Er schließt an den ersten an, Risiko aus dem Jahr 2015. Die verbindende, historische Figur ist Ritter Oskar von Niedermayer. Dieser »letzte bayrische Ritter«, wie es im Damenopfer mehrmals heißt, war im Ersten Weltkrieg treibende Kraft einer Afghanistan-Expedition, deren Zweck die Aufwiegelung zum Dschihad gegen die englische Kolonialmacht sein sollte.
Man nannte Niedermayer auch den deutschen Lawrence von Arabien. Kopetzky schilderte diese letztlich erfolglose Strategie in Risiko und verknüpfte sie mit der Erfindung des gleichnamigen Spiels, in dem Armeen gegeneinander um Länder und Kontinente kämpfen und das es bis heute zu kaufen gibt.
Afghanistan ist auch Schauplatz der ersten Kapitel in Damenopfer. Nach der siegreichen russischen Revolution verbringt die überzeugte Bolschewikin Larissa Reissner als Ehefrau des sowjetischen Botschafters einige Zeit in Kabul, und Kopetzky läßt sie in der Mauernische eines verfallenen Hauses Niedermayers Pläne für einen Angriff auf Indien aus Afghanistan heraus entdecken.
Reissner ist so fasziniert von dieser minutiös ausgearbeiteten Strategie, daß sie ihren Mann verläßt und nach Moskau zurückkehrt, um einflußreiche Offiziere der Roten Armee von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß man auf diese Weise losschlagen müsse. Als man ihr Karl Radek empfiehlt, über den sie Kontakt zu Oskar von Niedermayer aufbauen könne, beginnt das Karussell aus Namen und historischen Bezügen sich zu drehen.
Man muß die Aktionen, Bündnisse und Einflußsphären aus den Jahren 1918 bis 1925 nicht unbedingt kennen, um die Ereignisse und Handlungsebenen nachvollziehen zu können, aus denen Kopetzky die vor- und zurückspringenden Kapitel seines Romans formt und bestückt.
Aber hilfreich ist es schon: die Weimarer Republik als Idealboden für die Fortsetzung der kommunistischen Weltrevolution und das Scheitern des roten Putsches; die Musterkasernen der Schwarzen Reichswehr bei Kasan und die geheime Rüstungszusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion; die diplomatische, in feine Umgangsformen gekleidete Kälte der britischen Geheimdienste – das alles läuft perspektivisch nicht allwissend ab, sondern innerhalb des Blickwinkels der Akteure, also vor allem Larissa Reissners. Sie selbst ist natürlich nicht nur Funktionärin, sondern aus Fleisch und Blut, kämpft gegen die Fieberschübe einer Malariaerkrankung, verführt Männer, überläßt ihr Kind ihrer Schwester zur Adoption und stirbt sehr jung.
Das kann man alles in Geschichtsbüchern über diese Zeit nachlesen (oder auf Wikipedia zusammenkratzen). Kopetzky hat die Fäden verknüpft und schön gekordelt – fast schon als Satire im zentralen Kapitel, das in einer Villa in Berlin alle versammelt, die den Vortrag eines sehr eitlen Arthur Moeller van den Bruck über ein kommendes »Drittes Reich« hören wollen.
Oskar von Niedermayer ist dort, aber auch der vierfache Ernst (von Salomon, Niekisch, Jünger und Rowohlt) und ein recht kleingewachsener, extrem eitler Staatsrechtler namens Carl Schmitt. Er gräbt die Reissner an, aber die spielt lieber Schach gegen jemanden, der behauptet, daß Frauen das einfach nicht könnten, denn es fehle ihnen jedes strategische Verständnis.
Damenopfer: Das ist gute Lektüre, vor allem dann, wenn man von den absurden Möglichkeiten und Verläufen dieser Jahre fasziniert ist und im »Was wäre wenn« ab und an gern versinkt.
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Steffen Kopetzky: Damenopfer. Roman, Berlin: Rowohlt 2023. 448 S., 26 €
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