Sind Sie noch ein Mann der Kirche, Herr Pfarrer?

Wiggo Mann im Gespräch mit Pfarrer Michaelis

PDF der Druckfassung aus Sezession 117/ Dezember 2023

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Mar­tin Michae­lis wohnt in Qued­lin­burg und ist in Gaters­le­ben als Pfar­rer tätig. Er war Vor­sit­zen­der des Thü­rin­ger Pfarr­ver­eins und Vor­sit­zen­der der Pfarr­ver­tre­tung der Evan­ge­li­schen Kir­che in Mit­tel­deutsch­land (EKM), gewis­ser­ma­ßen Ober­be­triebs­rat, außer­dem Vor­sit­zen­der der Pfar­rer­ge­samt­ver­tre­tung der Ver­ei­nig­ten Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che Deutsch­lands (VELKD). Am Refor­ma­ti­ons­tag 2022 woll­te er einen Got­tes­dienst in St. Aegi­dii in Qued­lin­burg fei­ern und auch meh­re­re Kin­der tau­fen. Die Türen der Kir­che waren aller­dings ver­rie­gelt – von innen. Im Gespräch mit der Sezes­si­on erzählt er, wie es dazu kam, in wel­chem Zustand sich die Kir­che und der Glau­ben an Gott in Deutsch­land befin­den und ob die­se noch eine Zukunft haben.

 

 

 

Sezes­si­on: Herr Michae­lis, in einem Bei­trag über Sie titel­te die Bild-Zei­tung Anfang Novem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res: »Quer­den­ker-Pfar­rer muß in der Höl­le tau­fen«. Seit wann glaubt die Bild an Him­mel und Höl­le und wie kam es dazu? 

Michae­lis: Für den Got­tes­dienst am Refor­ma­ti­ons­tag hat­ten wir alles kor­rekt bei der ört­li­chen Kir­chen­ge­mein­de ange­mel­det und den Schlüs­sel bekom­men. Jedoch wur­de mir eini­ge Tage vor­her mit­ge­teilt, daß man mir die Mikro­fon­an­la­ge abschal­ten wer­de, weil wir mit zehn Pla­ka­ten auf den Got­tes­dienst hin­ge­wie­sen hat­ten. Wahr­schein­lich soll­te nicht bekannt­wer­den, daß ich öffent­lich zu hören bin. Als sich die Kir­chen­tür mit dem Schlüs­sel dann nicht öff­nen ließ und sich auch nie­mand fand, der sie öff­nen woll­te oder konn­te, sind wir in den Hof unse­res pri­va­ten Hau­ses in Qued­lin­burg aus­ge­wi­chen. Wir haben bei schöns­tem Son­nen­schein den Got­tes­dienst, die drei Tau­fen und das hei­li­ge Abend­mahl unter frei­em Him­mel gefei­ert. Dank flei­ßi­ger Hel­fer und der Tat­sa­che, daß ich eine Tauf­scha­le und einen Abend­mahls­kelch selbst besit­ze, war das gut mög­lich. Die Stra­ße, in der wir woh­nen, heißt »Höl­le«. Des­halb kam es zu der kurio­sen Überschrift.

 

Sezes­si­on: Und was ist ein »Quer­den­ker-Pfarrer«?

Michae­lis: Die Berufs­be­zeich­nung »Quer­den­ker-Pfar­rer« gibt es natür­lich nicht. Wenn sie aller­dings damit mei­nen, daß ich ein Pfar­rer bin, der auf­recht sich sei­nes kri­ti­schen Ver­stan­des zu bedie­nen weiß, dann sol­len sie das mei­net­we­gen schrei­ben. Oft wird die­se Voka­bel ein­fach nur zur Dif­fa­mie­rung genutzt. Das ist das­sel­be wie mit den Wor­ten »Coro­na-Leug­ner« und »Coro­na-Kri­ti­ker«. Das wird mir öfter von bestimm­ten Medi­en ange­hängt, obwohl ich mich zur Exis­tenz des Coro­na­vi­rus gar nicht geäu­ßert habe. Ich habe das Virus auch nicht kri­ti­siert. Es hät­te sowie­so nicht auf mich gehört, hat es doch kein Ohr und kein Hirn. Mei­ne Kri­tik bezog sich auf die Maß­nah­men und den Umgang mit­ein­an­der. Lei­der wur­de ich dies­be­züg­lich von vie­len auch nicht gehört. Ob das ande­re Ursa­chen hat als beim Virus, las­se ich ein­mal offen.

 

Sezes­si­on: Was waren die Kon­se­quen­zen Ihrer Kritik?

Michae­lis: Bereits zu Ostern 2020 habe ich mich mit dem Text »Seid nüch­tern und wachet« zu den Ideen der Regie­rung und der Kir­chen­lei­tun­gen geäu­ßert, danach noch mehr­mals mit Tex­ten und in Vor­stands­be­rich­ten. Ich woll­te eine gesell­schaft­li­che und vor allem theo­lo­gi­sche Dis­kus­si­on anre­gen. Aus der Kir­chen­lei­tung wur­de mir aus beru­fe­nem Mun­de ins Gesicht gesagt, man habe sich ent­schie­den, mei­nen ers­ten Text tot­zu­schwei­gen. Da war er aller­dings bereits im Deut­schen Pfar­rer­blatt abge­druckt wor­den. Als ich dann in Son­ne­berg bei einem Lich­ter­ket­ten­spa­zier­gang sie­ben Minu­ten gespro­chen hat­te, kam es zu einer media­len und kirch­li­chen Reak­ti­on, aber eben zu kei­ner Dis­kus­si­on. Wahr­schein­lich um die­se zu ver­hin­dern, haben Kol­le­gen in der Pfar­rer­schaft und auch ein­zel­ne Per­so­nen der Lei­tung mit Vor­wür­fen mei­ne Abwahl aus allen Ämtern vorangetrieben.

 

Sezes­si­on: Wie gehen Sie damit um, daß es Men­schen der Kir­che waren, die Sie ver­ra­ten haben und die Kir­chen­tü­ren von innen verriegelten?

Michae­lis: Mit­tels einer Fest­stel­lungs­kla­ge gegen den Thü­rin­ger Pfarr­ver­ein habe ich erreicht, daß fest­ge­stellt wur­de, daß die Vor­wür­fe sub­stanz­los waren. Die Gegen­sei­te hat im August 2022 zuge­ste­hen müs­sen, daß ich in allen Klage­punkten recht hat­te. Sie haben den Saal mit einem Aner­kennt­nis­ur­teil ver­las­sen, so ziem­lich das Schlimms­te, was einem pas­sie­ren kann. Auch im lau­fen­den Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren gegen mich konn­ten kei­ne Amts­pflicht­ver­let­zun­gen nach­ge­wie­sen wer­den. Ledig­lich wirft man mir noch vor, ich hät­te einer Auf­for­de­rung des Per­so­nal­de­zer­nen­ten, nicht auf einer Demons­tra­ti­on zu spre­chen, nicht Fol­ge geleis­tet. Da die­sem Vor­wurf das staat­li­che Recht auf Mei­nungs- und Demons­tra­ti­ons­frei­heit und das kirch­li­che Recht auf freie Wort­ver­kün­di­gung ent­ge­gen­ste­hen, dürf­te eine Amts­pflicht­ver­let­zung woan­ders und nicht bei mir zu suchen sein.

 

Sezes­si­on: Um mit Gott in Ver­bin­dung zu tre­ten, schei­nen die Men­schen kein Kir­chen­dach über sich zu brau­chen – es genügt der Hof eines pri­va­ten Hau­ses. Das ent­spricht dem luthe­ri­schen Geis­te. Aber was ist mit dem Pfar­rer – braucht der eine Kirche?

Michae­lis: Es war eine der wich­ti­gen Erkennt­nis­se Mar­tin Luthers, daß die Kir­che als Insti­tu­ti­on nicht die ein­zig selig­ma­chen­de Ein­rich­tung ist, son­dern jeder selbst sich an Gott wen­den kann, Gott sich auch ohne Ver­mitt­ler einem zuwen­det. Nach der Augs­bur­gi­schen Kon­fes­si­on von 1530 ist die Kir­che dort, wo sich Chris­ten im Namen Jesu Chris­ti ver­sam­meln, um das Wort Got­tes zu ver­kün­di­gen und die Sakra­men­te ord­nungs­ge­mäß zu rei­chen. An die­sen Kri­te­ri­en kann man prü­fen, ob die insti­tu­tio­nel­le Kir­che der geist­li­chen Kir­che gedient oder sich von ihr ent­fernt, sie gar behin­dert hat. Das muß immer kri­tisch betrach­tet werden.

 

Sezes­si­on: Sie sind ein Mann Got­tes, aber sind Sie noch ein Mann der Kirche?

 Michae­lis: Ein Mann der geist­li­chen Kir­che will ich selbst­ver­ständ­lich immer blei­ben. Allein dar­auf bezieht sich mei­ne Loya­li­tät, nie­mals auf das Lei­tungs­per­so­nal, was eine Kon­flikt- und not­falls Lei­dens­be­reit­schaft mit und an der Insti­tu­ti­on um des Glau­bens wil­len ein­schließt. Wenn man als luthe­ri­scher Pfar­rer den Dienst antritt, soll­te einem das klar sein – und der Lei­tung eigent­lich auch.

 

Sezes­si­on: Die Lie­be des Staa­tes für sei­ne Bür­ger kam 2020 aus dem Was­ser­wer­fer und die Lie­be Got­tes – wie Sie in einer Rede in Wei­mar im Sep­tem­ber erzähl­ten – aus der Was­ser­pis­to­le. Was haben Sie damit gemeint? 

Michae­lis: Nun, ich habe tat­säch­lich ein Bild gefun­den, auf dem zu sehen war, wie ein Pfar­rer auf ein Kind mit der Was­ser­pis­to­le zielt, um es zu tau­fen. Ich fand es tra­gi­ko­misch, wie sich Geist­li­che selbst zur Kari­ka­tur machen, um staat­li­chen Anord­nun­gen Genü­ge zu tun. Es schien mir adä­quat, das mit sati­ri­schen Mit­teln auf­zu­grei­fen. Es gab noch mehr sol­cher Blü­ten, zum Bei­spiel, daß man gera­de im Jahr 2022 mit der Jah­res­lo­sung »Jesus Chris­tus spricht: Wer zu mir kommt, den wer­de ich nicht abwei­sen« bereit war, die soge­nann­ten G‑Regeln und somit Zugangs­be­schrän­kun­gen für Got­tes­diens­te ein­zu­füh­ren. Das hat vie­le vor den Kopf gesto­ßen. Man muß ja ein­mal fest­hal­ten, daß es dem Teu­fel gelun­gen ist, mit­tels Abstands­pflich­ten die Zahl der nutz­ba­ren Sitz­plät­ze in Kir­chen um 75 Pro­zent zu reduzieren.

 

Sezes­si­on: Hält das Chris­ten­tum nicht auch ohne Hygie­ne­kon­zep­te mög­li­che Ant­wor­ten auf eine Pan­de­mie bereit? Ich den­ke da an Jesus und die zehn Aussätzigen.

Michae­lis: Natür­lich, ganz vie­le, sogar aus weit schwe­re­ren Zei­ten – Lie­der, Gebe­te, geist­li­che Tex­te. Die Auf­ga­be wäre es doch gewe­sen, wenn es sich tat­säch­lich um eine hoch­ge­fähr­li­che Pan­de­mie gehan­delt hät­te, die Men­schen zu trös­ten, sie der Lie­be und Für­sor­ge Got­tes zu ver­ge­wis­sern, ihnen das Abend­mahl als Zei­chen der Ver­bun­den­heit mit dem auf­er­stan­de­nen Chris­tus zu rei­chen. Pfar­rer Chris­ti­an Scri­ver hat 1681 gera­de des­halb wei­ter gepre­digt, die Sakra­men­te gereicht und Kran­ke getrös­tet. Damals starb inner­halb von sechs Mona­ten mehr als ein Drit­tel der Mag­de­bur­ger. Die Kir­che heu­te, die genau­so die Auf­er­ste­hung und das ewi­ge Leben zu ver­kün­di­gen hat, ist in einer sta­tis­tisch nach­weis­bar nicht ver­gleich­ba­ren Situa­ti­on vor der Angst­ma­che mit dem Tod ein­ge­knickt. Die ers­ten Chris­ten und vie­le unse­rer evan­ge­li­schen Vor­fah­ren haben heim­lich unter Todes­ge­fahr Got­tes­diens­te gefei­ert. Was ist von die­sem Glau­bens­mut geblieben?

 

Sezes­si­on: Ich habe nach einer neu­en Gemein­de gesucht und drei ver­schie­de­ne evan­ge­li­sche Got­tes­diens­te besucht: Wäh­rend des ers­ten spiel­te man ame­ri­ka­ni­sche Rock-Kir­chen­mu­sik, sang auf eng­lisch und zeig­te im Hin­ter­grund eine Power­point-Prä­sen­ta­ti­on mit schwar­zen, knien­den und beten­den Foot­ball-Spie­lern; zudem erzähl­te ein Pfar­rer in Jeans von sei­ner eige­nen Schei­dung; eine Woche spä­ter pre­dig­te eine Pfar­re­rin mit Regen­bo­gen-Sto­la, und in der dar­auf­fol­gen­den Woche fand ein Kin­der-Got­tes­dienst statt, in dem man selbst­ge­mal­te Bil­der der Kin­der aus­stell­te, die biblisch-apo­ka­lyp­ti­sche Sze­na­ri­en bren­nen­der Wäl­der, einer über­flu­te­ten Stadt oder eines ver­wüs­te­ten Pla­ne­ten zeig­ten. Auf den Bil­dern waren zudem die Aus­sa­gen der Kin­der notiert, die ihre Angst dar­über aus­drück­ten, was mit unse­rer Erde wegen des Kli­ma­wan­dels gesche­hen könn­te. Hat­te ich ein­fach nur Pech oder sind sol­che Sze­nen normal?

Michae­lis: Also Pech hat­ten Sie alle­mal! So soll­te es nicht sein, daß Men­schen, vor allem Kin­der, mit Welt­un­ter­gangs­sze­na­ri­en erschreckt wer­den. Es ist eine ver­dreh­te Welt gewor­den. ­Mar­tin Luther hat sich für die Ver­kün­di­gung in der Mut­ter­spra­che ein­ge­setzt, damit es jeder ver­steht. Er hat dem Volk »aufs Maul geschaut«. Mit der Bibel­über­set­zung hat er Enor­mes geleis­tet, zuerst für die See­len der Men­schen, aber auch für unse­re aus­dif­fe­ren­zier­te deut­sche Spra­che. Das hohe Bil­dungs­ni­veau, das es in Deutsch­land gab, wur­de von den Refor­ma­to­ren, allen vor­an von Phil­ipp Melan­chthon, initi­iert. Bezüg­lich des geschie­de­nen Pfar­rers habe ich den Ein­druck, daß man mit den Sün­den eher koket­tie­ren möch­te, als sie zu bereu­en. Und bei den Welt­un­ter­gangs­sze­na­ri­en haben Sie übri­gens eine gut-bibli­sche Intui­ti­on gehabt, sagt Jesus doch im Lukas­evangelium (21,8): »Seht zu, laßt euch nicht ver­füh­ren. Denn vie­le wer­den kom­men unter mei­nem Namen und sagen: Ich bin’s, und: Die Zeit ist her­bei­ge­kom­men. – Folgt ihnen nicht nach!« Die Kir­chen pas­sen sich dem Zeit­geist an, statt ihm kri­tisch auf theo­lo­gi­schem Fun­da­ment zu begeg­nen und gege­be­nen­falls zu wider­spre­chen. Genau das haben uns doch die Pro­phe­ten, Jesus, Pau­lus und vie­le Chris­ten vor­ge­lebt, nicht zuletzt wäh­rend der Reformation.

 

Sezes­si­on: Ist die Dro­hung eines bren­nen­den Pla­ne­ten der Kli­ma­hys­te­ri­ker ver­gleich­bar mit dem Ablaß­han­del im 16. Jahr­hun­dert? Ich muß bei die­sem Bild an den Ablaß­pre­di­ger Johann ­Tet­zel den­ken, der ver­such­te, Chris­ten mit Bil­dern von im Fege­feu­er bren­nen­den Men­schen dazu zu bewe­gen, für sich oder ihre Ver­wand­ten Ablaß zu zahlen.

Michae­lis: Man kann das und vie­les mehr, zum Bei­spiel mRNA-Imp­fun­gen, schon mit dem Ablaß­han­del ver­glei­chen, wird doch die erzeug­te Angst zu einer gigan­ti­schen Umver­tei­lung des Reich­tums genutzt. Die Bil­der vom Fege­feu­er hat man durch die von Inten­siv­bet­ten und nächt­li­chen Sarg­trans­por­ten ersetzt. Um sich selbst und die Welt zu ret­ten, über­haupt »das Gute« zu tun, sol­len Men­schen ihr Geld ande­ren geben. Die Kli­ma­ab­ga­ben sprie­ßen aus den Regie­run­gen wie die Ablaß­brie­fe aus der Druckerpresse.

Inter­es­sant fin­de ich, wie sich die Dreis­tig­keit durch die Jahr­hun­der­te zieht. So schreibt Johann Tet­zel als Ant­wort auf die 45. der 95 The­sen Luthers noch im sel­ben Jahr 1517: »Geist­li­che Almo­sen [Tet­zel meint damit die Ablaß­brie­fe; M. M.] sind bes­ser als die leib­li­chen [für die Armen]; und die Almo­sen, so einer [als Ablaß] sich selbst tut, sind ordent­li­cher oder ste­hen in bes­se­rer Ord­nung, als jene, die leib­li­chen [Gaben für die Armen]. Dar­um, so jemand Ablaß bedarf, und möch­te dem Armen nicht hel­fen aus der Not, der tut viel bes­ser, daß er Ablaß löset, als daß er dem Armen als ver­lo­re­nem Ding [!] zu Hil­fe kom­me. Wer dar­wi­der leh­ret, der irret.« Da ver­steht man ­Mar­tin Luthers Widerstand.

Heu­te ist man davon gar nicht weit weg, wenn zum Bei­spiel immense Sum­men für mRNA-Impf­stof­fe aus­ge­ge­ben wer­den, anstatt Hun­ger und Armut zu bekämp­fen. Es ist ein­fach nur ver­lo­gen, jedoch die Ablen­kun­gen mit diver­sen, stän­dig wech­seln­den Ängs­ten machen es mög­lich. Einen Unter­schied gibt es natür­lich: Damals konn­ten die Men­schen noch selbst ent­schei­den, ob sie sol­che wert­lo­sen Ideen auf Papier kau­fen wol­len, wäh­rend das jetzt so orga­ni­siert wird, daß dem ja kei­ner ent­kom­men soll. Bei Erkennt­nis der heu­ti­gen Gewinn­mar­gen wür­de Johann Tet­zel ver­mut­lich erblas­sen, wenn ihn nicht gleich vor Neid der Schlag träfe.

 

Sezes­si­on: In Zei­ten des Frie­dens ver­ging kei­ne Papst­re­de und kein Kir­chen­tag ohne die For­de­rung nach Frie­den für die Welt – ich den­ke da auch an Leit­sät­ze wie »Schwer­ter zu Pflug­scha­ren«. In Zei­ten der Krie­ge, mit Blick auf die Ukrai­ne, den Jemen und aktu­ell auf den Gaza-strei­fen, herrscht dies­be­züg­lich auf­fäl­li­ge Stil­le sei­tens der Kir­che. Spielt die Frie­dens­bot­schaft Jesu kei­ne Rol­le mehr oder ist die Amts­kir­che bereits so sturm­reif geschos­sen, daß man dies­be­züg­lich lie­ber den Schna­bel hält, um sich nicht in die poli­ti­schen Nes­seln zu setzen?

Michae­lis: Letz­te­re Befürch­tung tei­le ich, und es ist ja bei ande­ren The­men auch so. Oben­drein ist man bereit, Kri­ti­kern in den eige­nen Rei­hen das Leben schwer­zu­ma­chen, statt sie zu unter­stüt­zen und in Ehren zu hal­ten. Sie sol­len halt auch den Schna­bel hal­ten, not­falls mit­tels Anwei­sun­gen und Disziplinarverfahren.

 

Sezes­si­on: Befin­den wir uns in einer Glau­bens­kri­se, in der die Men­schen ihren Glau­ben an Gott ver­lie­ren, oder in einer Ver­trau­ens­kri­se, in der die Men­schen der Insti­tu­ti­on Kir­che nicht mehr vertrauen?

Michae­lis: Es ist tat­säch­lich eine Kri­se. Die Kir­chen schei­nen der ihnen auf­ge­tra­ge­nen Bot­schaft nicht mehr zu ver­trau­en, Gott nicht mehr zu fürch­ten, zuerst im Sin­ne einer Ehr­furcht. Des­halb suchen sie ihr Fort­kom­men in dem, was heu­te »dran zu sein« scheint. Mar­tin Luther hat 1520 unter Lebens­ge­fahr an Georg Spa­la­tin geschrie­ben: »Ich habe auch hier­in­nen all­zeit nur die­se Sor­ge, ich möch­te ein­mal, mir selbst über­las­sen, das­je­ni­ge schrei­ben, was den Sin­nen der Men­schen ange­nehm ist.« In den­sel­ben Tagen woll­te der Kur­fürst ihn war­nen, die Wart­burg ja nicht zu ver­las­sen, weil er ihn dann nicht schüt­zen kön­ne. Mar­tin Luther hat ihm geant­wor­tet, er bedür­fe des kur­fürst­li­chen Schut­zes weni­ger, als der Kur­fürst viel­mehr des Schut­zes bedür­fe, den Luther für ihn von Gott erbit­ten kön­ne. Die­se bei­den Bege­ben­hei­ten kön­nen uns den kri­ti­schen Blick auf unse­re Situa­ti­on schär­fen. Vie­le Men­schen fin­den in der Kir­che nicht mehr das, was sie dort zu Recht suchen. Wenn sie sich dann abwen­den, bewirkt das ins­ge­samt einen Ver­lust an glau­bens­be­zo­ge­nem Wis­sen und Ver­trau­en in Gott, was man tref­fend als Teu­fels­kreis bezeich­nen kann.

 

Sezes­si­on: Ist die Ver­göt­te­rung der »Mach­bar­keit«, die in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren einen Höhe­punkt erreich­te, ein Ersatz­glau­be? Äußert sich da viel­leicht eine Sehn­sucht nach Glauben?

Michae­lis: Die Ver­göt­te­rung der Mach­bar­keit ist eigent­lich eine Selbst­ver­göt­te­rung des Men­schen. Die Ursa­che dafür ist nicht schmei­chel­haft, denn die Men­schen haben das Ver­trau­en in Gott ver­lo­ren und suchen das durch ein nicht zu stil­len­des Stre­ben nach Sicher­heit zu kom­pen­sie­ren. Das äußert sich zum Bei­spiel durch eine Rege­lungs- und Kon­troll­wut, die das Leben zu ersti­cken droht. Damit läßt sich viel Geld ver­die­nen. Der bibli­sche Zehn­te ist ein Klacks dagegen.

 

Sezes­si­on: Hie­ße Refor­ma­ti­on heu­te im Sin­ne einer luthe­ri­schen Moder­ni­sie­rung eher eine Rück­be­sin­nung zu etwas Unzeit­ge­mä­ßem? Ist das in die­sen kri­ti­schen Zei­ten der Kir­che eher not­wen­dig als die Anbie­de­rung an einen moder­nen Zeitgeist?

Michae­lis: Eine luthe­ri­sche Moder­ni­sie­rung hat es so nicht gege­ben, denn die Refor­ma­to­ren woll­ten zurück zu den bibli­schen Quel­len – »ad fon­tes«, wie Phil­ipp Melan­chthon sag­te. Alles, was die dama­li­ge Kir­che dar­über­ge­stülpt hat, vom Klos­ter­le­ben über die Hei­li­gen­an­be­tung bis zum Ablaß­han­del, soll­te nicht mehr für Macht­an­sprü­che her­hal­ten. Der Rück­be­sin­nung auf die Grund­la­gen des Glau­bens folg­te ein Infrage­stellen des »Zeit­ge­mä­ßen« und dann ein bis­her nicht gekann­tes Stre­ben nach inne­rer und äuße­rer Frei­heit. Dadurch wur­de einer Moder­ni­sie­rung der Gesell­schaft der Boden berei­tet. Wir müs­sen auf­pas­sen, daß wir das nicht gering­schät­zen oder schlecht­re­den und uns gar weg­neh­men lassen.

 

Sezes­si­on: Braucht es einen moder­nen Mar­tin Luther oder einen moder­nen Tho­mas Müntzer?

Michae­lis: Einen moder­nen Münt­zer brau­chen wir bit­te nicht. Er hat zur Gewalt als Mit­tel auf­ge­ru­fen und wur­de des­halb als Revo­lu­tio­när gefei­ert. Mar­tin Luther such­te ihn lei­der erfolg­los zu brem­sen, weil er den blu­ti­gen Aus­gang des von Münt­zer blu­tig begon­ne­nen Anfangs ahn­te. Phil­ipp Melan­chthon war als Kind durch krie­ge­ri­sche Hand­lun­gen trau­ma­ti­siert wor­den und ver­lor bald dar­auf sehr früh sei­nen Vater. Zusam­men mit Mar­tin Luther und Georg Spa­la­tin hat er sich im Auf­trag des Kur­fürs­ten mit der Fra­ge, ob man um des Glau­bens wil­len Krieg füh­ren dür­fe, befaßt. Sie waren sehr skep­tisch, vor allem dürf­ten Krie­ge nicht zu Las­ten der Bevöl­ke­rung gehen.

Um Ver­än­de­run­gen her­bei­zu­füh­ren, haben sie auf Bil­dung gesetzt, denn wer lesen und rech­nen kann, läßt sich nicht so leicht hin­ters Licht füh­ren und übers Ohr hau­en. Luther hat geschrie­ben: »Las­set die Geis­ter auf­ein­an­der­plat­zen, die Fäus­te hal­tet stil­le!« Inso­fern hät­te ich mir mehr von der dama­li­gen Streit­kul­tur gewünscht, auch bei den Demons­tra­tio­nen. Da gab es klu­ge Red­ner, etwa in Ber­lin vor dem Bun­des­tag. Die Regie­rung ist nicht gekom­men, son­dern hat Poli­zei und Was­ser­wer­fer geschickt. Die Bil­der offen­ba­ren eines: Die Demons­tran­ten hat­ten weni­ger Angst vor den Fäus­ten als die Obrig­keit vor den Geis­tern, »den spit­zi­gen Argu­men­ten der Lay­en« (Luthers 95. The­se, 1517).

 

Sezes­si­on: Nicht jeder Christ, der zum Bei­spiel an der Gesund­heits­po­li­tik zwei­felt, hat einen Pfar­rer wie Sie. Was soll der machen? Muß er sich auf den per­sön­li­chen Draht zu Gott zurückziehen?

Michae­lis: Er soll den per­sön­li­chen Draht zu Gott nicht abrei­ßen las­sen. Aber sich kei­nes­falls zurück­zie­hen, son­dern viel­mehr Gleich­ge­sinn­te suchen. Wenn das vie­le tun, wer­den sie sich fin­den. Das ist ja eine der guten Erfah­run­gen: Vie­le Kon­tak­te sind abge­ris­sen, aber oft mehr neue und vor allem inten­si­ve­re vol­ler Ver­trau­en geknüpft wor­den. Die Rech­nung ist häu­fig nicht auf­ge­gan­gen: Da soll­ten sich Leu­te in Behör­den zum Teil schi­ka­nös tes­ten las­sen, die kei­ne soge­nann­te Imp­fung woll­ten. Und was haben sie dabei erkannt? Daß sie nicht allein sind.

Wie ermu­ti­gend war das ganz im Sin­ne einer bibli­schen Geschich­te, die in dem Vers gip­felt: »Aber der HERR, dein Gott, […] wan­del­te dir den Fluch in Segen um, weil dich der HERR, dein Gott, lieb hat­te.« (5. Mose 23,6) Es ist gut, laut zu sagen, was man von einer christ­li­chen Kir­che erwar­tet – das darf man ein­for­dern. In guter luthe­ri­scher Tra­di­ti­on ist das näm­lich Recht und Pflicht eines jeden Chris­ten. Das ermu­tigt sicher auch man­chen Pfar­rer, Klar­text zu reden.

 

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)