Diese Dekade war in besonderem Maße von den Folgen des Untergangs der Sowjetunion bestimmt. Man konnte beobachten, wie wichtige identitäre Güter (Sprache, regionale Traditionen, religiöse Überlieferungen), die lange im verborgenen gepflegt worden waren, nunmehr offen Prägekräfte entfalteten. Die kommunistische Ideologie hatte lediglich an der Oberfläche eine Vereinheitlichung der Lebensbedingungen und ‑anschauungen bewirkt.
Im Kontext einer solchen Gegenwartsperspektive ist ein fundierter historischer Rückblick geboten. Der Historiker Andreas Abros hatte bereits in seiner Schrift Verteidiger des Abendlandes ein Gespür dafür bewiesen, historische Zusammenhänge vor dem Hintergrund der unmittelbaren Gegenwart lebendig zu vermitteln.
Die »Streifzüge durch die europäische Geschichte« zeigen, wie sich immer wieder neue identitäre Davids gegen imperialistische Goliaths zu behaupten hatten. Gerade die europäische Geschichte ist eine Fundgrube für den Wert von Freiheit und Kultur, die immer wieder neu verteidigt werden mußten und müssen. Die heutige Identitäre Bewegung, aus der der österreichische Aktivist Martin Sellner herausragt, steht in einer langen Tradition der Verteidigung genuiner Herkunftsüberlieferungen und des Kampfes für das Eigene.
Vorüberlegungen des Autors führen in die Problematik ein: Identitätspolitik (von linker wie rechter Seite, wenngleich mit verschiedenen Akzenten), identitäre Aufstände gegen imperialistische Mächte, Persönlichkeiten und Strukturen im Hintergrund.
Am Anfang wird der Widerstand der jüdischen Makkabäer gegen die seleukidischen Besatzer geschildert. Deren Herrscher, Antiochos IV., hatte den Tempel in Jerusalem geschändet und trachtete danach, die Glaubenspraxis der Israeliten zumindest stark einzuschränken. Die Aufständischen mußten sich nicht nur gegen das Regime der griechischen Fremdherrschaft behaupten, das aus der Konkursmasse des Reiches von Alexander dem Großen hervorgegangen war; vielmehr galt es auch, die Kollaborateure aus den eigenen Reihen in Schach zu halten. Das Chanukkafest erinnert bis heute an den Sieg über die Invasoren.
Deutlich und gut lesbar stellt Abros auch andere zentrale Erhebungen der Weltgeschichte dar: Die Britannier standen gegen die römischen Unterdrücker auf, aber die Truppen des Kaisers erwiesen sich als stärker. Die Rache fiel blutig aus. Boudicca hieß die letztlich unterlegene Volksheldin.
Ein vergleichbares Ergebnis brachte der Sachsenaufstand gegen die überlegenen Heere Karls des Großen. Herzog Widukinds Niederlage warf lange Schatten. Die Massenhinrichtung in Verden an der Aller hat sich tief ins nationale Geschichtsgedächtnis eingebrannt, ebenso die damals kaum zu vermeidenden Zwangstaufen der Unterlegenen. Die Erinnerung an dieses historische Großereignis ist (neben anderen) für die negative Einstellung vieler heutiger Rechter gegenüber dem Christentum verantwortlich.
Weiter geht es mit historischen Schilderungen: Die Schotten schafften es nicht, das britische Joch abzuschütteln. Der Aufstand der Niederländer hatte ein langes Nachleben in Werken der Dichtung. Der Kampf der Griechen gegen die osmanische Fremdherrschaft erfuhr im frühen 19. Jahrhundert in Deutschland deshalb ein so nachhaltiges Echo, weil viele Freiheitskämpfer in der Mitte Europas ihre eigene Zukunft mit der des verklärten Volkes verknüpft hatten.
Weiter wird das Schicksal der polnischen Nation ausführlich erörtert. Der Kampf um Unabhängigkeit, besonders gegen das zaristische Rußland, dauerte lange, war aber letztlich erfolgreich. Manche Lieder und Gedichte aus dem 19. Jahrhundert beziehungsweise dem frühen 20. Jahrhundert (»Noch ist Polen nicht verloren«) haben die Epochen überdauert.
Am Ende der Schrift wird der Freiheitskampf der Südtiroler gegen den italienischen Zentralismus einschließlich der von der Regierung in Rom veranlaßten massiven Umvolkung in zentrale Regionen thematisiert. Solche Maßnahmen sollten die indigenen Volksgruppen marginalisieren. Die Erörterung der ethnokulturellen Auseinandersetzungen auf dem Balkan nach dem Ende Jugoslawiens und einige wichtige Ausblicke runden die Studie Abros’ ab. Zur Erhellung zentraler kulturhistorischer Hintergründe im identitären Gegenwartskampf ist die Abhandlung unverzichtbar.
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Andreas Abros: Identitäre Erhebungen. Streifzüge durch die europäische Geschichte, Uhingen: Gerhard Hess Verlag 2023. 316 S., 22 €
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