Reden ist Unterscheiden. Wenn wir nicht mehr unterscheiden können, dann können wir auch nicht mehr reden.
Das postmoderne Denken und der aus ihm hervorgegangene Wokeismus behaupten hingegen, wir müßten das binäre Unterscheiden – also das Abheben von etwas als etwas vor dem Hintergrund eines anderen – bleiben lassen, denn alles Unterscheiden sei diskriminierend. Und was diskriminierend sei, sei unterdrückend.
Man zwinge nämlich durch das Unterscheiden und folglich durch das Diskriminieren ein Etwas in die Rolle eines fixen Etwas, und das mache es unmöglich, daß dieses Etwas auch anders werden oder zumindest unter neuem Licht als ein anderes erscheinen könne. Im Unterscheiden, so scheint man zu meinen, versteinere die Welt zu harten Unterschieden, die uns allen den freien Atem nähmen, uns und die Welt zu verändern.
Nun machen wir aber beständig Unterschiede, wenn wir reden. Wir nennen die Straßenbahn »Straßenbahn« und nicht »Kamel«, wir nennen den Hund »Hund« und nicht »Katze«, und wir meinen, das müsse so sein, weil die Straßenbahn kein Kamel und der Hund keine Katze sei. Und schon werden wir der Naivität gescholten: Das seien alles nur Wörter für Dinge und Sachverhalte, sagt man uns; und da diese Wörter mit den Dingen und Sachverhalten nicht fest verdrahtet seien, könne man sie jederzeit auch ändern.
Ob also ein Hund ein Hund sei, hänge nicht davon ab, ob der Hund wirklich ein Hund sei, sondern davon, daß eine Sprachgemeinschaft irgendwann einmal entschieden habe, daß ein Hund »Hund« heißen solle. Diese Entscheidung wiederum sei nicht nach langen Beratungen gefallen, sondern beruhe letztlich auf Machtprozessen: Wie wir etwas nennten, hänge davon ab, welche Macht uns die Benennung aufgenötigt habe.
Aus dieser Perspektive wird die Wahrheitsfrage – ob der Hund wirklich ein Hund sei – ersetzt durch die Machtfrage: Welche Macht hat uns dazu gebracht, den Hund »Hund« zu nennen? Seither werden wissenschaftliche Debatten (und nicht nur diese) von einer Logik des Verdachts regiert: Jeder Anspruch, etwas Wahres zu sagen, wird abgewiesen und durch den Anspruch ersetzt, die Motive des Wahr-Sagens zu enthüllen und daraufhin zu prüfen, ob das Gesagte möglichst diskriminierungsfrei ist.
Da man dabei aber immer wieder entdeckt, daß das Vermeiden eines Unterschieds und also einer Diskriminierung an irgendeiner Stelle dann doch etwas von etwas unterscheidet, dreht sich seither das Rad der Verdächtigungen, und die Wahrheitsfrage wird gänzlich zur Moralfrage. Nämlich zu der Frage, wie ein diskriminierungsfreier Diskurs zu führen ist, der nur als diskriminierungsfreier Diskurs auch wahr sein kann und sich in dem Moment als falsch enthüllt, da er unterscheidend diskriminiert. Wird folglich, in welcher Debatte auch immer, auch nur die leiseste Spur einer Unterscheidung entdeckt, wird aus dem Unterscheiden ein Diskriminieren und aus dem Diskriminieren ein machtbasiert-oppressives Sprechen, das den Ansprüchen auf Diskriminierungsfreiheit nicht genüge.
Wenn es gelingt, ein Sprechen der Diskriminierung zu überführen, weil irgendwo in der Rede ein Unterschied steckt, wird aus dem Verfehlen des Anspruchs auf diskriminierungsfreies Sprechen der Vorwurf der grundlegendsten aller Sprach- und Machtsünden: nicht diskriminierungsfrei, sondern oppressiv gesprochen zu haben. Und folglich wird der Sprecher in die Hölle verbannt: in die akademische Hölle des hinfort Beschwiegenen, in die gesellschaftliche Hölle des ab jetzt Gecancelten.
Seitdem die Dinge sich in dieser Weise entwickelt haben, dreht sich alles nur noch um »Narrative«, also »Erzählungen« von einer Wirklichkeit, von der niemand mehr wissen will, wie sie wirklich ist, weil sie, so meinen jetzt alle, als solche gar nicht sagbar sei, sondern eben im Sprechen und Schreiben der Menschen narrativ erzeugt werde – weshalb alles darauf ankomme, das Narrativ absolut diskriminierungsfrei zu halten, denn nur das diskriminierungsfreie Narrativ könne überhaupt wahr sein, nämlich in dem Sinne, daß es die Wirklichkeit nicht durch Diskriminierungs- und also Machtprozesse verzerre.
Geht ein solches Sprechen dann an irgendeiner Stelle nicht auf, weil das, was man sagt, mit der Wirklichkeit nicht harmoniert, wird die Disharmonie zwischen Sprechen und Wirklichkeit nicht als Falschheit des Gesprochenen ausgelegt, sondern als Mangel des Narrativs. Es sei, so meint man, nur noch nicht mächtig genug, um die Wirklichkeit unter seine diskriminierungsfreie Knute zu zwingen. Und es sei deshalb nicht mächtig genug, weil noch viel zu viele der Meinung anhingen, das Sprechen müsse wirklichkeitsadäquat sein.
Es kommt folglich in dieser Sicht darauf an, den Menschen ihr falsches, wirklichkeitsadäquates Sprechen und Schreiben abzugewöhnen, notfalls durch Sprachverbote und Redesanktionen, und besser noch juristisch, indem man ein Sprechen, das dem gewünschten Narrativ nicht entspricht, als diskriminierendes Sprechen markiert und als »Hetze« strafrechtlich verfolgt.
Das ist die Lage. Sie ist ein Rückfall. Denn für jedes Sprechen und Schreiben gilt, daß es Unterschiede machen muß. Nur so kann überhaupt etwas Sinnvolles gesagt werden. Die in den letzten Jahren sich verstärkenden Kriege um allerlei »Narrative« sind von hier aus gerade nicht als ein Ausweg aus dem Diskriminieren zu begreifen, sondern als ein Irrweg in den nicht nur sprachlichen Bürgerkrieg, der den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat und sich nur noch um sich selbst dreht, weil er nur noch Narrative und Macht kennt. Die Wirklichkeit kennt er nicht mehr und auch nicht den Sinn der Welt, der von sich aus besteht und auf uns zukommt, wenn wir uns die Mühe machen, auf ihn zuzugehen.
Wer daher den Rückfall und den aus dem Rückfall wachsenden Bürgerkrieg vermeiden will, wird sich an jene Stelle begeben müssen, an der die Moderne auf einen Irrweg und die Postmoderne auf einen Abweg geraten ist. Diese Stelle ist jene, an der man zu meinen begann, daß Sprache und Wirklichkeit nichts miteinander zu tun hätten, Sprache nur Etiketten an Sachverhalte klebe, die jederzeit auch ein anderes Etikett tragen könnten. Es ist die Stelle, an der man zu meinen begann, daß alles irgendwie auch anders heißen könne und wir in unserem Sprechen und Denken nicht in der Lage seien, Sachhaltiges über die Wirklichkeit als solche auszusagen.
Geht man von der Stelle, an der die Moderne falsch abgebogen ist, einen Schritt zurück, dann stehen wir in einer von Aristoteles gebahnten Spur, die über Thomas von Aquin und Meister Eckhart bis zu Hegel führt und mit der Aufschrift »objektiver Idealismus« in eine Schublade gesteckt und liegengelassen wurde. Öffnen wir diese Schublade und nehmen wir heraus, was sich darin befindet.
Wir finden dann ein Sprechen über etwas, das sich für das interessiert, was dieses Etwas jeweils ist. Im Unterschied aber zu dem, was unsere Modernen, Postmodernen und Woken meinen, hieß das niemals, daß etwas als etwas im Unterscheiden von anderem in seinem steinernen und unveränderbaren Sein festgeschrieben werde. Es hieß vielmehr, zu unterscheiden, ob etwas als dieses Etwas sich überhaupt verändern und in welcher Hinsicht es sich verändern könne – und in welcher Hinsicht es sich nicht verändere und es selbst bleibe.
So hat man natürlich immer klar gesehen, daß etwas durchaus anders werden kann, aber nur im Rahmen dessen, was es ist. Ein Beispiel: Eine rote Rose kann auch braun werden, nämlich dann, wenn sie verwelkt. Dann ist sie keine rote Rose mehr, aber immer noch eine Rose, nämlich eine braune Rose, die vor einigen Tagen noch rot war. Das heißt, wir haben hier einen Übergang innerhalb eines vorgegebenen Entwicklungspfades, der für Rosen typisch ist: daß sie, wenn sie verwelken, ihre Farbe verändern.
Und ebenso klar hat man immer gesehen, daß etwas nicht zu etwas werden kann, was in diesem Etwas nicht als Entwicklungsmöglichkeit angelegt ist. Man sagte dann: Das Wesen einer Sache kann nicht gegen ein anderes Wesen ausgetauscht werden. So kann die oben gedachte Rose niemals zu einer Tulpe werden, denn der Entwicklungspfad der Rose ist der Rosenpfad, der Entwicklungspfad der Tulpe ist hingegen der Tulpenpfad, und beide Pfade kreuzen sich nicht.
Das gilt von allem, was ist, von allen Lebewesen und natürlich auch vom Menschen: Ein Mann entwickelt sich auf dem für Männer typischen Entwicklungspfad, und dabei kann er niemals zu einer Frau werden, genausowenig wie eine Frau zu einem Mann werden kann. Eine Frau kann nur innerhalb des Entwicklungspfades für Frauen bestimmte Entwicklungen forcieren oder verhindern, aber auch da sind ihr enge Grenzen gesetzt, denn der Eingriff des Menschen in den typischen Entwicklungspfad bringt immer Nebenwirkungen hervor, die die weitere Entwicklung beeinflussen.
Wer als Frau beispielsweise eine Hormonpille nimmt, beeinflußt den natürlichen Entwicklungspfad, indem sie mit der Einnahme womöglich eine Schwangerschaft vermeidet, aber zugleich ein höheres Krebsrisiko in Kauf nimmt. Schwangerschaft und Krebs gehören aber beide zum Entwicklungspfad einer Frau, sie sind in diesem Pfad möglich. Ob sie auch wahrscheinlich sind, ist eine ganz andere Frage. Sie hängen von konkretem Handeln und konkreten Umständen ab, etwa davon, ob eine Frau, die wie alle Frauen die Möglichkeit zum Schwangerwerden hat, überhaupt einem Mann begegnet und mit ihm Verkehr hat.
Die Moderne und erst recht die Postmoderne verkennen den Unterschied zwischen diesen beiden Unterschieden von »Unterschied«: daß etwas im Rahmen seines Entwicklungspfades anders werden und daher sich von sich in gewisser Weise unterscheiden kann (die welkende Rose) – und daß etwas niemals ein anderes Wesen werden kann (das Wesen der Rose kann nicht das Wesen einer Tulpe werden, das Wesen des Mannes nicht das Wesen einer Frau, sie sind in ihrem Wesen auf immer unterschieden).
Daher ist das, was uns seit einigen Jahrhunderten mit zunehmender und inzwischen panische Züge annehmender Lautstärke gesagt wird, objektiv unwahr. Und weil es objektiv unwahr ist, führt es zu einer Katastrophe, wenn man die genannten Unterschiede im praktischen Leben beiseite wischt: Dann kann man anfangen, am Wesen eines Lebewesens herumzumanipulieren, in der irrigen Vorstellung, daß etwa das Abschneiden der weiblichen Brüste aus der Frau einen Mann mache. In Wahrheit macht es aber aus der Frau nichts anderes als eine in ihrer Entwicklungsmöglichkeit eingeschränkte Frau. Nie mehr wird sie einem Kind die Brust geben können.
Genau besehen, haben wir daher in dem Denken, das sachhaltiges Unterscheiden vermeiden will und überall Kämpfe um »Narrative« führt, nichts weiter als ein rein technisches Denken auf der Ebene der Machbarkeiten und Machenschaften. Es verstellt das Sein; es ist, heideggerisch gesprochen, eine Apologie des Gestells, die sich in unserer Epoche auf den menschlichen Körper wendet und ihn zerstört – und damit das Wesen des Menschen angreift.
Das Wesen jedoch ist ewig, es ist nicht veränderbar. Man kann es eine Zeitlang verhüllen und verbergen, aber es meldet sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Daher die zunehmende Wut der postmodern-woken Manipulateure des Seins, wenn sie erkennen, daß sie immer noch in ihrem alten Wesen festsitzen und trotz der zehnten Operation noch nicht von der Frau zum Mann geworden sind. Also sinnt man auf noch komplexere Operationen und auf noch komplexere Ideologiearbeit, um die Leute hinters Licht und auf den Weg zu führen, der vom Sein und damit vom Leben wegführt, aber das Narrativ erhält.
Es gibt eine schräge Notiz Ernst Jüngers, die ich als Hinweis auf den Zusammenhang von industrieller Vernutzung des Wesens und Zerstörung des Leibes durch Vermeidung des wirklichkeitsadäquaten Unterscheidens lese. Die Notiz findet sich in dem kurzen Text »Über den Schmerz« und lautet: »Es liegt der merkwürdige Gedanke nahe, daß die Entdeckung des Arbeiters von der Entdeckung eines dritten Geschlechtes begleitet wird.«