Die Literaturernte wäre definitiv geringer, wenn man Autoren ausschlösse, die sich (im unliterarischen Leben) progressiv, grün oder in anderer Weise desaströs geäußert haben! Thomas Mann, Günter Grass, Christian Kracht – und viele, viele mehr! Gut, T. C. Boyle, 1948 im amerikanischen Bundesstaat New York geboren, vertritt wirklich eine schräge Politik, unter anderem unterstützt er ausgerechnet Sleeping Joe Biden.
Aber nehmen wir nur Boyles Flüchtlingsroman América (1995): Wie grandios ist der! Man sollte als Kunstfreund das Politische vom Literarischen sehr klar trennen. Es ist ein Vorteil von uns Rechten, daß wir das können. Wir müssen uns nicht rechtfertigen. Linke Kritiker hingegen können schwer ungeschoren »rechte Autoren« aus literarischen Gründen preisen.
T. C. Boyles jüngster Roman hat ausgerechnet den »Klimawandel« zum Thema, darf also passend als »Roman zur Zeit« gelten. Das Großartige ist: T. C. Boyle persifliert sein Personal! Er tut dies so feinsinnig, daß er nicht aneckt. Man unterscheidet ja gern, ob einer mit Schwert, Degen oder Florett ficht. Boyle arbeitet mit der Rasierklinge. Wir haben hier eine typische US-amerikanische Familie der oberen Mittelschicht.
Die Eltern – Frank (er ist Arzt) und Ottilie – leben in Kalifornien, Sohn Cooper (Insektenforscher, woke) auch. Tochter Cat wohnt mit ihrem Mann Todd (einem »Bacardí«-Botschafter) in Florida traumhaft auf einer meerumspülten Landzunge. Cat möchte Influencerin werden. Ihr Markenzeichen soll sein: die Frau mit der Schlange als Stola! Und diese beiden Tigerpythons, die sie beim lokalen Schlangenhändler erwirbt, sind echt ein Hingucker! Bruder Cooper tadelt den Schlangenerwerb natürlich, während er selbst einem anderen Fetisch anhängt: Er steht auf Frauen mit leicht hervorstehenden Zähnen. Asiatisch? Europäisch? Einerlei.
Unterdessen – wir wissen nicht, in welchem Jahr die Geschichte spielt: Laborfleisch ist relativ neu, Insektenmehl noch Avantgarde; vielleicht sind wir bei anno 2030? – steigt die Flut in Florida und nimmt die Dürre in Kalifornien zu. Die Apokalypse bahnt sich sachte an. Cooper hat diesen blöden Zeckenbiß (der ihn letztlich den Arm kosten wird), und Cat – die beste Szene im Roman – muß sich wie zufällig und bedeckt aus einer Bar entfernen, weil die harmlose Starschlange sich leider an ihr festgebissen hat.
Fortan regiert »Murphy’s law«: Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Boyle macht keine Gefangenen. Es regiert das Gesetz der schiefen Ebene. Die Flut steigt. Die Schlange gerät außer Kontrolle. Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut. Mutti, die Klassenstreberin, zaubert weiterhin Mahlzeiten aus Insektenmehl und dreht ihre Runden im Pool, auch wenn erst ihre Grillen, dann ihre Bienen leider verrecken. Hier wird viel – auch drastisch – gestorben. Es ist große Kunst, dieses Sterben nicht moralisch einzufärben, sondern statt dessen den ethischen Graubereich zu präsentieren. Sind die Guten gut?
Hoffentlich geht der nächste Roman dieses Meisters über die Neue Rechte! Bitte! Muß man erwähnen, daß dieser 19. Roman Boyles wieder durch Dirk van Gunsteren formidabel übersetzt wurde? Was für ein Vergnügen.
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T.C. Boyle: Blue Skies. Roman, München: Hanser 2023. 396 S., 28 €
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