Das ist, gemessen an dem Nischenpublikum, an das sich ein derartiges Buch richtet, ein großer Erfolg. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet. Das Buch hat streckenweise den Duktus eines Lehrbuchs. Das macht die Lektüre ebenso herausfordernd wie den Schreibprozeß (und das Lektorat, für das ich mich bei Frau Kositza und Götz Kubitschek herzlich bedanke.) Als Lohn für die Lektüre winkt ein Effekt, den mir schon viele bestätigt haben. Wenn man RCVR aufmerksam liest, verändert sich die eigene Sicht auf rechte Politik, das rechte Lager und rechte Parteien nachhaltig und tiefgründig.
In diesem Beitrag will ich die positiven und negativen Rezensionen der letzten Monate kurz zusammenfassen. (Sollte ich eine wichtige übersehen haben, bitte ich um einen Hinweis in den Kommentaren.)
Positive Rezensionen
Die erste positive Rezension stammt von meinem Freund und Kollegen Manfred Kleine-Hartlage. Da ich seine scharfe Sprache und klare Analyse bewundere, ehrte sie mich besonders. Er erkannte auch genau mein zentrales Anliegen, Grundbegriffe und Strukturen für die Debatte vorzuschlagen. Sein schmeichelhaftes Fazit lautet, daß „an diesem Werk in den nächsten zehn Jahren keiner mehr vorbeikommen wird, der über rechte Strategie schreibt, und das gilt für Freund und Feind“.
Ebenso erfreulich war für mich das deutliche Lob von Björn Höcke. Daß er als Hauptangriffsziel des repressiven linken Apparats das Buch eines verfemten Identitären lobt, ist bereits bemerkenswert. Höckes langer, persönlich verfaßter Beitrag zeugt dazu von einer intensiven Lektüre. Sein Fazit: „Das Werk kann sich zum Handbuch für die deutsche Volksopposition mausern. Es gehört in die Hand jedes patriotischen Dissidenten, gleich ob er als Blogger, als Künstler, als Schriftsteller, als Aktivist oder Parlamentarier seinen Beitrag zum Erhalt unseres Landes leistet.“
Der Ungar Márton Békés ist einigen Bloglesern durch sein neues Buch „Nationaler Block“ geläufig. Er hat RCVR in seiner Zeitschrift „Kommentar“ äußerst positiv rezensiert. Dabei geht er vor allem auf den Versuch ein, Gene Sharp und Gandhi von rechts zu adaptieren. Er zieht Vergleiche zum Militärstrategen Edward Luttwak und nennt das Buch gar ein „Meisterwerk“ (vorausgesetzt, diese Übersetzung von „mesterművét“ stimmt). Aus dem Mund eines Gramsci-Experten ehrt und freut mich das natürlich sehr.
Erwähnenswert ist hier auch der Podcast mit Nikolaus Kramer, Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Gemeinsam sprachen wir über das Buch.
Auf dem Blog Metapolitika findet sich ebenfalls eine intensive Bearbeitung meines Buches, die leider aufgrund der Seitenstruktur etwas unübersichtlich ausfällt.
Kritische Rezensionen
Doch genug des Lobs. Wir kommen nun zu den kritischen Reaktionen auf RCVR von linker und rechter Feldpostadresse.
Den Anfang machte ein gnadenloser Verriß in der „Jungen Freiheit“ vom 29. September, der online nicht abrufbar ist. „Dramatisch der Lebenswelt entrückt“ prangt da, gleichsam als Stempel, in großen Lettern neben einem großen Bild von mir.
Der von mir sehr geschätzte Eberhard Straub läßt hier seine geballte Sprachgewalt auf mich und mein Buch los.
Der rechte Aktivist Martin sorgt sich um das deutsche Volk und die deutsche Kultur, aber nicht sonderlich um die deutsche Sprache,
gibt Straub den Ton für eine kulturkonservative Breitseite vor.
Mein strategischer Ansatz ist für Straub „universalistisch-amerikanisch“, ja ein Akt der „Selbstamerikanisierung“. Die Metapolitik werde zur „Sinngebung des Sinnlosen“. Den Ansatz von RCVR nennt Straub „Pfuscherei“, ohne „Gewissenhaftigkeit“, voller „unhistorischer Abstraktionen“, der zu „Verwirrung“ führe.
Besonders meine Differenzierung zwischen neurechten (z.B. AfD, IB) und altrechten Akteuren (z.B. NPD/Heimat, Nationaler Widerstand) stößt auf Unwillen. Straub sieht das als Angriff auf „ungemein dynamische und geistesgegenwärtige ehemalige Faschisten und Nationalsozialisten“, die Westdeutschland bis 1974 die aus seiner Sicht „goldenen Jahre“ beschert hätten. Er wirft mir vor, dieses Erbe durch einen „rechten Antifaschismus“ zu verraten.
Zwischen den scharfen Invektiven dringt die legitime Grundfrage kaum durch: Können Rechte moderne “linke” Mittel und Techniken von Gramsci bis Sharp adaptieren, ohne dabei ihren Wesenskern zu verlieren? Leider geht diese Frage in der Polemik des Textes etwas unter. Hier prallen zwei Welten und zwei Ansätze aufeinander, die inkommensurabel sind. Ebenso könnte man Rilkes “Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge” auf ihren strategisch-metapolitischen Nutzen hin untersuchen. Beide Welten und Ansätze, der strategische und der ästhetische, haben ihre Berechtigung und sollten diese einander nicht absprechen.
Ähnlich negativ äußert sich Michael Bittner auf der Netzpräsenz der NGO „Mission Lifeline“. (Diese dürfte den Lesern durch ihre „Team Umvolkung“ T‑Shirts bekannt sein.) Für ihn ist RCVR ein „Fahrplan zur Machtergreifung“. Meine Kritik am sanften Totalitarismus sieht er als Anzeichen dafür, daß ich selbst ein totalitäres System errichten würde, wenn man mir nur die Chance dazu ließe.
Während einige Rechte meine Kritik an der „Alten Rechten“ für überzogen halten, attestiert mir Bittner dagegen einen „postmodern kostümierten“ Nationalsozialismus. Der Gestus der „Entlarvung“ gehört zum Standardrepertoire dieses Genres. Angeblich würde ich „feige bemänteln“, worum es wirklich gehe: „Deportation“, „rassische Selektion“ und eine „Drohung mit Gewalt“, die laut dem Autor „aus jeder Zeile spricht“. Das sagt mehr über den Betrachter aus als über den Gegenstand seiner Betrachtung. RCVR wird in die vorgefertigte antifaschistische Standardschablone gepreßt und verfällt dem apodiktischen Verdikt. Eine Rezension ohne jeden Erkenntnisgewinn.
Auch in der erwähnten „Alten Rechten“ wurde das Buch kritisch rezensiert. Der Anwalt, Autor und Politiker Sascha Krolzig hat in seinem Magazin „Nationaler Sozialismus Heute“ reagiert und mir die Auszüge zugeschickt. RCVR nennt er darin „Vergiftete Grüße aus Wien“.
Wenig sachlich unterstellt er mir, mit „elitärem Sprachgebrauch“ ein „abgebrochenes Jurastudium“ kompensieren zu wollen. Grund dieser Verärgerung ist, wie bei Straub, meine Differenzierung zwischen alt- und neurechten Akteuren. Er sieht darin einen „publizistischen Spaltungsversuch“.
Auch in der folgenden Ausgabe von „Nationaler Sozialismus Heute“ arbeitete sich Krolzig an 4 von 300 Buchseiten ab. Es könnte von Interesse ein, kurz darauf einzugehen. Meine knappe Differenzierung zwischen alt- und neurechter Strategie ist rasch zusammengefaßt. Ziel der Neurechten, die weder in der Tradition des NS stehen, noch von ihm besessene „Antifaschisten“ sind, ist der Erhalt der ethnokulturellen Identität. Das Hauptziel der „Alten Rechten“ umfaßt das meist auch, doch darüber hinaus geht es ihnen, in unterschiedlichem Ausmaß und Fokus, um die Rehabilitierung, Normalisierung und Legalisierung des historischen NS. Erst aus dieser strategischen Zielsetzung ergibt es Sinn, daß wieder und wieder dessen Parolen und Ikonen, aus dem historischen Kontext entnommen, für aktuelle politische Projekte gebraucht werden.
Meine strategische Kritik lautete, daß, abgesehen von vorhandenen weltanschaulichen Unterschieden, eine zielorientierte neue Rechte diese fetischisierte Fixierung gar nicht nötig hat und vermeiden sollte.
Krolzig wendet gegen diese These ein, daß ich das altrechte Hauptziel falsch analysiert hätte. Seinem Milieu gehe es ausschließlich darum, die Überfremdung abzuwehren, und nicht darum, durch die Reproduktion von eindeutigen Begriffen und Ikonen „das Dritte Reich zu restaurieren“. Das steht, wohlgemerkt, in einem Magazin namens „Nationaler Sozialismus Heute“.
Eine weitere kritische Rezension erschien im „NEXUS-Magazin“, das sich vor allem mit Grenzwissenschaften, New Age und alternativer Medizin befaßt. Der Autor erkennt, daß RCVR in der Tradition von Benoists Rechtsgramscianismus steht. Wenn er aber schreibt:
Nach Sellners Logik müßten die Identitären eigentlich in die CDU eintreten und sich um ein Volontariat bei RTL2 bemühen,
zeigt sich, daß er diese Strategie schlicht nicht verstanden hat. Geht es doch nicht um „Entrismus“ und Unterwanderung, sondern um eine ideenpolitische Konfrontation der herrschenden Ideologie. NEXUS mokiert sich über mich als „Nischenautoren“ und „gelegentlichen Banner-Anbringer”.
Das Buch sei als Zeugnis für die vertrottelte Harmlosigkeit der Neuen Rechten eine Entwarnung. Im nächsten Absatz schaltet der Rezensent jedoch urplötzlich in den Modus des „demokratischen Warners“ um.
Gerade daß militante Strategien umfassend kritisiert werden, sei „erschreckend“. Es sei ein Zeugnis der „Intensität“, mit der angeblich im rechten Lager „gewaltsame Umsturzpläne im Hintergrund“ diskutiert würden. Gegen meine wortwörtliche Positionierung unterstellt mir der Autor ein „taktisches Lippenbekenntnis”, das bei gegebener Zeit „unter anderen Umständen“ gebrochen werden könne. Dieses Zitat von ihm findet sich in RCVR nicht, was die NEXUS-Rezension in die Nähe der Unterstellungen rückt.
Und Tumult
Abschließend gehe ich auf eine interessante Rezension Renate Broßmanns auf TUMULT ein. Vor allem stellt diese Besprechung eine gute Inhaltszusammenfassung dar. Interessant ist die Begründung von Broßmanns Kritik. Gerade daß die Strategie von RCVR so „ausgeklügelt und in sich stringent“ sei, gereiche ihr zum Nachteil. Das „hermetische und wie in Stein gemeißelte“ Konzept würde damit keinen Spielraum für andere rechte Akteure lassen. Gerade das Lob von Manfred Kleine-Hartlage sieht sie hier als besonders gefährlich, da es Abwehrreflexe gegen den „quasi-leninistischen Ansatz“ hervorrufen könnte. In der Tat trifft Broßmann hier eine mögliche Schwachstelle. Im Buch wird der Prozeß, durch den eine rechte Strategie im rechten Lager hegemonial werden kann, tatsächlich nur kurz angerissen. Konkret schreibe ich dazu auf Seite 215:
Da eine starre Leitstrategie niemals verbindlich von allen Akteuren des rechten Lagers anerkannt würde, wird die Reconquista durch eine binnenrechte Strategiedebatte etabliert. Sie erzeugt einen strategischen Rechtfertigungsdruck für alle Akteure. Durch konstruktive Kritik setzt sich in dieser Debatte die Leitstrategie durch. Diese Debatte führt auch zu einer ständigen Verbesserung und dynamischen Anpassung der Leitstrategie und ihrer Substrategien.
Tatsächlich ist Broßmanns Kritik nicht von der Hand zu weisen. Wie realistisch ist es, daß ein ganzes Lager einer Strategie folgen kann? Wenn ein gemeinsames Hauptziel und eine Strategie erst das Lager konstituieren, wie soll es sich davor überhaupt bilden? Bedarf es hier nicht eher der eruptiven Kraft einer Person oder einer Bewegung, die im mutigen Vorstoß alle vereint? Sind womöglich die kohärente Strategie und die gemeinsame Ideologie gar erst Dinge, die ex post in den Bugwellen eines politischen Machtwillens entstehen? Damit wäre diese Form strategischer Überlegung am Ende nur der Spleen eines gewissen theoretischen Typus.
Der Einwand ist berechtigt. Tatsächlich macht die Geschichte Sprünge und fügt sich selten einem Plan oder gar einer historisch-materialistischen Analyse. Doch Strategie und Theorie bereiten den Boden für den Sprung. Sie stellen Weichen, verbinden Zutaten und erstellen Rezepte, die bedeutsam werden können, wenn es „heiß“ wird.
Fest steht seit Moltke: „Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus.” Doch es ist immer besser, beim Zusammentreffen einen Plan zu haben! Welchen Visionen und Plänen „große Männer“ folgen und unter welchen Mythen sich spontane Massenbewegungen in Krisen zusammenfinden, das kann und muß sehr wohl vorbereitet werden. „Was soll all die Theorie“, fragte Kurtagic den Leser in seinem Grundlagentext „Warum Konservative immer verlieren“. Ein „Slogan auf einem Plakat und ein überzeugendes Schlagwort“, so seine Antwort, „haben allesamt eine Theorie hinter sich, destillieren sich aus komplexen Konzepten und Wertvorstellungen, die einer abstrakten Ebene entstammen.“ Die Konsequenz lautet:
Millionen Worte werden geschrieben, ehe ein Spruchband ausgerollt wird und ein Schlagwort in einer Diskussion auftaucht.
Ein weiterer Grund für die Notwendigkeit der Planung machte ein gutes Drittel meines Buches aus. Wird Strategiebildung nicht gezielt betrieben, dann geschieht sie beiläufig und von selbst und wuchert bald wild in die absurdesten Gefilde. Das schlägt sich dann ganz konkret in “Stürmen” von Washington über Berlin bis Brasilia, Prepping, Ausrufungen von Verfassungen und Königreichen, Militanz oder fruchtlosen Distanzierungsstrategien nieder. Strategiebildung ist also ein unverzichtbares Korrektiv, selbst wenn es nicht gelingt, eine gemeinsame Leitstrategie zu bilden.
Ich für meinen Teil freue mich über das große Interesse an RCVR, das ich vor allem während der Lesereise und im Zuge eines digitalen Lesekreises erleben durfte. (Dieser ist in 6 Folgen auf MSLive+ verfügbar.) Ebenso würde ich weitere kurze Rezensionen und Eindrücke der SIN-Leser im Kommentarbereich begrüßen.
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Regime Change von rechts kann man hier bestellen (und hier im Doppelpack mit Politik von rechts von Maximilian Krah). Von der 3. Auflage sind noch 60 Exemplare erhältlich. Die 4. Auflage wird am Montag gedruckt und wird Ende Januar lieferbar sein.
RMH
Nach allem, was MS hier bereits veröffentlicht hat, zeigt er auch mit diesem Beitrag aufs neue, dass es ihm ernsthaft, redlich um ein Thema geht und nicht um Rechthaberei oder dem Verkauf eines Chuzpe-Schweinchen-Schlau-Modells. Die Kernfrage ist, wenn man bei Gramsci ansetzt, immer der vollkommen zu Recht von MS aufgezeigte Punkt: "Können Rechte moderne “linke” Mittel und Techniken von Gramsci bis Sharp adaptieren, ohne dabei ihren Wesenskern zu verlieren?" Das ist die Krux, dass ist die Zwickmühle. Den genuin "Rechts" ist es, eine Werte- und Rechtsordnung zu haben, die weite Teile des PRIVAT-Lebens privat und unpolitisch lässt, während die linke Totalität alles ÖFFENTLICH, zur res publica und politisch werden lässt. Sehr guter Beitrag von MS in eigener Sache - und die Abgrenzung zu Altrechts ist auch ganz klar in Ordnung bzw. conditio sine qua non für eine Bewegung, die sich auch an Jüngere wendet.