Viele Neuntklässler erreichen nicht mal mehr Grundkompetenzen, zeigt die Vergleichsstudie, die Fähigkeiten Fünfzehnjähriger in Mathematik, Lesebefähigung und Naturwissenschaften untersucht.
Von Bildung sprechen alle, vorzugsweise in der Politik. Der Begriff ist positiv konnotiert, so daß jeder pauschal zustimmt: Ja, Bildung, darüber wird alles besser. Wie auch grundsätzlich richtig und Ergebnis jeder Selbsterfahrung. Bilde ich mich, bin ich orientiert, befähigt und in der Lage, Sachverhalte zu verstehen und Probleme zu beurteilen. Ich vermag anzuschließen an ein reiches kulturelles Erbe und darf mich daran bedienen.
Nur ist jede Bildung zuerst eine Forderung an sich selbst, die Überwindung kostet, in Mathe ebenso wie im Sport. Sie bedarf der Leistung, der Anstrengung, des Fleißes und der Ausdauer. Aber interessante Inhalte, inspirierende Lehrer und das Erlebnis des eigenen Erfolges im Verlaufe des Entdeckens und Übens fordern das Engagement heraus. Wir alle sind neugierig, wir alle wollen etwas Gutes leisten, das uns eigenen Erfolg und die Achtung durch andere einträgt.
Allerdings ist mit Blick auf Bildung eben nicht zuerst von den Inhalten und von motivierenden Erziehungszielen die Rede, sondern von Geld und Ideologie. Bildung jedoch ist mehr als ein Haushaltsposten. Und über die Einheit von Bildung und Erziehung spricht niemand mehr; dieser Zusammenhang ist der Pädagogik mittlerweile völlig fremd. Das einst effiziente deutsche Schulsystem wurde über Jahrzehnte von linker, vermeintlich moderner Bildungspolitik zur Dysfunktionalität verbastelt.
Wenn zudem immerfort beklagt wird, die Schulen wären marode, müßte auffallen, daß noch im späten zwanzigsten Jahrhundert in Schulgebäuden, die heute vermutlich gesperrt würden, stabile und anwendungsbereite Befähigungen ausgebildet wurden.
Im Zusammenhang mit den Kosten geht es derzeit zuerst um die Digitalisierung. Zwar bedarf es aus Gründen der informationstechnischen Revolution der schnellen Datenübertragung und benutzerfreundlicher Endgeräte, nur wurden die Grundbefähigungen des Lesens, Schreibens, Rechnens und der Natur- und Geisteswissenschaften vor dem „Informationszeitalter“ solider erworben als jetzt. Schulen verfügten nicht über leistungsstarke Server, dafür aber über Bibliotheken.
Die Digitalisierung stellt die Mittel, die Medien zur Verfügung, sie hat mit den Inhalten und mit den zu ihrem Erwerb erforderlichen Haltungen zunächst gar nichts zu tun. Zahlen bleiben Zahlen, Buchstaben bleiben Buchstaben, und Wissen will durch Lernen selbst erworben werden, insofern der Mensch eben über keinen USB-Anschluß oder über Bluetooth verfügt.
Heißt also: Selbst wenn immense Mittel für die Bildung zur Verfügung stehen und für alle Schulen höchste Übertragungsraten durch Glasfasernetze und die Ausstattung aller Unterrichtsräume mit Smartboards gewährleistet sind, ist damit kein Inhalt und keine Befähigung gesichert.
Es lohnt eher darüber nachzudenken, weshalb jetzt, wo alles Weltwissen über ein Smartphone jederzeit zur Hand wäre, ausweislich aller maßgeblichen Tests immer weniger gewußt und gekonnt wird.
Während über Kosten permanent verhandelt wird, sind die Bildungs- und Erziehungsziele mittlerweile von ideologischen Phrasen bestimmt: Schule für Demokratie, Schule für Vielfalt, Schule für Toleranz, Schule gegen Diskriminierung ist eben gerade nicht Schule für Spracherwerb, Schule für Mathematik und Naturwissenschaften – und schon gar nicht Schule zur Erziehung zu Leistungsbereitschaft und Ausdauer.
Wer über Inhalte sprechen möchte, wer ausgehend von anthropologischen Vorstellungen über die Erfordernisse von Erziehung nachdenkt, gilt in den Kollegien als reaktionär.
Wo charismatische Lehrerpersönlichkeiten als leidenschaftliche Vermittler ihrer Fächer gegenüber woken Kollegen als verdächtig erscheinen, wo Maßstäbe aufgeweicht, Noten darüber inflationiert und Ergebnisse schöngerechnet werden, wo im Sinne einer gleichfalls mit ideologischen Vorzeichen betriebenen Inklusion die Schwächsten das Maß bestimmen, da läuft institutionalisierte Bildung selbst bestausgestattet nicht. Wer gegenwärtig gut ausgebildet werden will, ist auf die wenigen antizyklisch arbeitenden Lehrer und vor allem auf eigenen Wissens- und Könnenserwerb angewiesen.
Schule sollte versuchen, in ganz unmoderner Weise Gegenentwürfe zu wagen. In dem Sinne, daß sie sich als Refugium versteht, als Schutzraum, in dem die durch den Medien-Dauergebrauch ausgelösten Nervositäten zur Ruhe kommen können und durchaus Muße für eine nicht bloß zweckgebundene Bildung möglich ist. Dies wirkte der Unfähigkeit vieler Heranwachsender entgegen, sich überhaupt noch über ein paar Augenblicke hinaus einem Thema oder gar Problem widmen zu können. Ja, auch einem mathematischen.
Bisher hält die Schule Stressoren der Alltagsunkultur nicht nur nicht raus, sie übernimmt und verstärkt diese; sie biedert und dient sich dem Zeitgeschmack kritiklos an, wenn er ihr nur politisch paßt. Nicht allein die Waldorf-Schule suchte von jeher aus anthroposophischen Gründen einen ganz eigenen Weg abseits der Moden, auch das Humboldtsche Bildungsideal setzte auf eine Unabhängigkeit vom Zeitgeist.
Es mutet unfreiwillig komisch an, daß die linke Kultusbürokratie nach jedem über Tests und Studien noch tiefer offenbar gewordenen Desaster genau die Zielstellungen verstärkt, die gerade mitten ins Defizit hineinführten.
Legenden und selbsterfüllenden Prophezeiungen werde weitergesponnen – zuerst jene, daß Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt. Obwohl früher hier wie heute in Schwellenländern wie Indien gerade die ungerechte Unterprivilegiertheit der Herkunft Ansporn war, das eigene Leben über Lernarbeit zu verbessern. Deswegen kommen die Spitzen-Informatiker ja aus Kalkutta und nicht aus Leipzig.
Aber Anstrengung ist geradezu tabuisiert, Förderungen, Nachteilsausgleiche, Absenkung der Anforderungen und „Notenschutz“ bei angeblich diagnostizierten Handicaps sollen Resultate sichern. Die stimmen dann rein nominell und bessern die Statistik auf, aber solche Zertifizierungen erweisen sich im Leben wie im Beruf als ungedeckte Schecks und lassen den Absolventen deprimierend erleben, daß er zu wenig weiß und zu wenig kann und letztlich nicht mal befähigt wurde, das Unvermögen über Selbstmanagement und Eigeninitiative zu kompensieren. Ergebnis: schnelle Überforderung, Burn-out-Symptomatik, neuer Ruf nach Hilfestellungen und Maßnahmen.
Schule versteht sich allzu sehr als sozialpädagogische, als integrationspolitische und immer mehr als propagandistische Veranstaltung. Sie präsentiert sich als die bessere Scheinwelt neben der Realität; in ihren Räumen herrscht der woke Kultursozialismus, der dem echten, frischen und immer neu herausfordernden Leben nicht standhalten kann.
Im Zentrum der aktuellen PISA-Studie stand Mathematik. Hier landete die deutschen Schüler unter dem Wert von 2003, als es zum ersten Mal vorranging um Mathe ging. Das Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern schlug auf die miserablen Abiturnoten in Mathematik im letzten Abitur einen Notenpunkt auf, zwei Jahre davor sogar zwei. Mathematik und Sport haben allerlei gemeinsam: Man muß sich ganz investieren, um erfolgreich zu sein.
Diesmal erreichten in Mecklenburg-Vorpommern zwanzig Prozent der Mathe-Grundkursler im schriftlichen Abitur null Notenpunkte, wiesen also kein mathematisches Wissen nach. Im Abitur! Mehr muß man zur Bildung in Deutschland nicht wissen. Daß jemand, der sich als blöd in Mathe outet, rundum auf Zustimmung und Beifall hoffen darf, weiß man ohnehin.
Oderint
Mathematik und Sport als Willensfrage - da erlaube ich mir, leisen Widerspruch anzumelden. In beiden Bereichen ist die Hardware wichtiger als die Software, bei fehlender Begabung bzw. körperlicher Ausstattung reicht es auch mit maximaler Anstrengung nicht einmal zu Mittelmaß. Wer kennt sie nicht, die fleißigen, schlauen Einserschüler, die in Mathematik gerade noch so durchkommen, während das faule Genie den Professor an die Wand spielt?
Den Verfall des Bildungswesens erlebe ich live mit; man hat sich um die besten Schulen und dort gute Noten für den Nachwuchs bemüht und getan, was man konnte. Allmählich schleichen sich Zweifel ein, ob das alles zielführend war.
Wenn KI auch nur annähernd das hält, was sie verspricht, werden die Karten in den kommenden Jahrzehnten komplett neu gemischt und ganze Tätigkeitsfelder irrelevant. Jeder wird programmieren können und literaturnobelpreisverdächtige Aufsätze in jeder Sprache schreiben. Welche "Kompetenzen" sind in so einem Umfeld noch wichtig für die Schüler? Neugierig bleiben und Ziele haben. Waldorf ist vielleicht doch kein so schlechtes Konzept.