Eugen Ruge: Pompeji

Ruge ist berühmt geworden mit seinem Erstling: In Zeiten des abnehmenden Lichts, 2011 erschienen, gilt zu Recht als einer der großen Romane, die den Kippunkt aus der Endphase der DDR in die erste Nachwendezeit beschreiben.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

An ­Ruges Zugriff waren zwei Merk­ma­le bestechend: Er schil­der­te die ein­ge­üb­te Ord­nung einer Welt, die von ihrem Zusam­men­bruch nichts ahn­te, und das nach­ge­reich­te Bes­ser­wis­sen einer »Frei­heit«, die wie­der­um bloß aus anders gela­ger­ten Unfrei­hei­ten bestand.

Pom­pe­ji ist erneut ein Roman über eine Welt vor ihrem Unter­gang. Man ahnt nichts vom Leben am Ran­de eines Vul­kans. Auch als Pli­ni­us auf­taucht und den Tod zwei­er Vogel­jä­ger in den Hän­gen des Vesuvs als Ersti­ckungs­tod in den Dämp­fen eines unru­hi­gen Vul­kans deu­tet, zie­hen die Bewoh­ner der Stadt kei­ne Kon­se­quen­zen. Nur Jos­se, ein red­ne­ri­sches Natur­ta­lent, ent­wirft eine Stra­te­gie der Samm­lung an siche­rem Ort und zieht mit einer Grup­pe Phi­lo­so­phen und Aus­stei­ger in eine Bucht, um an die­sem »Fens­ter des Mee­res« eine neue Sied­lung zu errichten.

Man kann in Jos­ses Kar­rie­re ein Urbild wen­di­ger Poli­tik an sich erken­nen. Von der rhe­to­risch bril­lant vor­ge­tra­ge­nen Neu­bau­idee bis zur kapi­ta­li­sier­ten Stif­tung eines vul­ka­ni­schen Kul­tes braucht er gera­de ein­mal fünf Reden, in denen er sich selbst und ande­re stets aufs neue über­zeugt und über­re­det. Am Ende ist er als Lieb­ha­ber einer stein­rei­chen Bau­her­rin in der Mit­te der Gesell­schaft ange­kom­men und wird – blind für das, was er ein­mal wuß­te – auf der Flucht vor dem Glut­wind des Vesuvs einen raschen Tod finden.

Ruges Roman ist ein »Schlüs­sel­ro­man«, eine Para­bel auf unse­re Zeit. Ein Bei­spiel: Als das Gere­de über den Vul­kan auf­kommt, sind es die »römisch-patrio­ti­schen Bür­ger, die die Vul­kan­ge­rüch­te ableh­nen, wäh­rend die ande­ren, die Nörg­ler und Que­ru­lan­ten, an den Vul­kan glau­ben«. Wie­so ist das so, fragt der Erzäh­ler, und wir soll­ten fra­gen: Wer ver­gibt wann und zu wel­chem Zweck die Bezeich­nun­gen Nörg­ler und Que­ru­lant? Ist nicht alles eine Fra­ge der Per­spek­ti­ve, der Mei­nungs­macht, des Mei­nungs­ma­chens und der Bes­ser­wis­se­rei im nachhinein?

Pom­pe­ji ist unter­halt­sam, wenn man nicht nach genau­en Ent­spre­chun­gen sucht, son­dern das Durch­ein­an­der aus Plau­si­bi­li­tät, Ego­zen­trik, Zufall, Kal­kül und Blind­heit am Bei­spiel die­ses Unter­gangs nach­voll­zieht und auf ande­re Epo­chen zu über­tra­gen beginnt – eben auch auf unsere.

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Eugen Ruge: Pom­pe­ji. Roman, Mün­chen: dtv 2023. 360 S., 25 €

 

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Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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