Felix Stephan: Die frühen Jahre

Wie lief es eigentlich mit den Landsleuten in der DDR, damals? Wie erging es den Familien, gerade den angepaßten, als die  Wende kam?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

In man­chen Jah­ren haben sol­che Fra­gen Kon­junk­tur. »Die« sind immer noch »die ande­ren«, die Zonis, deren Geschich­te angeb­lich »nie wirk­lich« erzählt wur­de. Natür­lich geschah dies längst x‑fach, wenn auch immer unter exo­ti­schem Eti­kett. Othe­ring sagt man heu­te. Wir haben in der Bun­des­re­gie­rung einen »Ost­be­auf­trag­ten«, was in man­chen Ohren wie »Zustän­di­ger für ande­re Behin­de­run­gen« klingt.

Felix Ste­phan, Jahr­gang 1983 und Redak­teur bei der Süd­deut­schen Zei­tung, ver­spricht nun »einen ver­stö­rend inti­men Blick auf das Leben der Ange­paß­ten.« Sei­ne Eltern und der Groß­va­ter hat­ten Rang und Namen in der DDR. Klap­pen­text: »Als die DDR zusam­men­bricht, ver­sam­melt sich die Fami­lie des Erzäh­lers eines Abends vor dem Ofen, um sämt­li­che Bewei­se der Sta­si-Tätig­keit ihrer Mit­glie­der zu ver­bren­nen. Der ein­zi­ge Sohn wächst in eine Welt hin­ein, die sich in Auf­lö­sung befin­det und in der die Eltern die Ori­en­tie­rung ver­lie­ren.« Die­sen Leu­ten »zer­rinnt alles zwi­schen den Fin­gern, wor­an sie glaubten.«

Ste­phan hat dem Buch ein Zitat aus­ge­rech­net von Yukio Mishi­ma vor­an­ge­stellt: »Der Feh­ler der Jugend ist es zu glau­ben, man kön­ne den Dämon zufrie­den­stel­len, indem man ihn zum Hel­den macht.« Forsch legt Ste­phan über sei­ne Eltern los: »Alles in allem glaub­ten sie, was der Staat ihnen über sich selbst erzähl­te. Wenn man die eige­ne Unfrei­heit erst­mal verinner­licht hat, ist sie von Frei­heit nicht mehr zu unter­schei­den. Wenn die Unfrei­heit zum Lebens­prin­zip gewor­den und ver­schmol­zen ist mit einem selbst, wenn es einem gelun­gen ist, trotz­dem ein äußer­lich nor­ma­les Leben zu füh­ren, beginnt man, sie zwangs­läu­fig zu lie­ben, weil man sie für die Bedin­gung von Nor­ma­li­tät hält.«

Das ist eine inter­es­san­te Anord­nung! Klu­ge Sät­ze, die man gern zwei­mal lesen darf. Man ist gleich neu­gie­rig. Wür­de gern mehr erfah­ren! Lei­der geht es nach die­sem Kapi­tel I (von XXIV) nicht wirk­lich wei­ter. Felix Ste­phan schil­dert uns den Lebens­weg eines Jun­gen, der so aggres­siv wie hoch­be­gabt ist (mit bei­den Attri­bu­ten wird ordent­lich koket­tiert) und der über Schreib­wett­be­wer­be lang­sam, aber sicher eine main­stream­för­mi­ge Kar­rie­re­lei­ter erklimmt. Mal war er Out­si­der, mal Trend­set­ter; wer kennt es nicht?

Mit der Ost­her­kunft hat dies alles nur am Ran­de zu tun. Der Opa, über­zeug­ter DDRler, wird dement – die Geschich­ten dazu (»Gedächt­nis: gestri­chen«) soll der Leser wohl »sym­bo­lisch« ver­ste­hen. Um ehr­lich zu sein: Nicht mal die Ein­gangs­ge­schich­te mit dem Auto­da­fé wirkt authen­tisch. Daß Akten »andäch­tig« im Fami­li­en­kreis ver­brannt wur­den: Hier hat doch einer zu vie­le Fil­me gese­hen? Oder woll­te ein­fach einen ful­mi­nan­te Auf­riß haben?

Felix Ste­phan hat gerappt, hat geknutscht, hat­te immer Zwei­fel. Er hat ein paar leicht wit­zi­ge Jeder­mann-Anek­do­ten behal­ten, die er nun preis­gibt; gewis­se Idio­syn­kra­si­en, die im Grun­de jede Fami­li­en­ge­schich­te so oder anders bereit­hält. Man liest es rasch und ohne Zuge­winn. Daß der­glei­chen (»ver­stö­rend inti­mer Blick«) nun als Roman bei einem gro­ßen Publi­kums­ver­lag erscheint, gibt aber­mals Anlaß zu kul­tur­pes­si­mis­ti­schem Zwei­fel. Nichts dar­an ist »ver­stö­rend«, nichts dar­an ist außer­halb von »ange­paßt«! Ange­paßt waren die Eltern und Groß­el­tern damals, ange­paßt ist Felix Ste­phan heu­te unter ver­än­der­ten Bedingungen.

»Wenn die Son­ne der Kul­tur nied­rig steht, wer­fen selbst Zwer­ge lan­ge Schat­ten.« (angeb­lich Karl Kraus)

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Felix Ste­phan: Die frü­hen Jah­re, Ber­lin: Auf­bau 2023. 255 S., 22 €

 

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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