mor­ris ist ein israe­li­scher His­to­ri­ker, der dafür bekannt ist, end­gül­tig mit dem Mythos auf­ge­räumt zu haben, die in Paläs­ti­na leben­den Ara­ber hät­ten das Land im Lau­fe des israe­li­schen Unab­hän­gig­keits­krie­ges 1948 »frei­wil­lig« ver­las­sen, weil die Füh­rer der ara­bi­schen Welt sie per Rund­funk dazu auf­ge­for­dert hätten.

Er zählt aber nicht zu jenen Israe­lis (wie etwa Ilan Pap­pé), die die »eth­ni­sche Säu­be­rung« Paläs­ti­nas für eine poli­ti­sche Erb­sün­de Isra­els hal­ten, die durch Zuge­ständ­nis­se an die Paläs­ti­nen­ser gesühnt wer­den muß.

Viel­mehr äußer­te er in einem Inter­view die Ansicht, daß eine »voll­stän­di­ge« – und nicht nur wie gesche­hen eine teil­wei­se – Ver­trei­bung »den Staat Isra­el für Gene­ra­tio­nen sta­bi­li­siert« hät­te. (1) Man könn­te hin­zu­fü­gen: eben­so wie Euro­pa nach­hal­tig durch Flucht und Ver­trei­bung von etwa 14 Mil­lio­nen Deut­schen »sta­bi­li­siert« wurde.

Gefragt, ob er sich auch heu­te an Ver­trei­bun­gen betei­li­gen wür­de, ver­nein­te er dies aus mora­li­schen und rea­lis­ti­schen Grün­den, füg­te jedoch hin­zu, daß er sich der­ar­ti­ges »unter ande­ren, apo­ka­lyp­ti­schen Umstän­den, die in fünf oder zehn Jah­ren ein­tre­ten könn­ten«, durch­aus vor­stel­len kön­ne: »Wenn wir mit Atom­waf­fen um uns her­um kon­fron­tiert wer­den, oder wenn es einen all­ge­mei­nen ara­bi­schen Angriff auf uns gibt und eine Kriegs­si­tua­ti­on mit Ara­bern, die im Hin­ter­land Kon­vois auf dem Weg zur Front beschie­ßen, wer­den Ver­trei­bungs­ak­tio­nen völ­lig ver­nünf­tig sein. Sie könn­ten sogar unab­ding­bar sein.«

Seit dem Angriff der Hamas auf israe­li­sche grenz­na­he Kib­bu­ze und Klein­städ­te am 7. Okto­ber 2023 und den dar­auf­fol­gen­den wochen­lan­gen Bom­bar­de­ments des Gaza­strei­fens durch israe­li­sche Streit­kräf­te schei­nen die­se »apo­ka­lyp­ti­schen Umstän­de« näher als je zuvor gerückt zu sein. Mas­sen­ver­trei­bun­gen haben noch nicht statt­ge­fun­den; soll­te es dazu kom­men, ist mit einem Ein­griff wei­te­rer Par­tei­en in den Krieg zu rech­nen, der schlimms­ten­falls den Kon­flikt zu einem Welt­krieg aus­wei­ten könn­te. »Alle Optio­nen sind auf dem Tisch«, droh­te der Gene­ral­se­kre­tär der His­bol­lah, Hassan Nas­ral­lah, am 3. Novem­ber. »Alle Mög­lich­kei­ten an unse­ren liba­ne­si­schen Fron­ten sind in Reich­wei­te.« Am 6. Novem­ber, als die Zahl der getö­te­ten Zivi­lis­ten in Gaza mit angeb­lich über zehn­tau­send jene des rus­sisch-ukrai­ni­schen Krie­ges über­schrit­ten hat­te, äußer­te der jor­da­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Bis­her al-Kha­saw­neh, sein Land wer­de jeg­li­chen Ver­such einer Ver­trei­bung der Paläs­ti­nen­ser als »Kriegs­er­klä­rung« betrachten.

Die Kriegs­rhe­to­rik der israe­li­schen Füh­rung hat inzwi­schen einen kaum noch zu über­bie­ten­den Erhit­zungs­grad erreicht. Der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Joav Gal­lant kün­de­te eine »kom­plet­te Bela­ge­rung« des Gaza­streifens an und bezeich­ne­te des­sen Bevöl­ke­rung als »mensch­li­che Tie­re«. Der Minis­ter für Kul­tur­er­be, Ami­chai Eli­ja­hu, zog in Betracht, eine Atom­bom­be auf Gaza zu wer­fen, wäh­rend Staats­prä­si­dent Her­zog mein­te, es sei »eine gan­ze Nati­on da drau­ßen«, die für die Taten der Hamas »ver­ant­wort­lich« sei.

Minis­ter­prä­si­dent Netan­ja­hu spick­te eine Kriegs­re­de mit Bibel­zi­ta­ten, inklu­si­ve der berüch­tig­ten Beschwö­rung: »Erin­nert euch dar­an, was ­Ama­lek euch ange­tan hat« (2. Mose 17,8), die einen geno­zi­da­len Kon­text hat: Im ers­ten Buch Samu­el (15,2–3) for­dert Jah­we König Saul auf: »Ich habe nicht ver­ges­sen, was die Ama­le­ki­ter mei­nem Volk ange­tan haben. […] Dar­um sollst du nun gegen die­ses Volk in den Kampf zie­hen und mein Urteil an ihnen voll­stre­cken! Ver­scho­ne nichts und nie­man­den, son­dern töte Män­ner und Frau­en, Kin­der und Säug­lin­ge, Rin­der und Scha­fe, Kame­le und Esel.«

Am 28. Okto­ber ver­öf­fent­lich­te das israe­li­sche Maga­zin Meko­mit ein gele­ak­tes Doku­ment aus dem Minis­te­ri­um für Nach­rich­ten­diens­te, datiert auf den 13. Okto­ber, das vor­sieht, den Gaza­strei­fen zu beset­zen und des­sen über zwei Mil­lio­nen Bewoh­ner zu ver­trei­ben. Von Netan­ja­hu als »vor­läu­fi­ges Papier« abge­tan, ste­hen Plä­ne die­ser Art in einer lan­gen Tra­di­ti­on, die bis zu den Wur­zeln des Staa­tes Isra­el zurück­reicht. Um in dem bri­ti­schen Man­dats­ge­biet Paläs­ti­na einen jüdi­schen Staat errich­ten zu kön­nen, bedurf­te es einer jüdi­schen Bevöl­ke­rungs­mehr­heit, die die Zio­nis­ten seit Ende des Ers­ten Welt­kriegs durch geziel­te Ein­wan­de­rung zu errei­chen suchten.

Die »Bal­four-Dekla­ra­ti­on« von 1917 ver­lang­te die Berück­sich­ti­gung der »bür­ger­li­chen und reli­giö­sen Rech­te der bestehen­den nicht­jü­di­schen Gemein­schaf­ten in Paläs­ti­na«, die zu die­sem Zeit­punkt noch die Mehr­heit stell­ten. Um einen »homo­ge­nen jüdi­schen Staat oder zumin­dest einen Staat mit einer über­wäl­ti­gen­den jüdi­schen Mehr­heit zu schaf­fen« (Ben­ny ­Mor­ris), genüg­te die blo­ße Ein­wan­de­rung von Juden jedoch nicht. Tom ­Segev, ein wei­te­rer israe­li­scher His­to­ri­ker, berich­tet: »Der Trans­fer-Gedan­ke war von Anfang an Teil der zio­nis­ti­schen Bewe­gung. Im Kern bestand der zio­nis­ti­sche Traum dar­in, die Ara­ber ›zum Ver­schwin­den zu brin­gen‹, was zugleich eine Grund­vor­aus­set­zung für die Exis­tenz die­ses Traums war.« (2)

Nur weni­ge Zio­nis­ten zwei­fel­ten dar­an, daß ein sol­cher Trans­fer mora­lisch ver­tret­bar sei, nicht zuletzt, weil es doch genü­gend ara­bi­sche Nach­bar­staa­ten gebe, in denen die Ara­ber Paläs­ti­nas statt­des­sen leben könn­ten. Eini­ge heg­ten die Hoff­nung, die­ser Trans­fer kön­ne auf fried­li­chem Wege, durch »Über­ein­kunft«, gesche­hen, wäh­rend ande­re rea­lis­ti­scher­wei­se mit erheb­li­chem Wider­stand der Trans­fer­ob­jek­te rech­ne­ten. Die wach­sen­de Furcht der Ara­ber, zur Min­der­heit im eige­nen Land zu wer­den, führ­te bereits in den 1920er Jah­ren zu »punk­tu­el­len, nicht sel­ten grau­sa­men oder chao­ti­schen Aus­brü­chen von Gewalt gegen­über ein­zel­nen Juden oder klei­nen jüdi­schen Sied­lun­gen«. (3)

In den drei­ßi­ger Jah­ren führ­te die anti­se­mi­ti­sche Poli­tik der Natio­nal­so­zia­lis­ten zu wei­te­ren Ein­wan­de­rungs­wel­len. Der ara­bi­sche Wider­stand kul­mi­nier­te schließ­lich im Auf­stand von 1936 / 39, der von der bri­ti­schen Kolo­ni­al­macht im Ver­bund mit jüdi­schen para­mi­li­tä­ri­schen Trup­pen nie­der­ge­schla­gen wur­de. 1945 bis 1948, nach Ende des Zwei­ten Welt­kriegs und des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Völ­ker­mords, ström­ten wei­te­re Wel­len ­ille­ga­ler jüdi­scher Ein­wan­de­rer nach Paläs­ti­na und erzeug­ten eine »Flücht­lings­kri­se«, die die Bri­ten unter erheb­li­chen Druck setz­te, den For­de­run­gen der Zio­nis­ten nach Tei­lung des Lan­des nachzugeben.

Der Krieg von 1948, des­sen Ursa­chen der von den Ara­bern abge­lehn­te Tei­lungs­plan der UNO und die Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung des Staa­tes Isra­el waren, schuf schließ­lich den von man­chen radi­ka­len Zio­nis­ten ersehn­ten Aus­nah­me­zu­stand, der es ermög­lich­te, rund 700 000 Ara­ber, etwa die Hälf­te der Vorkriegs­population, gewalt­sam zu ver­trei­ben, zum Teil mit aus­ge­spro­che­nen Ter­ror­me­tho­den. Damit war das »demo­gra­phic engi­nee­ring«, das dem Staat Isra­el sein eth­no­kul­tu­rel­les Fun­da­ment geben soll­te, jedoch noch nicht abge­schlos­sen. Bis 1951 soll­te sich die jüdi­sche Bevöl­ke­rung Isra­els ver­dop­peln, vor allem durch den Zufluß ori­en­ta­li­scher Juden, die nun ihrer­seits zu Hun­dert­tau­sen­den aus Län­dern wie dem Irak, Ägyp­ten, Liby­en und Jemen ver­trie­ben oder hin­aus­ge­preßt wurden.

Isra­els Exis­tenz steht und fällt nach wie vor mit der demo­gra­phi­schen Fra­ge. Geo­po­li­tisch gese­hen, ist Isra­el eine jüdi­sche Insel in einem Meer von Ara­bern, die vor­wie­gend als feind­li­cher west­li­cher Kolo­ni­al­staat, hete­ro­ge­nes »Ein­spreng­sel von ›Moder­ni­tät‹« (Nol­te) und mit Nukle­ar­waf­fen aus­ge­stat­te­ter Arm des ame­ri­ka­ni­schen Impe­ria­lis­mus wahr­ge­nom­men wird. Wer sich auf Isra­el posi­tiv als »Vor­pos­ten des Wes­tens« bezieht, bestä­tigt sei­ten­ver­kehrt die­ses Bild.

Isra­el steht heu­te einem wach­sen­den ara­bi­schen »youth bul­ge« gegen­über, sowohl inner­halb sei­nes Staats­ge­biets als auch im West­jor­dan­land und in Gaza, wo die Hälf­te der etwa 2,048 Mil­lio­nen Ein­woh­ner unter 18 Jah­re alt ist. Sei­ne Bewoh­ner betrach­ten ihren Kin­der­reich­tum als »demo­gra­phi­sche Waf­fe«, und prak­tisch jeder ein­zel­ne, der dort lebt, ist der Ansicht, daß Isra­el gestoh­le­nes Land sei, das recht­mä­ßig sei­nem eige­nen Volk zuste­he. Zukunfts­per­spek­ti­ven gibt es fast kei­ne, dafür aber Armut, Arbeits­lo­sig­keit und einen über Gene­ra­tio­nen auf­ge­stau­ten Zorn über wie­der­holt erlit­te­nes Unrecht.

Wer Gun­nar Hein­sohns Söh­ne und Welt­macht gele­sen hat, weiß, daß dies eine äußerst explo­si­ve und gewalt­träch­ti­ge Mischung ist. Der Anteil der ara­bi­schen Staats­bür­ger Isra­els, eine »Min­der­heit im eige­nen Land«, beträgt rund 21 Pro­zent (1,89 Mil­lio­nen), und etli­che von ihnen erwar­ten sehn­süch­tig den Tag, an dem sie »ihr« Land wie­der zurück­ho­len kön­nen. Laut einem Bericht der Orga­ni­sa­ti­on Human Rights Watch vom 27. April 2021 ste­hen sich im »groß­is­rae­li­schen« Gesamtraum zwi­schen Mit­tel­meer und Jor­dan nun exakt 6,8 Mil­lio­nen Juden und 6,8 Mil­lio­nen Ara­ber gegenüber.

In die­sem demo­gra­phi­schen Wett­rüs­ten hat Isra­el den Beschleu­ni­gungs­gang ein­ge­legt: Die Sied­ler der »West­bank« und die Juden in Isra­el holen gebur­ten­mä­ßig all­mäh­lich auf (3,13 Kin­der pro Frau im Jahr 2021), aller­dings vor allem in rela­ti­ver Hin­sicht, weil die Gebur­ten­ra­te der Ara­ber gesun­ken ist (seit 2016 auf 2,85 Kin­der pro Frau). Inner­halb des Lan­des sind es heu­te die ultra­or­tho­do­xen Hare­dim, die mit einer Gebur­ten­ra­te von 6,6 Kin­dern pro Frau am stärks­ten zum jüdi­schen Bevöl­ke­rungs­wachs­tum bei­tra­gen, zugleich aber auf­grund ihres reli­giö­sen Anti­zio­nis­mus für erheb­li­che gesell­schaft­li­che Span­nun­gen sorgen.

Zuge­spitzt gesagt, ist das ent­schei­den­de, exis­ten­ti­el­le Inter­es­se Isra­els, so vie­le Ara­ber wie mög­lich los­zu­wer­den. So ist es kaum ver­wun­der­lich, daß im Inne­ren des Staa­tes Plä­ne zu eth­ni­schen Säu­be­run­gen dis­ku­tiert wer­den, die mit Sicher­heit schon län­ger in den Schub­la­den lie­gen. Doch wohin mit den Ver­trie­be­nen, wenn sich die ara­bi­schen Nach­bar­län­der wei­gern, sie auf­zu­neh­men? Das von Meko­mit gele­ak­te Doku­ment sieht ihre Ansied­lung vor allem in Ägyp­ten, auf das zu die­sem Zweck über die USA Druck aus­ge­übt wer­den soll, sowie in ver­schie­de­nen euro­pä­isch-west­li­chen Län­dern vor, aus irgend­ei­nem Grund ins­be­son­de­re in Grie­chen­land, Spa­ni­en und Kanada.

Wer nun auf­grund der mas­si­ven Prä­senz mili­tant isra­el­feind­li­cher, häu­fig isla­mis­ti­scher Ara­ber und art­ver­wand­ter Ein­wan­de­rer auf den Stra­ßen Euro­pas denkt, Euro­pa und Isra­el wür­den »den­sel­ben« Kampf kämp­fen, der unter­liegt einer opti­schen Täu­schung. Die Situa­ti­on ist sei­ten­ver­kehrt: Isra­el ist ein Staat, der von Ein­wan­de­rern und Flücht­lin­gen im Zuge eines »gro­ßen Aus­tau­sches« auf Kos­ten der ansäs­si­gen Bevöl­ke­rung errich­tet wur­de, die sich jedoch nicht geschla­gen gibt und danach strebt, auf ihrem ange­stamm­ten Gebiet wie­der die Mehr­heit zu stel­len, womit der sie beherr­schen­de Staat zuneh­mend in ein »süd­afri­ka­ni­sches« Dilem­ma gerät.

An die­ser Tat­sa­che ändert auch die zio­nis­ti­sche Ideo­lo­gie der »Ali­ja« nichts, die die jüdi­sche Ein­wan­de­rung nach Isra­el-Paläs­ti­na als »Rück­kehr« nach nahe­zu zwei­tau­send Jah­ren Exil deu­tet – ein erstaun­li­cher, nach Nol­te welt­his­to­risch »sin­gu­lä­rer« Anspruch. In Deutsch­land hin­ge­gen sind die ara­bi­schen Min­der­hei­ten Teil eines Bevöl­ke­rungs­aus­tau­sches durch hete­ro­ge­ne Ein­wan­de­rer und Flücht­lin­ge, der auf lan­ge Sicht die Deut­schen zur Min­der­heit im eige­nen Land machen könn­te, was in man­chen Städ­ten und Stadt­vier­teln bereits der Fall ist.

Eine offi­zi­el­le Zäh­lung der in Deutsch­land leben­den Staats­bür­ger ara­bi­scher Län­der ergab Ende Dezem­ber 2021 1 492 660 Per­so­nen (etwa fünf­mal so vie­le, wie 2008 gezählt wur­den). Wie vie­le davon Paläs­ti­nen­ser sind, ist schwer zu bestim­men, da die­se ent­we­der staa­ten­los sind oder liba­ne­si­sche, jor­da­ni­sche, ägyp­ti­sche und ande­re Päs­se besit­zen; das Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land nennt eine Zahl von »175 000 bis 225 000 Men­schen«. Unbe­rück­sich­tigt ist in die­sen Sta­tis­ti­ken die Zahl jener ara­bi­schen »Migra­ti­ons­hin­ter­gründ­ler«, die bereits ein­ge­bür­gert sind und somit als »Deut­sche« gezählt wer­den. Ihre Zahl beträgt ver­mut­lich meh­re­re hunderttausend.

Das größ­te ara­bi­sche Kon­tin­gent in Deutsch­land stel­len Syrer mit über 867 500 Men­schen, eine Fol­ge der Mer­kel­schen Asyl­po­li­tik, die auch von hie­si­gen jüdi­schen Orga­ni­sa­tio­nen unter­stützt wur­de. Der pro­zio­nis­ti­sche Publi­zist Micha­el Wolff­sohn sprach von einem »Geschenk des Him­mels«, ehe er sei­ne Mei­nung nach Angrif­fen die­ser Geschen­ke auf Mit­glie­der sei­nes eige­nen Vol­kes etwas modi­fi­zier­te. In die­sem Zusam­men­hang von Belang ist auch die Tat­sa­che, daß die Flücht­lings­kri­se von 2015 Fol­ge eines von vie­len Nah­ost-Krie­gen war, an denen die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka und Isra­el maß­geb­lich mit­ge­mischt haben. Das Mus­ter »inva­de them, invi­te them« (etwa: bei ihnen ein­fal­len, sie ein­la­den), das sich in der Bush-Ära nach »9/11« ver­fes­tigt hat­te, ist auch hier wirksam.

Aus eth­no­kul­tu­rel­ler Sicht hät­te Deutsch­land, wenn es kei­ne anti­deutsch ori­en­tier­te Regie­rung hät­te, ein Inter­es­se an Remi­gra­ti­on die­ser allo­chtho­nen Ara­ber, wäh­rend Isra­el ein Inter­es­se an Expul­si­on »sei­ner« auto­chtho­nen Ara­ber hat. Es wirkt nun fast schon wie ein iro­ni­scher Schach­zug, wenn Olaf Scholz und ande­re als Ant­wort auf die pro­pa­läs­ti­nen­si­schen Auf­mär­sche Auf­nah­me­stopps und Abschie­bun­gen »im gro­ßen Stil« für »Anti­se­mi­ten« for­dern. Damit wäre der Kana­li­sie­rung einer Flücht­lings­wel­le aus Gaza Rich­tung Deutsch­land theo­re­tisch ein Rie­gel vor­ge­scho­ben, wobei noch abzu­war­ten ist, ob die­sen Sprü­chen auch wirk­lich Taten fol­gen wer­den. »Main­stream« gewor­den sind nun jeden­falls etli­che For­de­run­gen von »Islam­kri­ti­kern« der alten Gar­de, die das Unbe­ha­gen an der Isla­mi­sie­rung häu­fig in eine bedin­gungs­lo­se Par­tei­nah­me für Isra­el umzu­mün­zen versuchten.

Aus rein machia­vel­lis­ti­scher Sicht könn­te die Prä­senz von Mil­lio­nen Mus­li­men in West­eu­ro­pa für Zio­nis­ten etli­che Vor­tei­le bie­ten: Sie weckt bei brei­ten Bevöl­ke­rungs­schich­ten anti­ara­bi­sche Res­sen­ti­ments und pro­zio­nis­ti­sche Sym­pa­thien und mag auch vie­le Dia­spo­ra­ju­den zur »Ali­ja« bewe­gen. Wie der Haupt­fi­gur aus dem Roman Unter­wer­fung steht uns jedoch kein Isra­el zur Ver­fü­gung, in das wir flie­hen kön­nen, soll­te es in der Zukunft zu isla­mi­schen Macht­über­nah­men oder bür­ger­kriegs­ar­ti­gen Ver­wer­fun­gen kom­men, wie von Michel Hou­el­le­becq prophezeit.

Mit Gewalt und Ter­ror­an­schlä­gen ist jeden­falls ange­sichts der Mas­sen an isra­el­feind­li­chen Ein­wan­de­rern und Asy­lan­ten auch in Deutsch­land zu rech­nen, soll­te sich der lau­fen­de Krieg aus­wei­ten und die deut­sche Regie­rung sich wei­ter­hin blind­lings zu Isra­el beken­nen. Wir Rech­ten sind nun in der uner­quick­li­chen Lage, wie die Zio­nis­ten der Grün­der­ge­nera­ti­on über mög­lichst fried­li­che und frei­wil­li­ge »Trans­fers« (wir nen­nen es: »Remi­gra­ti­on«) nach­den­ken zu müs­sen, ohne ein Äqui­va­lent der Zio­nis­ti­schen Welt­or­ga­ni­sa­ti­on hin­ter uns zu haben. Denn auch unse­rem Volk könn­te eines Tages eine »Nak­ba«, eine eth­ni­sche Säu­be­rung, bevor­ste­hen, min­des­tens aber der Sta­tus als Min­der­heit im eige­nen Land.

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(1) – Vgl. counterpunch.org vom 12. Janu­ar 2004.

(2) – Alle Zita­te aus: Nor­man Fin­kel­stein: Der Kon­flikt zwi­schen Isra­el und den P­alästinensern, Kreuz­lingen / Mün­chen 2002.

(3) – Ernst Nol­te: Die drit­te radi­ka­le Widerstands­bewegung: Der Isla­mis­mus, ­Ber­lin 2009, S. 180.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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