Auch Goldschmidts Annäherung an Heideggers Sprache als deutsche Sprache macht da keinen Unterschied. Seine Texte haben dennoch einigen Wert. Zum einen sind sie noch vor Emmanuel Fayes Heidegger-Buch – also selbständig – entstanden, zum anderen widmen sie sich einer Frage, die tatsächlich breites Interesse verdient: Inwieweit ist die deutsche Sprache philosophisch, möglicherweise philosophischer als andere Sprachen, aber auch, welche intrinsische Verführung schlummert in ihr, welche innere Kraft und Gewalt und welche Anlagen prädestinieren gerade sie zum Mißbrauch?
Sie sei zum Beispiel vom Raum besessen, sagt Goldschmidt, von Horizontalität und Vertikalität, vor allem von letzterer, also dem »Stand«, dem Aufrechten. Ihre Fähigkeit zur Agglutination verleiht ihr ein konstruktives Element, das einer bestimmten Form der Phantasie keine Grenzen setzt. Sie ist wortschöpferisch, und ihre Fixierung auf Präfixe (ver‑, zer‑, ent- usw.) und Suffixe (-keit, ‑heit, ‑nis usw.) verleiht ihr Sinnüberschuß und Geheimnisvolles. Ihre Vorliebe für Komposita oder die »energetische Aufladung« durch Bindestrich-Verbindungen, die Substantivierung von Verben, die Wiederholung und Differenz von Wörtern, ihre Vieldeutigkeit, die Autorität des bestimmten Artikels und all das, darin sieht der Kritiker nahezu unübersetzbares Potential, aber auch riesige Gefahren.
Diese haben sich sowohl im Nationalsozialismus wie auch in Heideggers Sprache und Denken materialisiert. Goldschmidt, der als Deutscher in Frankreich und französisch schreibend aus seiner Aversion der Muttersprache gegenüber kein Geheimnis macht – beinahe hätte ich »Hehl« geschrieben, doch darin hätte er sofort Antisemitismus gewittert, ich meine vermutet –, übersieht geflissentlich, daß andere Sprachen über ähnliche Möglichkeiten verfügen und dennoch weder eine Vernichtungsmaschine noch einen Heidegger hervorgebracht haben, oder daß viele seiner besorgten Sätze ebenso auf französische Denker (z. B. Derrida) zuträfen.
Indem der Autor die deutsche Sprache für das Politische – etwa das Raumgreifende – verantwortlich macht und Heideggers Denken als ein konsequentes Ende dieser Sprache aufzeigt, gibt er dem Seinsdenker gerade dort recht, wo er ihn an seiner vermeintlich schwächsten Stelle angreifen möchte, am: Die Sprache denkt. Offen bleibt immer die Frage, inwieweit der jeweilige Vorwurf bei der Quelle oder beim Rezipienten zu suchen ist: Wo, bei wem, liegt der unterstellte Antisemitismus bei Begriffen wie »rechnendes Denken« oder »Gerede«?
Trotz solcher Paradoxien ist das Buch vor allem in seinem ersten Teil überaus anregend, es macht das »Unbewußte der deutschen Sprache« erahnbar. Im zweiten Teil widmet er sich dann konzentriert Heidegger, dessen Denken, zugegebenermaßen »großes Denken«, er aus drei Gründen ablehnt: Es sei fehlerhaft und paradox; seine Sprache nähere sich der LTI an; die deutsche Sprache, die er nutzt und kreiert, sei grammatisch und lexikalisch totalitär oder biete zumindest die Mittel dazu.
Heidegger beuge sich nicht der Sprache, er beugt diese, er braucht sie nicht, er mißbraucht sie, er läßt sie erstarren und zwar in einer Kontinuität, die bereits 1927 manifest war. Dabei kann er sich auch auf eine lange Geschichte berufen, die bei Luther und dem Pietismus beginnt, bei Fichte konkret ausgesprochen wird und bei Heidegger gipfelt. Man fühlt sich an Lukács erinnert, nur ins Sprachliche gewendet. Auch hier gilt: Man erfährt nichts über Meister Eckhart oder Jakob Böhme oder über Hamann – das hätte die Linienführung gestört.
Besonders kurios ist, daß man Goldschmidts Buch nicht lesen kann, ohne immer wieder an ganz aktuelle Formen des sprachlichen Totalitarismus im Sinne der hegemonialen Ideologie erinnert zu werden. Man sieht, es gibt viele gute Gründe, das Buch zu bedenken. Die Vorwürfe an Heideggers Sprache (in gewissen Texten) müssen geprüft werden, sie sind schwerwiegend und substantiell, die Überlegungen zu unserer Muttersprache sind ein guter Wetzstein.
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Georges-Arthur Goldschmidt: Heidegger und die deutsche Sprache, Freiburg i. Br. / Wien: Ça ira 2023. 192 S., 25 €
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