Ronen Steinke: Verfassungsschutz

Für wen das Buch geschrieben wurde, steht schon auf dem Schutzumschlag: »Enthält den Fall Hans-Georg Maaßen«. Von einem »Fall« sprechen in der Regel nur Leute, die Maaßen für ein Problem halten.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Genau das tut Ronen Stein­ke (*1983), der als Redak­teur bei der Süd­deut­schen Zei­tung arbei­tet und pro­mo­vier­ter Jurist ist. Er sieht im Ver­fas­sungs­schutz (VS) eine Behör­de, die von ihren Anfän­gen bis zur Prä­si­dent­schaft Maa­ßens rechts­las­tig gewe­sen sei und vor allem Lin­ke drang­sa­liert habe (und das bis heu­te tue). Eine Ände­rung habe es erst unter Hal­den­wang gege­ben, der zwar für die Löschung von NSU-Datei­en ver­ant­wort­lich war, aber die Kli­makle­ber ent­spannt sieht und die AfD zum Staats­feind erklärt hat.

Hal­den­wang ist näm­lich, wenn man Stein­ke glau­ben darf, ein Mus­ter­ex­em­plar der deut­schen Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, der eini­ge Zeit in Isra­el ver­bracht hat und Flücht­lin­gen hilft. Das für Stein­ke löb­li­che Ergeb­nis: ­Hal­den­wang sieht die Din­ge nicht nüch­tern, son­dern immer mora­lisch. Mit ande­ren Wor­ten: Hal­den­wang ist nicht in der Lage, zwi­schen pri­va­ter und Staats­mo­ral zu unter­schei­den. Maa­ßen sei dage­gen ein ver­kapp­ter Rech­ter gewe­sen, der die Beob­ach­tung der AfD ver­hin­dern woll­te und dabei von See­ho­fer gedeckt wor­den sei.

Die von Maa­ßen in Gang gesetz­te Beob­ach­tung der Iden­ti­tä­ten Bewe­gung läßt Stein­ke dabei unter den Tisch fal­len, weil sie nicht in den Manich­äis­mus des Autors paßt. Offen­sicht­lich ver­fügt Stein­ke nicht über genü­gend Phan­ta­sie, um sich vor­zu­stel­len, daß man als CDU­ler der AfD etwas Spiel­raum las­sen wol­len könn­te, um die eige­ne Par­tei wie­der auf die kon­ser­va­ti­ve Linie zu zwingen.

Abge­se­hen von die­sen, den gegen­wär­ti­gen Ver­wer­fun­gen geschul­de­ten Miß­deu­tun­gen hat der Autor eini­ge Argu­men­te zu bie­ten, die auch Rech­te ger­ne lesen wer­den und die von einem SZ-Autor nicht gera­de zu erwar­ten waren. Am Ende des Buches for­dert Stein­ke deut­lich die Abschaf­fung des Ver­fas­sungs­schut­zes, weil er Din­ge tue, die einer Demo­kra­tie und eines Rechts­staa­tes unwür­dig sei­en, näm­lich unbe­schol­te­ne Bür­ger aus­zu­spä­hen und an den Pran­ger zu stel­len. In ande­ren Län­dern gebe es so eine Behör­de, die durch VS-Berich­te und den Ein­satz von Spit­zeln die Öffent­lich­keit mani­pu­lie­re, schließ­lich auch nicht.

Für unse­re Leser sind die­se Argu­men­te nichts Neu­es. Es ist daher ent­täu­schend, daß Stein­ke weder einen libe­ra­len VS-Kri­ti­ker wie Horst Mei­er noch den­je­ni­gen erwähnt, der den Demo­kra­tie-Son­der­weg der BRD am genau­es­ten unter­sucht hat, Josef Schüßlb­ur­ner. So bleibt am Ende der Ein­druck, daß es der Autor mit sei­ner For­de­rung nach Abschaf­fung des VS nicht beson­ders ernst meint, son­dern den VS prä­ven­tiv kri­ti­siert, um die Kli­makle­ber aus der Schuß­li­nie zu neh­men: Die Ein­schät­zung einer Behör­de, die es eigent­lich nicht geben soll­te, kann kaum geeig­net sein, den extre­mis­ti­schen Wert der Kli­makle­ber zu bestimmen.

Aber auch das ist schon mei­len­weit von dem ent­fernt, was hier­zu­lan­de sonst aus den ton­an­ge­ben­den Krei­sen zu ver­neh­men ist, zumal der Autor aus­drück­lich auch die Beob­ach­tung der AfD als ille­gi­tim kri­ti­siert. Stein­ke macht zudem nicht den Feh­ler, den selbst vie­le Rech­te machen: sich über die eige­ne Beob­ach­tung zu bekla­gen und gleich­zei­tig die Erkennt­nis­se des VS über angeb­li­che und wirk­li­che Links­extre­mis­ten für bare Mün­ze zu nehmen.

Denn auch für die ande­re Feld­post­num­mer gilt: Für kri­mi­nel­le Hand­lun­gen gibt es die Poli­zei und die Gerich­te. Alles ande­re geht auch den VS nichts an. Und bei der Prä­ven­ti­on, die ger­ne als Argu­ment für die Not­wen­dig­keit sei­ner Exis­tenz vor­ge­bracht wird, hat der VS noch jedes­mal versagt.

Ronen Stein­ke: Ver­fas­sungs­schutz. Wie der Geheim­dienst Poli­tik macht, Ber­lin: Ber­lin Ver­lag 2023. 222 S., 24 €

 

 

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Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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