Genau das tut Ronen Steinke (*1983), der als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung arbeitet und promovierter Jurist ist. Er sieht im Verfassungsschutz (VS) eine Behörde, die von ihren Anfängen bis zur Präsidentschaft Maaßens rechtslastig gewesen sei und vor allem Linke drangsaliert habe (und das bis heute tue). Eine Änderung habe es erst unter Haldenwang gegeben, der zwar für die Löschung von NSU-Dateien verantwortlich war, aber die Klimakleber entspannt sieht und die AfD zum Staatsfeind erklärt hat.
Haldenwang ist nämlich, wenn man Steinke glauben darf, ein Musterexemplar der deutschen Vergangenheitsbewältigung, der einige Zeit in Israel verbracht hat und Flüchtlingen hilft. Das für Steinke löbliche Ergebnis: Haldenwang sieht die Dinge nicht nüchtern, sondern immer moralisch. Mit anderen Worten: Haldenwang ist nicht in der Lage, zwischen privater und Staatsmoral zu unterscheiden. Maaßen sei dagegen ein verkappter Rechter gewesen, der die Beobachtung der AfD verhindern wollte und dabei von Seehofer gedeckt worden sei.
Die von Maaßen in Gang gesetzte Beobachtung der Identitäten Bewegung läßt Steinke dabei unter den Tisch fallen, weil sie nicht in den Manichäismus des Autors paßt. Offensichtlich verfügt Steinke nicht über genügend Phantasie, um sich vorzustellen, daß man als CDUler der AfD etwas Spielraum lassen wollen könnte, um die eigene Partei wieder auf die konservative Linie zu zwingen.
Abgesehen von diesen, den gegenwärtigen Verwerfungen geschuldeten Mißdeutungen hat der Autor einige Argumente zu bieten, die auch Rechte gerne lesen werden und die von einem SZ-Autor nicht gerade zu erwarten waren. Am Ende des Buches fordert Steinke deutlich die Abschaffung des Verfassungsschutzes, weil er Dinge tue, die einer Demokratie und eines Rechtsstaates unwürdig seien, nämlich unbescholtene Bürger auszuspähen und an den Pranger zu stellen. In anderen Ländern gebe es so eine Behörde, die durch VS-Berichte und den Einsatz von Spitzeln die Öffentlichkeit manipuliere, schließlich auch nicht.
Für unsere Leser sind diese Argumente nichts Neues. Es ist daher enttäuschend, daß Steinke weder einen liberalen VS-Kritiker wie Horst Meier noch denjenigen erwähnt, der den Demokratie-Sonderweg der BRD am genauesten untersucht hat, Josef Schüßlburner. So bleibt am Ende der Eindruck, daß es der Autor mit seiner Forderung nach Abschaffung des VS nicht besonders ernst meint, sondern den VS präventiv kritisiert, um die Klimakleber aus der Schußlinie zu nehmen: Die Einschätzung einer Behörde, die es eigentlich nicht geben sollte, kann kaum geeignet sein, den extremistischen Wert der Klimakleber zu bestimmen.
Aber auch das ist schon meilenweit von dem entfernt, was hierzulande sonst aus den tonangebenden Kreisen zu vernehmen ist, zumal der Autor ausdrücklich auch die Beobachtung der AfD als illegitim kritisiert. Steinke macht zudem nicht den Fehler, den selbst viele Rechte machen: sich über die eigene Beobachtung zu beklagen und gleichzeitig die Erkenntnisse des VS über angebliche und wirkliche Linksextremisten für bare Münze zu nehmen.
Denn auch für die andere Feldpostnummer gilt: Für kriminelle Handlungen gibt es die Polizei und die Gerichte. Alles andere geht auch den VS nichts an. Und bei der Prävention, die gerne als Argument für die Notwendigkeit seiner Existenz vorgebracht wird, hat der VS noch jedesmal versagt.
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Ronen Steinke: Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht, Berlin: Berlin Verlag 2023. 222 S., 24 €
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