McCormick stellt uns einen vom Kopf auf die Füße gestellten Machiavelli vor: als den ersten und bedeutendsten Demokratietheoretiker, und nebenbei auch einen umgepolten Rousseau, dessen Egalitarismus sich als Mißtrauen gegen Arme entpuppt; er bescheinigt ihm Klassenelitismus und Verfechtung timokratischer Strukturen.
Hinter dem sperrigen Buchtitel verbirgt sich also wahrer Sprengstoff, nicht nur die historische Personage, sondern vor allem den Zustand der modernen westlichen Demokratien betreffend. McCormick kommt von Marx und Habermas, hat sich aber mit Hilfe des Florentiners von diesen emanzipiert.
Er sieht die liberale Demokratie in Gefahr. Ihr größter Gegner sind ihre eigenen Eliten. Wir sind in einem plutokratischen Zeitalter, der Epoche der Oligarchisierung angekommen. Gemessen an der athenischen Demokratie, der römischen oder florentinischen Republik, fehlen der repräsentativen Demokratie immer sichtbarer die politischen Mittel, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Der Sumpf, das ist die »plutokratische Usurpation«, die »dauerhafte Kaperung von Regierungen durch privilegierte, isolierte Minderheiten«.
Selbst das vermeintliche institutionelle Herzstück der politischen Wahlen versagt vor diesem Hintergrund, sie haben heute einen »aristokratischen Effekt«, werden von Geld und Macht dominiert, perpetuieren diese und führen letztlich zu keiner wirklichen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk. Auch die Hauptmedien wirken daran mit und fallen als Korrektiv weitflächig aus.
Eine folgerichtige Konsequenz und zugleich Gefahr ist der Populismus, der »Schmerzensschrei der modernen, repräsentativen Demokratie«, die logische Folge in Regierungsformen mit demokratischen Prinzipien, in denen dennoch das Volk nicht herrscht. McCormick schwebt ein linker Populismus vor, der sich nicht gegen Minderheiten richte, sondern gegen die Eliten.
Seine Lösungsvorschläge sind vielfältig, sie basieren auf der realistischen antiutopischen und letztlich erzkonservativen Anthropologie Machiavellis, wonach »die Wenigen sich immer nach der Art der Wenigen verhalten« werden. Grundsätzlich plädiert McCormick – dies alles immer wieder in Konfrontation mit Machiavelli, den Griechen, Römern oder auch Carl Schmitt und Leo Strauss – für eine »klassensensitive Demokratisierung«: Das ist eine neue politische Ermächtigung der einfachen Menschen. Dazu könnten etwa Randomisierungs- und Losverfahren dienen, die Wahlen ersetzen oder ergänzen, wobei die Eliten ausgeschlossen blieben. Dann hätte jeder interessierte Bürger die gleiche Möglichkeit, politisch relevant zu werden, die »sozioökonomischen Unterschiede« würden nivelliert. Ergänzt würde dies durch institutionellen Umbau, durch Plebiszite etc.
Wie konsequent und radikal diese machiavellistischen Gedanken McCormick zu Ende denkt, zeigt der Fingerzeig ins Sakrosankte, denn allein »die Angst vor der Strafverfolgung von Kapitalverbrechen« sei »die einzige Möglichkeit, sozioökonomische und politische Eliten davon abzuhalten, sich auf Kosten der Bevölkerung selbst zu bereichern«, und da nur der Tod keine finanzielle Einlösung habe, dürfe man auch vor der Todesstrafe nicht haltmachen.
Dies wird vornehmlich im amerikanischen Kontext gesagt und betrifft auch nur Kapitalverbrechen, wie etwa durch Lügen einen Krieg vom Zaun zu brechen, wissentlich schwere Wirtschaftskrisen auszulösen oder fremde Mächte in Staatsangelegenheiten einzuschalten: Welche der letzten fünf, sechs Administrationen wäre nicht angesprochen? Und auch im Europa des laufenden Jahrzehnts fällt es nicht schwer, Kandidaten zu finden.
Es ist nicht anzunehmen, daß McCormicks Zielgruppe, die politische und akademische Linke, in ihrer woken und politisch korrekten Blase seine Überlegungen ernsthaft erwägen wird – es lohnt sich also doppelt für die Rechte, diese fulminante Demokratiekritik sehr aufmerksam zu lesen, und sicher auch, noch einmal einen genaueren Blick auf Machiavelli zu werfen.
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John McCormick: Machiavelli und der populistische Schmerzensschrei. Studien zur politischen Theorie, Berlin: Suhrkamp 2023. 300 S., 22 €
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