»Politisch bin ich preußischer Sezessionist«, bekannte Peter Hacks (1928 – 2003) im Zuge der deutschen Einheit 1989 / 90. Der Dramatiker, Schriftsteller und Essayist verabschiedete sich damit nicht von seinem Lebensthema, dem Sozialismus.
Er richtete es nur entlang den gewandelten Gegebenheiten neu aus. Sezessionist wurde er, weil ihm die BRD nicht lag; eine um das Gebiet der DDR vergrößerte um so weniger.
Hacks, aus Breslau 1945 nach Süddeutschland vertrieben, verließ die Adenauer-Bundesrepublik 1955 nach Ost-Berlin. Er reiste bewußt in die DDR aus. Dort, unter Walter Ulbrichts linksautoritärer Regierung, bezog er seine Stellung als sozialistischer Solitär, der das alte Kunstideal der Klassik mit dem ewigen Streben nach Humanität und Gemeinschaftlichkeit verbinden wollte. Hacks hegte dabei nicht nur irritierende Sympathien für Josef Stalin.
Er verteidigte auch den Mauerbau 1961 im besonderen und idealisierte die frühe DDR im allgemeinen – das heißt die DDR vor der Machtübernahme Erich Honeckers 1971. In seinen Augen war die SED bestrebt, den Aufbau des Landes mit einer positiven Großerzählung über die deutsche Geschichte – konkret in Form der revolutionären Bauernkriege – zu verbinden.
Mängel sah Hacks wohl, nicht aber die Verantwortlichkeit dafür bei Ulbricht. Als dieser von seinem Ziehsohn Honecker gestürzt wurde und zwei Jahre später starb, litt Hacks: »Ulbricht ist leider tot und Schluß mit der Staatskunst in Deutschland. Immer mächtiger treibts mich in den Goethe hinein.« Nach Ulbricht sah Hacks – der als relativ prominenter Autor Sonderfreiheiten besaß, aber doch zahlreiche Komplikationen mit der politischen Bürokratie hatte – nur noch Untergangsszenarien auf die DDR zukommen. In den 1970er und 1980er Jahren erkannte er keinen Rettungsweg für den ostdeutschen Staat mehr, aus der »liberalistischen Scheiße« (Hacks dixit) wieder herauszufinden, die seiner Meinung nach Honeckers Kurs bedeutete.
War Hacks auch als »preußischer Sozialist« von links ätzend antiliberal, war er deswegen kein Egalitarist. Entsprechenden Ideen in der Wirtschaft brachte er keine Sympathien entgegen. Er stand derweil Ulbrichts (zu) späten Reformen mit Teilöffnungen des Marktes für kleine und mittlere Privatbetriebe positiv gegenüber; Honeckers unwiderruflicher Bruch mit ihnen war für Hacks ein Skandal. »Warum«, zeigte sich Hacks verzweifelt, »gibt es keinen wirklichen Sozialismus mit scharfen Unterschieden, wo jeder tatsächlich nach seiner Leistung bezahlt wird?
Das war es, was Ulbricht wollte und einführte und was den Aufstieg der DDR gesichert hat.« Doch damit war Schluß, Ulbrichts Kurs ad acta gelegt. Für Hacks schien es früh erwiesen, daß mit Honecker die DDR untergehe: »Jetzt kommt die Einheitssauce, die Schlamperei und der Vulgärmaterialismus.«
Hacks vertrat überdies, obschon Anhänger sozialistischer Ideale, ein realistisch-skeptisches Menschenbild. Das ging so weit, daß er sogar die Axt an dasjenige von Karl Marx legte. »Das ganze Marxische Wunschbild vom alltüchtigen Menschen«, düpierte Hacks den Altmeister des Kommunismus, »ist die linksromantische, anarcho-demokratische Verklärung […]. Nur derjenige ist in jeder Richtung gleich tüchtig, der in keiner Richtung tüchtig ist.«
Hacks positionierte sich damit im Sinne eines leistungsbezogenen, hierarchischen Sozialismusmodells, das mit nivellierenden Ansätzen nicht zu vereinen war. Aber auch andere Standpunkte wichen erheblich von dem ab, was man landläufig mit dem bürokratisch-administrativen Sozialismus der DDR-Nomenklatura verband. Hacks glaubte auch nicht an die »Eine Welt« und war kein Fürsprecher einer abstrakten Solidarität. Für ihn waren konkrete Verbesserungen für die Mehrheit des Volkes nur im Rahmen des Greifbaren denkbar. In einem Aufsatz teilte Hacks zum Ärgernis der linken Weltstaats-Apologeten mit: »Es gibt keine Staatengesellschaft. Für eine bessere Gesellschaft geht zu kämpfen, nicht für eine bessere Welt.«
Erst Jahre später, anhand der Publikation des Hacks-Briefwechsels mit einem der führenden DDR-Historiker, Kurt Gossweiler, wurde der Öffentlichkeit bewußt, daß Hacks diese Tendenz sogar noch zugespitzt hatte: Er bezeichnete »das Nationale« als »mit dem Sozialistischen vermittelbar«. Bei der Veröffentlichung war Hacks indes bereits tot; er konnte nicht mehr aus der Linken verstoßen werden, die ihn – notabene – ohnehin kaum noch liest. Das mag auch daran liegen, daß sich Hacks nicht um denkerische Tabus scherte. Auch dies wird verschiedentlich in Texten und Briefen deutlich, denn Hacks scheute sich nicht davor, »Andersdenkende« zu rezipieren. Das stieß seinen ideologischen Zeitgenossen negativ auf. Gossweiler, Marxist-Leninist von dogmatischem Schlage, war geschockt, als Hacks auf Carl Schmitt rekurrierte.
Hacks entgegnete auf Gossweilers diesbezüglichen Tadel so gelassen wie spitzfindig: »Was das Recht auf den Ausnahmezustand betrifft, würde ich in keinem so starken Ton darauf schelten, daß Carl Schmitt ein Nazi war. Ich denke, was er sagt, stimmt; warum soll, was ein Nazi sagt, nicht stimmen?« Und wenn Hacks im Zuge seiner Generalabrechnung mit der Epoche der Romantik den Pluralismus-Begriff der Moderne ins Visier nimmt, spricht womöglich ebenfalls ein wenig Schmitt aus ihm, freilich in Hacksscher Verbalradikalität: »Das Trickwort Pluralismus hat einen genauen deutschen Sinn. Pluralismus, das bedeutet die Alleinherrschaft der schlechten Seite.«
Einen »deutschen Sinn« suchen war für Sozialisten jener Tage untypisch. Nicht für Hacks, der fest auf deutschem Geistesboden stand. »Die Autoritäten, die ich heranziehe«, führte der erste ideenpolitisch-kulturelle Lehrer Sahra Wagenknechts seine geistigen Heroen ein, »sind Goethe, Hegel und Heine. Die drei, sonst keine. Es sind die größten Geister unserer Nation.« An anderer Stelle erweiterte er dann den Kreis der Idole und verknüpfte sie bewußt mit dem Schrecken vieler Antifaschisten: Preußen. »Alle Deutschen«, so Hacks untypisch pathetisch, »die wir groß finden, Luther, Friedrich, Goethe, Hegel, Bismarck, waren tätige und überzeugte Verfechter des Fürstenstaats als der Wohnung des Weltgeists auf deutschem Boden, und der Gedanke, daß Preußen eigentlich für Deutschland sich ins Zeug legte, ist weder neu noch aus dem Nachherein, selbst der junge Engels hatte eine Ahnung davon.«
Der späte Hacks – ein ostdeutsch-preußischer Patriot. »Deutsch ist«, definierte Hacks, »was vernünftig ist.« Im Zuge der Einheitsdebatten ab 1988, die Hacks beißend kommentierte, sinnierte er gar über die Rückkehr des Reichsbegriffes für eine zu bewahrende (nicht: abzuschaffende) DDR. Er sah sie als »deutscheren« Staat als die verwestlichte US-Kolonie BRD: »Die Hegelsche Grundlegung gäbe uns beides, die geschichtliche Ableitung und die philosophische Gediegenheit, die DDR einfach in ›Deutsches Reich‹ umzubenennen. (Ganz unanfechtbar wäre: ›Deutsches Reich Sachsen-Preußen‹.)«
Aus diesem Sonderbewußtsein für das Deutsche erwuchsen keinerlei Ressentiments, sondern explizites Interesse für andere Völker. So diagnostizierte Hacks etwa Gemeinsamkeiten zwischen dem preußischen und dem französischen Staatsgedanken. Das ging so weit, daß Hacks befand, »Preußen ähnelt nach Art und Halt Frankreich«. Beide Länder würden »den Staat als vernünftige Form des Zusammenlebens« begreifen und in Ehren halten, ein Ethos des Dienstes sei die Folge.
Peter Hacks’ Staatsaffirmation war das blanke Gegenteil der urmarxistischen These vom »Absterben des Staates«. Sehr zum möglichen Ärgernis des toten Marx bekannte er sich zu einer »absolutistischen« Machtfülle für den Staatsapparat: »Der Staat, so wurde und wird immer wieder entgegnet, solle doch besser nicht jede Einzelheit regeln. Aber was der Staat nicht regelt, regeln andere. Der Irrtum der Staatsängstlichen besteht in der Annahme, daß, wo der Staat nicht ist, die Freiheit sein müsse. In Wirklichkeit sind dort die Böcke, die dort die Gärtner sind.« Diese Apodiktik und diese tonale Schärfe sind typisch für das (wieder) zu entdeckende Werk von Peter Hacks, der seit nunmehr 20 Jahren auf dem Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde in Berlin ruht.
In einem Punkt war der radikale sozialistische Preuße übrigens ganz gemäßigt: im Überliefern des Bestehenden. »Wie«, fragte sich Hacks rhetorisch, »will einer anstellen, fortschrittlich und dabei nicht konservativ zu sein?« Das gehe nicht: »Worauf es doch ankommt, ist, beim Lauf nach dem Glück nicht das Gute, das man schon hat oder hatte, aus dem Korb zu verlieren.« Das müßte ein »preußischer Sezessionist« von rechts auch nicht anders formulieren.