Andreas Abros: Identitäre Erhebungen

-- von Felix Dirsch

Daß der Kampf um kulturelle Identität ein zentraler globaler Faktor im 21. Jahrhundert werden würde – diese Prophezeiung sprach nicht nur der weltweit gefeierte Politologe Samuel P. Huntington bereits in den 1990er Jahren aus.

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Die­se Deka­de war in beson­de­rem Maße von den Fol­gen des Unter­gangs der Sowjet­uni­on bestimmt. Man konn­te beob­ach­ten, wie wich­ti­ge iden­ti­tä­re Güter (Spra­che, regio­na­le Tra­di­tio­nen, reli­giö­se Über­lie­fe­run­gen), die lan­ge im ver­bor­ge­nen gepflegt wor­den waren, nun­mehr offen Prä­ge­kräf­te ent­fal­te­ten. Die kom­mu­nis­ti­sche Ideo­lo­gie hat­te ledig­lich an der Ober­flä­che eine Ver­ein­heit­li­chung der ­Lebens­be­din­gun­gen und ‑anschau­un­gen bewirkt.

Im Kon­text einer sol­chen Gegen­warts­per­spek­ti­ve ist ein fun­dier­ter his­to­ri­scher Rück­blick gebo­ten. Der His­to­ri­ker Andre­as Abros hat­te bereits in sei­ner Schrift Ver­tei­di­ger des Abend­lan­des ein Gespür dafür bewie­sen, his­to­ri­sche Zusam­men­hän­ge vor dem Hin­ter­grund der unmit­tel­ba­ren Gegen­wart leben­dig zu vermitteln.

Die »Streif­zü­ge durch die euro­päi­sche Geschich­te« zei­gen, wie sich immer wie­der neue iden­ti­tä­re Davids gegen impe­ria­lis­ti­sche Goli­aths zu behaup­ten hat­ten. Gera­de die euro­päi­sche Geschich­te ist eine Fund­gru­be für den Wert von Frei­heit und Kul­tur, die immer wie­der neu ver­tei­digt wer­den muß­ten und müs­sen. Die heu­ti­ge Iden­ti­tä­re Bewe­gung, aus der der öster­rei­chi­sche Akti­vist Mar­tin Sell­ner her­aus­ragt, steht in einer lan­gen Tra­di­ti­on der Ver­tei­di­gung genui­ner Her­kunfts­über­lie­fe­run­gen und des Kamp­fes für das Eigene.

Vor­über­le­gun­gen des Autors füh­ren in die Pro­ble­ma­tik ein: Iden­ti­täts­po­li­tik (von lin­ker wie rech­ter Sei­te, wenn­gleich mit ver­schie­de­nen Akzen­ten), iden­ti­tä­re Auf­stän­de gegen impe­ria­lis­ti­sche Mäch­te, Per­sön­lich­kei­ten und Struk­tu­ren im Hintergrund.

Am Anfang wird der Wider­stand der jüdi­schen Mak­ka­bä­er gegen die seleu­ki­di­schen Besat­zer geschil­dert. Deren Herr­scher, Antio­chos IV., hat­te den Tem­pel in Jeru­sa­lem geschän­det und trach­te­te danach, die Glau­bens­pra­xis der Israe­li­ten zumin­dest stark ein­zu­schrän­ken. Die Auf­stän­di­schen muß­ten sich nicht nur gegen das Regime der grie­chi­schen Fremd­herr­schaft behaup­ten, das aus der Kon­kurs­mas­se des Rei­ches von Alex­an­der dem Gro­ßen her­vor­ge­gan­gen war; viel­mehr galt es auch, die Kol­la­bo­ra­teu­re aus den eige­nen Rei­hen in Schach zu hal­ten. Das Cha­nuk­ka­fest erin­nert bis heu­te an den Sieg über die Invasoren.

Deut­lich und gut les­bar stellt Abros auch ande­re zen­tra­le Erhe­bun­gen der Welt­ge­schich­te dar: Die Bri­tan­nier stan­den gegen die römi­schen Unter­drü­cker auf, aber die Trup­pen des Kai­sers erwie­sen sich als stär­ker. Die Rache fiel blu­tig aus. Bou­dic­ca hieß die letzt­lich unter­le­ge­ne Volksheldin.

Ein ver­gleich­ba­res Ergeb­nis brach­te der Sachsen­aufstand gegen die über­le­ge­nen Hee­re Karls des Gro­ßen. Her­zog Widu­kinds Nie­der­la­ge warf lan­ge Schat­ten. Die Mas­sen­hin­rich­tung in Ver­den an der Aller hat sich tief ins natio­na­le Geschichts­ge­dächt­nis ein­ge­brannt, eben­so die damals kaum zu ver­mei­den­den Zwangs­tau­fen der Unter­le­ge­nen. Die Erin­ne­rung an die­ses his­to­ri­sche Groß­ereig­nis ist (neben ande­ren) für die nega­ti­ve Ein­stel­lung vie­ler heu­ti­ger Rech­ter gegen­über dem Chris­ten­tum verantwortlich.

Wei­ter geht es mit his­to­ri­schen Schil­de­run­gen: Die Schot­ten schaff­ten es nicht, das bri­ti­sche Joch abzu­schüt­teln. Der Auf­stand der Nie­der­län­der hat­te ein lan­ges Nach­le­ben in Wer­ken der Dich­tung. Der Kampf der Grie­chen gegen die osma­ni­sche Fremd­herr­schaft erfuhr im frü­hen 19. Jahr­hun­dert in Deutsch­land des­halb ein so nach­hal­ti­ges Echo, weil vie­le Frei­heits­kämp­fer in der Mit­te Euro­pas ihre eige­ne Zukunft mit der des ver­klär­ten Vol­kes ver­knüpft hatten.

Wei­ter wird das Schick­sal der pol­ni­schen Nati­on aus­führ­lich erör­tert. Der Kampf um Unab­hän­gig­keit, beson­ders gegen das zaris­ti­sche Ruß­land, dau­er­te lan­ge, war aber letzt­lich erfolg­reich. Man­che Lie­der und Gedich­te aus dem 19. Jahr­hun­dert bezie­hungs­wei­se dem frü­hen 20. Jahr­hun­dert (»Noch ist Polen nicht ver­lo­ren«) haben die Epo­chen überdauert.

Am Ende der Schrift wird der Frei­heits­kampf der Süd­ti­ro­ler gegen den ita­lie­ni­schen Zen­tra­lis­mus ein­schließ­lich der von der Regie­rung in Rom ver­an­laß­ten mas­si­ven Umvol­kung in zen­tra­le Regio­nen the­ma­ti­siert. Sol­che Maß­nah­men soll­ten die indi­ge­nen Volks­grup­pen mar­gi­na­li­sie­ren. Die Erör­te­rung der eth­no­kul­tu­rel­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf dem Bal­kan nach dem Ende Jugo­sla­wi­ens und eini­ge wich­ti­ge Aus­bli­cke run­den die Stu­die Abros’ ab. Zur Erhel­lung zen­tra­ler kul­tur­his­to­ri­scher Hin­ter­grün­de im iden­ti­tä­ren Gegen­warts­kampf ist die Abhand­lung unverzichtbar.

Andre­as Abros: Iden­ti­tä­re Erhe­bun­gen. Streif­zü­ge durch die euro­päi­sche Geschich­te, Uhin­gen: Ger­hard Hess Ver­lag 2023. 316 S., 22 €

 

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