Michael Klonovsky: Die schöne Apothekerin

-- von Erik Lommatzsch

Nach der Lektüre der ersten Seiten schaut man unwillkürlich auf den Einband und prüft: Handelt es sich bei dem Autor wirklich um den ­Michael Klonovsky? Den Autor von Land der Wunder? Den Kommentator des alltäglichen Irrsinns mittels seiner »Acta diurna«?

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Wer dies und ande­res von ihm Ver­faß­tes kennt und schätzt, wird von den sechs Erzäh­lun­gen, die nun unter dem Titel Die schö­ne Apo­the­ke­rin vor­lie­gen, ent­täuscht sein. Wo ist der Biß? Der Sar­kas­mus? Das Hin­ter­grün­di­ge? Die Freu­de an ein­präg­sam-kräf­ti­gen Wort­schöp­fun­gen, wie im letz­ten »Acta«-Band, wo er etwa schreibt, Rous­se­au sei ein »lin­ker Cha­rak­ter­müll­ei­mer par excel­lence« gewe­sen? Hier fin­det man davon allen­falls einen sanf­ten Hauch.

Ein­lei­tend und ent­schul­di­gend ver­weist ­Klo­novs­ky dar­auf, daß die­se Geschich­ten »um das Jahr 2009« ent­stan­den und dann »zwi­schen­zeit­lich buch­stäb­lich ver­ges­sen« gewe­sen sei­en. Er will damit der Fra­ge zuvor­kom­men, war­um die The­men »gera­de jetzt« aufs Tableau kämen. Aber die feh­len­de Aktua­li­tät ist nicht der Punkt. Beob­ach­tun­gen und Anmer­kun­gen (»aber was war in Zei­ten tota­ler Form­lo­sig­keit schon unpas­send?«) sind oft banal. Poin­ten sind vor­her­seh­bar, etwa die Ant­wort auf die Fra­ge, war­um die Auf­la­ge einer durch­schnitt­lich blö­den Frau­en­zeit­schrift ent­ge­gen dem Trend laut Bilanz plötz­lich einen immensen Sprung nach oben gemacht haben soll.

Mehr oder weni­ger expli­zit wer­den Frau­en­kör­per beschrie­ben, mehr als weni­ger ange­al­ter­te Her­ren inter­es­sie­ren sich für jün­ge­re Frau­en. Begehr­lich­kei­ten wer­den aus­ge­spro­chen und abge­wie­sen, sei es mit einer Ohr­fei­ge oder einer Geschich­te, die die Vor­freu­den in Ekel ver­wan­delt. Von Voll­zo­ge­nem ist aller­dings auch die Rede, und zwar nicht zu knapp.

Anlei­hen wie der Titel »Faus­ti­na« und eine Rah­men­hand­lung als Wet­te zwi­schen Gott und Satan wir­ken ein wenig bemüht, ori­gi­nel­ler ist da schon die Begeis­te­rung Got­tes für das Werk von Charles Dar­win. Bei der Geschich­te »Unord­nung und zu frü­he Freud« war­tet man dar­auf, Tho­mas Mann irgend­wo im Hin­ter­grund lei­se hus­ten zu hören, sei es zufrie­den oder bedrängt – vergeblich.

Zwei der Erzäh­lun­gen unter­schei­den sich im Ton­fall deut­lich von den ande­ren, hier las­ten Ernst und Tra­gik. Zum einen ist es die­je­ni­ge des älte­ren Man­nes, der die Fami­li­en­wer­te gegen das Patch­work-Geju­bel zwei­er Sozio­lo­gin­nen anhand der für ihn wenig erfreu­li­chen Geschich­ten sei­ner Kin­der ver­tei­digt. Zum ande­ren die Erzäh­lung des Ver­zwei­fel­ten, der Frau und Sohn ver­lo­ren hat, mit dem Leben abschließt, aber dann – und hier sind wir nahe an ame­ri­ka­ni­scher Erbau­ungs­li­te­ra­tur – durch meh­re­re Begeg­nun­gen von sei­nem Vor­ha­ben abge­hal­ten wird, mög­li­cher­wei­se dau­er­haft. Oder soll es sich hier um eine Kari­ka­tur han­deln? Wohl eher nicht, auch wenn die Art der Begeg­nun­gen – bis hin zu einem Kind in Lebens­ge­fahr – dick auf­ge­tra­gen ist.

In einer ande­ren Erzäh­lung ver­folgt man das Gespräch einer gut­si­tu­ier­ten Run­de, die sich beim Abend­essen erst schämt, weil sie einen der ihren, der mit noch nicht ein­mal fünf­zig zum Pfle­ge­fall gewor­den ist, schnell ver­ges­sen hat, und sich dann, qua­si als the­ma­ti­schen Flucht­punkt, über Wün­sche bezüg­lich des eige­nen Ster­bens aus­tauscht. Eini­ge die­ser Wün­sche gehen tat­säch­lich in Erfül­lung, wenn auch nicht direkt.

Der Gewinn, den man aus der Lek­tü­re zie­hen kann: Im Zusam­men­hang mit dem depri­mier­ten, in der Wis­sen­schaft nicht wahr­ge­nom­me­nen Phi­lo­so­phen in die­ser Geschich­te ver­weist Klo­novs­ky auf Phil­ipp Main­län­der. Die­ser wird hier zwar nicht nament­lich genannt, ist aber leicht zu ermit­teln. Main­län­ders kurz vor sei­nem Sui­zid 1876 abge­schlos­se­nes Werk Phi­lo­so­phie der Erlö­sung fris­tet ein zu Unrecht weit­ge­hend unbe­ach­te­tes Dasein.

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Micha­el Klo­novs­ky: Die schö­ne Apo­the­ke­rin. Sechs Erzäh­lun­gen, Lüding­hau­sen: Manu­scrip­tum 2023. 194 S., 22 €

 

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